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Urteil Obergericht des Kantons Zürich (ZH)

Zusammenfassung des Urteils SB220514: Obergericht des Kantons Zürich

Der Fall dreht sich um eine Scheidung, bei der das Gericht verschiedene Entscheidungen getroffen hat, wie die Aufteilung des Sorgerechts für die Kinder, das Besuchsrecht des Vaters und die finanziellen Beiträge für die Kinder und die Ehefrau. Der Ehemann hat gegen das Urteil Berufung eingelegt und fordert eine Änderung der Entscheidungen bezüglich des Sorgerechts und des Besuchsrechts. Das Gericht bestätigt jedoch die meisten Entscheidungen des vorherigen Urteils, einschliesslich der finanziellen Beiträge für die Kinder und die Ehefrau. Die Gerichtskosten werden zwischen den Parteien geteilt, und die vorherige Entscheidung wird grösstenteils bestätigt.

Urteilsdetails des Kantongerichts SB220514

Kanton:ZH
Fallnummer:SB220514
Instanz:Obergericht des Kantons Zürich
Abteilung:I. Strafkammer
Obergericht des Kantons Zürich Entscheid SB220514 vom 06.11.2023 (ZH)
Datum:06.11.2023
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Mehrfache sexuelle Nötigung etc.
Schlagwörter : Beschuldigte; Privatklägerin; Beschuldigten; Berufung; Gericht; Urteil; Verteidigung; Staat; Staatsanwalt; Staatsanwaltschaft; Rechtsanwältin; Gerichtskasse; Entschädigung; Genugtuung; Anklage; Verfahren; Vorinstanz; Verteidiger; Nötigung; Verteidigerin; Forderung; Rechtsmittel; Untersuchung; Verfahrens; Limmat; Aufwendungen; änglich
Rechtsnorm:Art. 135 StPO ;Art. 181 StGB ;Art. 189 StGB ;Art. 32 StReG ;Art. 329 StPO ;Art. 391 StPO ;Art. 399 StPO ;Art. 400 StPO ;Art. 401 StPO ;Art. 402 StPO ;Art. 404 StPO ;Art. 428 StPO ;Art. 437 StPO ;Art. 49 StGB ;
Referenz BGE:144 IV 313; 146 IV 231;
Kommentar:
-

Entscheid des Kantongerichts SB220514

Obergericht des Kantons Zürich

I. Strafkammer

Geschäfts-Nr.: SB220514-O/U/bs

Mitwirkend: die Oberrichter lic. iur. B. Gut, Präsident, lic. iur. C. Maira und Ersatzoberrichterin lic. iur. V. Seiler sowie der Gerichtsschreiber MLaw S. Zuber

Urteil vom 6. November 2023

in Sachen

  1. ,

    Beschuldigter und Berufungskläger

    amtlich verteidigt durch Rechtsanwalt MLaw X1. ,

    gegen

    Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat, vertreten durch Staatsanwalt MLaw C. H?sser,

    Anklägerin und Berufungsbeklagte

    sowie

  2. ,

Privatklägerin und Anschlussberufungsklägerin (Nichteintreten) betreffend mehrfache sexuelle Nötigung etc.

Berufung gegen ein Urteil des Bezirksgerichts Affoltern vom 12. Januar 2022 (DG210001)

Anklage:

Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Zürich - Limmat vom 10. März 2021 ist diesem Urteil beigeheftet (Urk. 20).

Entscheid der Vorinstanz:

(Urk. 91 S. 99 ff.)

Es wird erkannt:

  1. Der Beschuldigte, A. , ist schuldig der

    • mehrfachen Nötigung im Sinne von Art. 181 StGB

    • der mehrfachen Freiheitsberaubung im Sinne von Art. 183 Ziff. 1 Abs. 1 StGB,

    • der mehrfachen sexuellen Nötigung im Sinne von Art. 189 Abs. 1 StGB,

    • der mehrfachen Körperverletzung im Sinne von Art. 123 Ziff. 1 in Verbindung mit Ziff. 2 Abs. 3 und 5 StGB.

