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Urteil Obergericht des Kantons Zürich (ZH)

Kopfdaten
Kanton:ZH
Fallnummer:SU200035
Instanz:Obergericht des Kantons Zürich
Abteilung:I. Strafkammer
Obergericht des Kantons Zürich Entscheid SU200035 vom 24.08.2021 (ZH)
Datum:24.08.2021
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Übertretung des Mehrwertsteuergesetzes
Schlagwörter : Schuldig; Beschuldigte; Beschuldigten; Verfahren; Staatsanwaltschaft; Liegen; Zürich; Kantons; Urteil; Gemäss; Berufung; Buchführung; Vorliegend; Sachverhalt; Verfahrens; Stellt; Grundsatz; Vorinstanz; Rechtliche; Gleich; Aufgrund; Gericht; Genugtuung; Weiter; Gleiche; Hätte; Schwer; Weiter
Rechtsnorm: Art. 101 MWSTG ; Art. 105 MWSTG ; Art. 11 StPO ; Art. 166 StGB ; Art. 28 ZGB ; Art. 320 StPO ; Art. 325 StGB ; Art. 429 StPO ; Art. 49 OR ; Art. 70 MWSTG ; Art. 754 OR ; Art. 810 OR ;
Referenz BGE:119 Ib 311; 129 V 113; 137 I 363; 143 IV 104; 144 IV 362;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid

Obergericht des Kantons Zürich

I. Strafkammer

aa)

Geschäfts-Nr.: SU200035-O/U/cwo

Mitwirkend: die Oberrichter lic. iur. Ch. Prinz, Präsident, lic. iur. B. Gut und lic. iur. C. Maira sowie der Gerichtsschreiber MLaw L. Zanetti

Beschluss vom 24. August 2021

in Sachen

A. ,

Beschuldigter und Berufungskläger

gegen

  1. Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland,
  2. Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV),

    Anklägerinnen und Berufungsbeklagte

    betreffend Übertretung des Mehrwertsteuergesetzes

    Berufung gegen ein Urteil des Bezirksgerichtes Winterthur, Einzelgericht, vom 20. November 2020 (GC190023)

    Strafverfügung:

    Die Strafverfügung der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) vom 5. Juni 2018 ist diesem Urteil beigeheftet (Urk. 2/2).

    Urteil der Vorinstanz:

    (Urk. 24 S. 24 f.)

    Es wird erkannt:

    1. Der Beschuldigte Dr. iur. A.

      ist schuldig der Übertretung des Mehrwert-

      steuergesetzes im Sinne von Art. 98 lit. e MWSTG.

    2. Der Beschuldigte wird bestraft mit einer Busse von Fr. 1'000.-.

    3. Die Busse ist zu bezahlen.

    4. Die Entscheidgebühr wird angesetzt auf Fr. 2'000.-. Allfällige weitere Kosten bleiben vorbehalten.

    5. Die Kosten gemäss vorstehender Ziffer 4 sowie die Kosten des Strafbescheids der ESTV vom 26. August 2015 von Fr. 1'513.50 zzgl. Schreibgebühr von Fr. 90.- und der Strafverfügung der ESTV vom 5. Juni 2018 von Fr. 100.- zzgl. Schreibgebühr von Fr. 200.- werden dem Beschuldigten auferlegt.

      Über die Kosten gemäss Ziffer 4 stellt die Gerichtskasse Rechnung, während über die dem Beschuldigten von der ESTV auferlegten Kosten die ESTV Rechnung stellt.

    6. Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

    7. Das Genugtuungsbegehren des Beschuldigten wird abgewiesen.

Berufungsanträge:

  1. Des Beschuldigten (Urk. 38 S. 1):

    1. Das Urteil des Einzelgerichts Winterthur vom 20. Nov. 2020 (GC190023) sei aufzuheben; stattdessen sei ich vollumfänglich von Schuld und Strafe freizu- sprechen;

    2. Die Verfahrenskosten seien dem Staat aufzuerlegen und es sei mir eine Parteientschädigung in der Höhe von Fr. 26'577.05 und eine Genugtuung in der Höhe von Fr. 2'000.- zulasten der Staatskasse zuzusprechen

  2. Der Eidgenössischen Steuerverwaltung ESTV (Urk. 46 S. 6):

    1. Die Berufung sei abzuweisen und das Urteil des Bezirksgerichts Winterthur vom 20. November 2020 (GS190023) sei zu bestätigen.

