Zusammenfassung des Urteils SB210037: Obergericht des Kantons Zürich
Der Berufungskläger X._____ wurde vom Vorwurf der vorsätzlichen Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung freigesprochen, jedoch für die vorsätzliche Missachtung einer Ausgrenzung mit einer Busse von CHF 600.00 bestraft. Die Kosten des Vorverfahrens und des vorinstanzlichen Verfahrens werden hälftig zwischen X._____ und dem Kanton Graubünden aufgeteilt. X._____ erhält eine ausseramtliche Entschädigung von CHF 3'789.90 für das Vorverfahren und das vorinstanzliche Verfahren. Die Kosten des Berufungsverfahrens von CHF 4'000.00 werden vom Kanton Graubünden übernommen, ebenso wie die Kosten des gerichtlich bestellten Übersetzers. X._____ erhält eine Entschädigung von CHF 11'103.40 für das Berufungsverfahren.
Kanton: | ZH |
Fallnummer: | SB210037 |
Instanz: | Obergericht des Kantons Zürich |
Abteilung: | I. Strafkammer |
Datum: | 08.07.2021 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Einfache Körperverletzung |
Schlagwörter : | Privatkläger; Beschuldigte; Pfefferspray; Beschuldigten; Berufung; Faust; Notwehr; Vorinstanz; Faustschlag; Urteil; Staat; Privatklägers; Recht; Angriff; Gerangel; Verfahren; Staatsanwalt; Gesicht; Staatsanwaltschaft; Sinne; Gericht; Abwehr; Verfahrens; Schlag; Schwitzkasten; Winterthur; Verteidigung |
Rechtsnorm: | Art. 15 StGB ;Art. 16 StGB ;Art. 426 StPO ;Art. 428 StPO ; |
Referenz BGE: | 102 IV 1; 136 IV 49; 141 IV 249; |
Kommentar: | - |
Obergericht des Kantons Zürich
I. Strafkammer
Geschäfts-Nr.: SB210037-O/U/cwo
Mitwirkend: die Oberrichter lic. iur. Ch. Prinz, Präsident, lic. iur. S. Volken und lic. iur. C. Maira sowie die Gerichtsschreiberin MLaw T. Künzle
Urteil vom 8. Juli 2021
in Sachen
A. ,
Beschuldigter und Berufungskläger
verteidigt durch Rechtsanwalt lic. iur. X.
gegen
vertreten durch Leitenden Staatsanwalt lic. iur. R. Michel,
Anklägerin und Berufungsbeklagte betreffend einfache Körperverletzung
Anklage:
Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland vom 27. August 2020 (Urk. 36) ist diesem Urteil beigeheftet.
Urteil der Vorinstanz:
(Urk. 56 S. 26 ff.)
Es wird erkannt:
Der Beschuldigte A.
ist schuldig der einfachen Körperverletzung im Sinne
von Art. 123 Ziff. 1 Abs. 1 StGB.
Der Beschuldigte wird bestraft mit einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu Fr. 60.- (entsprechend Fr. 1'800.-).
Der Vollzug der Geldstrafe wird aufgeschoben und die Probezeit auf 2 Jahre festgesetzt.
Der Privatkläger B.
wird mit seinem Schadenersatz- und Genugtuungs-
begehren auf den Weg des Zivilprozesses verwiesen.
Die Entscheidgebühr wird angesetzt auf:
Fr. 1'500.-; die weiteren Kosten betragen: Fr. 1'500.- Gebühr für das Vorverfahren;
Fr. 60.- Auslagen (Gutachten);
Fr. 30.- Entschädigung Zeuge;
Fr. 3'090.- Total.
Allfällige weitere Kosten bleiben vorbehalten.
Wird keine schriftliche Begründung des Urteils verlangt, ermässigt sich die Entscheidgebühr auf zwei Drittel.
Die Kosten des Vorverfahrens (Gebühr Vorverfahren, Auslagen und Entschädigung) sowie des gerichtlichen Verfahrens werden dem Beschuldigten auferlegt.
(Mitteilungen)
(Rechtsmittel)
Berufungsanträge: (Prot. II S. 6)
Der Verteidigung des Beschuldigten: (Urk. 68 S. 2 und Urk. 71 S. 2)
Es sei der Berufungskläger vollumfänglich vom Vorwurf der einfachen Körperverletzung im Sinne von Art. 123 Ziff. 1 Abs. 1 StGB freizusprechen.
eventualiter:
Es sei der Berufungskläger zu bestrafen mit einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu CHF 40.00.
