Zusammenfassung des Urteils SR220008: Obergericht des Kantons Zürich
Der Gesuchsteller hat ein Revisionsgesuch gegen drei Strafbefehle eingereicht, da er sich seit Januar 2022 in Haft befindet und die Fristen für Einsprachen verpasst hat. Das Berufungsgericht prüft die Zulässigkeit des Revisionsgesuchs und ob die Revision gerechtfertigt ist. Trotz formeller Mängel wird das Revisionsgesuch behandelt, aber letztendlich als rechtsmissbräuchlich abgewiesen, da der Gesuchsteller die Einsprachefristen selbstverschuldet versäumt hat. Die Halterhaftung wird erwähnt, aber nicht weiter behandelt. Das Revisionsgesuch wird abgelehnt, die Kosten dem Gesuchsteller auferlegt und die Gerichtsgebühr auf CHF 600 festgesetzt.
Kanton: | ZH |
Fallnummer: | SR220008 |
Instanz: | Obergericht des Kantons Zürich |
Abteilung: | I. Strafkammer |
Datum: | 28.11.2022 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Verletzung der Verkehrsregeln |
Schlagwörter : | Revision; Befehl; Gesuch; Revisionsgesuch; Befehle; Gesuchsteller; Einsprache; Stadt; Gericht; Entscheid; Verfahren; Bundesgericht; Stadtrichteramt; Statthalteramt; Dielsdorf; Rechtsmittel; Tatsache; Sachen; Verfahren; Tatsachen; Person; Fahrzeug; Frist; Beschuldigte; Revisionsgr; Zeitpunkt; önnen |
Rechtsnorm: | Art. 30 StPO ;Art. 410 StPO ;Art. 411 StPO ;Art. 412 StPO ;Art. 60 StPO ;Art. 7 OBG ;Art. 94 StPO ; |
Referenz BGE: | 127 I 133; 130 IV 72; 143 IV 122; 145 IV 197; |
Kommentar: | Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Obergericht des Kantons Zürich
I. Strafkammer
Geschäfts-Nr.: SR220008-O /U/jv
Mitwirkend: die Oberrichter lic. iur. Ch. Prinz, Präsident, lic. iur. B. Amacker und Oberrichterin lic. iur. M. Knüsel sowie die Gerichtsschreiberin MLaw T. Künzle
Beschluss vom 28. November 2022
in Sachen
Gesuchsteller
gegen
Gesuchsgegner
betreffend Verletzung der Verkehrsregeln
Erwägungen:
Mit Eingabe vom 27. September 2022 liess der Gesuchsteller ein Revisionsgesuch gegen die Strafbefehle des Stadtrichteramtes Stadt Zürich vom 9. Juni 2022 (ST.2022-026-736) sowie vom 10. Juni 2022 (ST.2022-027-990) und gegen
einen Strafbefehl des Statthalteramtes Bezirk Dielsdorf vom 27. Juni 2022 (ST.2022.2903) stellen (Urk. 1; Urk. 4-6).
Die Revision Wiederaufnahme ist ein ausserordentliches Rechtsmittel, welches zur Durchbrechung der Rechtskraft eines Entscheides führt und deshalb nur in engem Rahmen zulässig ist. Entsprechend streng sind die Voraussetzungen einer Revision (BSK StPO-Marianne Heer, 2. Aufl., Basel 2014, Art. 410 N 4 und N 9; Schmid/Jositsch, StPO Praxiskommentar, 3. Aufl., Zürich/St. Gallen 2018, Art. 410 N 1).
Revisionsgesuche sind schriftlich und begründet beim Berufungsgericht einzureichen. Im Gesuch sind die angerufenen Revisionsgründe zu bezeichnen und zu belegen (Art. 411 Abs. 1 StPO). Das Berufungsgericht nimmt in einem schriftlichen Verfahren eine vorläufige Prüfung des Revisionsgesuchs vor. Ist das Gesuch offensichtlich unzulässig unbegründet wurde es mit den gleichen Vorbringen schon früher gestellt und abgelehnt, so tritt das Gericht nicht darauf ein (Art. 412 Abs. 1 und 2 StPO). Bei dieser vorläufigen und summarischen Prüfung des Revisionsgesuchs im Sinne von Art. 412 StPO sind grundsätzlich die formellen Voraussetzungen zu prüfen. Das Gericht kann jedoch auf ein Revisionsgesuch auch nicht eintreten, wenn die geltend gemachten Revisionsgründe offensichtlich unwahrscheinlich unbegründet sind (BGE 143 IV 122 E. 3.5. mit Hinweis auf den Entscheid des Bundesgerichts 6B_864/2014 vom
16. Januar 2015 E. 1.3.2.). Führt die Vorprüfung nicht zu einem Nichteintreten, so lädt das Berufungsgericht die anderen Parteien und die Vorinstanz zur Stellung- nahme ein (Art. 412 Abs. 3 StPO).