    2. Die Verfahrenskosten seien dem unterliegenden Berufungskläger aufzuer- legen.

  3. Der Staatsanwaltschaft (Urk. 42):

    Bestätigung des vorinstanzlichen Urteils

    Erwägungen:

    1. Verfahrensgang und Prozessuales

1. Hinsichtlich des Verfahrensgangs bis zum Erlass des angefochtenen Urteils ist auf die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz zu verweisen (Urk. 24 S. 3 ff.). Das vorinstanzliche Urteil wurde den Parteien direkt schriftlich begründet zugestellt, wobei der Beschuldigte dieses am 14. Dezember 2020 entgegennahm (Urk. 20). Innert gesetzlicher Frist meldete der Beschuldigte gegenüber der Vo- rinstanz die Berufung an und reichte zudem der Berufungsinstanz seine Beru- fungserklärung ein (Urk. 21 und 25). Innert angesetzter Frist erklärten sowohl die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland als auch die Eidgenössische Steuerver- waltung (ESTV), die Bestätigung des vorinstanzlichen Urteils zu beantragen. Eine Anschlussberufung erhoben sie nicht (vgl. Urk. 30 und 32). Mit Beschluss vom

8. März 2021 wurde gestützt auf Art. 406 Abs. 1 lit. a und c StPO die Durchfüh- rung des schriftlichen Berufungsverfahrens angeordnet und dem Beschuldigten Frist zur Einreichung seiner Berufungsbegründung angesetzt (Urk. 36). Die Beru- fungsbegründung ging innert Frist ein (Urk. 38 und 39/1-19). Die ESTV reichte in der Folge fristgerecht die Berufungsantwort ein (Urk. 46). Der Beschuldigte repli- zierte daraufhin noch einmal mit Eingabe vom 12. Mai 2021 (Urk. 51). Die ESTV und die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland reichten in der Folge keine wei- tere Eingabe ein bzw. verzichteten explizit auf Stellungnahme. Abschliessend wurde dem Beschuldigten die Möglichkeit gegeben, eine aktualisierte Aufwands- übersicht einzureichen, wovon er mit Eingabe vom 25. Juni 2021 Gebrauch mach- te (Urk. 59 und 61). Das Verfahren erweist sich als spruchreif.

  1. Verjährung

    Der Beschuldigte macht zunächst geltend, das ihm seitens der ESTV vorgeworfe- ne Delikt sei bereits verjährt (Urk. 38 S.14 f.). Es ist diesbezüglich auf die Erwä- gungen der Vorinstanz zu verweisen, in welchen sie sich bereits mit diesem Vor- bringen des Beschuldigten eingehend und zutreffend auseinandergesetzt hat (Urk. 24 S. 6 ff.). Erneut im Sinne einer Hervorhebung zu betonen ist lediglich, dass sich die Bestimmung in Art. 105 Abs. 2 MWSTG auf die sogenannte Durchführungsverjährung gemäss Art. 105 Abs. 4 MWSTG bezieht, woraus sich schliesslich ergibt, dass eine eingeleitete Untersuchung innert fünf Jahren durch- zuführen und mit einer Strafverfügung bzw. einem erstinstanzlichen Urteil abzu- schliessen ist (vgl. OFK-CLAVADETSCHER/MEIER, N 4 und 21 ff. zu Art. 105 MWSTG). Was der Beschuldigte aus seinem Verweis auf Art. 101 Abs. 1 MWSTG ableiten möchte, bleibt im Übrigen unklar, zumal dieser hinsichtlich der Verjäh- rung einzig besagt, dass Art. 11 VStrR und die dort vorgesehene Verkürzung der Verjährungsfrist bei Übertretungen im Bereich des MWSTG nicht zur Anwendung komme. Unter Hinweis auf die ausführlichen und zutreffenden vorinstanzlichen Erwägungen ist daher festzuhalten, dass die dem Beschuldigten unter dem Titel des MWSTG vorgeworfenen Delikte nicht verjährt sind.

