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Urteil Obergericht des Kantons Zürich (ZH)

Kopfdaten
Kanton:ZH
Fallnummer:RV200007
Instanz:Obergericht des Kantons Zürich
Abteilung:I. Zivilkammer
Obergericht des Kantons Zürich Entscheid RV200007 vom 24.08.2020 (ZH)
Datum:24.08.2020
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Vollstreckbarerklärung
Schlagwörter : Gesuch; Gesuchsgegner; LugÜ; Beschwerde; Verfahren; Zustellung; Recht; Zivil; Entscheid; Gericht; Schrift; Zuständig; Schriftstück; Suchsgegners; Zugestellt; örtlich; örtliche; Gesuchsgegners; Urteil; Verfahrenseinleitende; Wohnsitz; Partei; Schweiz; Wien; Vorinstanz; Abgabe; Unzuständigkeit; IVm
Rechtsnorm: Art. 106 ZPO ; Art. 111 ZPO ; Art. 229 ZPO ; Art. 318 ZPO ; Art. 327a ZPO ; Art. 335 ZPO ; Art. 84 KG ; Art. 90 BGG ;
Referenz BGE:133 III 295; 138 III 82;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid

Obergericht des Kantons Zürich

I. Zivilkammer

Geschäfts-Nr.: RV200007-O/U

Mitwirkend: Oberrichterin Dr. D. Scherrer, Vorsitzende, Oberrichterin

Dr. L. Hunziker Schnider und Oberrichter Dr. M. Kriech sowie Gerichtsschreiberin MLaw S. Meisel

Urteil vom 24. August 2020

in Sachen

  1. ,

    Gesuchsgegner und Beschwerdeführer

    vertreten durch Rechtsanwältin MLaw X. ,

    gegen

  2. AG,

Gesuchstellerin und Beschwerdegegnerin vertreten durch Rechtsanwalt Y. ,

betreffend Vollstreckbarerklärung

Beschwerde gegen ein Urteil des Einzelgerichts Audienz am Bezirksgericht Zürich vom 30. Januar 2020 (EZ190052-L)

Erwägungen:

  1. Prozessgeschichte

    1. Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien hat den Gesuchsgegner und Beschwerdeführer (fortan Gesuchsgegner) mit Versäumungsurteil vom 6. Juni 2019 (Geschäft Nr. 54 Cg 25/19x-4) verpflichtet, der Gesuchstellerin und Beschwerdegegnerin (fortan Gesuchstellerin) den Betrag von EUR 150'000.- samt Zinsen seit 1. Oktober 2017 zu bezahlen (Urk. 3/2). Mit Eingabe vom

      10. Dezember 2019 begehrte die Gesuchstellerin vor Vorinstanz die Vollstreck- barerklärung des obgenannten Urteils (Urk. 1). Diesem Begehren kam die Vor- instanz mit Urteil vom 30. Januar 2020 nach und regelte die Kosten- und Ent- schädigungsfolgen zulasten des Gesuchsgegners (Urk. 13 = Urk. 16).

    2. Hiergegen hat der Gesuchsgegner am 2. März 2020 fristgerecht (Urk. 14b; Art. 327a Abs. 3 ZPO i.V.m. Art. 43 Abs. 5 LugÜ) Beschwerde erhoben und stellt den Beschwerdeantrag (Urk. 15):

      Es wird hiermit der Antrag gestellt, das Urteil vom 30. Januar 2020 betref- fend Vollstreckbarerklärung als ungültig zu erklären [ ].

    3. Den mit Verfügung vom 14. April 2020 eingeforderten Kostenvorschuss von Fr. 1'200.- (Urk. 21) hat der Gesuchsgegner fristgerecht geleistet (Urk. 22). Mit Verfügung vom 6. Mai 2020 wurde der Gesuchstellerin Frist von einem Monat an- gesetzt, um die Beschwerde zu beantworten (Urk. 23). Die Beschwerdeantwort datiert vom 8. Juni 2020 (Urk. 24). Darin beantragt die Gesuchstellerin, die Beschwerde sei kostenpflichtig abzuweisen (Urk. 24 S. 1). Mit Verfügung vom

      16. Juni 2020 wurde die Beschwerdeantwort der Gegenpartei zur Kenntnisnahme zugestellt und Frist zu einer allfälligen Stellungnahme innert 10 Tagen angesetzt (Urk. 27). Dieselbe Frist wurde dem Gesuchsgegner mit Verfügung vom 19. Juni 2020 angesetzt, um zu den nachträglich - mit Eingabe vom 17. Juni 2020 (Urk. 28) - eingereichten Unterlagen Stellung zu nehmen (Urk. 30). Innert einmal erstreckter Frist nahm der Gesuchsgegner mit Eingabe vom 16. Juli 2020 recht- zeitig Stellung zur Berufungsantwort sowie den nachgereichten Noven (Urk. 35),

      welche der Gesuchstellerin zur Kenntnisnahme zugestellt wurde (Prot. II S. 8). Weitere Eingaben erfolgten nicht.

