Zusammenfassung des Urteils PQ150073: Obergericht des Kantons Zürich
Das Obergericht des Kantons Zürich hat in einem Fall bezüglich einer Erwachsenenschutzmassnahme entschieden. Es ging um eine Frau namens A., die am Down-Syndrom leidet und seit 1975 in einem Wohnheim lebt. Nach dem Tod ihrer Eltern wurde sie entmündigt und unter die elterliche Gewalt gestellt. Nach dem Tod ihres Vaters wurde eine Vormundschaft für sie eingerichtet. Mit dem neuen Erwachsenenschutzrecht wurde die Vormundschaft in eine Vertretungsbeistandschaft umgewandelt, was von A. und ihrer Schwester B. angefochten wurde. Der Bezirksrat wies die Beschwerde ab, setzte Gerichtskosten fest und entschied gegen A. und B. Das Obergericht hob dieses Urteil auf und wies den Fall zur weiteren Prüfung an den Bezirksrat zurück.
Kanton: | ZH |
Fallnummer: | PQ150073 |
Instanz: | Obergericht des Kantons Zürich |
Abteilung: | II. Zivilkammer |
Datum: | 23.12.2015 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Erwachsenenschutzmassnahme |
Schlagwörter : | Bezirk; Bezirksrat; Beschwerde; Massnahme; Beistandschaft; Recht; Urteil; Erwachsenenschutz; Vertretung; Beschwerdeführerinnen; Massnahmen; Sachverhalt; Beiständin; Horgen; KESB-act; Schwester; Anhörung; Person; Erwägungen; Bezirksrates; Gesichtspunkt; Regelung; Obergericht; Erwachsenenschutzbehörde |
Rechtsnorm: | Art. 17 ZGB ;Art. 310 ZPO ;Art. 369 ZGB ;Art. 389 ZGB ;Art. 391 ZGB ;Art. 395 ZGB ;Art. 398 ZGB ;Art. 447 ZGB ;Art. 450a ZGB ;Art. 450c ZGB ;Art. 69 ZPO ;Art. 93 BGG ; |
Referenz BGE: | 140 III 49; 140 III 97; |
Kommentar: | - |
Obergericht des Kantons Zürich
II. Zivilkammer
Geschäfts-Nr.: PQ150073-O/U
Mitwirkend: Oberrichterin lic. iur. A. Katzenstein, Vorsitzende, Oberrichterin lic. iur. E. Lichti Aschwanden und Oberrichter Dr. P. Higi sowie Gerichtsschreiber lic. iur. T. Engler.
Urteil vom 23. Dezember 2015
in Sachen
Beschwerdeführerinnen
1 vertreten durch Beiständin B.
1, 2 vertreten durch Rechtsanwalt Dr. iur. X.
betreffend Erwachsenenschutzmassnahme
Erwägungen:
(Übersicht zum Sachverhalt/Prozessgeschichte)
- 1.1 A. ist als jüngstes von vier Kindern der Eheleute †C. , geb. D. , und †E. zur Welt gekommen. Sie leidet am sog. Down-Syndrom und lebt seit 1975 im Wohnheim F. in G. . B. (die Beschwerdeführerin 2) ist eine der zwei Schwestern von A. . Der Bruder, H. , ist verstorben.
Wegen ihres Leidens wurde A. im Mai 1998 im Zusammenhang mit dem Tod ihrer Mutter gestützt auf ein ärztliches Gutachten entmündigt und unter die elterliche Gewalt ihres damals noch lebenden Vaters gestellt (KESBact. 7). Das ärztliche Gutachten stellte damals im Wesentlichen fest, A. befinde sich entwicklungsmässig auf der Stufe eines Kleinkindes, das sich im täglichen Leben im Heim einigermassen selber helfen könne. In grösseren Zusammenhängen sei A. auf fremde Hilfe und Überwachung angewiesen. Einfache schulische Fähigkeiten seien nicht vorhanden; A. könne weder lesen noch schreiben. Auch die sprachliche Verständigung sei schwierig. A. spreche, wenn überhaupt, nur in kurzen, abgehackten Sätzen und beschränke sich meistens auf ein Ja Nein. Erzählen könne sie nichts und ihr Befinden lasse sich nur an ihrem Verhalten abschätzen. Sie könne ihre Angelegenheiten selber nicht besorgen und bedürfe daher lebenslang des Beistandes, weil das Leiden unheilbar sei und lebenslang bestehe (vgl. KESB-act. 4 S. 3).
