Zusammenfassung des Urteils AG WBE.2022.363: Verwaltungsgericht 1. Kammer
Die Beschwerdeführerin A. wurde in einem Beschwerdeverfahren zur fürsorgerischen Unterbringung im Wohnheim C. durch das Verwaltungsgericht abgewiesen. Das Familiengericht Lenzburg bestätigte die Unterbringung und lehnte ein Entlassungsgesuch ab. Das Verwaltungsgericht entschied, dass es auf das Entlassungsgesuch nicht eintreten könne und keine weitere Verhandlung durchgeführt werde. Es wurde festgestellt, dass die Beschwerdeführerin kein Rechtsschutzinteresse an einer erneuten Überprüfung habe. Das Verwaltungsgericht entschied, dass keine Gerichtskosten erhoben werden und keine Parteientschädigung erfolgt.
Kanton: | AG |
Fallnummer: | AG WBE.2022.363 |
Instanz: | Verwaltungsgericht 1. Kammer |
Abteilung: | - |
Datum: | 21.09.2022 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | - |
Schlagwörter: | Unterbringung; Verwaltungsgericht; Entlassung; Wohnheim; Familie; Recht; Familiengericht; Lenzburg; Entscheid; Urteil; Entlassungsgesuch; Überprüfung; Stiftung; Verhandlung; Hinweis; Hinweisen; Abstände; Verfahren; Eingabe; Schweizerischen; Behandlung; Rechtsschutzinteresse; Freiheit; Verwaltungsrichter; Verwaltungsgerichts |
Rechtsnorm: | Art. 426 ZGB ;Art. 428 ZGB ;Art. 439 ZGB ; |
Referenz BGE: | 123 I 31; 130 III 729; |
Kommentar: | - |
WBE.2022.363 / jl / wm Art. 148
Urteil vom 21. September 2022 Besetzung
Verwaltungsrichterin Bauhofer, Vorsitz Verwaltungsrichter Cotti Verwaltungsrichter Michel Gerichtsschreiberin Lang
Beschwerdeführerin
A._____ Zustelladresse: Stiftung B._____, Wohnheim C._____ Beistand: D._____
Gegenstand
Beschwerdeverfahren betreffend fürsorgerische Unterbringung (Entlassungsgesuch)
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Das Verwaltungsgericht entnimmt den Akten: A. 1. Angaben über die bisherige Lebensgeschichte von A. können den Urteilen des Verwaltungsgerichts WBE.2000.192 vom 22. August 2000, WBE.2001.218 vom 14. August 2001 und WBE.2015.440 vom 10. November 2015 entnommen werden. Aus den genannten Urteilen wird ersichtlich, dass A. seit 1994, in zeitlichen Abständen von mehreren Wochen und Monaten bis zu über einem Jahr, immer wieder in der Klinik der Psychiatrischen Dienste Aargau AG (PDAG) hospitalisiert war. Dazwischen konnte A. jeweils wieder entlassen werden und zwar entweder nach Hause in die Familie in betreute Wohnsituationen wie das Behindertenheim Q., das Wohnheim U. das Wohnheim R. Nach einer (altrechtlichen) fürsorgerischen Freiheitsentziehung (FFE) im Wohn- und Beschäftigungsheim C. in S. zwischen 2002 und 2004 hielt sich A. während Jahren freiwillig im Wohnheim C. auf, welches aktuell von der in T. domizilierten Stiftung B. betrieben wird. Nachdem A. wiederholt um Entlassung ersucht hatte (vgl. Verfahren des Verwaltungsgerichts WBE.2015.379/380 und WBE.2015.406), ordnete das Familiengericht Lenzburg auf Antrag der damaligen Beiständin von A. mit Entscheid KEFU.2015.44 vom 30. Oktober 2015 die fürsorgerische Unterbringung im Wohnheim C., Stiftung B., an. Seither befindet sich A. im Rahmen einer fürsorgerischen Unterbringung im Wohnheim C. 2. Die fürsorgerische Unterbringung von A. im Wohnheim C. wurde durch das Familiengericht Lenzburg mit Entscheid vom 25. August 2022 zuletzt bestätigt und die nächste periodische Überprüfung per 24. August 2023 in Aussicht gestellt (KEFU.2022.25). Nach durchgeführter Verhandlung am 13. September 2022 wies das Verwaltungsgericht die von A. gegen den Entscheid des Familiengerichts Lenzburg vom 25. August 2022 erhobene Beschwerde ab. Das Urteil wurde an der Verhandlung mündlich eröffnet und anschliessend den Beteiligten schriftlich mittels Urteilsdispositiv und Kurzbegründung zugestellt (WBE.2022.339). B. 1. A. stellte mit Eingabe vom 13. September 2022 (Posteingang: 19. September 2022) beim Verwaltungsgericht ein Gesuch um Entlassung aus dem Wohnheim C. und Durchführung einer neuen Verhandlung.
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2. Das Verwaltungsgericht hat den Fall im Zirkularverfahren entschieden (vgl. § 7 Abs. 1 und 2 des Gerichtsorganisationsgesetzes vom 6. Dezember 2011 [GOG; SAR 155.200]).