  2. Der Beschuldigte wird mit einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten bestraft, wovon bis und mit heute 2 Tage durch Untersuchungshaft und 11 Tage durch Ersatzmassnahmen erstanden sind.

  3. Die Freiheitsstrafe wird vollzogen.

  4. Der Beschuldigte wird verpflichtet, der Privatklägerin, B. , Schadenersatz von Fr. 244.55 zuzüglich 5% Zins ab 15. Juli 2018 sowie Fr. 1'228.95 zuzüglich 5% Zins ab

    19. August 2018 zu bezahlen.

  5. Im übrigen wird festgestellt, dass der Beschuldigte gegenüber der Privatklägerin aus dem eingeklagten Ereignis im Fr. 1'473.50 übersteigenden Betrag dem Grundsatz nach scha- denersatzpflichtig ist.

  6. Der Beschuldigte wird verpflichtet, der Privatklägerin eine Genugtuung von Fr. 12'000 zuzüglich 5% Zins seit 14. Juni 2018 zu bezahlen.

  7. Die Entscheidgebühr wird festgesetzt auf:

    Fr. 6'000.00 die weiteren Kosten betragen:

    Fr. 4'500.00 gebühr für das Vorverfahren;

    Fr. 49.60 Entschädigung Zeuge

    Fr. 12'000.00 Entschädigung amtliche Verteidigung (Akonto-Zahlung) Fr. 12'200.25 Entschädigung amtliche Verteidigung (inkl. 7.7% MwSt.)

    Fr. 18'592.70 Entschädigung unentgeltliche Rechtsvertreterin der Privatklägerin (inkl. 7.7% MwSt.)

    Fr. 53'342.55 Total.

    Allfällige weitere Kosten bleiben vorbehalten.

  8. Es wird davon Vormerk genommen, dass Rechtsanwältin MLaw X2. mit Verfügung vom 17. November 2020 der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat für ihre Aufwendungen als amtliche Verteidigerin des Beschuldigten akonto mit Fr. 12'000 entschädigt worden ist.

  9. Rechtsanwältin MLaw X2. wird für ihre Aufwendungen als amtliche Verteidigerin des Beschuldigten aus der Gerichtskasse mit Fr. 12'200.25 (inkl. 7.7% MwSt.) entschädigt.

  10. Rechtsanwältin lic. iur. Y. wird für ihre Aufwendungen als unentgeltliche Rechtsvertreterin der Privatklägerin aus der Gerichtskasse mit Fr. 18'592.70 (inkl. 7.7% MwSt.) entschä- digt.

  11. Die Gerichtsgebühr sowie die weiteren Kosten gemäss Dispositiv-Ziffer 7, ausgenommen diejenigen der amtlichen Verteidigung des Beschuldigten sowie der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung der Privatklägerin, werden dem Beschuldigten auferlegt.

  12. Die Kosten der amtlichen Verteidigung sowie der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung der Privatklägerin werden auf die Gerichtskasse genommen; vorbehalten bleibt eine Nachforderung gemäss Art. 135 Abs. 4 StPO resp. Art. 138 in Verbindung mit Art. 135 Abs. 4 StPO.

  13. [Mitteilungen]

  14. [Rechtsmittel]

BerufungsAnträge:

(Prot. II. S. 7)

  1. Der Verteidigung des Beschuldigten (Urk. 115):

    • 1. Das Urteil des Bezirksgerichts Affoltern vom 12.01.2022, Geschäfts- Nr. DG210001-A, sei vollumfänglich aufzuheben;

      1. A. sei vollumfänglich frei zu sprechen;

      2. Die Zivilforderungen der Privatklägerin seien abzuweisen, eventualiter auf den Zivilweg zu verweisen;

      3. Es sei A.

        für die Haft eine Genugtuung von Fr. 400.00 zzgl.