    4. Die vorinstanzlichen Akten wurden beigezogen (Urk. 1 bis Urk. 5). Das Ver- fahren erweist sich als spruchreif.

  2. Prozessuale Vorbemerkungen

    1. Auf das vorliegende Verfahren kommt, wie die Vorinstanz zutreffend ausge- führt hat (Urk. 16 E. 2), das Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Han- delssachen (Lugano-Übereinkommen) vom 30. Oktober 2007 (SR 0.275.12; fortan LugÜ) zur Anwendung. Nach Art. 38 Abs. 1 LugÜ wird eine Entscheidung, die in einem durch das LugÜ gebundenen Staat vollstreckbar ist, in einem anderen durch das Übereinkommen gebundenen Staat auf Antrag in dem Verfahren nach den Art. 38 ff. LugÜ für vollstreckbar erklärt. Sobald die in Art. 53 LugÜ vorgese- henen Förmlichkeiten erfüllt sind, wird die Entscheidung vor erster Instanz unver- züglich - ohne Anhörung der Gegenpartei (Art. 41 LugÜ) - für vollstreckbar er- klärt, wobei in diesem Verfahrensstadium noch keine Prüfung der Anerkennungs- hindernisse nach Art. 34 und 35 LugÜ erfolgt.

    2. Gegen die Entscheidung über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung kann jede Partei beim oberen kantonalen Gericht einen Rechtsbehelf (sog. LugÜ- Beschwerde) einlegen (Art. 43 i.V.m. Anhang III LugÜ). Die Vollstreckbarerklä- rung darf von der Rechtsmittelinstanz nur aus einem der in den Art. 34 und 35 aufgeführten Gründen versagt oder aufgehoben werden (Art. 45 Abs. 1 LugÜ). Die ausländische Entscheidung darf keinesfalls in der Sache selbst nachgeprüft werden (Art. 45 Abs. 2 LugÜ). Erfolgt eine Vollstreckbarklärung im besonderen Verfahren nach den Artikeln 38 - 52 LugÜ, so gelten für das Rechtsmittelverfah- ren der Beschwerde (Art. 319 ff. ZPO) Sonderregeln (vgl. Art. 327a ZPO). Die Beschwerdeinstanz prüft die im Übereinkommen vorgesehenen Verweigerungs- gründe (Art. 34 und 35 LugÜ) sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hin- sicht mit voller Kognition. Der Beschwerde kommt aufschiebende Wirkung zu (Art. 327a Abs. 2 ZPO) und Noven sind grundsätzlich zulässig (BGE 138 III 82 E.

      3.5.3; vgl. Urk. 87 S. 11). Innerhalb der Beschwerde- bzw. Beschwerdeantwortfrist haben die Parteien ihre Beanstandungen vollständig vorzutragen; es sind konkre- te Begehren zu stellen und zu begründen. Auch im Rahmen der LugÜ- Beschwerde gilt die Rügepflicht. Es ist aufzuzeigen, an welchen Mängeln der an- gefochtene Entscheid leidet; das Gericht überprüft den Sachverhalt nicht von sich aus (vgl. ZK ZPO-Freiburghaus/Afheldt, Art. 327a N 3 ff.; Dasser/Oberhammer- Staehelin/Bopp, Art. 43 LugÜ N 13 ff.).

    3. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass das Rechtsbehelfsgericht die Aner- kennungsverweigerungsgründe im Sinne von Art. 34 und 35 LugÜ von Amtes we- gen zu prüfen hat (ZR 111 [2012] Nr. 26, E. 2.4; OGer ZH RV140013 vom 20.03.2015, E. 1.6; OGer ZH RV110006 vom 07.11.2012, E. III./4.3; OGer ZH

      RV160006 vom 16. Februar 2017, E. III.B.1.4.). Insbesondere ein schwerwiegen- der Zustellungsmangel des verfahrenseinleitenden Schriftstücks ist ex officio zu berücksichtigen (BSK LugÜ-Hofmann/Kunz, Art. 34 N 29). Aufgrund dieser amts- wegigen Prüfung der Anerkennungshindernisse kommt in diesem Zusammen- hang der (beschränkte) Untersuchungsgrundsatz zur Anwendung. Hat das Ge- richt dementsprechend den Sachverhalt von Amtes wegen abzuklären, so be- rücksichtigt es neue Vorbringen bis zur Urteilsberatung (Art. 219 i.V.m. Art. 229 Abs. 3 ZPO).