Nach dem Tod des Vaters E. errichtete die Vormundschaftsbehörde der Stadt I. im Jahre 2001 für A. eine Vormundschaft im Sinne von aArt. 369 ZGB und ernannte B. zur Vormundin. Der Vormundin wurde dabei vor allem der Auftrag erteilt, die persönlichen und vermögensrechtlichen Interessen von A. zu wahren und sie zu vertreten. Die Ernennung von B. zur Vormundin erfolgte auf Wunsch der Familie bzw. mit Zustimmung namentlich ihrer Schwester J. , die wie B. von Beruf Ärztin ist, wenn auch anderer Fachrichtung (vgl. KESB-act. 10).
Daneben wurde noch eine Beistandschaft i.S. des aArt. 392 Ziff. 2 ZGB errichtet, zur Vermeidung von Interessenkollisionen bei der Wahrung der Ansprüche von A. am Nachlass von †E. . Als Beiständin amtete zuletzt K. , Soziale Dienste I. .
- 2.1 Mit dem Inkrafttreten des revidierten Erwachsenenschutzrechts am 1. Januar 2013 wurde die bisherige Vormundschaft als umfassende Beistandschaft i.S. des Art. 398 ZGB fortgeführt. Im Dezember 2014 gelangte die Kindesund Erwachsenenschutzbehörde Bezirk Horgen (fortan: KESB) an B. und ersuchte sie, zwecks Anpassung der bestehenden Beistandschaft an das neue Erwachsenenschutzrecht einen neunseitigen Fragebogen auszufüllen. Mit Brief vom 30. Dezember 2014 teilte B. der KESB mit, ihre Schwester A. sei seit Geburt schwer behindert und wegen dauernder Urteilsunfähigkeit besonders hilfsbedürftig. Eine Anpassung der bisherigen Vormundschaft an das neue Recht könne daher nur dadurch erfolgen, dass an deren Stelle eine umfassende Beistandschaft errichtet werde (vgl. KESB-act. 54).
Offenbar am 23. März 2015 kam es zu einem Telefongespräch zwischen
B. und einem Behördenmitglied der KESB. Jedenfalls datiert von diesem Tag eine umfangreiche Telefonnotiz (vgl. KESB-act. 55), die angibt, es seien über die Bereiche Wohnen, Gesundheit, Bildung/Erwerbstätigkeit, soziales Wohl/Tagesstruktur, Administration/Finanzen, Rechtliches und Anhörung gesprochen worden sowie über eine Frage zu einem Investment. Das Gespräch wird sodann in einer Zusammenfassung gewissermassen noch resümiert, welche den Standpunkt des Behördenmitglieds der KESB wiedergibt, die bisherige Beistandschaft sei in eine Vertretungsbeistandschaft mit Vermögensverwaltung umzuwandeln. Im Übrigen genügten die gesetzlichen Vertretungsrechte beider Schwestern von A. . Entsprechendes teilte die KESB B. noch gleichentags schriftlich mit (vgl. KESB-act. 56). Hingewiesen wurde weiter, dass aus Gründen der Verhältnismässigkeit auf eine Anhörung von A. verzichtet werde (vgl. a.a.O., S. 2). Weitere Abklärungen der KESB sind nicht aktenkundig.
Am 25. März 2015 fasste die KESB ihren Beschluss zur Überführung der Massnahme und ordnete dabei im Wesentlichen Folgendes an (vgl. KESB-act. 57 [= act. 8/1/1], dort S. 3):
Die für A. bestehende umfassende Beistandschaft nach Art 398 ZGB wird überführt in eine Vertretungsbeistandschaft mit Vermögensverwaltung nach Art. 394 Abs. 1 i.V.m. Art. 395 Abs. 1 ZGB.
Als Beiständin wird B. , [Adresse], bestätigt und beauftragt:
A. beim Erledigen der administrativen Angelegenheiten soweit nötig zu vertreten, insbesondere auch im Verkehr mit Behörden, Ämtern, Banken, Post, (Sozial-) Versicherungen, sonstigen Institutionen und Privatpersonen;
ihr gesamtes Einkommen und gesamtes Vermögen sorgfältig zu verwalten;
sofern erforderlich gestützt auf Art 391 Abs. 3 ZGB die Post von A. zu öffnen.