        5% Verzugszins ab dem 30.04.2020 zuzusprechen;

      4. Es sei A.

        für die Ersatzmassnahmen eine Genugtuung von

        Fr. 2'000.00 zuzusprechen;

      5. Es seien die Kosten der Untersuchung, des erstinstanzlichen Verfahrens sowie des Berufungsverfahrens, einschliesslich diejenigen der amtlichen Verteidigung zzgl. gesetzliche Mehrwertsteuer auf die Gerichtskasse zu nehmen.

  2. Der Staatsanwaltschaft (Urk. 96, schriftlich):

    Verzicht auf Stellung eines Antrags bzw. Bestätigung des vorinstanzlichen Urteils.

  3. Der Privatklägerin B.

    (Urk. 99):

    • 1. Die Berufung des Beschuldigten sei abzuweisen und es sei vollumfänglich auf die Ausführungen und Beurteilungen der Vorinstanz abzustellen.

  1. Kosten und Entschädigung zu Lasten des Beschuldigten.

    Erwägungen:

    1. Ausgangslage / Verfahrensgang
      1. Das Bezirksgericht Affoltern (Vorinstanz) sprach A.

        (Beschuldigter)

        am 12. Januar 2022 der mehrfachen Nötigung, der mehrfachen Freiheitsberaubung, der mehrfachen sexuellen Nötigung und der mehrfachen einfachen Körperverletzung zum Nachteil von B. (Privatklägerin) schuldig und bestrafte ihn mit einer zu vollziehenden Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten, davon 2 Tage durch Untersuchungshaft und 11 Tage durch Ersatzmassnahmen erstan- den. Der Beschuldigte wurde mit dem Urteil der Vorinstanz verpflichtet, der Privatklägerin Schadenersatz von Fr. 244.55 zuzüglich Zins sowie Fr. 1'228.95 zuzüglich Zins zu bezahlen. Es wurde festgestellt, dass der Beschuldigte gegenüber der Privatklägerin aus dem eingeklagten Ereignis im Fr. 1'473.50 übersteigenden Betrag dem Grundsatz nach schadenersatzpflichtig ist. Zudem wurde der Beschuldigte verpflichtet, ihr eine Genugtuung von Fr. 12'000 zuzüglich 5 % Zins seit 14. Juni 2018 zu bezahlen. Die Vorinstanz regelte die Kosten- und Entsch?- digungsfolgen, sie auferlegte dem Beschuldigten die Kosten der Untersuchung und des gerichtlichen Verfahrens, ausgenommen diejenigen der amtlichen Vertei- digung sowie der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung der Privatklägerin (Urk. 91 S. 99 f.)

      2. Gegen das Urteil liess der Beschuldigte am 19. Januar 2022 fristgerecht Berufung anmelden (Urk. 67), wovon die Vorinstanz mit Verfügung vom 26. Januar 2022 Vormerk nahm (Urk. 68). Am 14. September 2022 versandte die Vorinstanz das begründete Urteil an die Parteien (Urk. 86-90). Dem Beschuldigten ging das Urteil am 15. September 2022 (Urk. 87-88), der Staatsanwaltschaft am

      16. September 2022 (Urk. 89) und der Privatklägerin am 19. September 2022 zu

      (Urk. 90).

      3. Die Verteidigung des Beschuldigten reichte am 20. September 2022 der erkennenden Kammer rechtzeitig ihre schriftliche BerufungsErklärung ein, mit der sie einen vollumfänglichen Freispruch des Beschuldigten von Schuld und Strafe beantragte (Urk. 92). Die BerufungsErklärung des Beschuldigten wurde in An-

      wendung von Art. 400 Abs. 2 und 3 StPO und Art. 401 StPO mit präsidialverfügung vom 24. Oktober 2022 der Privatklägerin und der Staatsanwaltschaft übermittelt, um schriftlich zu erklären, ob in Beachtung von Art. 399 Abs. 3 und 4 StPO Anschlussberufung erhoben werde um begründet ein Nichteintreten auf die Berufung zu beantragen. Der Beschuldigte wurde mit derselben Verfügung aufgefordert, sich zur Notwendigkeit der amtlichen Verteidigung im Berufungsverfahren

      zu äussern (Urk. 94). Rechtsanwältin MLaw X2.

