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Urteil Obergericht des Kantons Zürich (ZH)

Zusammenfassung des Urteils SB210583: Obergericht des Kantons Zürich

Die Gesuchstellerin beantragte Rechtsöffnung für ausstehende Unterhaltsbeiträge gemäss einer Vergleichsvereinbarung, der Einzelrichter gewährte teilweise Rechtsöffnung. Beide Parteien legten Beschwerde ein. Der Gesuchsgegner beantragte eine Reduzierung des gewährten Betrags, während die Gesuchstellerin die Aufhebung bestimmter Dispositivziffern forderte. Das Gericht entschied, dass die Unterhaltspflicht des Gesuchsgegners während bestimmter Zeiträume bestand, reduzierte den gewährten Betrag und wies die Beschwerde der Gesuchstellerin ab. Die Gerichtskosten wurden der Gesuchstellerin zu 3/4 und dem Gesuchsgegner zu 1/4 auferlegt. Es wurde keine Umtriebsentschädigung zugesprochen. Der Entscheid kann beim Bundesgericht angefochten werden.

Urteilsdetails des Kantongerichts SB210583

Kanton:ZH
Fallnummer:SB210583
Instanz:Obergericht des Kantons Zürich
Abteilung:II. Strafkammer
Obergericht des Kantons Zürich Entscheid SB210583 vom 09.06.2022 (ZH)
Datum:09.06.2022
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Rechtswidriger Aufenthalt (Rückweisung des Schweizerischen Bundesgerichtes)
Schlagwörter : Beschuldigte; Gericht; Beschuldigten; Verfahren; Urteil; Verteidigung; Bundes; Berufung; Recht; Bundesgericht; Staat; Aufenthalt; Gericht; Kantons; Schweiz; Bundesgerichtes; Aufenthalts; Verfahren; Entschädigung; Migration; Berufungsverfahren; Staatsanwaltschaft; Wegweisung; Sinne; Obergericht; Vorverfahren; Vorinstanz
Rechtsnorm:Art. 126 AIG ;Art. 135 StPO ;Art. 29 BV ;Art. 333 StGB ;Art. 339 StPO ;Art. 426 StPO ;Art. 428 StPO ;Art. 52 StGB ;Art. 8 StPO ;Art. 95 BGG ;
Referenz BGE:117 Ia 22; 122 I 1; 125 II 217; 129 IV 246; 131 I 217; 132 I 201; 139 IV 261; 141 I 124; 143 IV 249; 143 IV 453;
Kommentar:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017

Entscheid des Kantongerichts SB210583

Obergericht des Kantons Zürich

II. Strafkammer

Geschäfts-Nr.: SB210583-O/U/nm

Mitwirkend: die Oberrichter lic. iur. Spiess, Präsident, und lic. iur. Stiefel sowie Ersatzoberrichterin lic. iur. Tschudi und die Gerichtsschreiberin MLaw Baechler

Urteil vom 9. Juni 2022

in Sachen

A1. (vormals A2. ),

Beschuldigte und Berufungsklägerin

amtlich verteidigt durch Rechtsanwalt Dr. iur. HSG X.

gegen

Staatsanwaltschaft Limmattal / Albis,

Anklägerin und Berufungsbeklagte

betreffend rechtswidriger Aufenthalt (Rückweisung des Schweizerischen Bundesgerichtes)

Berufung gegen ein Urteil des Bezirksgerichtes Horgen, Einzelgericht, vom

12. Oktober 2018 (GB180008); Urteil des Obergerichtes des Kantons Zürich,

II. Strafkammer, vom 26. Februar 2020 (SB190063); Urteil des Schweizerischen Bundesgerichtes vom 1. November 2021 (6B_427/2020)

Anklage:

Der Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Limmattal / Albis vom 9. Mai 2018 ist diesem Urteil beigeheftet (Urk. 6).

Urteil der Vorinstanz:

  1. Die Beschuldigte ist schuldig des rechtswidrigen Aufenthalts im Sinne von Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG.

  2. Die Beschuldigte wird bestraft mit einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten, wovon 2 Tage durch Haft erstanden sind.

  3. Die Entscheidgebühr wird festgesetzt auf:

    Fr. 1'800.00; die weiteren Kosten betragen: Fr. 1'000.00 Gebühr Anklagebehörde

    Fr. 736.00 Auslagen (Gutachten Hafterstehungsfähigkeit)

    Fr. 2'901.00 amtliche Verteidigung RA Dr. iur. X.

    Weiter (recte: Weitere) Kosten bleiben vorbehalten. Verlangt keine der Parteien eine Begründung, ermässigt sich die Entscheidgebühr um einen Drittel.

  4. Die Kosten der Untersuchung und des gerichtlichen Verfahrens, ausser diejenigen der amtlichen Verteidigung sowie der Auslagen von Fr. 736.– für die medizinische Abklärung der Hafterstehungsfähigkeit, werden der Beschul- digten auferlegt. Die Kosten der amtlichen Verteidigung sowie der Auslagen für die medizinische Abklärung der Hafterstehungsfähigkeit werden auf die Staatskasse genommen; vorbehalten bleibt eine Nachforderung gemäss Art. 135 Abs. 4 StPO.

  5. Der amtliche Verteidiger RA Dr. iur. X. wird für seine Bemühungen und Auslagen mit Fr. 3'114.– (inkl. Mehrwertsteuer) aus der Staatskasse entschädigt.

Berufungsanträge im ersten Berufungsverfahren:

  1. Der amtlichen Verteidigung: (Urk. 47 S. 1)

    1. Das Strafverfahren gegen Frau A2. sei einzustellen;

    2. Eventualiter sei Frau A2. von Schuld und Strafe freizusprechen;

    3. Frau A2. sei für die unschuldig erstandene Haft eine angemessene Genugtuung in der Höhe von CHF 400.00 zu entrichten;

    4. Es sei die Beschwerde vom 8. Februar 2019 gegen die vorinstanzliche Festlegung der Entschädigung der amtlichen Verteidigung (Geschäfts- Nr.: UP190005-O) antragsgemäss gutzuheissen;

    5. Es seien sämtliche Verfahrenskosten für die Untersuchung und für bei- de Gerichtsinstanzen inklusive derjenigen der amtlichen Verteidigung auf die Staatskasse zu nehmen;

    6. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen (zzgl. 7.7% MwSt.) zu Lasten des Staates.

  2. Der Vertreterin der Staatsanwaltschaft: (Urk. 36, schriftlich)

Bestätigung des vorinstanzlichen Urteils.

Beschluss und Urteil des Obergerichtes des Kantons Zürich vom 26. Februar 2020:

(Urk. 56)

Es wird beschlossen:

  1. Es wird festgestellt, dass das Urteil des Bezirksgerichtes Horgen, Einzelgericht, vom 12. Oktober 2018 bezüglich der Dispositivziffer 3 (Kostenfestsetzung) in Rechtskraft erwachsen ist.

  2. Schriftliche Mitteilung mit nachfolgendem Urteil.

Es wird erkannt:

  1. Das Verfahren gegen die Beschuldigte A2.

    wegen rechtswidrigen Aufenthaltes im Sinne von Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG wird eingestellt.

  2. Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr fällt ausser Ansatz. Die weiteren Kosten betragen:

    Fr. 5'000.– amtliche Verteidigung.

  3. Die Kosten der Untersuchung und des gerichtlichen Verfahrens beider Instanzen, einschliesslich derjenigen der amtlichen Verteidigung, werden auf die Gerichtskasse genommen.

  4. Rechtsanwalt Dr. iur. HSG X. wird für seine Bemühungen und Barauslagen als amtlicher Verteidiger im Vorverfahren und vor Vorinstanz mit insgesamt Fr. 5'700.– und für das Beschwerdeverfahren mit Fr. 950.– aus der Gerichtskasse entschädigt.

  5. Der Beschuldigten wird für 2 Tage erstandene Haft eine Genugtuung von Fr. 400.– aus der Gerichtskasse zugesprochen.

  6. Schriftliche Mitteilung in vollständiger Ausfertigung an

    • die amtliche Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden der Beschuldigten

    • die Staatsanwaltschaft Limmattal / Albis

    • das Staatssekretariat für Migration, Postfach, 3003 Bern

      und nach unbenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. Erledigung allfälliger Rechtsmittel an

    • die Vorinstanz

    • das Migrationsamt des Kantons Zürich

    • die Bezirksgerichtskasse hinsichtlich Dispositivziffer 4 (im Dispositiv)

    • die KOST Zürich mit dem Formular Löschung des DNA-Profils und Vernichtung des ED-Materials zwecks Löschung des DNA-Profils

    • die Kantonspolizei Zürich, KDM-ZD, mit separatem Schreiben (§ 54a Abs. 1 PolG)

    • die Koordinationsstelle VOSTRA zur Entfernung der Daten gemäss Art. 12 Abs. 1 lit. d VOSTRA mittels Kopie von Urk. 32.