Die Beiständin wird eingeladen,
nötigenfalls Antrag auf Anpassung der behördlichen Massnahmen an ver- änderte Verhältnisse zu stellen;
per 31. Dezember 2016 ordentlicherweise Rechenschaftsbericht und Rechnung mit Belegen einzureichen.
(4./5 Kostenregelung/Rechtsmittelbelehrung.)
Der Beschluss wurde B. für sich sowie zuhanden von A. zugestellt. Die Zustellung im Dispositiv nach Eintritt der Rechtskraft an die Behörden der Stadt I. wurde sodann vorgemerkt (vgl. a.a.O., S. 4).
A. und B. , erstere vertreten durch letztere, waren mit diesem Beschluss der KESB nicht einverstanden. Sie gelangten mit Schriftsatz vom 30. April 2015 an den Bezirksrat Horgen und beantragten, den Beschluss der KESB aufzuheben und die bestehende umfassende Beistandschaft nach Art. 398 ZGB weiter zu führen (vgl. act. 8/1).
Der Bezirksrat holte eine Vernehmlassung der KESB ein, die vom 20. Mai 2015 datiert (vgl. act. 8/6). Am 27. Mai 2015 verfügte der Bezirksrat den Abschluss des Schriftenwechsels, indem er A. und B. ein Doppel der Vernehmlassung der KESB zusandte und ihnen zugleich die Gelegenheit einräumte, sich innert 30 Tagen dazu zu äussern (vgl. act. (8/7). Mit Schreiben vom
29. Juni 2015 nahmen A. und B. Stellung zur Vernehmlassung der
KESB (vgl. act. 8/9). Aus den Akten ergeben sich keine weiteren Prozessschritte des Bezirksrates.
Mit Urteil vom 22. Oktober 2015 (act. 7 [= act. 4 = act. 8/14) wies der Bezirksrat die Beschwerde ab, setzte die Entscheidgebühr auf Fr. 800.fest und auferlegte sie A. und B. je zur Hälfte. Eine Parteientschädigung wurde nicht zugesprochen. Die Mitteilung des Urteils erfolgte an A. und
B. sowie die KESB Bezirk Horgen.
Über das Urteil des Bezirksrates vom 22. Oktober 2015 beschwerten sich
und B. (fortan: die Beschwerdeführerinnen) mit Schriftsatz vom 25. November 2015 (act. 2 ff.) rechtzeitig bei der Kammer. Sie beantragen im Wesentlichen (vgl. act. 3 S. 2), den angefochtenen Entscheid aufzuheben und die umfassende Beistandschaft weiter zu führen. In der Folge wurden die vorinstanzlichen Akten von Amtes wegen beigezogen. Weiteres ist nicht erforderlich, weil über die Beschwerde sogleich entschieden werden kann.
(Zur Beschwerde im Einzelnen)
ergänzend die Vorschriften der ZPO und des GOG zu beachten (vgl. § 40 EG KESR). Das hat u.a. folgende Auswirkungen:
Wie bisher bei der Berufung kantonalen Rechts (vgl. a§§ 187 ff. GOG) kommt
der Beschwerde aufschiebende Wirkung zu, wenn die Vorinstanz das Obergericht nichts anderes anordnen (Art. 450c ZGB).
Die Rügegründe, nämlich die Rechtsverletzung, die unrichtige unvollstän- dige Feststellung des erheblichen Sachverhalts sowie Unangemessenheit (Art. 450a ZGB) entsprechen dem bisherigen kantonalen Recht (vgl. auch
Art. 310 ZPO i.V.m. § 187 GOG).
Nach wie vor können die Vorinstanzen vom Obergericht zur Vernehmlassung angehalten werden, und es kann das Obergericht nach Ermessen eine mündliche Anhörung durchführen schriftliche Stellungnahmen einholen (§§ 66 ff. EG KESR).
Weiterhin gilt der Untersuchungsgrundsatz (vgl. §§ 65 und 67 EG KESR).