    4. In der Schweiz wird das selbständige Exequaturverfahren nach den Vor- schriften über das summarische Verfahren durchgeführt (vgl. Art. 339 Abs. 2

      i.V.m. Art. 335 Abs. 3 ZPO; BSK LugÜ-Hoffmann/Kunz, Art. 41 N 59).

  3. Einrede der örtlichen Unzuständigkeit

    1. Mit Eingabe vom 16. Juli 2020 (Urk. 35) erhob der Gesuchsgegner die Ein- rede der örtlichen Unzuständigkeit. Zur Begründung führt er aus, gemäss Art. 39 Abs. 2 LugÜ werde die örtliche Zuständigkeit durch den Wohnsitz des Schuldners oder durch den Ort, an dem die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll, bestimmt. Die von der Gesuchstellerin betreffend örtliche Zuständigkeit angerufe- nen Art. 84 SchKG i.V.m. Art. 46 ff. SchKG seien aufgrund des internationalen Sachverhalts nicht einschlägig. Das an das Bezirksgericht Zürich gerichtete Gesuch der Gesuchstellerin vom 10. Dezember 2019 habe als Anschrift des Ge-

      suchsgegners Dr. A. , C.

      [Strasse] , Wien, Geschäftsanschrift

      Schweiz c/o D. AG, ...-Srasse , Zürich, angegeben. Die Anschrift sei in der Folge vom Bezirksgericht Zürich auf die korrekte Anschrift des Gesuchsgeg- ners, -Berg , E. [Kanton], geändert worden. Da auch nach den Best- immungen des SchKG ordentlicher Betreibungsort der Wohnsitz des Schuldners sei, sei auch nicht ersichtlich, dass die Zwangsvollstreckung in Zürich durchge- führt werden sollte. Wie aus dem Zahlungsbefehl vom 2. März 2020 ersichtlich, sei der Gesuchsgegner von der Gesuchstellerin entsprechend auch in E. betrieben worden (Urk. 37/1). Das Bezirksgericht hätte sich deshalb für örtlich un- zuständig erklären und auf das Gesuch nicht eintreten dürfen.

    2. Dem Gesuchsgegner ist insofern Recht zu geben, als die Geschäftsan-

      schrift der D.

      AG in Zürich nicht zuständigkeitsbegründend sein konnte,

      zumal der Gesuchsgegner als natürliche Person eingeklagt wurde. Nach Art. 24 LugÜ wird indes das Gericht eines Vertragsstaates, das nicht bereits nach ande- ren Vorschriften des Übereinkommens zuständig ist, dann für die Behandlung ei- ner Klage zuständig, wenn sich der Beklagte vor ihm auf das Verfahren einlässt. Die zulässige und wirksame Einlassung i.S.v. Art. 24 LugÜ begründet die interna- tionale und örtliche Zuständigkeit des an sich unzuständigen Gerichts. Die Einlas- sung bedeutet endgültiger und unwiderruflicher Verzicht auf die Rüge der Unzu- ständigkeit (BSK LugÜ-Berger, Art. 24 N 37 ff.). Aufgrund des einseitig geführten vorinstanzlichen Verfahrens muss der Gesuchsgegner die örtliche Unzuständig- keit auch noch im Rechtsbehelfsverfahren rügen können. Nicht gefolgt werden kann der Ansicht des Gesuchsgegners, dass im vorliegenden Verfahren eine Ein- lassung per se unbeachtlich sei (Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozess- recht, Art. 39 N 10; BSK LugÜ-Hofmann/Kunz, Art. 39 N 68). In zeitlicher Hinsicht muss auch im vorliegenden Verfahren gelten, dass die Rüge der fehlenden örtli- chen Zuständigkeit keinesfalls mehr nach Abgabe derjenigen Stellungnahme er- hoben werden kann, die nach dem innerstaatlichen Prozessrecht als das erste Verteidigungsvorbringen vor dem angerufenen Gericht anzusehen ist (EuGH C-150/180, Urteil vom 24. Juni 1981, Elefanten Schuh v. Jacqmain, Nr. 16; BGE 133 III 295, E. 5.1.). Massgebend ist somit der Zeitpunkt, zu dem nach nationalem