Das Verwaltungsgericht zieht in Erwägung: I. 1. Die Zuständigkeit für die Entlassung aus einer fürsorgerischen Unterbringung richtet sich danach, wer die Unterbringung angeordnet hat. Hat die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde die Unterbringung angeordnet, ist sie gemäss Art. 428 Abs. 1 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs vom 10. Dezember 1907 (ZGB; SR 210) grundsätzlich auch für die Entlassung zuständig. Im Gesetz ist vorgesehen, dass die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde im Einzelfall die Zuständigkeit für die Entlassung der Einrichtung übertragen kann (Art. 428 Abs. 2 ZGB). Mit Entscheid vom 25. August 2022 hielt das Familiengericht Lenzburg wie in vorherigen Entscheiden (vgl. etwa KEFU.2020.21) fest, dass die Entlassungszuständigkeit nicht übertragen werde. Damit ist das Familiengericht Lenzburg zur Behandlung des Entlassungsgesuchs zuständig. Deshalb darf das Verwaltungsgericht mangels sachlicher Zuständigkeit nicht auf das Entlassungsgesuch vom 13. September 2022 eintreten. Entsprechend besteht auch kein Anlass, eine (weitere) verwaltungsgerichtliche Verhandlung durchzuführen. 2. 2.1. Gemäss Art. 439 Abs. 4 ZGB besteht eine Weiterleitungspflicht. Es stellt sich jedoch die Frage, ob das Verwaltungsgericht auch die Eingabe vom 13. September 2022 an das Familiengericht Lenzburg überweisen muss, da sie unmittelbar nach einer umfassenden gerichtlichen Beurteilung der aktuellen fürsorgerischen Unterbringung erfolgte. Im Gesetz ist keine Sperrfrist vorgesehen, sodass ein Entlassungsgesuch grundsätzlich jederzeit gestellt werden kann (Art. 426 Abs. 4 ZGB). Die Wahrnehmung dieses Rechts, jederzeit die Entlassung und bei Verweigerung die gerichtliche Beurteilung zu verlangen, steht aber, wie die Rechtsausübung schlechthin, unter dem Vorbehalt des Handelns nach Treu und Glauben. Auf in unvernünftigen Abständen gestellte Begehren ist mangels Rechtsschutzinteresse nicht einzutreten (BGE 130 III 729, Erw. 2.1.1 mit Hinweisen; Aargauische Gerichts- und Verwaltungsentscheide [AGVE] 2000, S. 184, Erw. 2).
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2.2. Zur Beschwerdeführung ist gemäss § 42 Abs. 1 lit. a des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege vom 4. Dezember 2007 (Verwaltungsrechtspflegegesetz, VRPG; SAR 271.200) berechtigt, wer durch eine angefochtene Verfügung einen angefochtenen Rechtsmittelentscheid berührt ist, und wer ein schutzwürdiges eigenes Interesse an der Beschwerdeführung hat. Kein Rechtsschutzinteresse besteht, wenn die Beschwerde der beschwerdeführenden Person keinerlei nennenswerte Vorteile bringen kann. Ein Interesse ist überdies nur dann schutzwürdig, wenn es aktuell ist. Nicht einzutreten ist auf Beschwerden, die offensichtlich rechtsmissbräuchlich und der richterlichen Überprüfung nicht würdig sind (AGVE 2000, S. 184, Erw. 2a mit Hinweisen). Diese Grundsätze gelten auch für das Verfahren bei fürsorgerischen Unterbringungen ohne Einschränkung. Sie halten überdies auch vor Art. 31 Abs. 4 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV; SR 101) und Art. 5 Ziff. 4 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (EMRK; SR 0.101) stand, welcher bestimmt, dass jede Person, der die Freiheit entzogen ist, innerhalb kurzer Frist die gerichtliche Überprüfung der Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs beantragen kann. Darin ist das Recht beinhaltet, in vernünftigen Abständen eine gerichtliche Überprüfung der Rechtmässigkeit zu verlangen (BGE 123 I 31, Erw. 4c mit Hinweisen). Entsprechend hat es auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) als zulässig betrachtet, bei offensichtlich unzulässigen Beschwerden die Häufigkeit von Rekursen zu begrenzen (BGE 130 III 729, Erw. 2.1.2 mit Hinweisen; AGVE 2000, S. 184, Erw. 2b mit Hinweis). Zur Frage, welche Abstände zwischen der gerichtlichen Überprüfung als "vernünftig" anzusehen sind, kommt es auf die Verhältnisse des konkreten Falls und die anwendbaren Prozessvorschriften an. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung zur altrechtlichen fürsorgerischen Freiheitsentziehung waren bei der Unterbringung von Geisteskranken relativ lange Abstände angebracht und zulässig (BGE 130 III 729, Erw. 2.1.2 mit Hinweisen). Diese Praxis kann unter Geltung des neuen Erwachsenenschutzrechts jedenfalls bei psychischen Störungen weitergeführt werden, die sich in einem stabilen Zustandsbild manifestieren. 2.3.