  2. Grundsatz ne bis in idem

    1. Der Beschuldigte bringt in prozessualer Hinsicht weiter vor, das vorliegende Strafverfahren sei aufgrund des Grundsatzes ne bis in idem gemäss Art. 11 StPO einzustellen, da die Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich ein auf dem gleichen bzw. einem ähnlichen Sachverhalt beruhendes Strafverfahren mit Verfü- gung vom 11. November 2020 eingestellt habe (Urk. 38 S. 2 ff.). Die ESTV stellt sich auf den Standpunkt, dass es sich bei den beiden Verfahren einerseits um un- terschiedliche Sachverhalte handle und der Grundsatz ne bis in idem aufgrund der unterschiedlichen Kompetenzen der ESTV und der Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich ohnehin nicht zu Anwendung gelange (Urk. 46 S. 2 f.).

    2. Der Grundsatz ne bis in idem ist in Art. 11 Abs. 1 StPO geregelt. Er ist auch in Art. 4 des Protokolls Nr. 7 zur EMRK (SR 0.101.07) und in Art. 14 Abs. 7 UNO-Pakt II (SR 0.103.2) verankert und lässt sich direkt aus der Bundesverfas- sung ableiten (BGE 137 I 363 E. 2.1 mit Hinweisen). Wer in der Schweiz rechts- kräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, darf wegen der gleichen Straftat nicht erneut verfolgt werden. Eine rechtskräftige Einstellungsverfügung kommt dabei einem freisprechenden Endentscheid gleich (Art. 320 Abs. 4 StPO; BGE 143 IV 104, E. 4.2). Tatidentität liegt vor, wenn dem ersten und dem zweiten Strafverfahren identische oder im Wesentlichen gleiche Tatsachen zugrunde lie- gen (einfache Tatidentität). Auf die rechtliche Qualifikation dieser Tatsachen

      kommt es nicht an (BGE 144 IV 362, E. 1.3.2 mit Hinweisen; eingehend zur Tati- dentität Urteil 6B_1053/2017 vom 17. Mai 2018, E. 4). Das Verbot der doppelten Strafverfolgung stellt ein Verfahrenshindernis dar, das in jedem Verfahrensstadi- um von Amtes wegen zu berücksichtigen ist (BGE 144 IV 362, E. 1.3.2 mit Hin- weisen; BSK-TAG, N 13 zu Art. 11 StPO; zum Ganzen BGer Urteil 6B_888/2019 vom 9. Dezember 2019, E. 1.3.2).

      Nach der Praxis des EGMR gilt der Grundsatz ne bis in idem schon als verletzt, wenn dieselbe Person bei gleichem oder im Wesentlichen gleichen Sachverhalt ein zweites Mal bestraft wird («identical facts or facts which are substantially the same»; Urteil Nr. 14939/03 vom 10. Februar 2009 i. S. Zolotukhin c. Russia). Als Lebenssachverhalt gilt danach ein Komplex konkreter, tatsächlicher Umstände, welche denselben Beschuldigten betreffen und in räumlicher sowie zeitlicher Hinsicht unlösbar miteinander verknüpft sind. Grundlage für die Anwendung des Doppelbestrafungsverbots bildet nach dieser Rechtsprechung somit eine ein- fache Tatidentität; die rechtliche Qualifikation oder das Konkurrenzverhältnis zwischen den anwendbaren Strafnormen bleiben ohne Bedeutung (BGE 137 I 363, E. 2.2 und 2.4; Urteile 6B_1053/2017 vom 17. Mai 2018, E. 4.1;

      6B_1056/2015 vom 4. Dezember 2015, E. 1.2; 6B_433/2013 vom 23. September

      2013, E. 4.2; 6B_1029/2010 vom 18. April 2011, E. 1.1).

      Die Vorinstanz geht davon aus, das Prinzip ne bis in idem stehe vorliegend ei- ner Verurteilung des Beschuldigten nicht entgegen, da die Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich nicht die gleiche Beurteilungskompetenz wie die ESTV habe. Die Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich oder ein mit einer allfälligen Ankla- ge befasstes Gericht seien sachlich nicht zuständig, um einen Verstoss gegen das Mehrwertsteuergesetz zu beurteilen. Vielmehr falle dies in die Kompetenz der ESTV. In der Einstellungsverfügung würden sodann die Delikte Misswirtschaft, Urkundenfälschung, ungetreue Geschäftsbesorgung und betrügerischer Konkurs behandelt; ein Bezug zu den Bestimmungen des MWSTG fehle demgegenüber (Urk. 24 S. 11). Hierbei verweist die Vorinstanz auf die bundesgerichtliche Recht- sprechung, wonach der Grundsatz ne bis in idem dann nicht greife, wenn es um einen Vorwurf gehe, den das Gericht im ersten Verfahren gar nicht aburteilen

      konnte, weil er ausserhalb seiner Kompetenz lag. Dem Gericht aus dem ersten Verfahren müsse die Möglichkeit zugestanden haben, den Sachverhalt unter allen tatbestandsmässigen Punkten zu würdigen (Urk. 24 S. 10 f.; BGE 119 Ib 311, E. 3 m.w.H.).