      Prozessrecht eine Prozesshandlung vorgenommen wird, die dem autonom zu qualifizierenden Begriff der Einlassung auf das Verfahren entspricht (Czer- nich/Tiefenthaler/Kodek, Kurzkommentar Europäisches Gerichtsstands- und Voll- streckungsrecht, 2. Aufl. 2003, N 8 zu Art. 24 EuGVO). Im Rechtsbehelfsverfah- ren nach Art. 43 LugÜ, bei welchem sich der Schuldner zum ersten Mal vor der Rechtsmittelinstanz gegen die Anerkennung oder Vollstreckbarerklärung zur Wehr setzen kann, ist die Beschwerdeschrift als das erste Verteidigungsvorbrin- gen im Sinne obgenannter Rechtsprechung zu betrachten. Vorliegend äusserte sich der Gesuchsgegner in der Beschwerdeschrift in keiner Weise zur örtlichen Unzuständigkeit, sondern führte lediglich für eine Abweisung sprechende Argu- mente ins Feld. Insbesondere kann dem Gesuchsgegner auch nicht gefolgt wer- den, wenn er vorbringt, die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit sinngemäss durch Verweis auf seinen Wohnsitz in der Schweiz bereits in der Beschwerde- schrift erhoben zu haben. Diese Ausführungen machte er offenkundig lediglich im Zusammenhang mit der Zustellungsthematik im Verfahren vor dem Landgericht in Zivilrechtssachen Wien.

    3. Demzufolge hat sich der Gesuchsgegner durch das vorbehaltlose Äussern im vorliegenden Rechtsbehelfsverfahren auf das Verfahren vor dem hiesigen Ge- richt und demnach gewissermassen rückwirkend auch auf das Verfahren vor Vor- instanz eingelassen. Da die Einlassung unwiderruflich ist, ist er mit der Einrede der örtlichen Unzuständigkeit in der Stellungnahme zur Beschwerdeantwort ver- spätet. Auf das Verfahren ist demnach einzutreten.

  4. Materielle Beurteilung

    1. Die Vorinstanz erwog, die Gesuchstellerin habe die gemäss Art. 53 und Art. 54 LugÜ erforderlichen Dokumente (eine elektronische Ausfertigung gemäss

      § 79 des österreichischen GOG des für vollstreckbar zu erklärenden Entscheids und eine gemäss Anhang V des LugÜ am 13. Januar 2020 ausgestellte und von der in der Hauptsache erkennenden Richterin unterzeichnete Vollstreckbarkeits- bescheinigung) vorgelegt. Die elektronische Ausfertigung sei zudem als dem Ori- ginal entsprechend im Sinne von Art. 53 Ziff. 1 LugÜ zu betrachten, nachdem die Vollstreckbarkeitsbescheinigung gemäss Anhang V des LugÜ durch die in der

      Hauptsache erkennende Richterin unterzeichnet und dieser Bescheinigung die für vollstreckbar zu erklärende Entscheidung angehängt worden sei. Dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung sei daher gestützt auf die eingereichten Dokumente ohne Stellungnahme des Gesuchsgegners stattzugeben, da letzterer gemäss Art. 41 LugÜ im erstinstanzlichen Verfahren nicht anzuhören sei (Urk. 16 S. 2 f.).

    2. Der Gesuchsgegner macht in seiner Beschwerdeschrift im Wesentlichen geltend, sowohl die Klage der Gesuchstellerin als auch das ergangene Versäu- mungsurteil des Landgerichts in Zivilrechtssachen Wien vom 6. Juni 2019 seien nicht an seine korrekte Wohnanschrift zugestellt worden, womit er sinngemäss das Vorliegen eines Verweigerungsgrunds nach Art. 34 Ziff. 2 LugÜ geltend macht (Urk. 15 S. 1 f.).