Der Bezirksrat hat im angefochtenen Urteil (act. 7) in den Erwägungen 3 die Grundlagen behördlicher Massnahmen sowie die Möglichkeiten deren Ausgestaltung gemäss den Art. 388 ff. ZGB dargestellt. In den Erwägungen 5.2 prüfte er hernach, ob die KESB den Sachverhalt ausreichend abgeklärt hatte, was er im Ergebnis bejahte. Das Augenmerk der Überlegungen des Bezirksrates lagen dabei einerseits auf der fehlenden Anhörung der Beschwerdeführerin 1, A. , sowie anderseits auf den übrigen Abklärungen, welche die KESB getroffen bzw. nicht getroffen hatte. Er hielt dafür, die KESB habe sich an der Krankengeschichte der Beschwerdeführerin 1 orientieren dürfen. Weil sich die massgeblichen Verhältnisse seit dem Jahre 1998 nicht geändert hätten, sei das Abstellen auf das damals erstattete Gutachten zulässig gewesen. In den Erwägungen 5.3 widmete sich der Bezirksrat der Frage, ob die von der KESB angeordneten Massnahmen für die Beschwerdeführerin verhältnismässig und angemessen seien. Er bejahte das ebenso und begründete im Folgenden einlässlich, warum eine umfassende Beistandschaft nicht erforderlich sei. Namentlich erwog er, auch eine dauernde Urteilsunfähigkeit gebe per se noch keinen Anlass, eine umfassende Beistandschaft zu errichten, weil oft eine derartige Hilfsbedürftigkeit gegeben sei, dass keine Gefahr bestehe, dass sich der Betroffene selbst schädigen könne. Das sei bei der Beschwerdeführerin gerade der Fall. Die Beschwerdeführerin 1 lebe in einem geschützten Rahmen und habe zwei Schwestern, die sich um sie kümmerten, vorab die Beschwerdeführerin 2. Auch die zweite Schwester spiele aber eine grosse Rolle im Leben der Beschwerdeführerin 1. Als Ärztinnen könnten sodann beide Schwestern die Beschwerdeführerin 1 unterstützen. Die getroffenen Massnahmen seien geeignet und böten der Beschwerdeführerin Wohl und Schutz. Es sei zudem darauf hinzuweisen, dass jederzeit eine Änderung Aufhebung der Beistandschaft beantragt werden könne, wenn sich die Situation ändere.
Die Beschwerdeführerinnen halten dem entgegen (vgl. act. 3), es sei auch unter dem neuen Recht eine umfassende Beistandschaft angezeigt.
Sie machen dabei unter rechtlichen Gesichtspunkten vor allem geltend, das neue Recht habe nicht wirklich etwas Neues gebracht. Die Beschwerdeführerin 1 sei seit ihrer Geburt umfassend, also besonders hilfsbedürftig sie sei dauernd urteilsunfähig und es habe sich daran seit der Begutachtung im Jahre 1998 nichts geändert (vgl. act. 3 S. 10 f.).
Die Beschwerdeführerinnen setzen sich dabei mit den zutreffenden rechtli-
chen Erwägungen des Bezirksrates nicht näher auseinander, gemäss denen das neue Recht eine andere Sichtweise als das frühere Recht gebietet und die umfassende Beistandschaft lediglich als ultima ratio versteht. Deren Anordnung ist auch bei schwer behinderten Personen daher nur dann zu wählen, wenn unter den gegebenen Umständen weniger einschneidende Massnahmen den nötigen Schutz nicht zu gewährleisten vermögen (vgl. zum Ganzen etwa HENKEL, in: BSKErwachsenenschutz, Basel 2012, Art. 398 N 19 f., DERS., in BSK-ZGB I, 5. A.,
Basel 2014, Art. 398 N 16, 19 f., LANGENEGGER, in: ROSCH/BÜCHLER/JAKOB
(Hrsg.), Erwachsenenschutzrecht, 2. A., Basel 2015, Art. 398 N 1 ff.). So bedeutet
z.B. dauernde Urteilsunfähigkeit aufgrund von Art. 17 ZGB zugleich stets von Gesetzes wegen entsprechende Handlungsunfähigkeit, weshalb letztere nicht noch besonders entzogen werden muss (vgl. z.B. LANGENEGGER, a.a.O., N 2, HENKEL, in: BSK-ZGB I, a.a.O., Art. 398 N 27). Das ist unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit (vgl. Art. 389 ZGB) stets zu beachten, also auch bei der Überprüfung der bestehenden Massnahme im Hinblick auf eine allfällige Anpassung an das neue Recht. Zu verweisen ist im Übrigen auch auf BGE 140 III 49, in dem das Bundesgericht zu den grundlegenden Prinzipien, die gemäss Art. 389 ZGB