  7. Rechtsmittel:

Gegen diesen Entscheid kann bundesrechtliche Beschwerde in Strafsachen erhoben werden.

Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, vom Empfang der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen.

Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes.

Urteil des Bundesgerichtes vom 1. November 2021:

(Urk. 64)

  1. Die Beschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 26. Februar 2020 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

  2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen.

  3. Es werden keine Kosten erhoben.

  4. Rechtsanwalt X. wird aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'500.-entschädigt.

Berufungsanträge im zweiten Berufungsverfahren:

  1. Der amtlichen Verteidigung: (Urk. 72 S. 2)

    1. Frau A1. sei von Schuld und Strafe freizusprechen;

    2. Frau A1. sei für die unschuldig erstandene Haft eine angemessene Genugtuung in der Höhe von CHF 400.00 zu entrichten;

    3. Es seien sämtliche Verfahrenskosten für die Untersuchung und für sämtliche Gerichtsinstanzen inklusive derjenigen der amtlichen Vertei- digung auf die Staatskasse zu nehmen;

    4. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen (zzgl. 7.7% MwSt.) zu Lasten des Staates.

  2. Der Vertreterin der Staatsanwaltschaft: (Urk. 77, schriftlich)

    1. Die Beschuldigte sei des rechtswidrigen Aufenthaltes im Sinne von Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG schuldig zu sprechen.

    2. Die Beschuldigte sei zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten zu verurteilen.

    3. Die Freiheitsstrafe sei zu vollziehen.

      Erwägungen:

      1. Verfahrensgang

        1. Gegen das eingangs wiedergegebene mündlich eröffnete Urteil des Bezirksgerichtes Horgen, Einzelgericht, vom 12. Oktober 2018 liess die Beschuldigte mit Eingabe der amtlichen Verteidigung vom 18. Oktober 2018 rechtzeitig Berufung anmelden (Urk. 26; Prot. I S. 13 ff.). Das begründete Urteil wurde beiden Parteien am 29. Januar 2019 zugestellt (Urk. 29/1-2). Mit Eingabe der Verteidigung vom 8. Februar 2019 liess die Beschuldigte fristwahrend die Berufungserklärung einreichen (Urk. 31). Mit Präsidialverfügung vom 21. Februar 2019 wurde der Staatsanwaltschaft eine Kopie der Berufungserklärung zugestellt und Frist zur Anschlussberufung für einen Nichteintretensantrag angesetzt. In derselben Verfügung wurde der Beschuldigten eine zwanzigtägige Frist angesetzt, um das Datenerfassungsblatt und Unterlagen zu ihren wirtschaftlichen Verhältnissen einzureichen (Urk. 33). Mit Eingabe vom 28. Februar 2019 beantragte die Staatsanwaltschaft die Bestätigung des vorinstanzlichen Urteils und ersuchte um Dispensation von der Teilnahme an der Berufungsverhandlung (Urk. 36).

        2. Mit Präsidialverfügung der III. Strafkammer des Obergerichtes des Kantons Zürich vom 7. März 2019 überwies diese die von der amtlichen Verteidigung gegen die vorinstanzliche Festsetzung ihres Honorars erhobene Beschwerde samt den betreffenden Akten zuständigkeitshalber an die II. Strafkammer zur Erledigung im Rahmen des Berufungsverfahrens (Urk. 35; Urk. 38 f.; Urk. 40/1-11; vgl. nachfolgend, Erw. V.3. ff.).

        3. Am 13. März 2019 wurden die Parteien zur Berufungsverhandlung vom

        21. Mai 2019 vorgeladen (Urk. 41). Anlässlich derselben stellte die Verteidigung die eingangs aufgeführten Anträge und als Vorfrage im Sinne von Art. 339 Abs. 2 StPO ein Ausstandsbegehren gegen den Präsidenten und die Ersatzoberrichterin als Ko-Referentin (Urk. 45 S. 1; Urk. 47 S. 1; Prot. II S. 3 ff.). Nach durchgeführter Berufungsverhandlung wurde das Ausstandsbegehren mit Schreiben vom 3. Juni

        2019 zuständigkeitshalber an die I. Strafkammer des Obergerichtes des Kantons Zürich überwiesen, welche dieses mit Beschluss vom 12. August 2019 abgewiesen hat (Urk. 49). Dagegen erhob die Beschuldigte mit Eingabe vom 23. September 2019 Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht, welches mit Urteil vom 21. November 2019 die Beschwerde abgewiesen hat (Urk. 50; Urk. 54).

        4. Am 26. Februar 2020 erging das erste Berufungsurteil, welches den Parteien schriftlich zugestellt worden ist (Urk. 56; Prot. II S. 25 ff.). Mit Beschluss vom

        26. Februar 2020 stellte die erkennende Kammer vorab fest, dass das Urteil

        des Bezirksgerichtes Horgen, Einzelgericht, vom 12. Oktober 2018 bezüglich der Kostenfestsetzung in Rechtskraft erwachen sei. Im Erkenntnis wurde das Verfahren gegen die Beschuldigte wegen rechtswidrigen Aufenthalts im Sinne von

        Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG eingestellt. Ausserdem wurde darüber entschieden, dass die Kosten der Untersuchung und des gerichtlichen Verfahrens beider Instanzen, einschliesslich derjenigen der amtlichen Verteidigung, auf die Gerichtskasse genommen würden (Urk. 56 S. 22 f.).

        5. Gegen dieses Urteil liess die Oberstaatsanwaltschaft mit Eingabe vom

        1. April 2020 Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht erheben (Urk. 58; Urk. 59/2). Das Bundesgericht hiess die Beschwerde der Oberstaatsanwaltschaft in der Folge mit Urteil vom 1. November 2021 gut, hob entsprechend das Urteil der erkennenden Kammer vom 26. Februar 2020 auf und wies die Sache zur neuen Beurteilung an das Obergericht des Kantons Zürich zurück (Urk. 64).

          1. Nachdem sich die Staatsanwaltschaft und die Beschuldigte mit der schriftlichen Durchführung des zweiten Berufungsverfahrens einverstanden erklärt haben (Urk. 66/1-2), wurde dieses mit Präsidialverfügung vom 1. Dezember 2021 angeordnet und der Beschuldigten Frist angesetzt, um die Berufungsanträge zu stellen und zu begründen sowie letztmals Beweisanträge zu stellen (Urk. 67). Die Beschuldigte liess innert erstreckter Frist mit Eingabe vom 31. Januar 2022 ihre Berufungsbegründung samt Beilagen und Honorarnote der amtlichen Verteidigung einreichen (Urk. 69; Urk. 71-73/5). Mit Präsidialverfügung vom 4. Februar 2022 wurde die Berufungsbegründung der Beschuldigten samt Beilagen der Staatsanwaltschaft sowie der Vorinstanz zugestellt und der Staatsanwaltschaft

            Frist angesetzt, um die Berufungsantwort einzureichen sowie letztmals eigene Beweisanträge zu stellen. Der Vorinstanz wurde innert derselben Frist Gelegenheit zur freigestellten Vernehmlassung eingeräumt (Urk. 74). Die Vorinstanz verzichtete auf Vernehmlassung (Urk. 76). Die Staatsanwaltschaft reichte mit Eingabe vom 11. Februar 2022 ihre Berufungsantwort ein und verzichtete auf das Stellen von Beweisanträgen (Urk. 77).

          2. Mit Präsidialverfügung vom 18. Februar 2022 wurde der Beschuldigten Frist angesetzt, um zur Berufungsantwort der Staatsanwaltschaft Stellung zu nehmen (Urk. 78). Ihre Stellungnahme ging zusammen mit einem Asylentscheid des Bundesamts für Migration (nachfolgend: BFM) innert erstreckter Frist am 16. März 2022 ein (Urk. 79; Urk. 81-82). Der Staatsanwaltschaft wurde mit Präsidialverfügung vom 18. März 2022 Frist zur freigestellten Vernehmlassung zur Stellungnahme der Beschuldigten angesetzt (Urk. 83). Die Staatsanwaltschaft verzichtete auf Vernehmlassung (Urk. 85), sodass sich das Verfahren als spruchreif erweist.