      ersuchte am

      1. November 2022 darum, die amtliche Verteidigung auf Rechtsanwalt MLaw

        X1.

        zu wechseln (Urk. 97). Darauf wurde mit präsidialVerfügung vom

      2. November 2022 Rechtsanwältin MLaw X2. aus ihrem Mandat als amtliche Verteidigerin des Beschuldigten entlassen und neu Rechtsanwalt

      MLaw X1.

      als amtlicher Verteidiger des Beschuldigten bestellt (Urk. 101).

      Rechtsanwältin MLaw X2.

      wurde antragsgemäss (unter Rückforderungsvorbehalt zufolge eines Allfälligen Rechtsmittelentscheids) eine Entschädigung für die amtliche Verteidigung des Beschuldigten in der Zeit vom 17. Januar 2022 bis

      8. November 2022 im Betrag von Fr. 1'853.30 (einschliesslich Barauslagen und Mehrwertsteuer) aus der Obergerichtskasse zugesprochen und ausgerichtet (Urk. 103 und 104A).

      1. Die Staatsanwaltschaft verzichtete am 31. Oktober 2022 auf Anschlussberufung und beantragte die Bestätigung des vorinstanzlichen Urteils. Zudem ersuchte sie um Dispensation von der Teilnahme an der Berufungsverhandlung (Urk. 96).

      2. Die unentgeltliche Rechtsbeistündin der Privatklägerin, Rechtsanwältin lic. iur. Y. , erhob am 3. November 2022 Anschlussberufung mit dem (sinngemüssen) Antrag, die Berufung des Beschuldigten abzuweisen und das Urteil der Vorinstanz zu bestätigen. In prozessualer Hinsicht beantragte sie, die Privatklägerin sei vor Obergericht nicht mehr zu befragen, es sei auf die vorinstanzliche Videoaufnahme der Befragung der Privatklägerin [recte: Tonbandaufnahme] abzustellen. Ferner liess sie ausführen, sie gehe von der Weitergeltung der unentgeltlichen Prozessführung und Rechtsverbeiständung in zweiter Instanz aus und bitte ansonsten darum, diese auch vor Obergericht zu genehmigen (Urk. 99). Am

      25. November 2022 teilte Rechtsanwältin lic. iur. Y.

      mit, die Privatklägerin

      wolle nicht länger anwaltlich vertreten sein und ersuchte darum, die unentgeltliche Rechtsverbeiständung der Privatklägerin noch bis zur abschliessenden Erledigung nötiger Aufwände im Zusammenhang mit der Mandatsbeendigung zu ge- nehmigen (Urk. 106). Ihr wurde am 28. November 2022 telefonisch mitgeteilt, dass ihre Bestellung als unentgeltliche Privatklägervertreterin auch für das Berufungsverfahren Geltung habe (Urk. 108). Mit Beschluss vom 30. November 2022 wurde auf die Anschlussberufung der Privatklägerin vom 3. November 2022 nicht eingetreten und Rechtsanwältin lic. iur. Y. als unentgeltliche Rechtsbeistn- din der Privatklägerin entlassen (Urk. 109).

      6. Mit der Vorladung zur Berufungsverhandlung auf den 6. November 2023 wurde der Staatsanwaltschaft und der Privatklägerin das Erscheinen freigestellt (Urk. 111). Nach der in Anwesenheit des Beschuldigten, seiner amtlichen Verteidigung sowie der Privatklägerin durchgefährten Berufungsverhandlung (Prot. II