    3. Gemäss Art. 34 Ziff. 2 LugÜ wird eine Entscheidung nicht anerkannt, wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrens- einleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte. Entfal- len ist dagegen gegenüber dem aLugÜ das Erfordernis einer ordnungsgemäs- sen Zustellung (Schnyder, LugÜ-Domej/Oberhammer, Art. 34 N 36). Die Rüge der nicht rechtzeitigen Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks betrifft in erster Linie den in den meisten Staaten ohnehin im autonomen Recht enthalte- nen Grundsatz der Gewährleistung des rechtlichen Gehörs, insbesondere bei Versäumnisurteilen. Beabsichtigt ist die Stärkung der Beklagtenrechte, dies na- mentlich im Fall der fehlerhaften und nicht rechtzeitigen Zustellung des verfah- renseinleitenden Schriftstücks. Es handelt sich dabei um einen besonders gravie- renden Fall der Verletzung des rechtlichen Gehörs (BSK LugÜ-Schuler/Marugg, Art. 34 N 24). Die Versagung ist davon abhängig, ob der Beklagte sich entweder infolge des Zeitpunkts oder infolge der Art und Weise der Zustellung faktisch nicht verteidigen konnte (Walter/Domej, Internationales Zivilprozessrecht der Schweiz,

  5. Aufl., 2012, S. 496 f.). Nicht erforderlich ist dabei, dass die beklagte Partei vom verfahrenseinleitenden Schriftstück tatsächlich Kenntnis erhält; vielmehr kommt es darauf an, ob sie dazu die Gelegenheit hatte. Dies gilt auch bei öffentlichen Zustellungen, Zustellfiktionen und weiteren Zustellungssurrogaten. Auch hier

muss der Beklagte die Möglichkeit gehabt haben, das Schriftstück tatsächlich rechtzeitig zur Kenntnis zu nehmen (Schnyder, LugÜ-Domej/Oberhammer, Art. 34 N 40, m.w.H.).

    1. Im vorliegenden Fall bestätigte das Landgericht für Zivilrechtssachen Wien im Formular gemäss Art. 54 i.V.m. Anhang 5 LugÜ, dass dem Gesuchsgegner das verfahrenseinleitende Schriftstück (Klage sowie der Auftrag zur Klagebeant- wortung) am 30. April 2019 zugestellt worden sei (Urk. 12/2). Die Bescheinigung gemäss Art. 54 LugÜ begründet keine unwiderlegbare Vermutung für die Richtig- keit der darin beurkundeten Tatsachen. Der Gesuchsgegner kann die Unrichtig- keit der Bescheinigung im Rechtsbehelfsverfahren darlegen und mit sämtlichen nach der jeweiligen lex fori zulässigen Beweismitteln belegen (Dasser/Oberham- mer-Naegeli, Art. 54 LugÜ N 11).

    2. Dem aktenkundigen Verlaufsprotokoll des unter der Geschäftsnummer 54 Cg 25/19 x geführten Verfahrens vor dem Landesgericht in Zivilrechtssachen Wien ist zu entnehmen, dass dem Gesuchsgegner die Klage - wie auch von der Gesuchstellerin zutreffend ausgeführt (Urk. 24 S. 2 f.) - durch Hinterlegung im Sinne von § 17 des österreichischen Bundesgesetzes über die Zustellung behörd- licher Dokumente (ZuStG; BGBl. Nr. 200/1982, in: www.bmwit.gv.at/teleko m- munikation/post/ recht/aut/ zustellgesetz.html) an die F. -Gasse ..., Appar- tement Top , Wien, zugestellt wurde. Ebenfalls ersichtlich ist, dass die Sen- dung vom Gesuchsgegner nicht abgeholt und entsprechend am 21. Mai 2019 an das Landesgericht in Zivilrechtssachen Wien retourniert wurde (Urk. 37/2 S. 3).

    3. Die Zustellung mittels Hinterlegung ist laut § 17 Abs. 1 ZuStG vorgesehen, wenn die Sendung an der Abgabestelle nicht zugestellt werden kann und der Zu- steller Grund zur Annahme hat, dass sich der Empfänger oder ein Vertreter re- gelmässig an der Abgabestelle aufhält. Der Empfänger ist von der Hinterlegung schriftlich zu verständigen (§ 17 Abs. 2 ZuStG). Die hinterlegte Sendung ist min- destens zwei Wochen zur Abholung bereit zu halten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem die Sendung erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Sendungen gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Nicht als zugestellt gelten hinterlegte Sendungen indes, wenn sich ergibt, dass der