      2. Prozessuales

  1. Heisst das Bundesgericht eine Beschwerde gut und weist es die Angelegenheit zur neuen Beurteilung an das Berufungsgericht zurück, darf sich dieses von Bundesrechts wegen nur noch mit jenen Punkten neu befassen, die das Bun- desgericht kassiert hat. Die anderen Teile des Urteils haben Bestand und sind in das neue Urteil zu übernehmen. Die neue Entscheidung des Berufungsgerichtes ist auf diejenige Thematik beschränkt, die sich aus den bundesgerichtlichen Erwägungen als Gegenstand der neuen Beurteilung ergibt. Das Verfahren wird nur insoweit neu in Gang gesetzt, als dies notwendig ist, um den verbindlichen Erwägungen des Bundesgerichtes Rechnung zu tragen. Dabei ist dem Gericht und den Parteien, abgesehen von allenfalls zulässigen Noven, verwehrt, der Beurteilung des Rechtsstreits einen anderen als den bisherigen Sachverhalt zu unterstellen, sofern und soweit die Sachverhaltsfeststellung vom Bundesgericht nicht gerügt wurde, die Sache unter rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen, die im Rückweisungsentscheid ausdrücklich abgelehnt überhaupt nicht in Erwägung gezogen worden sind (statt vieler Urteil des Bundesgerichtes 6B_824/2016 10. April 2017 E. 5.2 f.)

    1. Die Oberstaatsanwaltschaft rügte das erste Berufungsurteil mit ihrer Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht vollumfänglich und beantragte, das Urteil sei wegen Verletzung von Bundesrecht aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an das Obergericht des Kantons Zürich zurückzuweisen. Zur Begründung führte sie aus, die Beschuldigte halte sich ohne Rechtfertigungsgrund seit dem Jahr 2014 illegal in der Schweiz auf, und zwar aufgrund von in- nerhalb des Einflussbereiches der Rückzuführenden liegenden nicht berechtigten Gründen für die Nichtrückkehr. Es sei im anklagegegenständlichen Zeitraum kei- ne hinreichende Aussicht auf einen erfolgreichen Vollzug der Abschiebung erkennbar gewesen; eine zwangsweise Rückschaffung sei damals nicht möglich gewesen. An diesen Umständen habe sich nichts geändert. Gestützt auf das Urteil des Bundesgerichtes 6B_1365/2019 vom 11. März 2020 stehe die EU- Rückführungsrichtlinie einer Bestrafung nicht entgegen. Diese dürfe nur die effektive Rückführung nicht gefährden. Wenn auch eine Zwangsmassnahme die Rückkehr nicht ermöglicht habe, sei eine Bestrafung wegen illegalen Aufenthalts wie- der zulässig. Vorliegend lasse sich somit keineswegs begründen, inwiefern ein Freiheitsentzug die Anwendung der Rückführungsrichtlinie beeinträchtigen sollte. Das Obergericht des Kantons Zürich bringe dahingehend auch keine Begründung an und führe lediglich die Anordnung der Durchsetzungshaft ins Feld, welche gemäss Bundesgericht zuvor aber nicht angeordnet werden müsse. Zudem hätte diese auch nicht zur Rückführung geführt, zumal die Beschuldigte sich in ihrer Verweigerungshaltung eingerichtet und zur Beschaffung der Reisedokumente nicht kooperiert habe (Urk. 59/2).

    2. Im Rückweisungsentscheid des Bundesgerichtes wurde zunächst erwogen, die Beschuldigte hätte aufgrund rechtskräftiger Entscheide bereits im Jahr 2014 aus der Schweiz ausreisen müssen. Es bestehe kein Anlass, auf eine Strafverfolgung im Sinne von Art. 8 StPO zu verzichten ein fehlendes Strafbe- dürfnis gemäss Art. 52 StGB anzunehmen; es sei nicht ersichtlich, inwiefern sich das Verhalten der Beschuldigten massgeblich vom Regelfall unterscheiden sollte,

      sodass das Strafbedürfnis offensichtlich fehlen würde. Die Annahme eines aussergesetzlichen Rechtfertigungsgrundes komme nicht in Betracht. Die erkennen- de Kammer gehe davon aus, dass die Beschuldigte den Tatbestand von Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG erfüllt habe. Indem sie das Strafverfahren eingestellt habe, ohne über Schuld und Strafe entschieden und insbesondere die Ausfällung einer Geldstrafe in Erwägung gezogen zu haben, habe sie Bundesrecht verletzt (Art. 95 BGG; Urk. 64 S. 9). Das Bundesgericht hiess die Beschwerde der Oberstaatsanwaltschaft folglich gut, hob das Urteil der erkennenden Kammer vom 26. Februar 2020 auf und wies die Sache zur neuen Beurteilung an das Obergericht des Kantons Zürich zurück. Ferner erwog das Bundesgericht, dass es der Beschuldigten im Rahmen ihres rechtlichen Gehörs freistehe, ihre Vorbringen in der Vernehmlassung bei der obergerichtlichen Neubeurteilung vorzutragen. Das Obergericht des Kantons Zürich werde in diesem Rahmen die von der Beschuldigten neu eingereichten Dokumente berücksichtigen können (Urk. 64 S. 9 f.). Da das erste Berufungsurteil vom Bundesgericht vollumfänglich aufgehoben wurde, ist im zweiten Berufungsverfahren neu über Schuld und Strafe zu entscheiden. Hinsichtlich der Festsetzung des Honorars der amtlichen Verteidigung für das Vorverfahren und das erstinstanzliche Gerichtsverfahren wurde das erste Berufungsurteil nicht beanstandet; die Erwägungen aus jenem Urteil dazu sind in dieses zweite Berufungsurteil zu übernehmen (nachfolgend Erw. V.3. ff.).

  2. Mit Beschluss vom 26. Februar 2020 (Urk. 56 S. 22 f.) hat die hiesige Kammer festgestellt, in welchem Umfang das Urteil des Bezirksgerichtes Horgen, Einzelgericht, vom 12. Oktober 2018 in Rechtskraft erwachsen ist. Im Zusammenhang mit der Feststellung der Rechtskraft hat sich aufgrund des Urteils des Bundesgerichtes nichts geändert. Vorab ist deshalb festzustellen, dass das Urteil des Bezirksgerichtes Horgen, Einzelgericht, vom 12. Oktober 2018 bezüglich der Dispositivziffer 3 (Kostenfestsetzung) in Rechtskraft erwachsen ist.

  1. Sachverhalt

    1. Der Beschuldigten wird gemäss Strafbefehl vom 9. Mai 2018 vorgeworfen (Urk. 6 S. 2 f.), sie habe sich trotz Kenntnis der am 28. August 2014 verfügten

      rechtskräftigen Wegweisung durch das Staatssekretariat für Migration, wonach sie die Schweiz bis 23. Oktober 2014 hätte verlassen müssen, ohne gültigen Aufenthaltstitel und ohne sich um die Beschaffung von gültigen Reisedokumenten zu kümmern, vom 18. Mai 2016 bis 8. Mai 2018 an verschiedenen Orten in der Schweiz, zuletzt in B. , aufgehalten.

    2. Die Beschuldigte hat diesen Sachverhalt im Vorverfahren und vor Vorinstanz stets anerkannt und dies auch im Berufungsverfahren bestätigt (Urk. 1 S. 2; Urk. 2 S. 2 ff.; Urk. 10 S. 3 ff.; Prot. I S. 8 ff.; Prot. II S. 17 ff.).

    3. Das Geständnis der Beschuldigten deckt sich mit dem Untersuchungsergebnis und den migrationsrechtlichen Akten, weshalb der sich aus dem Strafbefehl ergebende Anklagesachverhalt erstellt ist.

  2. Rechtliche Würdigung

  1. Am 1. Januar 2019 ist das neue Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG; SR 142.20) in Kraft getreten. Die Beschuldigte hat das ihr zur Last gelegte Verhalten noch vor Inkrafttreten des AIG begangen. Da sowohl das AIG in dessen

    Art. 115 als auch das im Zeitpunkt der Tat in Kraft stehende AuG in dessen

    Art. 115 für den rechtswidrigen Aufenthalt eine Bestrafung mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr Geldstrafe vorsehen, erweist sich das neue Recht nicht als das mildere. Zur Anwendung gelangt deshalb das AuG (vgl. Art. 126 Abs. 4 AIG).

  2. Gemäss Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG wird bestraft, wer sich rechtswidrig, namentlich nach Ablauf des bewilligungsfreien des bewilligten Aufenthalts, in der Schweiz aufhält. Der Aufenthalt ist rechtswidrig, wenn die Ausländerin im Anschluss an eine unrechtmässige Einreise in der Schweiz verbleibt und wenn sie nach einer ihr angesetzten Ausreisefrist nach Ablauf des bewilligungsfreien des bewilligten Aufenthalts in der Schweiz verbleibt. Ersucht die Ausländerin um eine neue Bewilligung, die Verlängerung einer Bewilligung die Verlängerung der Ausreisefrist, so ist ihr Aufenthalt so lange rechtmässig, als das Gesuch pendent ist ihr nicht rechtskräftig die aufschiebende Wirkung entzogen wur-

    de. Die Strafbarkeit setzt zudem eine gewisse Dauer des rechtswidrigen Aufenthalts voraus (MAURER, in: DONATSCH [Hrsg.], StGB Kommentar, 21. Aufl. 2022,

    N 19 zu Art. 115 AuG). Ferner ist zu beachten, dass verwaltungsgerichtliche Entscheide, etwa im Rahmen von Asylverfahren, für Strafverfahren grundsätzlich verbindlich sind (Urteil des Bundesgerichtes 6B_846/2010, Urteil vom 9. März 2011, E. 2.2 mit Verweis auf BGE 129 IV 246 E. 2.1). In subjektiver Hinsicht wird Vorsatz verlangt, wobei Eventualvorsatz genügt (Art. 12 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 333 Abs. 1 StGB). Im Fall des rechtswidrigen Aufenthalts muss der beschuldigten Person bewusst sein muss sie billigend in Kauf nehmen, dass sie nicht über eine gültige Aufenthaltsbewilligung verfügt (MAURER, in: DONATSCH [Hrsg.], StGB Kommentar, a.a.O., N 30 zu Art. 115 AuG).