Zunächst ist darauf hinzuwiesen, dass das vorliegende Revisionsgesuch formell mangelhaft ist. Es wird nur ein Revisionsgesuch gegen drei separate Anfechtungsobjekte (Strafbefehle) gestellt. Es hätten drei separate Revisionsgesuche gestellt und darin eine Vereinigung aufgrund des geltend gemachten sachlichen Zusammenhangs nach Art. 30 StPO beantragt werden müssen. Es ist im Ermessen des Gerichts, ob es ein Strafverfahren vereinigt nicht. Da es sich jedoch um eine Eingabe eines juristischen Laiens handelt, kann das Gesuch vom 27. September 2022 zumindest sinngemäss als Vereinigungsgesuch aufgefasst werden, zumal die Aufhebung der genannten Strafbefehle aus demselben Grund (Inhaftierung des Gesuchstellers) beantragt wird. Das Vereinigungsgesuch wäre demnach wohl gutzuheissen gewesen. Zudem ist die hiesige Kammer mit Beschluss vom 13. Oktober 2022 bereits formell auf das Revisionsgesuch eingetreten (Urk. 7), weshalb das Revisionsgesuch in der Sache selbst zu behandeln ist.
Die Gesuchsgegner haben auf eine Stellungnahme zum Revisionsgesuch verzichtet (Urk. 9 und Urk. 11). Die Verfahrensakten zu den angefochtenen Strafbefehlen wurden für die Beurteilung beigezogen (Urk. 13-14; Urk. 18/1-4 und Urk. 21/1-10 und Urk. 22/1-8).
Die Revisionsgründe sind in Art. 410 Abs. 1 und 2 StPO – unter Vorbehalt von Art. 60 Abs. 3 StPO und des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen – abschliessend genannt. Wer durch einen rechtskräftigen Strafbefehl beschwert ist, kann gemäss Art. 410 Abs. 1 StPO Revision verlangen, wenn neue, vor dem Entscheid eingetretene Tatsachen neue Beweismittel vorliegen, die geeignet sind, einen Freispruch, eine wesentlich mildere wesentlich strengere Bestrafung der verurteilten Person eine Verurteilung der freigesprochenen Person herbeizuführen (lit. a), wenn der Entscheid mit einem späteren Strafentscheid, der den gleichen Sachverhalt betrifft, in unverträglichem Widerspruch steht (lit. b), wenn sich in einem anderen Strafverfahren erweist, dass durch eine strafbare Handlung auf das Ergebnis des
Verfahrens eingewirkt worden ist (lit. c). Darüber hinaus kann nach Art. 410 Abs. 2 StPO unter bestimmten Voraussetzungen Revision wegen Verletzung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) verlangt werden (BSK StPO-Marianne Heer, a.a.O., Art. 410 StPO N 14 und 34 ff.; Schmid/Jositsch, a.a.O., Art. 410 N 12 ff.).
Der Gesuchsteller begründet das Revisionsgesuch vom 27. September 2022 damit, dass er sich seit dem 25. Januar 2022 in Haft befinde. Im Zeitraum vom Februar 2022 bis September 2022 seien drei Strafbefehle wegen Missachtens eines Vorschriftenssignals und Geschwindigkeitsüberschreitungen eingegangen (Urk. 1). Er befinde sich in Haft und werde fälschlicherweise beschuldigt, im besagten Zeitraum sein Fahrzeug geführt und gegen das Gesetz verstossen zu haben. Aufgrund seiner fehlenden Deutschkenntnisse und der psychischen Belastung im Untersuchungsgefängis habe er die Frist der Einsprache verpasst und bitte um Verständnis. Er berufe sich auf Art. 410 der Schweizerischen Strafprozessordnung und bitte um Revision der Strafbefehle. Er habe das Fahrzeug nicht gelenkt, habe seit seiner Verhaftung keinen Zugang zu seiner Wohnung und wisse nicht, wer dort verkehre.
Der Beschuldigte beruft sich damit zumindest sinngemäss auf den Revisionsgrund von Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO (neue Tatsache), da er sich im Zeitpunkt der Übertretungen, welche mit den genannten Strafbefehlen geahndet wurden, in Haft befunden habe.