Es sei der Vollzug der Geldstrafe aufzuschieben und die Probezeit auf zwei Jahre festzusetzen.
Es seien die Aufwendungen des Berufungsklägers für die angemessene Ausübung seiner Verfahrensrechte im Betrag von CHF 7'823.48 durch den Staat zu entschädigen.
Unter Kostenfolgen zulasten des Staates.
Der Staatsanwaltschaft: (Urk. 64)
Bestätigung des vorinstanzlichen Urteils
Erwägungen:
Prozessgeschichte / Prozessuales
Verfahrensgang
Zum Prozessverlauf bis zum erstinstanzlichen Urteil kann auf die Ausführ- ungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 56 S. 3 f.).
Gegen das eingangs wiedergegebene Urteil des Bezirksgerichts Winterthur vom 26. Oktober 2020 meldete der Beschuldigte am 30. Oktober 2020 rechtzeitig Berufung an und erklärte mit Schreiben vom 2. Februar 2021 ebenfalls fristgerecht Berufung (Urk. 50, Urk. 59). Die Staatsanwaltschaft beantragt mit Eingabe vom 9. Februar 2021 die Bestätigung des vorinstanzlichen Urteils (Urk. 64).
Mit Präsidialverfügung vom 10. März 2021 wurde die Durchführung des schriftlichen Berufungsverfahrens angeordnet und dem Beschuldigten Frist zur Berufungsbegründung angesetzt (Urk. 66). Mit Zuschriften vom 30. bzw. 31. März 2021 liess der Beschuldigte innert Frist die Berufungsbegründung erstatten (Urk. 68 und 71). Der Privatkläger verzichtete stillschweigend, die Staatsanwaltschaft ausdrücklich auf eine Berufungsantwort (Urk. 73, 74 und 77). Die Vorinstanz verzichtete ebenfalls ausdrücklich auf eine Vernehmlassung (Urk. 75). Beweisanträge wurden keine gestellt.
Umfang der Berufung
Die Berufung des Beschuldigten richtet sich gegen den Schuldpunkt und eventualiter gegen die Bemessung der Strafe. Beantragt wird in der Hauptsache ein Freispruch unter Kostenfolge zulasten des Staates (Urk. 59, Urk. 68). Das vorinstanzliche Urteil gilt demnach mit Ausnahme von Dispositiv-Ziffer 4 (Zivilfor- derung Privatkläger B. ) und 5 (Kostenfestsetzung), welche in Rechtskraft erwachsen sind, als vollumfänglich angefochten, was vorab mittels Beschluss festzustellen ist.
Formelles
Es ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass sich die Berufungsinstanz nicht mit jedem einzelnen Vorbringen der Parteien auseinandersetzen muss. Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Es müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich das Gericht hat leiten lassen und auf die sich sein Entscheid stützt (BGE 141 IV 249
E. 1.3.1 mit Hinweisen).
II. Schuldpunkt
Ausgangslage
Dem Beschuldigten wird zusammengefasst vorgeworfen, dem Privatkläger B. am 19. Mai 2019 während eines Gerangels mit der rechten Hand mehrfach gegen das Gesicht geschlagen zu haben, wodurch sich Letzterer eine Orbitabodenfraktur rechts mit Monokelhämatom sowie eine Nasenbeinfraktur zugezogen habe (Urk. 36 S. 2).
Die Vorinstanz sah es als erstellt an, dass es zwischen dem Privatkläger B. und dem Beschuldigten nach einer zunächst verbalen Auseinandersetzung und einem Handgemenge beim Fahrzeug des Privatklägers zu einem Gerangel am Boden gekommen sei, wobei der Privatkläger durch einen Schlag des Beschuldigten verletzt worden sei und der Beschuldigte ihm die inkriminierten Verletzungen zugefügt habe (Urk. 36 S. 15). Die Sachverhaltserstellung des Anklagevorwurfs ist im Berufungsverfahren nicht mehr strittig. Aufgrund der erlitte- nen Verletzungen des Privatklägers handelt es sich mit der Vorinstanz um eine einfache Körperverletzung im Sinne von Art. 123 Ziff. 1 Abs. 1 StGB (Urk. 56