    1. Darüber hinaus gilt das Verweilen ohne Bewilligung nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung nur dann als strafbar, wenn es der betroffe- nen ausländischen Person – etwa aufgrund einer Weigerung des Heimatlands, Staatsangehörige zurückzunehmen Ausweispapiere auszustellen – objektiv nicht unmöglich ist, legal aus der Schweiz auszureisen bzw. rechtmässig in das Heimatland zurückzukehren (BGE 143 IV 249 [= Pra 2018 Nr. 78], E. 1.6 m.w.H.). Die Strafbarkeit bleibt jedoch gegeben, wenn die freiwillige Rückkehr in den Heimatstaat grundsätzlich möglich ist. Das ist der Fall, wenn eine legale Ausreise nicht an äusseren Umständen scheitert, die ausserhalb der Einflussmöglichkeiten der zur Mitwirkung verpflichteten, rechtskräftig weggewiesenen Person und der zuständigen Behörden liegen, sondern eine solche nur deshalb nicht zustande kommt, weil die betroffene ausländische Person die Schweiz nicht verlassen will und die rechtmässige Rückkehr in das Heimatland bzw. eine legale Ausreise aus der Schweiz vereitelt. Dies, indem sie zum Beispiel untertaucht und keine Papiere beschafft bzw. den Behörden die insoweit mögliche und zumutbare Mithilfe versagt (Urteil des Bundesgerichtes 6B_482/2010 vom 7. Oktober 2010, E. 3.2.3; M AURER, in: DONATSCH [Hrsg.], StGB Kommentar, a.a.O., N 19 zu Art. 115 AuG

      m.w.H. auf diverse Urteile des Bundesgerichtes).

    2. Mit Asylentscheid des BFM vom 28. August 2014 wurde das Asylgesuch der Beschuldigten abgewiesen (Urk. 3 S. 53 ff. = Urk. 13/4). Die dagegen

      erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 22. Oktober 2014 ab (Urk. 3 S. 42 ff.), wodurch der Asyl- und Wegweisungsentscheid rechtskräftig geworden ist (Urk. 3 S. 39). Dieser verpflichtete die Beschuldigte, die Schweiz bis am 23. Oktober 2014 zu verlassen (Urk. 13/4 S. 6). Mit Schreiben des BFM vom 29. Oktober 2014 kam es zu einer Neuansetzung der Ausreisefrist bis zum 26. November 2014 (Urk. 3 S. 39). Dennoch verblieb die Beschuldigte auch nach Ablauf der vorgenannten Frist weiterhin in der Schweiz. Demzufolge hielt sie sich seither, und damit auch im anklagegegenständlichen Zeitraum vom

      18. Mai 2016 bis 8. Mai 2018, illegal in der Schweiz auf. Dies tat sie gemäss eigenen Angaben im Bewusstsein um die Rechtskraft ihres Wegweisungsentschei- des und der ihr angesetzten Ausreisefrist (Prot. I S. 9; Prot. II S. 8 und S. 13). Somit hielt sich die Beschuldigte trotz Kenntnis der am 28. August 2014 per

      23. Oktober 2014 verfügten Wegweisung zwischen dem 18. Mai 2016 (erste Ver- urteilung wegen rechtswidrigen Aufenthaltes vom 17. Mai 2016 [Urk. 5/1]) und ihrer Verhaftung vom 8. Mai 2018 (Urk. 4/1) rechtswidrig in der Schweiz auf. Folglich erfüllt das anklagegegenständliche Verhalten der Beschuldigten sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG.

    3. Von einer objektiven Unmöglichkeit im Sinne des Schuldprinzips ist gemäss der bisherigen Rechtsprechung auszugehen, wenn für die Undurchführbarkeit des Vollzugs der Wegweisung triftige Gründe sprechen praktisch feststeht, dass sich die Ausreise kaum realisieren lassen wird (vgl. BGE 125 II

      217 E. 2). Dies ist in der Regel nur der Fall, wenn die Ausreise trotz Mitwirkung bei der Papierbeschaffung mit grosser Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen erscheint. Als rechtliche Gründe können der Wegweisung das Gebot des Nonrefoulements eine Unzumutbarkeit des Vollzugs entgegenstehen, weil der Ausländer im Heimatstaat einer konkreten Gefährdung ausgesetzt wäre (Art. 83 Abs. 3 und 4 AuG; vgl. BGE 125 II 217 E. 2). Diesbezüglich sind die Prüfungspflichten des Strafgerichts allerdings beschränkt, denn Gegenstand seines Verfahrens bildet ausschliesslich Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG, indessen nicht auch die Wegweisungsfrage. Über diese entscheiden die zuständigen ausländerrechtlichen Behörden abschliessend und verbindlich (vgl. BGE 125 II 217 E. 2). Das Strafgericht hat die Rechtswidrigkeit des Aufenthalts im Sinne von Art. 115 Abs. 1 lit. b

      AuG diesbezüglich grundsätzlich nur zu verneinen, wenn sich der zu sichernde Wegweisungsentscheid als offensichtlich unzulässig erweist (vgl. BGE 125 II

      217 E. 2; 121 II 59 E. 2c; zur Überprüfungsbefugnis von Verwaltungsverfügungen durch das Strafgericht vgl. auch BGE 129 IV 246 E. 2.1 f.). Der zu sichernde Wegweisungsentscheid erweist sich nicht als offensichtlich unzulässig, wenn eine Wegweisung trotz allfälliger Unzumutbarkeit vollzogen werden soll, sofern sich der Betroffene wegen seiner Straffälligkeit nicht darauf berufen kann (Urteil des Bundesgerichtes 6B_566/2017 vom 9. Oktober 2017 E. 3.3). Sofern die Beschul- digte die Ausreise im tatrelevanten Zeitpunkt als unzumutbar erachtet, hätte sie sich an die Migrationsbehörde wenden müssen, wobei zu prüfen gewesen wäre, ob sie sich auf eine allfällige Unzumutbarkeit der Ausreise im Sinne von Art. 83 Abs. 1 und 4 AuG berufen kann. Nur unter diesen Voraussetzungen würden entsprechende Vorbringen auch eine objektive Unmöglichkeit der Ausreise im Sinne des strafrechtlichen Schuldprinzips zu begründen vermögen (vgl. Urteil des Bun- desgerichtes 6B_566/2017 vom 9. Oktober 2017 E. 3.4).

    4. Gegen den ablehnenden Asylentscheid stellte die Beschuldigte verschiedene Wiedererwägungsgesuche. Mit Entscheid des Staatssekretariats für Migration (nachfolgend: SEM) vom 10. April 2015 wurde das Wiedererwägungsgesuch der Beschuldigten abgewiesen (Urk. 13/5). Im Entscheid wurde festgehalten, die Beschuldigte mache zur Begründung ihres Gesuchs geltend, dass der eingereichte ärztliche Bericht ihre bereits im Rahmen des ordentlichen Asylverfahrens geltend gemachten psychischen Beschwerden bestätigen würde, welche sie von den Erlebnissen in C. davongetragen habe (Urk. 13/5 S. 1). Das SEM führte zur Begründung seines Entscheids aus, in Bezug auf die gesundheitliche Situation sei prinzipiell erwähnt, dass medizinische Gründe nur dann ein Wegweisungshindernis darstellen würden, wenn die Rückführung zu einer lebensbedrohlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes führen würde. Dies sei bei der Beschuldigten nicht gegeben, da es sich um eine psychische Erkrankung handle und der Arztbericht explizit festhalte, dass kein Hinweis auf eine Selbstgefährdung bestehe. Die diagnostizierte depressive Episode mit psychotischen Symptomen stelle demnach kein Wegweisungshindernis dar. Zudem sei erwähnt, dass auch Krankenhäuser in C. psychiatrische Behandlungen anbieten

      würden, insbesondere auch das in D. situierte E. -Spital, welches auch über die entsprechenden Medikamente verfüge (Urk. 13/5 S. 2 f.). Auf die von der Beschuldigten erhobenen Beschwerden gegen die Entscheide des SEM wurde mit Urteilen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23. Juni 2015 und 22. August 2017 nicht eingetreten (Urk. 13/6-7).