    3. Wie zuvor dargelegt, spielt die rechtliche Qualifikation bei der Beurteilung der Frage, ob Tatidentität im Sinne von Art. 11 StPO vorliegt, aber keine Rolle. Entscheidend ist vielmehr der Lebenssachverhalt bzw. die Frage, ob es sich um den gleichen Sachverhalt bzw. im Wesentlichen gleichen Sachverhalt handelt («identical facts or facts which are substantially the same»). Entsprechend ist zu untersuchen, ob der von der Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich beurteilte Sachverhalt mit dem vorliegend relevanten derart eng zusammenhängt, dass es sich im Wesentlichen um den gleichen Lebenssachverhalt handelt. Weiter wird die Frage zu beantworten sein, inwiefern die unterschiedlichen Zuständigkeiten der ESTV und der Staatsanwaltschaft III vorliegend der Anwendung des Grund- satzes ne bis in idem entgegen stehen.

3.4.1 Der dem Beschuldigten im vorliegenden Verfahren unter dem Titel einer Verfahrensverletzung gemäss Art. 98 lit. e MWSTG gemachte Vorwurf umfasst Versäumnisse im Rahmen der Buchführung für die Geschäftsjahre 2011 und 2012 der B. Group GmbH. Hinsichtlich der Buchführungspflichten nach den mehrwertsteuerlichen Vorgaben verweist Art. 70 Abs. 1 MWSTG auf die handels- rechtlichen Grundsätze, somit auf Art. 957 ff. OR sowie die GebüV, worin wiede- rum auf die anerkannten Standards zur Rechnungslegung verwiesen wird (OFK- GEIGER/SCHLUCKEBIER, 2. Auflage, N 13 zu Art. 70 MWSTG).

Auch dem Verfahren der Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich lag teilweise

der Vorwurf zu Grunde, der Beschuldigte habe die Bücher der B.

Group

GmbH nicht ordnungsgemäss geführt (vgl. Urk. 39/1 S. 8 Ziff. 4.1 und 4.2; Einver- nahmeprotokoll der Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich vom 19. August 2020, S. 1 ff.). Der Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich - welcher soweit ersichtlich die vorliegend relevanten Verfahrensakten ebenfalls zur Verfügung standen bzw. diese zumindest hätte erhältlich machen können - wäre hierbei die Kompetenz zugekommen, im von der ESTV angezeigten Zusammenhang auch

allfällige Vorwürfe hinsichtlich der als Offizialdelikte ausgestalteten Straftatbe- stände der Unterlassung der Buchführung im Sinne von Art. 166 StGB oder der - auch als Fahrlässigkeitsdelikt möglichen - ordnungswidrigen Führung von Geschäftsbüchern im Sinne von Art. 325 StGB zu verfolgen. Diese Prüfung wurde zumindest implizit auch vorgenommen, zumal die Handlungen des Beschuldigten

hinsichtlich seiner Buchführungsobliegenheiten betreffend die B.

Group

GmbH geprüft und als nachvollziehbar beurteilt wurden (vgl. Urk. 39/1 S. 8 Ziff.

4.1 und 4.2). Die Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich kam sodann nach ei- ner umfassenden Analyse zum Schluss, dass dem Beschuldigten in Zusammen- hang mit dem beanzeigten Sachverhaltskomplex betreffend die Vorgänge rund um die B. Group GmbH in den Jahren 2011 und 2012 kein strafrechtlich re- levantes Verhalten vorgeworfen werden könne. Dass die mehrwertsteuerrechtli- chen Buchführungsvorschriften im Übrigen in einer Weise über diejenigen ge- mäss Art. 957 ff. OR hinausgehen würden, dass dem Beschuldigten ein Vorwurf gemacht werden könnte, obschon die Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich die Handlungen des Beschuldigten unter anderem in Bezug auf die Buchfüh- rungspflichten als nicht strafbar erachtet hat, ist nicht zu erkennen und wird von der ESTV auch nicht dargelegt.