bei der Anordnung erwachsenenschutzrechtlicher Massnahmen zu beachten sind, Folgendes festhält: In Art. 389 ZGB unterstellt der Gesetzgeber alle behördlichen Massnahmen des Erwachsenenschutzes den beiden Maximen der Subsidiarität und der Verhältnismässigkeit. Subsidiarität (Art. 389 Abs. 1 ZGB) heisst, dass behördliche Massnahmen nur dann anzuordnen sind, wenn die Betreuung der hilfsbedürftigen Person auf andere Weise nicht angemessen sichergestellt ist (Botschaft vom 28. Juni 2006, zur Än- derung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht] BBl 2006 7042 Ziff. 2.2.1). Ist die gebotene Unterstützung der hilfsbedürftigen Person auf andere Art - durch die Familie, andere nahestehende Personen (vgl. dazu Urteil 5A_663/2013 vom 5. November 2013 E. 3) private öffentliche Dienste
schon gewährleistet, so ordnet die Erwachsenenschutzbehörde keine Massnahme an
(Art. 389 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB). Kommt die Erwachsenenschutzbehörde demgegenüber zum Schluss, die vorhandene Unterstützung der hilfsbedürftigen Person sei nicht ausreichend von vornherein ungenügend, so muss ihre behördliche Massnahme verhältnismässig, das heisst erforderlich und geeignet sein (Art. 389 Abs. 2 ZGB). Die Erwachsenenschutzbehörde hat dabei nicht gesetzlich fest umschriebene, starre Massnahmen, sondern Massnahmen nach Mass zu treffen, das heisst solche, die den Bedürfnissen der betroffenen Person entsprechen (Art. 391 Abs. 1 ZGB). Es gilt der Grundsatz Soviel staatliche Fürsorge wie nötig, so wenig staatlicher Eingriff wie möglich (vgl. Botschaft, a.a.O., S. 7017 Ziff. 1.3.4. a.E.).
Die Anordnung einer Massnahme nach Mass setzt voraus, dass der Gegenstand bestimmt ist, dessen Mass zu nehmen ist. Dabei ist zu beachten, dass die Anordnung einer umfassenden Beistandschaft grundsätzlich ein Sachverständigengutachten voraussetzt (vgl. BGE 140 III 97). Vorliegendenfalls geht es indessen nicht um die Anordnung einer umfassenden Beistandschaft, sondern um eine vor dem Hintergrund des neuen Rechts allfällige Abänderung einer bereits bestehenden, die gestützt auf ein Gutachten errichtet worden war (vgl. vorn Ziff. I/1.2). Sowohl der Bezirksrat als auch die Beschwerdeführerinnen verkennen das letztlich nicht, wenn sie davon ausgehen, ein aktuelles Gutachten sei nicht erforderlich. Richtig gehen sie im Übrigen auch davon aus, die im damaligen Gutachten dargelegten Gründe, die in der Person der Beschwerdeführerin 1 lagen und zur umfassenden Verbeiständung geführt hatten (vgl. vorn Ziff. I/1.2), bestünden unverändert weiter anderes erschiene nur schon aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung in der Tat als unzutreffend.
Mit dem ist allerdings noch nichts Genaueres dazu gesagt, was die erforder-
liche und vor allem geeignete Massnahme ist, die allenfalls an die Stelle der bisherigen umfassenden Verbeiständung treten könnte, um der Hilfsbedürftigkeit der Beschwerdeführerin 1 Rechnung zu tragen.
Die Beschwerdeführerinnen machen geltend, die Beschwerdeführerin 1 vermöge nicht bloss ihre administrativen Angelegenheit nicht zu besorgen, sondern könne auch ihre Bedürfnisse etwa hinsichtlich ihrer allgemeinen Lebensgestaltung, nicht hinreichend, sondern höchstens konkludent artikulieren. Sie sei daher auf eine feste Bezugsperson angewiesen, die aus mehrjähriger Vertrautheit heraus ihre Bedürfnisse erkennen und verstehen könne. Sie wäre völlig überfordert und nicht in der Lage zu verstehen, dass sie sich in solchen Angelegenheiten an mehrere Personen wenden könnte bzw. müsste und für sie nicht klar wäre, dass keine primäre Bezugsperson vorhanden sei, der die Kompetenz zukomme, die erkannten Anliegen umzusetzen (vgl. act. 3 S. 5, S. 6, S. 9). Aufgrund ihrer schweren Behinderung sei die Beschwerdeführerin 1 auch nicht in der Lage, das Potenzial von mehreren teils vertretungsverpflichteten, teils nur vertretungsberechtigen Personen zu nutzen (a.a.O., S. 10). Dass sie neben ihrer Beiständin über mehrere Bezugspersonen und das Heim verfüge, welche für sie alle wichtig seien und die ihr wertvolle Dienste erwiesen, ändere daran nichts, dass sie ohne festen Bezugspunkt bei der Regelung aller ihrer Lebensbedürfnisse überfordert und entsprechend verloren wäre (vgl. a.a.O., S. 5f. und S. 11).