    5. Zusammen mit der Berufungsbegründung reichte die amtliche Verteidigung diverse Dokumente ein und macht geltend, diese würden Umstände belegen, welche bei der Beschuldigten erst nach Abschluss der Parteivorträge im ersten Berufungsverfahren eingetreten und gemäss den Erwägungen des Bundesgerichtes im zweiten Berufungsverfahren zu berücksichtigen seien. Die Beschul- digte verfüge inzwischen über eine Aufenthaltsbewilligung für die Schweiz, da das Migrationsamt des Kantons Zürich der Empfehlung der Härtefallkommission vom

      23. September 2019 gefolgt sei und das Härtefallgesuch der Beschuldigten gutgeheissen habe (Urk. 72 S. 3; Urk. 73/1-3).

    6. Gemäss Schreiben des Migrationsamtes des Kantons Zürich vom

28. Oktober 2020 wurde das Härtefallgesuch der Beschuldigten bewilligt und ihr eine Aufenthaltsbewilligung per 20. Oktober 2020 erteilt (Urk. 73/3). Damit ist das Migrationsamt der Empfehlung der Härtefallkommission des Kantons Zürich vom

23. September 2019 gefolgt (Urk. 73/1). Die Härtefallkommission hält in ihrer Empfehlung zusammenfassend fest, der Gesundheitszustand der Beschuldigten sei sehr angeschlagen. Seit Februar 2016 befinde sie sich aufgrund psychischer Probleme in Therapie, welche durch eine medikamentöse Behandlung mit Anti- depressiva und Antipsychotika unterstützt werde. So sei bei der Beschuldigten ein schweres posttraumatisches Belastungssyndrom diagnostiziert worden, ebenso periodisch psychotische Symptome sowie eine chronifizierte Depression gemischt mit Ängsten. Die behandelnde Therapeutin der Beschuldigten, lic. phil. F. , habe grosse Erfahrung im Umgang mit Kriegs- und Gewaltopfern: Sie sei bereits 1999 im G. in einem Konfliktgebiet im Einsatz gewesen, habe in H. Überlebende des Genozids von 1994 betreut und wirke als … der Zürcher Fachstelle für Psychotraumatologie, bei welcher sie als Arbeitsschwerpunkte die Behandlung von … angebe. Insofern könne ihrer Einschätzung, wonach keine

Zweifel daran bestehen würden, dass Gewalterfahrungen tatsächlich stattgefun- den hätten, durchaus geglaubt werden, und die Bemerkung, dass ihr in über

25 Jahren Tätigkeit als Traumatherapeutin für Kriegs- und Folteropfer selten eine derart krasse Gewaltgeschichte mit derart gravierenden psychischen Auswirkungen begegnet sei, sei umso schwerer zu gewichten. Auch weise die Therapeutin darauf hin, dass die Beschuldigte die traumatisierenden Jahre in der Haft in

C. in der Therapie mit vielen Details schildere, dies im Gegensatz zum Asylverfahren, in welchem der Mangel an detaillierten Schilderungen als Hinweis auf ihre fehlende Glaubwürdigkeit gewertet worden sei. Nach Ansicht der Kommission zeuge dies von dem zwischen der Beschuldigten und ihrer Therapeutin bestehenden Vertrauensverhältnis, was nicht zuletzt der Grund sein dürfte, dass die Therapie nun Wirkung zu zeigen beginne. Demgegenüber schätze die Therapeutin die Behandlungsmöglichkeiten in C. aufgrund ihrer eigenen Anwesenheit vor Ort im Jahr 2005 als sehr begrenzt ein. Die psychiatrische Versorgung sei sehr notdürftig. Es gebe keine Krankenversicherung, und der Zugang zu ambulanten, nichtstaatlichen Diensten sei wegen des enormen Andrangs eingeschränkt. Die einzige psychiatrische Klinik in D. sei nach Angaben des Kli- nikdirektors für die Behandlung von Traumatisierten nicht ausgestattet (Urk. 73/1 S. 4 f.).

      1. Die Kommission hält ferner fest, dass die psychischen Beschwerden und die posttraumatische Belastungsstörung der Beschuldigten auf den ersten Blick kein Vollzugshindernis zu begründen vermögen, als dass die Rückführung nicht per se zu einer lebensbedrohlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes führen dürfte. Dies sei bei rein psychischen Erkrankungen jedoch immer der Fall. Allerdings könne gemäss der Ärztin der Beschuldigten selbst dann, wenn der Zugang zu den nötigen Medikamenten und der begleitend notwendigen Therapie durch eine weibliche, auf Gewaltopfer spezialisierte Therapeutin im Herkunftsstaat tatsächlich gewährleistet wäre, davon ausgegangen werden, dass im Falle einer Rückschaffung die psychotischen Symptome sowie die weiteren Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung massiv ansteigen würden. Es bestünde auch die Gefahr einer andauernden Persönlichkeitsveränderung durch Extrembelastung, und es wäre mit grosser Wahrscheinlichkeit mit einem

        Suizidversuch zu rechnen. In Anbetracht dieser Tatsachen könne eine Rückschaffung bei dieser Symptomatik durchaus lebensbedrohlich sein. Die psychische Erkrankung der Beschuldigten sei nach Ansicht der Kommission so schwer, dass eine Rückkehr in ihren Herkunftsstaat für sie eine unzumutbare Härte darstellen würde (Urk. 73/1 S. 7 f.).

      2. Die Härtefallkommission stützt sich bei ihrer Empfehlung auf den ärztlich-psychologischen Bericht von Dr. med. I. und lic. phil. F. (Urk. 22/1). In diesem Bericht wird festgehalten, es grenze an ein Wunder, dass die Beschuldigte die lange, nicht endende Kette von Ausbeutung, Folter, Missbrauch und sexueller Gewalt in der Zeit zwischen dem 12. und 24. Lebensjahr psychisch habe überleben können. In ihrer 25-jährigen Tätigkeit als Traumatherapeutin für Kriegs- und Folteropfer sei ihr selten eine derart krasse Gewaltgeschichte mit derart gravierenden psychischen Auswirkungen begegnet. Die vorliegenden Befunde würden einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung (ICD 10: F 43.1) entsprechen. Es handle sich um eine schwere PTSD, weil alle Symptome in ausgeprägter Form vorhanden seien. Zusätzlich zur PTSD würden periodisch psychotische Symptome und zudem eine chronifizierte Depression gemischt mit Ängsten (ICD 10: F 41.2) vorliegen. Durch die begründete Angst, erneut Opfer zu werden und durch die fehlende Sicherheit in ihrem Herkunftsstaat würde die Beschuldigte mit Sicherheit erneut traumatisiert. Eine Rückschaffung würde die in der Heimat erlebten Ängste wachrufen, von denen sie sich hier in der sicheren Schweiz zum Teil habe distanzieren können. Es müsse dann mit einer Zunahme der psychotischen Symptome gerechnet werden. Ferner bestünde die Gefahr ei- ner andauernden Persönlichkeitsveränderung durch Extrembelastung (ICD 10:

F 62.0). Mit Sicherheit sei ein schwerer Rückfall in die depressive Symptomatik zu erwarten, und mit grosser Wahrscheinlichkeit sei mit einem Suizidversuch zu rechnen (Urk. 22/1 S. 3 ff.).

    1. Gestützt auf den ärztlich-psychologischen Bericht von Dr. med. I. und lic. phil. F. (Urk. 22/1) sowie in Übereinstimmung mit der Verteidigung (Urk. 72 S. 4) ist davon auszugehen, dass die Gründe für die Unzumutbarkeit der Rückreise der Beschuldigten – nämlich ihre schwere psychische Erkrankung und

      ihr angeschlagener gesundheitlicher Zustand – in den Ereignissen liegen, die ihr in ihrem Herkunftsstaat C. wiederfahren sind und bereits ab Verlassen von C. – folglich auch im anklagegegenständlichen Zeitraum vom 18. Mai 2016 bis 8. Mai 2018 – bestanden haben. Zu diesem Schluss ist auch die Härtefallkommission gekommen, weshalb ihre detaillierte und begründete Empfehlung auf Gutheissung des Härtefallgesuchs der Beschuldigten lautete (Urk. 73/1). Die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung steht unter der Bedingung der Zustimmung durch das SEM (vgl. Urk. 72/2-3), entsprechend haben die Härtefallkommission, das SEM und das Migrationsamt übereinstimmend festgestellt, dass es der Beschuldigten nicht zuzumuten ist, in ihren Herkunftsstaat C. zurückzukehren, da sie dort aufgrund ihrer schweren psychischen Erkrankung respektive ihres angeschlagenen Gesundheitszustandes einer konkreten Gefährdung ausgesetzt wäre. Deshalb wurde der Beschuldigten eine Aufenthaltsbewilligung per

      20. Oktober 2020 erteilt (Urk. 73/3). Über die Wegweisungsfrage hat somit die zuständige ausländerrechtliche Behörde abschliessend und verbindlich entschieden (vgl. vorstehend, Erw. IV.2.3.), und es ist nicht ersichtlich, inwiefern sich der Entscheid des Migrationsamtes, der Beschuldigten eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen, als offensichtlich unzulässig erweisen sollte. Auch die Feststellungen der Härtefallkommission, welchen das SEM und das Migrationsamt gefolgt sind, überzeugen, sind begründet und erweisen sich nicht als offensichtlich unzulässig. Im anklagegegenständlichen Zeitpunkt lagen bei der Beschuldigten somit aufgrund ihrer schweren psychischen Erkrankung respektive ihres angeschlagenen gesundheitlichen Zustandes rechtliche Wegweisungshindernisse im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung vor, die insbesondere ausserhalb ihrer Einflussmöglichkeiten liegen und damit eine Strafbarkeit wegen rechtswidrigen Aufenthalts ausschliessen.