      S. 7 ff.) erweist sich der Prozess als spruchreif.

    2. Umfang der Berufung
      1. Das Berufungsgericht überpröft das erstinstanzliche Urteil in den angefochtenen Punkten (Art. 404 Abs. 1 StPO). Die Berufung hat im Umfang der Anfechtung aufschiebende Wirkung (Art. 402 StPO). Die nicht von der Berufung erfassten Punkte erwachsen in Rechtskraft (Art. 437 StPO; vgl. BSK StPO- S PRENGER, 2. Aufl. 2014, Art. 437 N 29). Der Beschuldigte hat mit seiner Berufung die vollumfängliche Aufhebung des angefochtenes Urteils und einen vollumfänglichen Freispruch unter Kostenauflage an den Staat und Zusprechung einer Genugtuung für Haft und Ersatzmassnahmen beantragt (Urk. 92 S. 1; Urk. 115). Seine Berufung richtet sich mithin gegen den Schuldspruch, die Strafe, Schadenersatz und Genugtuung an die Privatklägerin und die Kostenauflage (Dispositiv Ziff. 1.-6. und 11.-12.).

      2. In den übrigen Punkten, d.h. hinsichtlich der Kostenfestsetzung (Dispositiv Ziff. 7), Festsetzung der Entschädigung der vormaligen amtlichen Verteidigerin

        des Beschuldigten unter Vormerknahme einer entsprechenden Akontozahlung (Dispositiv Ziff. 8 und 9) sowie der Entschädigung der unentgeltlichen Rechtsvertreterin der Privatklägerin (Dispositiv Ziff. 10) ist das vorinstanzliche Urteil in Rechtskraft erwachsen, was vorab vorzumerken ist (Art. 399 Abs. 3 StPO i.V.m. Art. 402 StPO).

      3. Nach Art. 391 Abs. 2 StPO darf die Rechtsmittelinstanz Entscheide nicht zum Nachteil der beschuldigten Person abändern, wenn das Rechtsmittel nur zu deren Gunsten ergriffen worden ist. Da die Anschlussberufung der Privatklägerin lediglich auf Bestätigung des vorinstanzlichen Urteils gerichtet war, wurde darauf wie erwähnt nicht eingetreten. Die Staatsanwaltschaft hat auf einen Antrag verzichtet (Urk. 96). Eine Abänderung des vorinstanzlichen Urteils zulasten des Beschuldigten ist daher in prozessualer Hinsicht ausgeschlossen.

    3. Prozessuales
      1. Die Anklageschrift hat möglichst kurz, aber genau die der beschuldigten Person vorgeworfenen Taten mit Beschreibung von Ort, Datum, Zeit, Art und Folgen der Tatausführung zu beschreiben (Art. 325 Abs. 1 lit. f StPO). Die Vorinstanz hat sich zutreffend zu Inhalt und Bedeutung des Anklageprinzips (Informations- und Umgrenzungsfunktion) geäussert und namentlich ausgefährt, dass die Anklage das dem Beschuldigten zur Last gelegte Verhalten so präzis umschreiben muss, dass die Vorwürfe in objektiver und subjektiver Hinsicht genügend konkretisiert sind, der Beschuldigte mithin genau weiss, welcher konkreter Handlungen er beschuldigt wird und welchen Straftatbestand er durch sein Verhalten erfüllt haben soll (Urk. 91 S. 6). Wie nachfolgend aufgezeigt wird, benennt die Anklageschrift eine grosse Vielzahl von VorFällen, die insbesondere Schwierigkeiten bei der Strafzumessung verursachen.

      2. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung hat das Gericht den täter zu der Strafe der schwersten Straftat zu verurteilen und diese anschliessend angemessen zu Erhöhen. Die Bildung einer Gesamtstrafe in Anwendung des Asperationsprinzips nach Art. 49 Abs. 1 StGB ist dann möglich, wenn das Gericht im konkre-

        ten Fall für jeden einzelnen Normverstoss gleichartige Strafen ausfällt (sog. konkrete Methode). Die Frühere Rechtsprechung liess Ausnahmen von der erwähnten konkreten Methode zu, dies namentlich bei zeitlich und sachlich eng miteinander verknüpften Straftaten, die sich nicht sinnvoll auftrennen und für sich allein beurteilen lassen. Solche Ausnahmen sind jedoch nicht mehr zulässig (BGer 6B_244/2021, 6B_254/2021 vom 17. April 2023 E. 5.3.2. mit Hinweis auf BGE 144 IV 313 E. 1.1.2, 217 E. 2.4 und E. 3.5.4).