Die Beschwerdeführerinnen rügen vor diesem Hintergrund eine unrichtige Sachverhaltsfeststellung durch den Bezirksrat. Sie werfen dem Bezirksrat insbesondere vor, er habe es unterlassen, die konkreten Umstände näher abzuklären, nachdem dies schon die KESB versäumt habe (vgl. act 3, dort etwa S. 6, 8 f.). Das Abstellen z.B. auf die Telefonnotiz vom 23. März 2015 sei unrichtig gewesen, da diese Notiz völlig am tatsächlich geführten Gespräch vorbei gehe, in dem ein
Behördenmitglied der Beschwerdeführerin 2 apodiktisch erklärt habe, es komme nur eine Einengung der bisherigen Massnahme in Frage (vgl. a.a.O., S. 8). Weiter rügen sie, dass eine Anhörung der Beschwerdeführerin 1 unterblieb (a.a.O., S. 9): Es sei so die Beschwerdeführerinnen sinngemäss schlicht nicht ersichtlich, inwiefern die Anhörung für die Beschwerdeführerin 1 überhaupt eine Belastung darstellen soll; der Bezirksrat behaupte selbst nicht, die Befragung im Jahre 1998 durch die damalige Vormundschaftsbehörde habe für die Beschwerdeführerin 1 eine Belastung dargestellt. Da sich der Zustand der Beschwerdeführerin 1 seit damals nicht geändert habe, bleibe also unerfindlich, warum heute eine Anhörung eine Belastung darstellen könnte. Und es sei verfehlt einfach auf eine Anhörung zu verzichten, nur weil es um eine mildere Massnahme gehe (vgl. a.a.O. S. 9).
Die Rügen sind berechtigt. Die Anhörung der Beschwerdeführerin 1 wäre unter dem Gesichtspunkt des Untersuchungsgrundsatzes nur schon geboten gewesen, um sich ein näheres Bild davon zu machen, wie es um ihre Behinderung und ihre Fähigkeiten bestellt ist im Hinblick auf die Zweckmässigkeit, also Eignung der ins Auge gefassten Massnahme nach Mass. Sie ist auch unter dem Gesichtspunkt des Art. 447 Abs. 1 ZGB geboten. Andere eigene Abklärungen, die ein zutreffendes näheres Bild über das Mass der Hilfsbedürftigkeit der Beschwerdeführerin 1 hätten vermitteln können, unterblieben (vgl. vorn Ziff. I./2.3). Es lässt sich deshalb heute nicht feststellen, ob die Massnahmen, welche der Bezirksrat mit der Abweisung der Beschwerde gegen den Beschluss der KESB für angebracht erachtet hat, geeignet sind, um der Hilfsbedürftigkeit der Beschwerdeführerin zu begegnen, namentlich auch im Bereich der allgemeinen Lebensführung. Das fällt umso schwerer ins Gewicht, als auch die KESB auf nähere Abklärungen dazu verzichtete (vgl. vorn Ziff. I/2.2), was die Beschwerdeführerinnen bereits beim Bezirksrat rügten.