    2. Bei der Beschuldigten liegen damit auch berechtigte Gründe für die Nichtrückkehr vor, wie sie das Rückkehr-Handbuch der EU-Kommission in Umsetzung der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 16. Dezember 2008 über die gemeinsamen Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung sich illegal aufhaltender Drittstaatenangehöriger (EU-Rückführungsrichtlinie) vorsieht. In der EU-Rückführungsrichtlinie sind

      gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger festgelegt. Die Empfehlung 2017/2339 der Kommission vom 16. November 2017 verpflichtet, das jeweils aktualisierte Rückkehr-Handbuch bei der Durchführung rückkehrbezogener Aufgaben heranzuziehen, welches für das Bundesgericht ebenfalls als verpflichtend angesehen wird (vgl. Urteil des Bundesgerichtes 6B_1365/2019 vom 11. März 2020). In Ziffer 4 des Rückkehr-Handbuches wird festgestellt, dass es berechtigte Gründe für die Nichtrückkehr gibt. Das sind Gründe im persönlichen Bereich des Rückzuführen- den, die durch das Unionsrecht und das nationale Recht als rechtmässig berechtigt anerkannt werden, unter anderem gesundheitliche Probleme familiäre Gründe. Nicht berechtigte Gründe für die Nichtrückkehr liegen innerhalb des Einflussbereiches des Rückzuführenden und können mangelnde Kooperation bei der Beschaffung der Reisedokumente der Offenlegung der Identität, in der Vernichtung von Dokumenten, der Flucht Behinderung der Abschiebung sein (vgl. Ziff. 4 Rückkehr-Handbuch). Aufgrund der psychischen Erkrankung respektive der gesundheitlichen Probleme der Beschuldigten liegen bei ihr somit auch berechtigte Gründe für die Nichtrückkehr vor, wie sie das Rückkehr-Handbuch der EU-Kommission in Umsetzung der EU-Rückführungsrichtlinie vorsieht.

    3. Nicht gefolgt werden kann zudem dem Einwand der Staatsanwaltschaft, wonach die gesundheitlichen Beschwerden der Beschuldigten bereits im Asylverfahren geprüft worden seien und nicht dazu geführt hätten, dass ihr Asylgesuch gutgeheissen worden wäre (Urk. 77 S. 3). In Übereinstimmung mit der amtlichen Verteidigung (Urk. 81 S. 2) geht aus dem Asylentscheid des BFM vom 28. August 2014 gerade nicht hervor, dass die gesundheitliche Situation der Beschuldigten bereits damals Gegenstand des Verfahrens gewesen wäre, sondern es ging einzig um ihre Verfolgung, Festnahme und Inhaftierung in C. , was als nicht glaubhaft befunden worden war (vgl. Urk. 82). Der angeschlagene gesundheitliche Zustand der Beschuldigten, welcher gemäss ärztlichem Bericht ursächlich auf das Erlebte und die Vorfälle in ihrem Herkunftsstaat C. zurückzuführen ist, wurde im Asylverfahren noch nicht detailliert abgeklärt und bildete auch nicht die Grundlage des damaligen Asylentscheids. Was für Auswirkungen eine Rückkehr der Beschuldigten in ihren Herkunftsstaat C. auf ihre Gesundheit hätte und

ob der Vollzug der Wegweisung für sie zumutbar wäre, wurde erst im Rahmen der Härtefallprüfung angemessen und fundiert untersucht, wobei die zuständigen ausländerrechtlichen Behörden zum Schluss gekommen sind, eine Rückkehr sei für die Beschuldigte nicht zumutbar, weshalb ihr eine Aufenthaltsbewilligung für die Schweiz erteilt wurde.

3. Da es der Beschuldigten aufgrund ihres angeschlagenen Gesundheitszustandes respektive ihrer schweren psychischen Erkrankung, welche seit Verlassen ihres Herkunftsstaates und demzufolge auch im anklagegegenständlichen Zeitraum bestand, zumal die Ursache dafür in den dort erlebten Geschehnissen liegt, nicht zumutbar gewesen ist, in ihren Herkunftsstaat C. zurückzukehren, handelte die Beschuldigte nicht schuldhaft. Entsprechend ist sie vom Vorwurf des rechtswidrigen Aufenthalts im Sinne von Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG freizusprechen.

V. Kosten- und Entschädigungsfolgen

  1. Ausgangsgemäss sind die Kosten des Vorverfahrens und des erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens, einschliesslich derjenigen der amtlichen Verteidigung, auf die Gerichtskasse zu nehmen (Art. 426 Abs. 1 StPO e contrario).

  2. Die Beschuldigte obsiegte mit ihren Berufungsanträgen im ersten Berufungsverfahren (SB190063) vollumfänglich, weshalb die Kosten des Berufungsverfahrens, einschliesslich derjenigen der amtlichen Verteidigung, auf die Gerichtskasse zu nehmen sind (Art. 428 Abs. 1 StPO). Die amtliche Verteidigung machte für das erste Berufungsverfahren (SB190063) eine Entschädigung in der Höhe von Fr. 7'381.05 (inkl. Mehrwertsteuer; Urk. 51) geltend. Angesichts des Umstandes, dass der Verteidiger bereits über entsprechende Aktenkenntnisse verfügte, und unter Berücksichtigung der beschränkten Schwierigkeit des Falles erweist sich die von der Verteidigung geltend gemachte Entschädigung als nicht angemessen. Gestützt auf die Anwaltsgebührenverordnung und unter Berücksichtigung des Aufwandes für das Ausstandsbegehren erscheint eine Entschädigung in der Höhe von pauschal Fr. 5'000.– für das erste Berufungsverfahren als angemessen (§ 18 in Verbindung mit § 17 AnwGebV; vgl. auch Erw. V.3.2.3. ff.). Die amtliche Verteidigung ist somit für das erste Berufungsverfahren (SB190063) mit Fr. 5'000.– aus der Gerichtskasse zu entschädigen.

  3. Mit rechtzeitiger Beschwerde der amtlichen Verteidigung vom 8. Februar 2019 gegen die vorinstanzliche Festsetzung ihres Honorars (Urteilsdispositivziffer 5; Urk. 30 S. 18 ff., S. 26) wird beantragt (Urk. 40/2):

1. Es sei Dispositiv-Ziffer 5 des Urteils des Bezirksgerichtes Horgen vom

12. Oktober 2018 (Geschäfts-Nr. GB180008-F) aufzuheben;

  1. Es sei die Entschädigung des amtlichen Verteidigers auf CHF 6'702.90 festzulegen;

  2. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten des Staates.