3.4.2 In der vorliegenden Konstellation, in welcher die von der Staatsanwalt- schaft III des Kantons Zürich untersuchten Vorgänge und der als nicht strafbar beurteilten Handlungen des Beschuldigten im Rahmen der Buchführungspflicht gerade erst die Grundlage für eine Verletzung gemäss Art. 98 lit. e MWSTG dar- stellen würden, ist die eingangs erwähnte Einschränkung des Grundsatzes ne bis in idem aufgrund unterschiedlicher Kompetenzen der ESTV und der Staats- anwaltschaft III des Kantons Zürich - entgegen der Ansicht der ESTV (Urk. 46 S. 2 f.) - nicht von Relevanz. Mit anderen Worten war auch die Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich befugt, den vorliegend relevanten Sachverhalt im Hinblick auf die Buchführungspflichten zu prüfen, wobei es keinen Unterschied macht, dass sie dies unter dem Titel der Unterlassung der Buchführung im Sinne von Art. 166 StGB bzw. der ordnungswidrigen Führung von Geschäftsbüchern im Sinne von Art. 325 StGB getan hätte und nicht wie die ESTV unter dem Titel einer

Verfahrenspflichtverletzung im Sinne von Art. 98 lit. e MWSTG, zumal es auf die rechtliche Qualifikation nicht ankommt.

3.5 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das vorliegende Verfahren gestützt auf den Grundsatz ne bis in idem einzustellen ist, da die auf einer umfassenden Untersuchung beruhende Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich entsprechende Sperrwirkung entfaltet (Art. 320 Abs. 4 StPO).

  1. Sachverhalt und rechtliche Würdigung
    1. Ungeachtet des Umstandes, dass das vorliegende Verfahren gestützt auf den Grundsatz ne bis in idem einzustellen sein wird, sind der Vollständigkeit halber einige Bemerkungen zum angeklagten Sachverhalt angezeigt.

    2. Unbestritten ist seitens des Beschuldigten, dass die Buchführung der

    B.

    Group GmbH für die Jahre 2011 und 2012 nicht regelkonform war

    (Urk. 24 S. 16 ff.). Auch wenn die Vorinstanz festhält, dass damit Buchführungs- pflichten bzw. Verfahrenspflichten im Sinne des MWSTG verletzt wurden (Urk. 24

    S. 17 f.), ist dies nicht zu beanstanden. Zu prüfen ist indessen, ob dem Beschul- digten ein vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln vorgeworfen werden kann und damit auch der subjektive Tatbestand von Art. 98 lit. e MWSTG erfüllt ist. Mit an- deren Worten bleibt zu prüfen, ob ein dem Beschuldigten persönlich vorwerfbares Verhalten erstellt werden kann.

      1. Die Vorinstanz führt aus, der Beschuldigte könne sich nicht damit exkulpie-

        ren, dass er den Eigentümer der B.

        Group GmbH auf die in Zusammenhang mit der Buchhaltung festgestellten Unregelmässigkeiten hingewiesen habe. So hätte der Beschuldigte nach Ansicht der Vorinstanz die Unregelmässigkeiten konsequenter verfolgen und allenfalls auch einen früheren Rücktritt in Betracht ziehen müssen (Urk. 24 S. 19).

      2. Im Nachhinein zu beurteilen, ab welchem Zeitpunkt der Beschuldigte seinen Rücktritt hätte erklären müssen, ist nur schwer zu beurteilen. Welche Handlungen er zu welchem Zeitpunkt hätte vornehmen müssen, um vom Eigentümer die relevanten Informationen zu erhalten bzw. um schliesslich die Buchführung

        ordnungsgemäss führen zu können, wird weder in der Strafverfügung der ESTV bzw. dem vorinstanzlichen Urteil konkret dargelegt noch liegt dies ohne Weiteres auf der Hand. Der alleinige Umstand, dass es sich im Nachhinein als vorteilhafter erwiesen hätte, wenn der Beschuldigte sein Verwaltungsratsmandat aufgrund des Gebarens des Eigentümers der B. Group GmbH allenfalls früher niederge- legt hätte, belegt noch keine Pflichtverletzung des Beschuldigten. So ist bei der Bewertung von geschäftlichen Handlungen und Entscheidungen aus der ex-post Perspektive dem Handelnden ein gewisser Ermessensspielraum zuzugestehen. In diese Richtung geht auch die in der Lehre und Rechtsprechung anerkannte Business Judgement Rule, welche besagt, dass ein Geschäftsentscheid in Nachhinein bloss danach zu beurteilen ist, ob er aufgrund einer ausreichenden Informationsbasis ergangen ist, frei von Interessenkonflikt gefällt wurde und ver- tretbar erscheint, wohingegen noch keine Pflichtwidrigkeit vorliegt, bloss weil sich ein Geschäftsentscheid im Nachhinein als falsch erweist (vgl. BGer 4A_375/2012, E. 3.2 und 3.3; 4A_74/2012, E. 5.1; 4A_306/2009, E. 7.2.1 und 7.2.4; 366/2000,