Was die Telefonnotiz der KESB vom 23. März 2015 betrifft (KESB-act. 55), so lässt deren Aufbau bzw. Gliederung sowie deren Duktus im Übrigen durchaus Zweifel daran aufkommen, sie gebe das tatsächlich geführte Gespräch wieder. Hinzu kommt, dass darin zuweilen die Rede von einem wir vereinbaren ist (vgl. KESB-act. 55, S. 1, S. 2), welches in der Sache nicht gerade dem Standpunkt entspricht, den die Beschwerdeführerin 2 vor dem Telefonat (vgl. KESB-act. 54)
und danach in beiden Beschwerdeverfahren eingenommen hat. Zudem entspricht das in der Zusammenfassung als vereinbart wiedergegebene (vgl. KESBact. 55, S. 3) inhaltlich nicht dem vorherigen wir vereinbaren. Eine überzeugende Entscheidgrundlage bildet die Telefonnotiz daher nicht und ersetzt keinesfalls eine Anhörung der Beschwerdeführerin 2 als Beiständin durch eine Behörde, wie sie der Untersuchungsgrundsatz gebietet, zumal dann, wenn offensichtlich diese Beiständin die Tragweite der ins Auge gefassten Massnahme und ihre damit verbundenen Aufgaben nicht genau abzuschätzen vermag. Letzteres kann der Beiständin übrigens auch mit Blick auf die vom Bezirksrat mit der Beschwerdeabweisung angeordnete Massnahme nicht verargt werden. So schafft es z.B. Unklarheit und Unsicherheit, wenn die Vertretung zum Erledigen von administrativen Angelegenheiten zu ihrer Aufgabe gemacht wird, aber nur soweit nötig (vgl. KESBact. 57, Dispositivziffer 2 a), auch und gerade dann, wenn zugleich eingeräumt wird, die Beschwerdeführerin sei dauernd urteilsunfähig und damit gemäss
Art. 17 ZGB nicht handlungsfähig.
Nicht näher berücksichtigt und abgeklärt wurde ebenfalls, worauf die Beschwerdeführerinnen zu Recht verweisen, inwieweit es der Beschwerdeführerin 1 heute zugemutet werden kann, auf eine primäre Bezugsperson für ihre Anliegen zu verzichten, nachdem sie seit dem Tod ihrer Mutter zunächst im Vater und dann in der heutigen Beiständin über eine solche verfügte. Ob ihr eine solche Bezugsperson nur durch eine umfassende Beistandschaft zur Verfügung gestellt werden kann ob nicht eine mildere Massnahme genügt, die z.B. eine alleinige Vertretung für medizinische Massnahmen und Belange des Wohnens (vgl. Art. 378 und 382 ZGB) vorsieht, ist daher heute nicht abzuschätzen und schon gar nicht festzustellen. Demnach fehlt es an einem hinreichend festgestellten Sachverhalt, auf den sich die Weiterführung der bestehenden Beistandschaft eine andere sog. mildere Massnahme verlässlich abstützen liesse. Bereits das führt zwangsläufig zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
Mit der Aufhebung des angefochtenen Urteils kann es allerdings mit Blick auf den Untersuchungsgrundsatz, den der Bezirksrat und zuvor schon die KESB zu berücksichtigen hatten, sein Bewenden nicht haben. Der Sachverhalt ist in den wesentlichen Teilen zu ergänzen, was sowohl unter dem Gesichtspunkt der Wahrung des Instanzenzuges als auch von der Sache her nicht im zweitinstanzlichen Beschwerdeverfahren vorzunehmen ist, sondern grundsätzlich durch die Instanz, welche die Gebote des Untersuchungsgrundsatzes nicht hinreichend berücksichtigte. Das führt zur Rückweisung der Sache an den Bezirksrat zur entsprechenden Sachverhaltsergänzung und neuen Beurteilung im Sinne der Erwägungen. Sollte sich der Bezirksrat (z.B. fachlich personell) nicht in der Lage sehen, die nötigen Abklärungen selbst vorzunehmen, will er in Beachtung des Instanzenzuges darauf verzichten, so ist es ihm unbenommen, die Sache seinerseits an die KESB zurückzuweisen.
Im Rahmen der Sachverhaltsergänzungen und der Neubeurteilung werden neben den bereits erwähnten Gesichtspunkten noch die folgenden Aspekte zu beachten sein, welche die Beschwerdeführerinnen ebenfalls mit Fug ansprechen. Die vom Bezirksrat bestätigten Regelungen der KESB führen zu einem Nebeneinander von Vertretungspflichten und Vertretungsberechtigungen. Eine Regelung für den Verkehr in alltäglichen Belangen mit dem Wohnheim fehlt. Gewiss ist das Heim für das Wohl im Alltagsleben der Beschwerdeführerin 1 zuständig; es fehlt ihm indessen die Vertretungsbefugnis in allen Fragen der allgemeinen Lebensgestaltung, soweit nicht ein Betreuungsvertrag bestimmte Vorkehren trifft. Bislang verfügte das Heim über einen Ansprechpartner, der befugt war, entsprechende verbindliche Entscheidungen zu treffen. Im angefochtenen Urteil finden sich zu diesem Gesichtspunkt keine Erwägungen von Belang, wiewohl es offensichtlich nicht belanglos sein kann, wie es sich fürderhin verhalten soll. Ungenügend bzw. an der Sache vorbei geht insofern der Hinweis auf die Subsidiarität, wie ihn die KESB in ihrer Vernehmlassung anbrachte (vgl. act. 8/6) und dem sich der Bezirksrat unter Verweis auf die gesetzliche Vertretung anschliesst (vgl. act. 7