    1. Zur Begründung wird im Wesentlichen geltend gemacht (Urk. 40/2

      S. 3 ff.), die amtliche Verteidigung sei mit Verfügung der Oberstaatsanwaltschaft vom 24. Mai 2018 gestützt auf Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO angeordnet worden. Der Antrag auf Bestellung der amtlichen Verteidigung sei eine notwendige Eingabe zur Geltendmachung der der Beschuldigten zustehenden Verteidigungsrechte gewesen, weshalb die vorinstanzliche Kürzung um 1,5 Stunden nicht gerechtfertigt sei. Der vorausgehende Aufwand für Übernahme des Mandats, wie Telefonate, Abklärungen, E-Mails, Terminabsprachen, etc., hätten keinen Eingang in die Honorarnote gefunden. Das Schreiben an seine Mandantin vom 16. Mai 2018 sei notwendig gewesen (18 Minuten), da es die Pflicht des Mandatars sei, die Klientschaft über sämtliche Schritte ins Bild zu setzen und Handlungen abzusprechen, Rechenschaft abzulegen. Die Korrespondenz mit der Therapeutin der Beschuldigten (24 Minuten) sowie die Auseinandersetzung mit den Arztberichten (30 Minuten) sei notwendig gewesen, da die Gesundheit der Beschuldigten im Strafverfahren eine wesentliche Rolle spiele. Es seien Abklärungen zur Hafterstehungsfähigkeit vorgenommen worden. Dies zu unterlassen wäre sorgfaltspflichtwidrig gewesen. Die Vorbereitung (30 Minuten) und Nachbearbeitung der staatsanwaltschaftlichen Einvernahme vom 4. Juli 2018 (3 Stunden) seien notwendig gewesen und unter Beizug einer Dolmetscherin erfolgt. Zudem sei die Wegzeit (1 Stunde) voll zu entschädigen. Die von der Vorinstanz für das erstinstanzliche Gerichtsverfahren festgesetzte Pauschale von Fr. 1'518.00 (entsprechend 6,9 Stunden) sei für eine wirksame Verteidigung der Beschuldigten ungenügend, da der Aktenumfang

      angesichts der Migrationsakten von 300 Seiten nicht klein sei und der Fall schwierige Fragen in tatsächlicher Hinsicht, wie etwa bezüglich der Staatsbürgerschaft der Beschuldigten, aufweise und auch in rechtlicher Hinsicht schwierige Fragen aufwerfe, weshalb es sich um einen komplexen Fall handle. Auch bedeute das Geständnis der Beschuldigten nicht, dass der Fall als Ganzes einfach zu beurteilen sei, da die Beschuldigte lediglich eingestanden habe, dass sie hier sei. Das Studium der Migrationsakten und das Erstellen der Plädoyernotizen werde durch die Pauschale nicht abgedeckt. Diese reiche bloss für die Vorbereitung der Beschuldigten auf die Hauptverhandlung, deren Durchführung und die Besprechung des Urteils. Es sei daher ein für das Vorverfahren und das erstinstanzliche Gerichtsverfahren geltend gemachter Aufwand von Fr. 6'702.90 (inkl. Barauslagen und Mehrwertsteuer) zu entschädigen (Urk. 40/2 S. 8; Urk. 40/3/2).

    2. Die amtliche Verteidigung erfüllt eine staatliche Aufgabe, welche durch das kantonale öffentliche Recht geregelt wird. Mit ihrer Einsetzung entsteht mit dem Staat ein besonderes Rechtsverhältnis. Gestützt darauf hat der Anwalt eine öffentlichrechtliche Forderung gegen den Staat auf Entschädigung im Rahmen der anwendbaren kantonalen Bestimmungen (BGE 131 I 217 E. 2.4; BGE 122 I 1

E. 3a). Der amtliche Anwalt kann aus Art. 29 Abs. 3 BV einen Anspruch auf Entschädigung und Rückerstattung seiner Auslagen herleiten. Dieser umfasst aber nicht alles, was für die Wahrnehmung der Interessen der Mandantschaft von Be- deutung ist. Ein verfassungsrechtlicher Anspruch besteht nur, soweit es zur Wahrung der Rechte notwendig ist. Nach diesem Massstab bestimmt sich der Anspruch sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht, d.h. in Bezug auf den Umfang der Aufwendungen. Entschädigungspflichtig sind danach nur jene Bemühungen, die in einem kausalen Zusammenhang mit der Wahrung der Rechte im Strafverfahren stehen und die notwendig und verhältnismässig sind. Das Honorar muss allerdings so festgesetzt werden, dass der unentgeltlichen Rechtsvertretung ein Handlungsspielraum verbleibt und sie das Mandat wirksam ausüben kann (BGE 141 I 124 E. 3.1 mit weiteren Hinweisen). Nicht zu entschädigen sind nutzlose, überflüssige und verfahrensfremde Aufwendungen (BGE 117 Ia 22

E. 4b).

      1. Nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung wird es als zulässig erachtet, das Honorar für amtliche Mandate im Vergleich zu jenem der freien Mandate tiefer anzusetzen (BGE 139 IV 261 E. 2.2.1; BGE 132 I 201

        E. 7.3.4).

      2. Eine Verletzung des Willkürverbots – und mittelbar auch der Wirtschaftsfreiheit – liegt erst dann vor, wenn die zugesprochene Entschädigung die Selbstkosten nicht zu decken und einen zwar bescheidenen, nicht aber bloss symbolischen Verdienst nicht zu gewährleisten vermag. Im Sinne einer Faustregel hat das Bundesgericht festgehalten, dass sich die Entschädigung für einen amtlichen Anwalt im schweizerischen Durchschnitt in der Grössenordnung von

        Fr. 180.– pro Stunde (zuzüglich Mehrwertsteuer) bewegen muss, um vor der Verfassung standzuhalten (BGE 141 I 124 E. 3.2; BGE 132 I 201 E. 8.6 f.).

      3. Die amtliche Verteidigung wird nach dem Anwaltstarif des Bundes desjenigen Kantons entschädigt, in dem das Strafverfahren geführt wurde (Art. 135 Abs. 1 StPO). Massgebend ist somit die Verordnung des Obergerichtes des Kantons Zürich über die Anwaltsgebühren vom 8. September 2010 (Anw- GebV, LS ZH 215.3; siehe auch Leitfaden amtliche Mandate der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich vom 1. Januar 2016).

        1. Gemäss § 16 Abs. 1 AnwGebV bemisst sich die Gebühr im Vorverfahren nach den Art. 299 ff. StPO nach dem notwendigen Zeitaufwand der Vertretung. Es gelten die Ansätze gemäss § 3 AnwGebV; für amtliche Mandate in der Regel Fr. 220.– (bzw. bis 31. Dezember 2014 Fr. 200.–) pro Stunde. Für die Führung eines Strafprozesses einschliesslich Vorbereitung des Parteivortrages und Teilnahme an der Hauptverhandlung beträgt die Grundgebühr in der Regel vor dem Einzelgericht Fr. 600.– bis Fr. 8000.– und vor Bezirksgericht Fr. 1'000.– bis Fr. 28'000.– (§ 17 Abs. 1 AnwGebV). Zur Grundgebühr werden Zuschläge berechnet und zwar für jede zusätzliche Verhandlung (Vorverhandlung, Vergleichsverhandlung, vorgängige Beweiserhebung), für jede weitere notwendige Rechtsschrift und für über den ersten Tag hinausgehende Verhandlungstage, wie Ergänzungsoder Beweisverhandlungen (§ 17 Abs. 2 AnwGebV). § 11 Abs. 2 und 3 AnwGebV sind analog anwendbar (§ 17 Abs. 3 AnwGebV).

        2. Gemäss § 2 Abs. 1 lit. b AnwGebV bilden im Strafprozess die Be- deutung des Falles, die Verantwortung des Anwalts und die Schwierigkeit des Falles Grundlage für die Festsetzung der Gebühr. Bei einem offensichtlichen Missverhältnis zwischen dem Streitwert und dem notwendigen Zeitaufwand der Vertretung wird die gemäss Verordnung berechnete Gebühr entsprechend erhöht herabgesetzt (§ 2 Abs. 2 AnwGebV). In Strafverfahren gilt die Regel von Abs. 2 sinngemäss (§ 2 Abs. 3 AnwGebV).

      4. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist es zulässig, für das Anwaltshonorar Pauschalen vorzusehen. Bei einer Honorarbemessung nach Pauschalbeträgen werden alle prozessualen Bemühungen zusammen als einheitliches Ganzes aufgefasst und der effektive Zeitaufwand lediglich im Rahmen des Tarifansatzes berücksichtigt. Pauschalen nach Rahmentarifen erweisen sich aber dann als verfassungswidrig, wenn sie auf die konkreten Verhältnisse in keiner Weise Rücksicht nehmen und im Einzelfall ausserhalb jedes vernünftigen Verhältnisses zu den vom Rechtsanwalt geleisteten Diensten stehen (BGE 141 I 124 E. 4.3; BGE 143 IV 453 E. 2.5.1).

    1. Der von der amtlichen Verteidigung für das Vorverfahren geltend gemachte Aufwand erweist sich als angemessen. So ist insbesondere auch der Aufwand für das Gesuch um Bestellung einer amtlichen Verteidigung für die Beschuldigte von 1.50 Stunden zu entschädigen. Beim Anruf der Therapeutin vom

      2. Juli 2017 stellt sich die Frage, ob diese Position allenfalls nicht zu entschädigende soziale Betreuungszeit betrifft. Die Frage der Hafterstehungsfähigkeit der Beschuldigten stellte sich zu jener Zeit nicht. Angesichts der Geringfügigkeit dieser singulären Position ist der geltend gemachte Aufwand von 0.40 Stunden je- doch zu entschädigen. Die staatsanwaltschaftliche Befragung dauerte netto

      1 Stunde und 5 Minuten. Hinzu kommen praxisgemäss 1.00 Stunde Wegentschä- digung. Der geltend gemachte Zusatz für Vor- und Nachbesprechung mit der Beschuldigten von 45 Minuten bewegt sich an der oberen Grenze, erweist sich angesichts der notwendigen Übersetzung aber gerade noch als angemessen, weshalb der gesamte für diese Position geltend gemachte Aufwand (3.00 Stunden) zu entschädigen ist. Für das Vorverfahren ist somit der gesamte für den Zeitraum

      1. ai 2018 bis 10. August 2018 geltend gemachte Aufwand von 11 Stunden (Urk. 40/3/2) zu entschädigen.