      3. Dem Beschuldigten wird in der Anklage unter nur ungefährer Angabe von Anzahl Frequenz von VorFällen und teilweise von Datumsangaben und ürtlichen Anknüpfungspunkten vorgeworfen, in einem Zeitraum von rund 18 Monaten ab dem 9. September 2017 bis 20. März 2019 die Privatklägerin bei unzähligen Gelegenheiten, in der Regel mehrmals pro Woche, zu nicht mehr bestimmbaren Zeitpunkten mit teils erniedrigenden, teils gewalttätigen Handlungen drangsaliert bzw. genötigt, sie ab Mitte Oktober 2017 bis 20. März 2019, d.h. in einem Zeitraum von rund 17 Monaten, bei 100 Gelegenheiten für jeweils drei bis sechs Stunden eingesperrt und von ihr im C. ... [Adresse] in D. bei mindestens fänf Gelegenheiten an nicht mehr genau eruierbaren Daten, sowohl vor als auch nach dem 30. März 2018, verlangt zu haben, dass sie ihn oral befriedige. Damit sind unzählige, in der Regel mehrmals pro Woche erfolgte, Nötigungen der Privatklägerin über einen Zeitraum von rund 18 Monaten zu beurteilen. Des Weiteren geht es um ungefähr 100 Freiheitsberaubungen zum Nachteil der Privatklägerin über einen Zeitraum von rund 17 Monaten. Schliesslich gelangten mehrfache sexuelle Nötigungen, wiederum über einen Zeitraum von rund 18 Monaten verteilt, zur Anklage.

      4. Insgesamt genügt die Anklageschrift nicht, um die bundesgerichtlichen Anforderungen zur Strafzumessung zu erFällen. Die Vorwürfe sind nicht derart umschrieben, so dass eine hinreichende Individualisierung des vorgeworfenen Verhaltens möglich wäre. Die in der Anklage aufgefährten Vorwürfe lassen sich schlichtweg nicht sinnvoll auftrennen. Ohne individualisierte AnklageVorwürfe bzw. individualisierten Tathandlungen ist es nicht möglich, zunächst die schwerste Straftat zu benennen und diese anschliessend angemessen zu Erhöhen (vgl.

        Ziff. 2). Mithin ist es nicht möglich, eine Einsatzstrafe für die schwerste Straftat festzusetzen, womit auch keine bundesgerichtskonforme Strafzumessung vorgenommen werden kann.

      5. Festzuhalten ist, dass sich die Staatsanwaltschaft bei den Einvernahmen der Geschädigten wiederholt sehr bemüht hat, die von der Geschädigten geschil- derten Handlungen zu individualisieren. Der Geschädigten war es aber nicht mehr möglich, einzelne Vorfälle genauer zu umschreiben. Sie blieb trotz Nachhaken der Staatsanwaltschaft immer sehr pauschal und diffus bei Angaben zu Ort, Zeit und genaueren Details. Es entsteht auch der Eindruck, dass die Geschädigte immer wieder einzelne Vorfälle miteinander vermischte und ihre Erinnerung an einzelne behauptete Übergriffe sehr schwankend war. Dies heisst zwar nicht, dass die Geschädigte die Vorwürfe frei erfunden hat. Tatsache bleibt aber, dass es der Staatsanwaltschaft gestützt auf die Schilderungen der Geschädigten gar nicht möglich war, eine präzisere Anklage zu verfassen.

      6. Indem vorliegend kein Urteil ergehen kann, ist das Verfahren einzustellen (Art. 329 Abs. 4 StPO).

    4. Zivilforderungen

      Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Zivilforderungen der Privatklägerin B. auf den Zivilweg zu verwiesen (Art. 126 Abs. 2 lit. a StPO).