S. 16 ff.), was im Übrigen auch von der Verteidigung nicht in Abrede gestellt wird.
Die Vorinstanz bejahte im Weiteren eine Notwehrsituation, erachtete je- doch einen wuchtigen Faustschlag, mit welchem der Privatkläger vollständig kampfunfähig habe gemacht werden müssen, als nicht das einzige mögliche effektive Mittel zur Abwehr. Der Beschuldigte habe ausgesagt, er habe den Privatkläger im Schwitzkasten gehabt und es sei ihm gelungen, dem Privatkläger den
Pfefferspray zu entreissen. Deshalb sei die Art der Abwehr, d.h. der Faustschlag, welche zur Vermeidung übermässiger Schädigung erfolgt sei, nicht notwendig und angemessen gewesen (Urk. 56 S. 19). Zudem führte die Vorinstanz aus, es könne nicht gesagt werden, dass der Beschuldigte durch den Pfeffersprayangriff des Privatklägers besonders überrascht worden und dadurch in grosse, entschuldbare Aufregung und Bestürzung versetzt worden sei, zumal der Beschul- digte nach der verbalen Auseinandersetzung beim Fahrzeug des Privatklägers bereits gewusst habe, dass der Privatkläger einen Pfefferspray gehabt habe. Der Beschuldigte habe deshalb davon ausgehen können, dass der Privatkläger den Pfefferspray bei sich gehabt habe, als er auf den Beschuldigten zugekommen sei und die erneute Konfrontation im Zusammenhang mit dem vorangegangen Streit entstanden sei. Die Vorinstanz schloss demnach auf das Vorliegen eines Notwehrexzesses im Sinne von Art. 16 Abs. 1 StGB (Urk. 56 S. 20).
Der Beschuldigte beruft sich wie schon vor Vorinstanz auf eine rechtfertigende Notwehr bzw. eventualiter auf eine entschuldbare Notwehr, da es sich aufgrund des Pfeffersprayeinsatzes des Privatklägers in einer Notwehrsituation befunden habe (Urk. 68). Die Notwehrhandlung, nämlich der erfolgte Faustschlag gegen das Gesicht des Privatklägers, um einen Pfefferspray abzunehmen und sich damit vor Pfeffersprayeinsätzen bzw. weiteren Pfeffersprayeinsätzen durch den Privatkläger zu schützen, sei im Sinne von Art. 15 StGB angemessen und gerechtfertigt gewesen. Es könne nicht erstellt werden, ob der Faustschlag des Beschuldigten vor, während nach seinem Schwitzkastenangriff erfolgt sei. Es lasse sich ebenfalls nicht erstellen, dass ein Faustschlag nicht nötig gewesen sein soll, um den Privatkläger zu fixieren, damit er ihm den Pfefferspray habe abnehmen können. Aufgrund zahlreicher Aussagen von verschiedenen Personen, wo- nach Kopfhaare des Beschuldigten büschelweise auf dem Boden gelegen seien, nachdem sie ihm der Privatkläger ausgerissen habe, dass man gehört und gerochen habe, dass der Pfefferspray mindestens einmal losgegangen sei, dass der Beschuldigte spätestens unmittelbar nach dem Gerangel nichts mehr gesehen habe, weil er mit dem Pfefferspray eingesprüht worden sei, sei darauf zu schliessen, dass das Gerangel ein heftiges Gefecht gewesen sei und sich der Privatkläger mit vollem Einsatz daran beteiligt habe. In dubio pro reo sei deshalb davon
auszugehen, dass der Faustschlag des Beschuldigten nötig gewesen sei, um sich gegen den Einsatz bzw. weiteren Einsatz des Pfeffersprays durch den Privatkläger zu schützen bzw. diesen in den Schwitzkasten zu nehmen und ihm den Pfefferspray abzunehmen. Ein wuchtiger Schlag gegen das Gesicht stehe auch nicht im Missverhältnis zu einem Pfeffersprayeinsatz, welcher möglicherweise ebenfalls gegen das Gesicht erfolge bzw. bereits erfolgt sei (Urk. 68 S. 5 f.). Eventualiter sei von einer entschuldbaren Notwehr im Sinne von Art. 16 Abs. 2 StGB auszugehen, da der Beschuldigte durch den Angriff überrascht worden sei, zumal er, als er sich vom Fahrzeug des Privatklägers entfernt habe, davon ausgegangen sei, dass es nun erledigt sei und der Privatkläger das begriffen habe. Er sei aufgeregt gewesen und habe nichts gesehen, ausser diesen Nebel von Tränengas (Urk. 68 S. 7).