      Empfänger oder dessen Vertreter wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustel- lung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Ab- holfrist wirksam, an dem die hinterlegte Sendung behoben werden könnte (§ 17 Abs. 3 ZuStG). Wie der Gesuchsgegner zutreffend ausführen lässt, ist nach herr- schender Auffassung der österreichischen Lehre und Rechtsprechung für die Wirksamkeit der Zustellung auf diese Weise zusätzlich vorausgesetzt, dass sich der Empfänger auch tatsächlich regelmässig an der Abgabestelle aufhält (OGH 10 OB 42/12t, E. 3; OGH 9 ObA 138/18m, E. 4, jeweils mit Verweis auf (u.a.) Gitschthaler, in: Rechberger, ZPO, § 87 [§ 2 ZustG] N 7; Raschauer, in: Frauenberger-Pfeiler/Raschauer/Sander/Wessely [Hrsg.], Österreichisches Zu- stellrecht, § 2 N 7; Thienel/Zeleny, Die österreichischen Verwaltungsverfahrens- gesetze, § 2 ZuStG N 4).

    4. Vorliegend steht demnach die Frage im Zentrum, ob es sich bei der Adres- se F. -Gasse ..., Appartement Top ..., Wien, um eine zulässige Abgabe- stellte im Sinne der obgenannten Erwägungen handelte bzw. der Gesuchsgegner ausreichend dartun kann, dass er sich an dieser Adresse zum Zeitpunkt der Zu- stellung nicht regelmässig aufgehalten hat und demnach keine Möglichkeit hatte, von der Zustellung Kenntnis zu erlangen.

    5. Der Gesuchsgegner reicht hierzu eine Wohnsitzbescheinigung der Ein- wohnerkontrolle E. ein, wonach er seit dem 21. Juni 2016 am -Berg in

      E. wohnhaft sei (Urk. 19/3). Zwar reicht die formelle Anmeldung bei einer Gemeinde nicht aus, um einen Wohnsitz zu begründen bzw. um zu beweisen, dass er sich nicht regelmässig an einer anderen Adresse aufgehalten hat; sie stellt aber immerhin ein Indiz für das Vorliegen eines Lebensmittelpunktes in der Schweiz dar (BGer 5A_733/2012 vom 16. November 2012, E. 2.2.2). Im Weiteren reicht der Gesuchsgegner eine auf ihn lautende und vom 11. August 2016 bis am

      31. August 2021 für die ganze Schweiz gültige Aufenthaltsbewilligung B ein (Urk. 19/4). Darin wird festgehalten, dass die Aufenthaltsbewilligung mit der Ab- meldung ins Ausland oder nach einem Auslandaufenthalt von mehr als sechs Monaten erlischt (Urk. 19/4). Diese Gültigkeitsvoraussetzung ist ebenfalls als Indiz zu werten, dass der Gesuchsgegner zumindest nicht dauerhaft an der besag- ten F. -Gasse wohnhaft gewesen ist, wäre ihm andernfalls möglicherweise die Aufenthaltsbewilligung entzogen worden. Sodann erklärt der Gesuchsgegner, bei der Adresse F. -Gasse ..., Appartement Top ... in Wien, wohin das verfahrenseinleitende Schriftstück sowie das Versäumungsurteil zugestellt wor- den seien, handle es sich um eine Wohnung, die einst von der G. AG, als Tochterfirma der D. Inc., für Mitglieder der Geschäftsführung gemietet wor- den sei, um teure Übernachtungskosten für Hotels sparen zu können. Der Ge- suchsgegner habe sich dort auch gelegentlich - aber nicht regelmässig - aufge- halten, sei aber nie dort gemeldet gewesen. Die Wohnung sei per 1. Juni 2017 aufgegeben worden (Urk. 35 S. 4). Diese Ausführungen werden durch die einge- reichten Unterlagen der Gesuchstellerin untermauert, die allesamt darauf hindeu- ten, dass der Gesuchsgegner jeweils rein geschäftlich in Wien anwesend war. Die Gesuchstellerin bringt zwar mit Verweis auf Urk. 26/A-F vor, seit dem Jahr 2016 sei sämtliche Korrespondenz mit dem Gesuchsgegner über seinen Wohnsitz in Wien abgehalten worden, doch zeigen etwa die Darlehensverträge sowie deren Ergänzungen (Urk. 26 A-C) einzig auf, dass der Gesuchsgegner diese Verträge in Wien unterzeichnet hat. Lediglich ein Vertrag über eine selbstschuldnerische Bürgschaft erwähnt als Adresse des Gesuchsgegners die F. -Gasse ..., Ap- partement Top ..., Wien. Dabei handelt es sich aber offensichtlich nur um einen Entwurf, der nicht unterzeichnet wurde und überdies aus dem Jahr 2016 stammt (Urk. 26D). Aktenwidrig ist sodann die Aussage der Gesuchstellerin, dass der Ge- suchsgegner am 4. Januar 2018 selber angegeben habe, an der F. -Gasse

      ... wohnhaft zu sein (vgl. Urk. 26C). In diesem Dokument - wie im Übrigen auch in allen anderen ausser dem Entwurfsvertrag - ist einzig in der Fussnote die Sitz- adresse der D. AG, C. ..., Wien, abgedruckt (Urk. 26A; Urk. 26B;

      Urk. 26C). Auch die Handelsregisterauszüge der Firmen D.