    5. Genugtuung

      Wird das Verfahren gegen die beschuldigte Person eingestellt, so hat sie Anspruch auf Genugtuung für besonders schwere Verletzungen ihrer persönlichen Verhältnisse, insbesondere bei Freiheitsentzug (Art. 429 Abs. 1 lit. c StPO). Der Beschuldigte befand sich 2 Tage (vom 28. April 2020, 18.05 Uhr, bis 30. April 2020, 19.00 Uhr) in Untersuchungshaft. Bei der Festsetzung der Entschädigung erachtet die Rechtsprechung grundsätzlich einen Betrag von Fr. 200 pro Tag als angemessen (BGE 146 IV 231 E. 2.3.2; BGer 6B_1094/2022 vom 8. August 2023

      E. 2.2.2). Umstände, die einen tieferen Höheren Betrag rechtfertigen, sind

      vorliegend nicht ersichtlich. Dem Beschuldigten ist deshalb für die Haft eine Genugtuung in der Höhe von Fr. 400 zuzüglich 5 % Zins ab 30. April 2020 aus der Gerichtskasse zuzusprechen. Die angeordneten Ersatzmassnahmen bewirkten keine erheblichen Einschränkungen für den Beschuldigten, weshalb sein Ge- nugtuungsbegehren im übrigen Umfang abzuweisen ist.

    6. Kosten- und Entschädigungsfolgen
  1. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Kosten der Untersuchung und des erstinstanzlichen Verfahrens auf die Gerichtskasse zu nehmen (Art. 426 Abs. 1 Satz 1 StPO). Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr fällt ausser Ansatz (Art. 428 Abs. 1 StPO).

  2. Die vormalige amtliche Verteidigerin des Beschuldigten, Rechtsanwältin X2. , wurde bereits mit Fr. 1'853.30 entschädigt (Urk. 101, Urk. 103). Der amtliche Verteidiger des Beschuldigten reichte anlässlich der Hauptverhandlung seine Honorarnote ein (Urk. 116). Das geltend gemachte Honorar steht im Einklang mit den Ansätzen der Anwaltsgebührenverordnung und erweist sich grund-

    sätzlich als angemessen. Rechtsanwalt X1.

    ist demnach für seine Bemöhungen im Berufungsverfahren unter BeRücksichtigung des Aufwands für die Berufungsverhandlung und eine Nachbesprechung pauschal mit Fr. 9'000 (inkl. Barauslagen und MwSt.) aus der Gerichtskasse zu entschädigen. sämtliche Kosten der amtlichen Verteidigung sind ausgangsgemäss vollständig auf die Gerichtskasse zu nehmen.

  3. Die vormalige unentgeltliche Rechtsbeistündin der Privatklägerin (vgl. Urk. 109) reichte nach der Berufungsverhandlung mit Datum 15. Dezember 2023 ihre Honorarnote ein (Urk. 118). Auch dieses geltend gemachte Honorar steht im Einklang mit den Ansätzen der Anwaltsgebührenverordnung und erweist sich

grundsätzlich als angemessen, womit Rechtsanwältin Y.

mit Fr. 977.40

(inkl. MwSt.) zu entschädigen ist. Das Urteilsdispositiv ist entsprechend zu ergänzen. Die Kosten der unentgeltlichen Rechtsbeistündin der Privatklägerin sind ebenfalls vollständig auf die Gerichtskasse zu nehmen.

Es wird beschlossen:

  1. Es wird festgestellt, dass das Urteil des Bezirksgerichts Affoltern vom

    12. Januar2022 wie folgt in Rechtskraft erwachsen ist:

    Es wird erkannt:

    1.-6. [...]

    1. Die Entscheidgebühr wird festgesetzt auf:

      Fr. 6'000.00 die weiteren Kosten betragen:

      Fr. 4'500.00 gebühr für das Vorverfahren;

      Fr. 49.60 Entschädigung Zeuge

      Fr. 12'000.00 Entschädigung amtliche Verteidigung

      (Akonto-Zahlung)

      Fr. 12'200.25 Entschädigung amtliche Verteidigung (inkl. 7.7%

      MwSt.)