        E. 4b; BSK-GERICKE/WALLER, N 31a zu Art. 754 OR, m.w.H.; KUKO OR-LEHMANN, N 17 zu Art. 754 OR).

        Der Beschuldigte hat soweit ersichtlich erkannt, dass die Bücher der B. Group GmbH nicht ordnungsgemäss geführt wurden bzw. darin unzulässige Buchungen vorgenommen worden sind. Entgegen der Ansicht der ESTV (Über- weisungsverfügung vom 30. August 2019, Urk. 2/1, S. 14) hat der Beschuldigte, dessen Verantwortung als Geschäftsführer für die ordnungsgemässe Geschäfts- führung sich ohne Weiteres aus Art. 810 Abs. 1 OR ergibt, diese Verantwortung aber nicht einfach an den Firmeneigentümer delegiert. Vielmehr hat der Beschuldigte, nachdem er erkannt hat, dass er die Bücher aufgrund des Gebarens des Eigentümers nicht ordnungsgemäss führen kann, den Eigentümer ab Februar 2012 mehrfach abgemahnt (Urk. 39/4-11). Er drohte dem Eigentümer sodann auch die Mandatsniederlegung an, sollte dieser die notwendigen Dokumente und Informationen nicht liefern, die zur ordnungsgemässen Buchführung notwendig waren (Urk. 39/8). Nachdem diese Bemühungen des Beschuldigten aber nicht von Erfolg beschieden waren, sah er sich gezwungen, das Mandat Ende 2012 niederzulegen (Urk. 39/14). Wie erwähnt, ist hierbei dem Beschuldigten im Nachhinein nicht vorzuwerfen, er hätte das Mandat den einen oder anderen Monat frü- her niederlegen müssen, sofern die damalige Entscheidung, noch weiter zu ver- suchen, die Buchführung der B. Group GmbH in Ordnung zu bringen, als vertretbare Entscheidung erscheint. Anhaltspunkte, dass der Beschuldigte das Mandat eindeutig früher hätte niederlegen müssen und dass das weitere Zuwar- ten bzw. das weitere Bemühen um Informationen des Eigentümers eine Pflicht- verletzung darstellen sollte, sind nicht ersichtlich.

      3. Zusammenfassend ergibt sich auch bei einer materiellen Prüfung des dem Beschuldigten vorgeworfenen Sachverhalts keine ihm vorzuwerfende Pflichtver- letzung. Der Beschuldigte wäre entsprechend - selbst wenn das Verfahren nicht aufgrund des Grundsatzes ne bis in idem einzustellen wäre - freizusprechen.

  2. Kosten- und Entschädigungsfolgen

1. Ausgangsgemäss sind die Kosten der Untersuchung sowie der gerichtlichen Verfahren der ersten und zweiten Instanz auf die Gerichtskasse zu nehmen.

    1. Der Beschuldigte, welcher selber Rechtsanwalt von Beruf ist, macht für sei- nen eigenen Aufwand insgesamt Fr. 28'759.85 geltend (Urk. 38 S. 16; Urk. 39/18 sowie nachträgliche Aktualisierung vom 25. Juni 2021, Urk. 59 und 61). Die Ent- schädigungsforderung basiert dabei auf einem Stundenansatz in Höhe von Fr. 250.-, wobei der Beschuldigte erklärte, seinen eigenen Klienten einen Stunden- ansatz von Fr. 450.- zu verrechnen, bei welchem eine Gewinnmarge enthalten sei (Urk. 38 S. 16).