Am 25. August 2022 führte das Familiengericht Lenzburg eine Verhandlung durch und bestätigte nach Anhörung der Beteiligten mit Entscheid KEFU.2022.25 vom 25. August 2022 die fürsorgerische Unterbringung der Beschwerdeführerin in der Stiftung B., Wohnheim C. Am 13. September 2022 fand vor Verwaltungsgericht eine Verhandlung statt, wobei die Beschwerde nach Anhörung der Beteiligten abgewiesen wurde. In der Kurzbegründung hielt das Verwaltungsgericht gestützt auf die seit langem
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bekannte ärztliche Diagnose [...] fest, dass die Beschwerdeführerin auf eine engmaschige Betreuung und umfassende Begleitung in einem stark strukturierten Rahmen sowie auf die Sicherstellung einer kontinuierlichen medikamentösen Behandlung angewiesen sei, weshalb die fürsorgerische Unterbringung im Wohnheim C. nicht aufgehoben werden könne, da ansonsten infolge Überforderung eine Vernachlässigung der Selbstsorge und damit eine Verschlechterung des gesundheitlichen Zustands drohe (vgl. Entscheid des Verwaltungsgerichts WBE.2022.339 vom 13. September 2022). Seit der letzten Gerichtsverhandlung bzw. dem Empfang des schriftlich eröffneten Urteilsdispositivs bis zum heutigen Urteilsdatum sind lediglich einige Tage verstrichen. Das Entlassungsgesuch der Beschwerdeführerin vom 13. September 2022 erfolgte folglich nur sehr kurze Zeit nach Erhalt des mit einer Kurzbegründung versehenen Urteilsdispositivs. Unter diesen Umständen ist es offensichtlich, dass die Beschwerdeführerin kein Rechtsschutzinteresse an einer erneuten Überprüfung der aktuellen fürsorgerischen Unterbringung hat. Die Besonderheit des vorliegenden Falles, insbesondere die seit vielen Jahren bestehende Situation mit nach wie vor engmaschiger und praktisch unveränderter Betreuungsbedürftigkeit, rechtfertigt zweifellos eine längere Sperrfrist, weshalb sich eine Überweisung an das Familiengericht Lenzburg zur Behandlung als Entlassungsgesuch als prozessualer Leerlauf erweisen würde. Dementsprechend wird auf eine Überweisung verzichtet. 3. Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass auf die Beschwerde nicht eingetreten wird. Wegen fehlendem Rechtsschutzinteresse wird überdies auf eine Überweisung der Beschwerde an das Familiengericht Lenzburg zur Behandlung als Entlassungsgesuch verzichtet, da es sich bei der vorliegenden fürsorgerischen Unterbringung um eine langfristige Platzierung der Beschwerdeführerin in einem geeigneten Wohnheim zur Betreuung handelt. Sofern das Familiengericht Lenzburg keinen neuen Entscheid fällt, wird das Verwaltungsgericht bis zur nächsten ordentlichen Überprüfung der Voraussetzungen der fürsorgerischen Unterbringung der Beschwerdeführerin in der Stiftung B., Wohnheim C., welche durch das Familiengericht Lenzburg per 24. August 2023 vorzunehmen ist, auf weitere derart offensichtlich rechtsmissbräuchliche Eingaben
nicht mehr reagieren. II. Gestützt auf § 37 Abs. 3 lit. b des Einführungsgesetzes zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch vom 27. Juni 2017 (EG ZGB; SAR 210.300) werden in Verfahren betreffend fürsorgerische Unterbringung keine Gerichtskosten erhoben. Eine Parteientschädigung fällt ausser Betracht.
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Das Verwaltungsgericht erkennt: 1. Auf die Eingabe vom 13. September 2022 wird nicht eingetreten. 2. Das Verfahren ist kostenlos. 3. Es werden keine Parteikosten ersetzt.
Zustellung an: die Beschwerdeführerin den Beistand: D. die Stiftung B., Wohnheim C. das Familiengericht Lenzburg
Beschwerde in Zivilsachen Dieser Entscheid kann wegen Verletzung von Bundesrecht, Völkerrecht, kantonalen verfassungsmässigen Rechten und interkantonalem Recht innert 30 Tagen seit Zustellung mit der Beschwerde in Zivilsachen beim Schweizerischen Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, angefochten werden. Die Frist steht still vom 7. Tag vor bis und mit 7. Tag nach Ostern, vom 15. Juli bis und mit 15. August und vom 18. Dezember bis und mit 2. Januar. Die unterzeichnete Beschwerde muss das Begehren, wie der Entscheid zu ändern ist, sowie in gedrängter Form die Begründung, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt, mit Angabe der Beweismittel enthalten. Der angefochtene Entscheid und als Beweismittel angerufene Urkunden sind beizulegen (Art. 72 ff. des Bundesgesetzes über das Bundesgericht [Bundesgerichtsgesetz, BGG] vom 17. Juni 2005).
Aarau, 21. September 2022 Verwaltungsgericht des Kantons Aargau 1. Kammer Vorsitz: Gerichtsschreiberin:
Bauhofer
Lang
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