Unbestrittenermassen befindet sich der Beschuldigte seit dem 25. Januar 2022 in Haft (Urk. 3). Ein Revisionsverfahren dient jedoch nicht dazu, rechtskräftige Entscheide erneut infrage zu stellen gesetzliche Vorschriften über die Rechtsmittelfristen bzw. die Zulässigkeit von neuen Tatsachen im Rechtsmittelverfahren zu umgehen (Urteil des Bundesgerichtes 6B_505/2017 vom
15. Februar 2018 E. 1.1 mit Verweis auf BGE 130 IV 72 E. 2.2 und BGE 127 I 133
E. 6; je mit Hinweisen). Vielmehr hielt das Bundesgericht in BGE 145 IV 197 Folgendes fest (E. 1.1):
Ein Gesuch um Revision eines Strafbefehls muss als missbräuchlich qualifiziert werden, wenn es sich auf Tatsachen stützt, die der verurteilten Person von Anfang an bekannt waren, die sie ohne schützenswerten Grund verschwieg und die sie in einem ordentlichen Verfahren hätte geltend machen können, welches auf Einsprache hin eingeleitet worden wäre. Demgegenüber kann die Revision eines Strafbefehls in Betracht kommen wegen wichtiger Tatsachen Beweismittel, die die verurteilte Person im Zeitpunkt, als der Strafbefehl erging, nicht kannte die schon damals geltend zu machen für ihn unmöglich waren keine Veranlassung bestand (BGE 130 IV 72 E. 2.3 S. 75 f.). Rechtsmissbrauch ist nur mit Zurückhaltung anzunehmen. Es ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob unter den gegebenen Umständen das Revisionsgesuch dazu dient, den ordentlichen Rechtsweg zu umgehen (vgl. BGE 130 IV 72 E. 2.2 S. 74 und E. 2.4 S. 76).
13. August 2022 bis zum 22. August 2022. Dies war dem Gesuchsteller auch bekannt. Der Gesuchsteller hätte sich demnach mittels Einsprache gegen die Strafbefehle zur Wehr setzen müssen, was zur Eröffnung von Strafuntersuchungen geführt hätte. Dabei hätte er auch den Umstand vorbringen können, dass er sich im Zeitpunkt der Übertretungen in Haft befand. Dennoch liess er die Einsprachefristen ungenutzt verstreichen, weshalb die Strafbefehle rechtskräftig wurden. Die Vorbringen des Gesuchstellers, wonach es ihm aufgrund fehlender Deutschkenntisse und seiner psychischen Verfassung in der Untersuchungshaft nicht möglich gewesen sei, die Einsprachefrist zu wahren, sind in keiner Art und Weise belegt. Dies umso weniger, als sich der Beschuldigte im Zeitpunkt der Zustellung der Strafbefehle bereits ca. 6 ½ Monate in Haft befand, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass sich seine psychische Verfassung in dieser Zeit bereits normalisiert hat. Zudem hätte er sich bei Bedarf auch im Gefängnis um (Übersetzungs-) Hilfe bemühen können. Im Übrigen wäre insbesondere eine schlechte psychische Verfassung vielmehr ein Grund für ein Fristwiederherstellungsgesuch nach Art. 94 StPO gewesen. Der Gesuchsteller war zudem rund einen Monat später in der Lage, ein Revisionsgesuch gegen
die genannten Strafbefehle in deutscher Sprache zu verfassen. Insgesamt ist der Behauptung, dass er aufgrund fehlender Deutschkenntisse und schlechter psychischer Verfassung innert Frist keine Einsprache gegen die Strafbefehle habe verfassen können, wenig Glauben zu schenken.
Nachdem es der Gesuchsteller selbstverschuldet versäumt hat, die Einsprachefristen einzuhalten und eine Revision nicht dazu da ist, verpasste Einsprachemöglichkeiten zu ersetzen, muss sein Gesuch als rechtsmissbräuchlich qualifiziert werden.
Anzumerken ist in der Sache selbst, dass nach Art. 7 OBG eine sog. Halterhaftung vorgesehen ist, wonach der Fahrzeughalter subsidiär haftet, sofern der Fahrzeuglenker nicht eruiert werden konnte. Darauf ist vorliegend aufgrund der Abweisung des Revisionsgesuches jedoch nicht weiter einzugehen.
Nach dem Gesagten ist das Revisionsgesuch abzuweisen.
Dem Gesuchsteller sind ausgangsgemäss die Kosten des vorliegenden Revisionsverfahrens aufzuerlegen. Die Gerichtsgebühr ist auf Fr. 600.– festzulegen.
Es wird beschlossen:
Das Revisionsgesuch wird abgewiesen.
Die Gerichtsgebühr wird auf Fr. 600.– festgesetzt.
Die Kosten des Revisionsverfahrens werden dem Gesuchsteller auferlegt.
Schriftliche Mitteilung an
den Gesuchsteller
das Stadtrichteramt Zürich
das Statthalteramt Dielsdorf
sowie nach unbenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist resp. Erledigung allfälliger Rechtsmittel an
das Stadtrichteramt Zürich (unter Rücksendung der Akten)
das Statthalteramt Dielsdorf (unter Rücksendung der Akten).
Gegen diesen Entscheid kann bundesrechtliche Beschwerde in Strafsachen erhoben werden.
Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, von der Zustellung der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen.
Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes.
Obergericht des Kantons Zürich
I. Strafkammer Zürich, 28. November 2022
Der Präsident:
lic. iur. Ch. Prinz
Die Gerichtsschreiberin:
MLaw T. Künzle
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