    2. Dass die Vorinstanz für das erstinstanzliche Gerichtsverfahren ei- ne Pauschale festgesetzt hat, ist nicht zu beanstanden (vgl. vorstehend,

      Erw. VII.3.2.3.1. f.). Dem Vorderrichter ist auch darin zuzustimmen, dass es sich um einen einfachen Standardfall handelt, dessen Aktenumfang klein ist. Die Aktenanlage des Vorverfahrens umfasst denn auch bloss 16 Aktoren, teilweise mit üblichen Beilagenmäppchen. Das vorinstanzliche Aktenverzeichnis umfasst lediglich 26 Aktoren, wobei das erste Aktorum die Akten des Vorverfahrens (1/1-14) umfasst. Die von der amtlichen Verteidigung ins Feld geführten massgeblichen Migrationsakten umfassen total 90 Seiten (Urk. 3: 59 Seiten; Urk. 13/1–10:

      31 Seiten) und sind teilweise sogar doppelt geführt. Die vorinstanzlichen Plädoyernotizen umfassen 9 Seiten, mit zwei Beilagen (Urk. 21; Urk. 22/1+2). Entgegen der Auffassung der Verteidigung stellen sich auch keine schwierigen Fragen tatsächlicher Natur und die Rechtsfragen bewegen sich in einem für solche Verfahren üblichen Rahmen, wobei das Rechtsstudium ohnehin nicht zum zu entschädigenden Aufwand gehören würde (Leitfaden amtliche Mandate, Ausgabe 2016

      S. 61).

    3. Die im angefochtenen Urteil für das vorinstanzliche Gerichtsverfahren festgesetzte Pauschale von Fr. 1'518.–, zuzügl. MWSt (Urk. 30 S. 24, Ziff. 5.3.), erweist sich dennoch als etwas zu knapp bemessen. Angesichts der erwähnten, in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht überschaubaren Dimension des Falles (vorstehend, Erw. V.3.4.) erweist sich im Rahmen der für die Führung eines Strafprozesses einschliesslich Vorbereitung des Parteivortrages und Teilnahme an der Hauptverhandlung vor dem Einzelgericht gegebenen Bandbreite Fr. 600.– bis

      Fr. 8000.– eine Pauschale von Fr. 3'000.– (inkl. Barauslagen und MWSt) als für eine wirksame Verteidigung der Beschuldigten genügende und angemessene Entschädigung.

    4. Somit ist die amtliche Verteidigung für das Vorverfahren und das erstinstanzliche Gerichtsverfahren mit insgesamt Fr. 5'700.– (inkl. Barauslagen und MWSt) zu entschädigen.

    5. Da die amtliche Verteidigung mit ihrer Honorarbeschwerde grösstenteils durchdringt, ist sie zudem für den Aufwand im Beschwerdeverfahren mit pauschal Fr. 950.– (4 Stunden, inkl. MWSt), zu entschädigen.

    1. Die Kosten des zweiten Berufungsverfahrens (SB210583) sind entstan- den, weil das erste Urteil der erkennenden Kammer im bundesgerichtlichen Verfahren aufgehoben wurde. Sie sind demgemäss, einschliesslich der Kosten der amtlichen Verteidigung für das zweite Berufungsverfahren in der Höhe von

      Fr. 2'984.10 (inkl. Barauslagen und MWSt; Urk. 73/4), auf die Gerichtskasse zu nehmen (Art. 426 Abs. 3 lit. a StPO).

    2. Die Beschuldigte lässt die Zusprechung einer Genugtuung in der Höhe von Fr. 400.– für die zu Unrecht erlittene Untersuchungshaft beantragen (Urk. 72 S. 2).

      1. Wird das Verfahren eingestellt die beschuldigte Person freigesprochen, hat sie gemäss Art. 429 Abs. 1 lit. c StPO Anspruch auf Genugtuung für besonders schwere Verletzungen ihrer persönlichen Verhältnisse, insbesondere bei Freiheitsentzug. Die Festlegung der Genugtuungssumme beruht auf richterlichem Ermessen, wobei bei der Ausübung dieses Ermessens den Besonderheiten des Einzelfalles entscheidendes Gewicht zukommt. Sofern nicht aussergewöhnliche Umstände vorliegen, die eine höhere eine geringere Entschädigung rechtfertigen, erachtet das Bundesgericht bei kürzeren Freiheitsentzügen Fr. 200.– pro Tag als angemessene Genugtuung. Bei längerer Untersuchungshaft (von mehreren Monaten Dauer) ist der Tagessatz in der Regel zu senken, da die erste Haftzeit besonders erschwerend ins Gewicht fällt (Urteile des Bundesgerichtes 6B_111/2012 vom 15. Mai 2012 E. 4.2 und 6B_196/2014 vom 5. Juni 2014

        E. 1.2).

      2. Die Beschuldigte befand sich vom 8. Mai 2018 bis zum 9. Mai 2018 – und damit während 2 Tagen – in Untersuchungshaft (Urk. 4/1; Urk. 4/4). Angesichts der insgesamt kurzen Dauer erscheint die von der Verteidigung in Anleh- nung an die bundesgerichtliche Rechtsprechung beantragte Entschädigung von

Fr. 200.– pro Hafttag als angemessen. Der Beschuldigten ist damit für die von ihr erlittene Untersuchungshaft eine Genugtuung von Fr. 400.– auszurichten.

Es wird beschlossen:

  1. Es wird festgestellt, dass das Urteil des Bezirksgerichtes Horgen, Einzelgericht, vom 12. Oktober 2018 bezüglich der Dispositivziffer 3 (Kostenfestsetzung) in Rechtskraft erwachsen ist.

  2. Schriftliche Mitteilung mit nachfolgendem Urteil.

Es wird erkannt:

  1. Die Beschuldigte A1.

    (vormals A2.

    ) ist nicht schuldig und wird

    freigesprochen vom Vorwurf des rechtswidrigen Aufenthaltes im Sinne von Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG.

  2. Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr für das erste Berufungsverfahren (SB190063) fällt ausser Ansatz. Die weiteren Kosten betragen:

    Fr. 5'000.– amtliche Verteidigung.

  3. Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr für das zweite Berufungsverfahren (SB210583) fällt ausser Ansatz. Die weiteren Kosten betragen:

    Fr. 2'984.10 amtliche Verteidigung.

  4. Die Kosten der Untersuchung und des gerichtlichen Verfahrens beider Instanzen, einschliesslich derjenigen der amtlichen Verteidigung, werden auf die Gerichtskasse genommen.

  5. Rechtsanwalt Dr. iur. HSG X. wird für seine Bemühungen und Barauslagen als amtlicher Verteidiger im Vorverfahren und vor Vorinstanz mit insgesamt Fr. 5'700.– und für das Beschwerdeverfahren mit Fr. 950.– aus der Gerichtskasse entschädigt.

  6. Der Beschuldigten wird für 2 Tage erstandene Haft eine Genugtuung von Fr. 400.– aus der Gerichtskasse zugesprochen.

  7. Schriftliche Mitteilung in vollständiger Ausfertigung an

    • die amtliche Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden der Beschuldigten

    • die Staatsanwaltschaft Limmattal / Albis

    • das Staatssekretariat für Migration, Postfach, 3003 Bern

      und nach unbenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. Erledigung allfälliger Rechtsmittel an

    • die Vorinstanz

    • das Migrationsamt des Kantons Zürich

    • die Bezirksgerichtskasse hinsichtlich Dispositivziffer 5 (im Dispositiv)

    • die KOST Zürich mit dem Formular Löschung des DNA-Profils und Vernichtung des ED-Materials zwecks Löschung des DNA-Profils

    • die Kantonspolizei Zürich, KDM-ZD, mit separatem Schreiben (§ 54a Abs. 1 PolG)

    • die Koordinationsstelle VOSTRA zur Entfernung der Daten gemäss Art. 12 Abs. 1 lit. d VOSTRA mittels Kopie von Urk. 65.

  8. Gegen diesen Entscheid kann bundesrechtliche Beschwerde in Strafsachen erhoben werden.

Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, vom Empfang der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen.

Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes.

Obergericht des Kantons Zürich

II. Strafkammer

Zürich, 9. Juni 2020

Der Präsident:

Oberrichter lic. iur. Spiess

Die Gerichtsschreiberin:

MLaw Baechler

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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