      Fr. 18'592.70 Entschädigung unentgeltliche Rechtsvertreterin der

      Privatklägerin (inkl. 7.7% MwSt.)

      Fr. 53'342.55 Total.

      Allfällige weitere Kosten bleiben vorbehalten.

    2. Es wird davon Vormerk genommen, dass Rechtsanwältin MLaw X2.

      mit

      Verfügung vom 17. November 2020 der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat für ihre Aufwendungen als amtliche Verteidigerin des Beschuldigten akonto mit Fr. 12'000 entschädigt worden ist.

    3. Rechtsanwältin MLaw X2. wird für ihre Aufwendungen als amtliche Verteidigerin des Beschuldigten aus der Gerichtskasse mit Fr. 12'200.25 (inkl. 7.7% MwSt.) entschädigt.

    4. Rechtsanwältin lic. iur. Y.

    wird für ihre Aufwendungen als unentgeltliche

    Rechtsvertreterin der Privatklägerin aus der Gerichtskasse mit Fr. 18'592.70 (inkl. 7.7% MwSt.) entschädigt.

    11.-12. [...]

    1. [Mitteilungen]

    2. [Rechtsmittel]

  2. Mändliche Eröffnung und schriftliche Mitteilung mit nachfolgendem Urteil.

Es wird erkannt:

  1. Das Verfahren wird eingestellt.

  2. Die Zivilforderungen der Privatklägerin B. verwiesen.

    werden auf den Zivilweg

  3. Dem Beschuldigten wird für die Haft eine Genugtuung in der Höhe von Fr. 400 zuzüglich 5 % Zins ab 30. April 2020 aus der Gerichtskasse zugesprochen. Im übrigen Umfang wird das Genugtuungsbegehren des Beschul- digten abgewiesen.

  4. Die Kosten der Untersuchung und des erstinstanzlichen Verfahrens werden auf die Gerichtskasse genommen.

  5. Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr fällt ausser Ansatz.

  6. Die Kosten für die amtliche Verteidigung für das zweitinstanzliche Verfahren im Umfang von Fr. 1'853.30 und Fr. 9'000 werden auf die Gerichtskasse genommen.

  7. Die Kosten für die unentgeltliche Rechtsbeistündin der Privatklägerin für das zweitinstanzliche Verfahren im Umfang von Fr. 977.40 werden auf die Gerichtskasse genommen.

  8. Mändliche Eröffnung und schriftliche Mitteilung im Dispositiv an

    • die amtliche Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden des Beschuldigten (übergeben)

    • die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat (versendet)

    • die Privatklägerin B. (übergeben)

      sowie in vollständiger Ausfertigung an

    • die amtliche Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden des Beschuldigten

    • die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat

    • die Privatklägerin B.

    • an die vormalige unentgeltliche Rechtsbeistündin der Privatklägerin, Rechtsanwältin Y.

      und nach unbenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. Erledigung allfälliger Rechtsmittel an

    • die Vorinstanz

    • die Koordinationsstelle VOSTRA/DNA zur Entfernung der Daten gemäss Art. 32 Abs. 1 StReG mittels Kopie von Urk. 94A

    • die Koordinationsstelle VOSTRA/DNA mit dem Formular Löschung des DNA-Profils und Vernichtung des ED-Materials zwecks Bestimmung der Vernichtungs- und Löschungsdaten

    • die Kantonspolizei Zürich, KDM-ZD, mit separatem Schreiben ( 54a Abs. 1 PolG).

  9. Entscheid kann bundesrechtliche Beschwerde in Strafsachen erhoben werden.

Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, von der Zustellung der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der gemäss Art. 35 und 35a BGerR zuständigen strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebe- nen Weise schriftlich einzureichen.

Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes.

Obergericht des Kantons Zürich

I. Strafkammer Zürich, 6. November 2023

Der Präsident:

lic. iur. B. Gut

Der Gerichtsschreiber:

MLaw S. Zuber

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