      GmbH und

      H. führen als Adresse des Gesuchsgegners beide wiederum die Sitzadres- se der D. AG, C. ..., Wien, auf (Urk. 26 E und F), was ebenfalls da- rauf hindeutet, dass der Gesuchsgegner keinen anderweitigen Wohnsitz in Wien hat. Besonders hervorzuheben gilt es in diesem Zusammenhang, dass der Ge- suchsgegner gar unter Angabe der Adresse C. ..., Wien, eingeklagt wurde und diese auch im Urteil vom 6. Juni 2019 als die Adresse des Gesuchsgeg- ners figuriert (vgl. Urk. 3/2 und Urk. 24). Aus welchen Gründen die Zustellung in der Folge an die F. -Strasse , Appartement Top ..., Wien, erfolgte, ist weder ersichtlich noch nachvollziehbar.

    6. Nach dem Gesagten bestehen keinerlei Anhaltspunkte, dass der Gesuchs- gegner nebst den geschäftlichen Aufenthalten einen Wohnsitz in Wien begründet hätte. Es ist vor diesem Hintergrund auch nicht ersichtlich, weshalb das Zustellor- gan im Sinne von § 17 ZuStG Grund zur Annahme hätte haben dürfen, dass sich der Gesuchsgegner regelmässig an dieser Adresse aufhalten würde. Dies gilt umso mehr, als die Zustelladresse gar von der aufgeführten Adresse des Ge- suchsgegners im Versäumungsurteil abweicht. Aufgrund dessen ist vorliegend davon auszugehen, dass der Gesuchsgegner kein Zustelldomizil an besagter Ad- resse begründete und die Zustellfiktion in diesem Fall - entgegen der Bestätigung im Formular gemäss Art. 54 i.V.m. Anhang 5 LugÜ - nicht greift. Entsprechend hätte das verfahrenseinleitende Schriftstück zwingend an den tatsächlichen Wohnsitz des Gesuchsgegners in der Schweiz zugestellt werden müssen. Da dies vorliegend (unbestrittenermassen) nicht geschehen ist, hatte der Gesuchs- gegner auch keine Möglichkeit, am österreichischen Erkenntnisverfahren teilzu- nehmen und dabei seine Verteidigungsrechte zu wahren. Aufgrund der mangel- haften Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks liegt ein Versagungs- grund im Sinne von Art. 34 Abs. 2 LugÜ vor, was zur Gutheissung der Beschwer- de und somit zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids führt. Das Gesuch der Gesuchstellerin um Vollstreckbarerklärung des Versäumungsurteil des Lan- desgerichts in Zivilrechtssachen Wien vom 6. Juni 2019 ist demnach abzuweisen.

  1. Kosten- und Entschädigungsfolgen

    1. Abschliessend ist über die Kosten- und Entschädigungsfolgen für das erst- und zweitinstanzliche Verfahren zu befinden.

    2. Fällt die Beschwerdeinstanz einen reformatorischen Entscheid, entscheidet sie in Analogie zum Berufungsverfahren nach Art. 318 Abs. 3 ZPO auch über die Prozesskosten des erstinstanzlichen Verfahrens (ZK ZPO-Freiburghaus/Afheldt,

      Art. 327 N 24). Nach erfolgter Korrektur des angefochtenen Urteils unterliegt die Gesuchstellerin vollumfänglich (Art. 106 Abs. 1 ZPO). Die vorinstanzlichen Ge- richtskosten von Fr. 800.- sind daher der Gesuchstellerin aufzuerlegen. Partei- entschädigungen sind für das erstinstanzliche Verfahren keine zuzusprechen. Der Gesuchstellerin nicht aufgrund ihres Unterliegens, dem Gesuchsgegner nicht mangels erheblicher Aufwendungen.