Bezüglich des Vorliegens einer Notwehrsituation aufgrund des unmittelbar drohenden, rechtswidrigen Angriffs mit dem Pfefferspray durch den Privatkläger kann auf die unbestritten gebliebenen und zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 56 S. 18). Zudem ist darauf hinzuweisen, dass
der Privatkläger B.
mit Strafbefehl vom 23. März 2020 (u.a.) wegen Tät-
lichkeiten schuldig gesprochen wurde, dies weil er bei der fraglichen Auseinan-
dersetzung gegenüber A.
im Gerangel einen Pfefferspray einsetzte und
diesen an den Haaren zerrte (Urk. 15). Im Folgenden ist zu prüfen, ob der Beschuldigte mit dem erstellten Faustschlag in rechtfertigender bzw. eventualiter in entschuldbarer Notwehr gehandelt hat mit der Vorinstanz von einem Notwehrexzess auszugehen ist.
Würdigung
Wer ohne Recht angegriffen unmittelbar mit einem Angriff bedroht wird, ist gemäss Art. 15 StGB berechtigt, den Angriff in einer den Umständen angemessenen Weise abzuwehren. Überschreitet der Abwehrende die Grenzen der Notwehr, so mildert das Gericht die Strafe (Art. 16 Abs. 1 StGB). Werden die Grenzen der Notwehr in entschuldbarer Aufregung Bestürzung über den Angriff überschritten, so handelt er nicht schuldhaft (Art. 16 Abs. 2 StGB).
Nach der Rechtsprechung muss die Abwehr in einer Notwehrsituation nach der Gesamtheit der Umstände als verhältnismässig erscheinen. Bei dieser Frage sind zwei Faktoren von Relevanz, nämlich die Subsidiarität (Erforderlichkeit) und die Verhältnismässigkeit i.e.S., weshalb die betroffenen Rechtsgüter nicht in einem krassen Missverhältnis zueinander stehen dürfen. Eine Rolle spielen vor allem die Schwere des Angriffs, die durch den Angriff und die Abwehr bedrohten Rechtsgüter, die Art des Abwehrmittels und dessen tatsächliche Verwendung. Die Angemessenheit der Abwehr ist aufgrund jener Situation zu beurteilen, in der sich der rechtswidrig Angegriffene im Zeitpunkt seiner Tat befand. Es dürfen nicht nachträglich allzu subtile Überlegungen darüber angestellt werden, ob der Angegriffene sich nicht allenfalls auch mit anderen, weniger einschneidenden Mass- nahmen hätte begnügen können und sollen. Besondere Zurückhaltung ist bei der Verwendung von gefährlichen Werkzeugen zur Abwehr (Messer, Schusswaffen etc.) geboten, da deren Einsatz stets die Gefahr schwerer gar tödlicher Verletzungen mit. Auch ist eine Abwägung der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter unerlässlich. Ein Notwehrexzess ist gemäss Art. 16 Abs. 2 StGB entschuldbar, wenn die Aufregung die Bestürzung des Täters allein zumindest vorwiegend auf den rechtswidrigen Angriff zurückzuführen ist. Überdies müssen Art und Umstände des Angriffs derart sein, dass sie die Aufregung die Bestürzung entschuldbar erscheinen lassen. Nicht jede geringfügige Erregung Bestürzung führt zu Straflosigkeit. Erforderlich ist, dass es dem Täter aufgrund der Aufregung Bestürzung über den Angriff nicht möglich war, besonnen und verantwortlich zu reagieren. Bei der Beurteilung der Entschuldbarkeit des Notwehrexzesses wird ein umso höherer Grad entschuldbarer Aufregung Bestürzung verlangt, je mehr die Reaktion des Täters den Angreifer verletzt gefährdet (Urteil des Bundesgerichtes 6B_853/2016 vom 18. Oktober 2017 E. 2.2.1 f.; BGE 136 IV 49 E. 3.1 f.; BGE 102 IV 1 E. 3b; BSK StGB I-N IGGLI/GÖHLICH, Art. 15 N 29 und Art. 16 N 4).
Der Beschuldigte sagte gegenüber der Polizei aus, er sei nach der verbalen Auseinandersetzung beim Fahrzeug des Privatklägers zurückgelaufen, in der Annahme, dass der Privatkläger nun wegfahre. Der Privatkläger sei dann ausgestiegen und mit dem Pfefferspray auf ihn los gekommen und habe versucht, ihn
mit dem Pfefferspray zu erwischen, indem er um den Herrn vom C.