    2. Eine Entschädigung für den persönlichen Zeitaufwand (Aktenstudium, Ver- fassen von Eingaben, Teilnahme an Verhandlungen etc.) von nicht anwaltlich vertretenen Personen (Beschuldigte und Privatkläger) ist in der StPO grundsätz- lich nicht vorgesehen. Nach der vor Inkrafttreten der StPO unter dem Bundesge- setz vom 16. Dezember 1943 über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG; in Kraft bis 31. Dezember 2006) ergangenen und unter dem BGG weitergeführten bundesgerichtlichen Rechtsprechung kann einer nicht anwaltlich vertretenen Par- tei aber - unabhängig davon, ob es bei der Partei um einen juristischen Laien oder einen Rechtsanwalt handelt - für den persönlichen Arbeitsaufwand im Zu- sammenhang mit einem Beschwerdeverfahren auch eine Parteientschädigung zugesprochen werden, wenn besondere Verhältnisse dies rechtfertigen (siehe auch Art. 11 des Reglements vom 31. März 2006 über die Parteientschädigung und die Entschädigung für die amtliche Vertretung im Verfahren vor dem Bundes- gericht [SR 173.110.210.3]). Solche besonderen Verhältnisse liegen nach der Rechtsprechung vor, wenn es sich a) um eine komplizierte Sache mit hohem Streitwert handelt; b) die Interessenwahrung einen hohen Arbeitsaufwand not- wendig macht, der den Rahmen dessen überschreitet, was der Einzelne üblicher- und zumutbarerweise nebenbei zur Besorgung der persönlichen Angelegenheiten auf sich zu nehmen hat; und c) zwischen dem betriebenen Aufwand und dem Er- gebnis der Interessenwahrung ein vernünftiges Verhältnis besteht (vgl. BGE 129 V 113 E. 4.1 S. 116; 127 V 205 E. 4b S. 207; 125 II 518 E. 5b S. 519 f.;

      110 V 72 E. 7 S. 82 mit Hinweis). Unter einem hohen Arbeitsaufwand ist dabei ein Zeitaufwand zu verstehen, welcher die normale (z. B. erwerbliche) Betätigung während einiger Zeit erheblich beeinträchtigt (BGE 127 V 205 E. 4b S. 207; 110 V 132 E. 4d S. 135; 110 V 72 E. 7 S. 82).

    3. Vorliegend handelt es sich zwar um eine Übertretung, das Verfahren wurde anfänglich indessen noch deutlich breiter und in Bezug auf weitere Straftatbe- stände wie Leistungsbetrug und Steuerhinterziehung geführt (vgl. Urk. 90 04 018). Weiter kommt hinzu, dass der vorliegende Fall hinsichtlich der Akten relativ um- fangreich und auch in rechtlicher Hinsicht nicht besonderes einfach gelagert ist. Der Beschuldigte macht denn auch insgesamt einen Aufwand von 113.8 Stunden geltend (105.1 + 8.7 Stunden), was deutlich über dem liegt, was einer Privatper- son nebenbei noch zu leisten zugemutet werden könnte. Die Darstellung des Beschuldigten, wonach er aufgrund des vorliegenden Verfahrens für eine gewisse Zeit weniger für seine eigenen Klienten habe arbeiten können (Urk. 38 S. 16) und das Verfahren damit seine eigentliche Erwerbsarbeit beeinträchtigt hat, erscheint vor diesem Hintergrund ohne Weiteres überzeugend. Hinzu kommt, dass ein vom Beschuldigten mandatierter Rechtsanwalt ohne Weiteres zu entschädigen wäre, weshalb es nicht angemessen erschiene, ihn, der diese Arbeit selbst und damit entsprechend unter Einsparung jeglicher Besprechungen erledigt hat, nicht zu

      entschädigen. Dem Beschuldigten ist entsprechend eine Entschädigung für seine Aufwände zuzusprechen.

    4. Der von ihm geltend gemachte Aufwand von 113.8 Stunden erscheint eben- so wie der geltend gemachte Spesenaufwand als auch der angewendete Stun- denansatz in Höhe von Fr. 250.- angemessen. Es ist ihm entsprechend eine Ent- schädigung in Höhe von Fr. 28'759.85 aus der Gerichtskasse zuzusprechen.