    3. Im Beschwerdeverfahren unterliegt die Gesuchstellerin ebenfalls, weshalb sie kosten- und entschädigungspflichtig wird (Art. 106 Abs. 1 ZPO). Auf den Streitwert darf bei der Festsetzung der Höhe der Gerichtskosten nicht abgestellt werden (Art. 52 LugÜ). Die Gebühr ist aufgrund des Schwierigkeitsgrades, des Zeitaufwandes und der Verantwortung festzusetzen (BSK LugÜ-Hofmann/Kunz, Art. 52 N 16 mit Verweis auf OGer ZH RV140013 vom 20.03.2015, E. 4.3). Für das Beschwerdeverfahren erscheint aufgrund der angeführten Kriterien eine Ge- richtsgebühr von Fr. 3'000.- angemessen. Sie ist vorab aus dem vom Gesuchs- gegner geleisteten Kostenvorschuss zu beziehen, dem Gesuchsgegner aber von der Gesuchstellerin zu ersetzen (Art. 111 Abs. 1 und 2 ZPO).

    4. Die Regelung der Parteientschädigung wird indes nicht von Art. 52 LugÜ erfasst. Es ist diesbezüglich die Verordnung über die Anwaltsgebühren vom

8. September 2010 (AnwGebV) heranzuziehen (OGer ZH RV140013 vom 20.03.2015, E. 4.3). Der Streitwert beläuft sich auf Fr. 159'957.- (entsprechend EUR 150'000.- bei einem Umrechnungskurs per 3. März 2020 von 1.06638; BGE

63 II 34). In Anwendung von § 4 Abs. 1 in Verbindung mit § 9, § 11 Abs. 1 und § 13 Abs. 2 AnwGebV ist die Gesuchstellerin zu verpflichten, dem Gesuchsgegner eine volle Parteientschädigung von Fr. 5'200.- (inkl. 7.7% Mehrwertsteuer) zu be- zahlen.

Es wird erkannt:

  1. Die Beschwerde wird gutgeheissen und der angefochtene Entscheid des Einzelgerichts im summarischen Verfahren am Bezirksgericht Zürich vom

    30. Januar 2020 wird aufgehoben.

  2. Das Exequaturgesuch der Gesuchstellerin vom 10. Dezember 2019 wird abgewiesen und das Versäumungsurteil des Landesgerichts für Zivilsachen Wien vom 6. Juni 2019 (Geschäft Nr. 54 Cg 25/19x-4) wird als nicht voll- streckbar erklärt.

  3. Die erstinstanzlichen Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Gesuchstel- lerin auferlegt.

  4. Für das erstinstanzliche Verfahren werden keine Parteientschädigungen zu- gesprochen.

  5. Die zweitinstanzliche Entscheidgebühr wird auf Fr. 3'000.- festgesetzt.

  6. Die Kosten für das zweitinstanzliche Verfahren werden der Gesuchstellerin auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss des Gesuchsgegners verrechnet. Die Gesuchstellerin wird verpflichtet, dem Gesuchsgegner den geleisteten Vorschuss von Fr. 1'200.- zu ersetzen. Im Mehrbetrag stellt die Obergerichtskasse Rechnung.

  7. Die Gesuchstellerin wird verpflichtet, dem Gesuchsgegner für das Beschwerdeverfahren eine Parteientschädigung von Fr. 5'200.- zu bezahlen.

  8. Schriftliche Mitteilung an die Parteien sowie an die Vorinstanz, je gegen Empfangsschein.

    Die erstinstanzlichen Akten gehen nach unbenütztem Ablauf der Rechtsmit- telfrist an die Vorinstanz zurück.

  9. Eine Beschwerde gegen diesen Entscheid an das Bundesgericht ist innert

30 Tagen von der Zustellung an beim Schweizerischen Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, einzureichen. Zulässigkeit und Form einer solchen Beschwerde richten sich nach Art. 72 ff. (Beschwerde in Zivilsachen) oder Art. 113 ff. (subsidiäre Verfassungsbeschwerde) in Verbindung mit Art. 42 des Bundesgesetzes über das Bundesgericht (BGG).

Dies ist ein Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG.

Es handelt sich um eine vermögensrechtliche Angelegenheit. Der Streitwert beträgt Fr. 159'957.-.

Die Beschwerde an das Bundesgericht hat keine aufschiebende Wirkung. Hinsichtlich des Fristenlaufs gelten die Art. 44 ff. BGG

Zürich, 24. August 2020

Obergericht des Kantons Zürich

  1. Zivilkammer

Die Gerichtsschreiberin:

MLaw S. Meisel versandt am:

mc

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