Taxi
[Herr D. ] herumgesprayt habe. Er sei dann auf ihn los, da der Privatkläger ihn angegriffen habe. Er habe den Privatkläger am Boden fixieren können und ihm den Pfefferspray aus der Hand genommen. Es sei zwischen ihnen zu einem Gerangel gekommen und er könne nicht mehr sagen, wie es abgelaufen sei. Nachdem er ihm den Pfefferspray aus der Hand habe nehmen können, habe er diesen einer anderen Person in die Hand gedrückt (Urk. 3 F/A 3). Er habe den Privatkläger, als dieser am Boden gelegen sei, gar nicht schlagen können, da er ihn gehalten habe (Urk. 3 F/A 8).
Gegenüber der Staatsanwaltschaft gab der Beschuldigte wiederum an, dass er vom Auto weggetreten sei, weil er davon ausgegangen sei, dass es nun erledigt sei. Als er bereits etwa zwei bis drei Meter weg gewesen sei, habe er jemanden Achtung, er kommt rufen hören. Er habe sich umgedreht und habe den Privatkläger mit ausgestreckter Hand und mit dem Pfefferspray in der Hand auf ihn zukommen sehen. Der Privatkläger habe quasi um Herr D. herumsprayen wollen. Dass der Pfefferspray zu diesem Zeitpunkt abgegangen sei, wisse er, aber er wisse nicht mehr, wo er ihn getroffen habe. Daraufhin sei er auf ihn los, mit der Absicht, ihm den Pfefferspray wegzunehmen. Dann sei das in eine Keilerei ausgeartet. Er habe noch ein, zweimal etwas vom Pfefferspray abbekommen. Er habe ihm den Spray entreissen wollen. Sie seien recht schnell am Boden gelegen. Irgendwann habe er gesehen, dass der Privatkläger einen Büschel Haare in der Hand gehabt habe. Er habe ihm den Pfefferspray irgendwie aus seiner Hand herausklauben können und mit der Hand hinten raus gehalten, wobei ihn jemand genommen habe (Urk. 32 F/A 11). Er gehe davon aus, dass er dem Privatkläger, als sie am Boden herumgerauft hätten, im Affekt eins geschlagen habe (Urk. 32 F/A 16). Er möge sich erinnern, dass er ihn (den Privatkläger) so wie im Schwitzkastengriff gehalten habe. Bewusst habe er ihn nicht ein einziges Mal geschlagen. Wenn er ihn (den Privatkläger) im Affekt geschlagen habe, dann sei das möglich (Urk. 32 F/A 23).
Der Beschuldigte sagte auch konstant aus, dass er davon ausging, die Auseinandersetzung sei beendet, als er sich vom Fahrzeug des Privatklägers ent-
fernte. Dass er mit einem Pfeffersprayangriff des Privatklägers rechnete, lässt sich zum Nachteil des Beschuldigten nicht erstellen. Der Angriff erfolgte für den Beschuldigten überraschend und er wurde erst durch Zuruf auf diesen aufmerksam.
Der Beschuldigte sagte im Weiteren auch konstant aus, dass die Pfeffersprayattacke des Privatklägers noch im Gange gewesen sei, als am Boden ein Gerangel entstanden sei, wobei er versucht habe, dem Privatkläger den Pfefferspray abzunehmen. Dabei habe er dem Privatkläger im Affekt den Schlag verpasst. Mit der Verteidigung ist deshalb entgegen der Auffassung der Vorinstanz gestützt auf die Aussagen des Beschuldigten unklar, ob er dem Privatkläger den Faustschlag verpasste, als er ihn bereits im Schwitzkasten gehalten und fixiert hatte, vor bzw. während des Schwitzkastengriffes, um ihm schliesslich den Pfefferspray abnehmen zu können.