    1. Weiter beantragt der Beschuldigte die Zusprechung einer Genugtuung in Höhe von CHF 2'000.-, da er in seinen persönlichen Verhältnissen schwer ver- letzt worden sei. Dies sei insbesondere deshalb angezeigt, da sich die Strafunter- suchung negativ auf sein Familien- und Beziehungsleben ausgewirkt habe und das Beschleunigungsgebot verletzt worden sei. Vorliegend sei dies der Fall, da er von einer angesehenen Behörde wie der ESTV anfänglich mit Betrugsvorwürfen konfrontiert worden sei, was ihn gedemütigt habe. Das Verfahren habe bei ihm zudem zu Schlafstörungen, Selbstzweifeln und psychischen Verstimmungen ge- führt (Urk. 38 S.16).

    2. Anspruch auf eine Genugtuung hat die beschuldigte Person, wenn sie durch das Verfahren in ihren persönlichen Verhältnissen besonders schwer verletzt wurde und eine Verletzung im Sinne von Art. 28 ZGB bzw. Art. 49 OR resultiert hat (vgl. BGer Urteil 6B_53/2013 vom 8. Juli 2013, E. 3.2). Für eine Genugtuung nicht ausreichend sind indessen in der Regel die mit jedem Strafverfahren einher- gehenden psychischen Belastungen sowie die geringfügige Blossstellung und Demütigung nach aussen (SCHMID/JOSITSCH, Praxiskommentar, 3. Auflage, N 11 zu Art. 429 StPO; vgl. auch BSK WEHRENBERG/FRANK, N 27b zu Art. 429 StPO).

    3. Die Vorinstanz hat eine Verletzung des Beschleunigungsgebots festgestellt (Urk. 24 S. 22), was unter Hinweis auf die zutreffenden vorinstanzlichen Erwä- gungen zu bestätigen ist. Weiter ist festzuhalten, dass der im vorliegenden Ver- fahren noch verbleibende Vorwurf eine blosse Übertretung darstellt, wobei auf- grund der Bussenhöhe von Fr. 1'000.- noch nicht einmal ein Eintrag im Strafre- gister drohte (vgl. Art. 2 VStrR i.V.m. Art. 366 Abs. 2 lit. b StGB und Art. 3 Abs. 1 lit. c der Verordnung über das Strafregister vom 29. September 2006 [VOSTRA-

Verordnung; SR 331]). Angesichts des Umstandes, dass im Übrigen bereits ab dem 30. April 2015 und dem Erlass der entsprechenden Einstellungsverfügungen betreffend Leistungsbetrug und Steuerhinterziehung (vgl. Urk. 90 04 018) einzig eine Verurteilung wegen einer Übertretung im Raum stand und die Verletzung des Beschleunigungsgebots zudem auch noch nicht als ausserordentlich gravierend qualifiziert werden muss, rechtfertigt dies noch keine Zusprechung einer Genug- tuung. Die Ausführungen des Beschuldigten betreffend Auswirkungen auf sein persönliches Leben erscheinen zwar grundsätzlich nachvollziehbar, vermögen indessen noch keine Persönlichkeitsverletzung, welche die Zusprechung einer Genugtuung rechtfertigen könnte, zu begründen. Auch unter diesem Gesichts- punkt rechtfertigt sich die Zusprechung einer Genugtuung nicht. Dieser Antrag des Beschuldigten ist entsprechend abzuweisen.

Es wird beschlossen:

  1. Das Verfahren betreffend Verletzung von Verfahrenspflichten gemäss Art. 98 lit. e MWSTG wird eingestellt.

  2. Die Kosten der Untersuchung sowie des erst- und zweitinstanzlichen Gerichtsverfahrens werden auf die Staatskasse genommen.

  3. Dem Beschuldigten wird eine Prozessentschädigung von Fr. 28'759.85 zu- gesprochen.

  4. Der Antrag des Beschuldigten auf Zusprechung einer Genugtuung wird ab- gewiesen.

  5. Schriftliche Mitteilung in vollständiger Ausfertigung an

    • den Beschuldigten

    • die Eidgenössische Steuerverwaltung ESTV

    • die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland

    • die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich

      sowie nach Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. Erledigung allfälliger Rechts- mittel an

    • die Vorinstanz.

  6. Gegen diesen Entscheid kann bundesrechtliche Beschwerde in Straf- sachen erhoben werden.

Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, von der Zustellung der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundes- gerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen.

Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichts- gesetzes.

Obergericht des Kantons Zürich

I. Strafkammer Zürich, 24. August 2021

Der Präsident:

lic. iur. Ch. Prinz

Der Gerichtsschreiber:

MLaw L. Zanetti

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