Berücksichtigt man zudem die Zeugenaussagen, kommt man zum selben Ergebnis. Die Aussagen von E. lassen darauf schliessen, dass der Schlag vor dem Gerangel am Boden erfolgte (vgl. Urk. 4/1 F/A 19).D. gab an, er selber habe den Pfefferspray nicht gesehen, aber als der Beschuldigte und der Privatkläger am Boden ineinander verkeilt gewesen seien, habe der Beschuldigte gesagt, er könne ihn (den Privatkläger) nicht loslassen, da er nichts mehr sehe (Urk. 4/2 F/A 6). Bevor sie auf den Boden gefallen seien, habe er Faustschläge von beiden wahrgenommen, aber er könne nicht sagen, zu welchem Zeitpunkt der Privatkläger die Verletzungen im Gesicht bekommen habe (Urk. 4/2 F/A 13). Gegenüber der Staatsanwaltschaft gab D. sodann an, die beiden seien zusammen auf den Boden und hätten dort geschlägelt. Er habe gesehen, wie der Beschuldigte den Privatkläger einmal geschlagen habe. Danach seien sie verkeilt gewesen (Urk. 29 F/A 21). Der Beschuldigte habe gesagt, er könne nicht loslassen, er sehe nichts mehr (Urk. 29 F/A 35). Er vermute, dass das (die Verletzungen) passiert seien, als der Privatkläger mit dem Beschuldigten am Boden gewesen sei und der Beschuldigte ihm einen Schlag versetzt habe (Urk. 29 F/A 28). F. sagte aus, es sei nie ein offener Faustkampf gewesen, sondern sie (der Beschuldigte und der Privatkläger) seien direkt in ein Gerangel am Boden gegangen. Der Pfefferspray sei erst losgegangen, als sie am Boden gewesen seien. Er sei sehr schnell gegangen und er habe nicht offensichtlich gesehen, wie der Beschuldigte Faustschläge verteilt habe. Es sei mal zu einem dumpfen Ton gekommen, wo wahrscheinlich der Privatkläger eine Faust kassiert habe. Dieser habe zudem an den Haaren des Beschuldigten gezerrt. Der Beschuldigte habe den Pfefferspray aus den Händen nehmen können und habe diesen nach hinten gestreckt und gesagt, es solle ihm einer diesen abnehmen, was er (F. ) getan habe. Der Beschuldigte habe gesagt, dass er nichts mehr sehen könne und der Privatkläger habe ein Blut unterlaufenes Auge gehabt (Urk. 4/2 F/A 6; vgl. Urk. 28 F/A 31 f. und 42 f.).
Es lässt sich demnach nicht rechtsgenügend erstellen, zu welchem Zeitpunkt der Faustschlag genau ausgeführt wurde bzw. ob der Privatkläger vor dem Schlag bereits kampfunfähig gewesen war. Der Beschuldigte sah sich einer Pfeffersprayattacke gegenüber und wollte dem Privatkläger den Pfefferspray im Gerangel wegnehmen, um sich vor einem (weiteren) Einsatz zu schützen. Die Zeugenaussagen lassen darauf schliessen, dass es sich um ein heftigeres Gerangel gehandelt hat. Dem Beschuldigten wurden nachweislich auch büschelweise Haare ausgerissen. Dass ein Faustschlag gegen das Gesicht des Privatklägers nicht notwendig gewesen sei, um den Privatkläger vom weiteren Sprühen abzuhalten und ihn schliesslich im Schwitzkasten fixieren zu können bzw. kampf- unfähig zu machen, lässt sich entgegen den Erwägungen der Vorinstanz nicht ohne Zweifel sagen, weshalb zugunsten des Beschuldigten davon auszugehen ist, dass der Faustschlag zur Abwehr erforderlich war. Dass der Beschuldigte dabei mit einem Verteidigungswillen handelte, ergibt sich insbesondere daraus, dass
er den Pfefferspray umgehend F.
gab, nachdem er ihn dem Privatkläger
wegnehmen konnte. Der Beschuldigte hatte demnach ein klares Ziel auf Entwaffnung des Privatklägers. Zu prüfen bleibt, ob ein wuchtiger Faustschlag gegen das Gesicht ein probates Mittel zur Abwendung einer Pfeffersprayattacke ist bzw. die Verhältnismässigkeit i.e.S. gegeben ist. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass Pfefferspray üblicherweise gegen das Gesicht gesprayt wird und es sich dabei um einen Angriff gegen die körperliche Unversehrtheit handelt, welcher das Gegen- über in der Regel kampunfähig macht, jedoch nicht lebensgefährlich verletzt. Die
betroffenen Rechtsgüter, nämlich Leib und Leben, sind grundsätzlich gleichwertig, wobei bei einem wuchtigen Faustschlag gegen das Gesicht in der Regel schwerwiegendere Verletzungen möglich sind als bei einem Pfeffersprayeinsatz. Hinzu kommt, dass der Beschuldigte Pfefferspray in die Augen gesprayt bekam, weshalb er nichts mehr sehen konnte. Ob der Schlag ins Gesicht sozusagen blind im Sinne eines abwehrenden Rundumschlags unglücklicherweise das Auge des Privatklägers traf, lässt sich nicht zweifelsfrei ausschliessen. Ein krasses Missverhältnis ist demnach zu verneinen. Der Faustschlag war demnach noch verhält- nismässig. Die (rechtfertigende) Notwehr gemäss Art. 15 StGB ist noch knapp zu bejahen.
Nach dem Gesagten ist der Beschuldigte aufgrund des Rechtfertigungsgrundes der Notwehr vom Vorwurf der einfachen Körperverletzung im Sinne von Art. 123 Ziff. 1 Abs. 1 StGB freizusprechen.
III. Kosten- und Entschädigungsfolgen
Die Verfahrenskosten werden vom Bund dem Kanton getragen, der das Verfahren geführt hat, soweit sie nicht dem Beschuldigten auferlegt werden können. Letzteres ist der Fall bei einer Verurteilung (Art. 423 und 426 Abs. 1 StPO). Wird die beschuldigte Person freigesprochen, so können ihr dann Kosten auferlegt werden, wenn sie die Einleitung des Verfahrens rechtswidrig und schuldhaft bewirkt die Durchführung erschwert hat (Art. 426 Abs. 2 StPO). Die Kosten des Berufungsverfahrens sind sodann den Parteien nach Massgabe ihres Obsiegens und Unterliegens aufzuerlegen (Art. 428 Abs. 1 StPO).
Nachdem der Beschuldigte freizusprechen ist und die Staatsanwaltschaft und der Privatkläger im Berufungsverfahren keine Anträge gestellt haben, sind die Kosten der Untersuchung und der gerichtlichen Verfahren vor beiden Instanzen auf die Gerichtskasse zu nehmen, da der Beschuldigte die Einleitung des Verfahrens weder rechtswidrig noch schuldhaft bewirkt dessen Durchführung erschwert hat. Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr fällt ausser Ansatz.
Der Beschuldigte macht zudem gestützt auf Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO eine Entschädigung von insgesamt Fr. 7'823.48 (gerundet Fr. 7'823.50) für die erbete- ne Verteidigung für das gesamte Verfahren geltend (Urk. 70 und 71), was ausgewiesen und angemessen erscheint, weshalb antragsgemäss zu entscheiden ist.
Es wird beschlossen:
1. Es wird festgestellt, dass das Urteil des Bezirksgerichts Winterthur vom
26. Oktober 2020 wie folgt in Rechtskraft erwachsen ist:
Es wird erkannt:
1.-3.
Der Privatkläger B. wird mit seinem Schadenersatz- und Genugtuungsbegehren auf den Weg des Zivilprozesses verwiesen.
Die Entscheidgebühr wird angesetzt auf:
2. Schriftliche Mitteilung mit nachfolgendem Urteil.
Es wird erkannt:
Der Beschuldigte wird vom Vorwurf der einfachen Körperverletzung im Sin- ne von Art. 123 Ziff. 1 Abs. 1 StGB freigesprochen.
Die Kosten der Untersuchung und des erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahrens werden vollumfänglich auf die Gerichtskasse genommen.
Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr fällt ausser Ansatz.
Dem Beschuldigten wird für das gesamte Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 7'823.50 (inkl. MwSt.) aus der Gerichtskasse zugesprochen.
Schriftliche Mitteilung in vollständiger Ausfertigung an
die Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden des Beschuldigten
die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland
den Privatkläger
und nach unbenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. Erledigung allfälliger Rechtsmittel an
die Vorinstanz
die Kantonspolizei Zürich, KDM-ZD, mit separatem Schreiben (§ 54a Abs. 1 PolG)
die Koordinationsstelle VOSTRA zur Entfernung der Daten gemäss Art. 12 Abs. 1 lit. d VOSTRA mittels Urk. 58.
Gegen diesen Entscheid kann bundesrechtliche Beschwerde in Strafsachen erhoben werden.
Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, von der Zustellung der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen.
Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes.
Obergericht des Kantons Zürich
I. Strafkammer
Zürich, 8. Juli 2021
Der Präsident:
lic. iur. Ch. Prinz
Die Gerichtsschreiberin:
MLaw T. Künzle
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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