S. 13).
Was die gesetzliche Vertretung betrifft, so weist der Bezirksrat richtig darauf hin, dass diese nach der von der KESB angedachten Lösung neu beiden Schwestern der Beschwerdeführerin 1 zustehen würde, und zwar als blosses Recht, nicht als Pflicht, wie sie bislang allein der Beiständin auferlegt war. Ob und inwieweit die zweite Schwester, J. , überhaupt bereit und gewillt wäre, neu diese Rechte neben der Beschwerdeführerin 2 wahr zu nehmen, ist ungeklärt: J.
wurde wie in Ziff. I/2.2-2.3 angesprochen weder über das Verfahren, in dem über eine neue Regelung befunden wurde, noch über die neue Regelung selbst informiert. Sie weiss m.a.W. nicht einmal, dass ihr neu allenfalls Vertretungsrechte zukommen sollen. Das geht nicht an, wie es auch nicht angeht, dass ungeklärt gelassen wird, ob und inwieweit zwischen den zwei allenfalls vertretungsberechtigten Schwestern ein Konsens darüber besteht, wie in medizinischen und anderen Fragen der allgemeinen Lebensführung entschieden werden soll. Gewiss ist das jedenfalls nicht, auch dann nicht, wenn man z.B. der vorhin erwähnten Telefonnotiz folgen wollte (vgl. KESB-act. 55 S. 2). Auch hier bedarf es der Klarheit im Sachverhalt und nötigenfalls einer klaren Regelung im Hinblick nicht zuletzt auf einen verbindlichen Verkehr mit dem Wohnheim. Anderes als eine insoweit klare Regelung scheint jedenfalls ungeeignet, dem Wohl der Beschwerdeführerin 1 zu dienen. Demnach wird J. im Hinblick auf ihr allenfalls zukommende Vertretungsrechte in das Verfahren einzubeziehen sein.
Die Beschwerdeführerin 2 vertritt dezidiert die Auffassung, nur eine umfassende Beistandschaft wie bis anhin werde der Hilfsbedürftigkeit der Beschwerdeführerin 1 gerecht, und sie lässt als gesetzliche Vertreterin der Beschwerdeführerin 1 diese Gleiches vortragen. Mit der Vertretung der Interessen der Beschwerdeführerin 1 hat sie zudem den gleichen Rechtsvertreter beauftragt wie für ihre eigene Vertretung (vgl. act. 8/4/1-2). Das ist problematisch, weil die Interessen der Beschwerdeführerin 1 in den zu klärenden Fragen und im Hinblick auf eine allfällige Anpassung der Beistandschaft nicht sozusagen naturgemäss gleichlaufend mit denen der Beschwerdeführerin 2 sind, sondern objektiv gesehen divergieren können. Der Bezirksrat hat die Frage der Zulässigkeit dieser Doppelvertretung ungeprüft gelassen und wird sie vor den Sachverhaltsergänzungen und der Neubeurteilung der Sache ebenfalls noch zu prüfen haben (und allenfalls der Beschwerdeführerin 1 eine eigene Rechtsvertretung [vgl. Art. 69 ZPO] zu bestellen haben).
(Kostenund Entschädigungsfolgen)
Es sind keine Gerichtskosten zu erheben. Eine Parteientschädigung aus der Staatskasse ist, weil es an den entsprechenden Voraussetzungen fehlt, nicht zuzusprechen (vgl. auch OGer ZH, 5. Januar 2011, LF110070).
Es wird erkannt:
Das Urteil des Bezirksrates Horgen vom 22. Oktober 2015 wird aufgehoben und es wird die Sache zur Ergänzung des Sachverhaltes und zur neuen Beurteilung im Sinne der Erwägungen an den Bezirksrat Horgen zurückgewiesen.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
Schriftliche Mitteilung an die Beschwerdeführerinnen, die Kindesund Erwachsenenschutzbehörde Bezirk Horgen, die Direktion der Justiz und des Innern (Gemeindeamt des Kantons Zürich) sowie - unter Rücksendung der eingereichten Akten an den Bezirksrat Horgen, je gegen Empfangsschein.
Eine Beschwerde gegen diesen Entscheid an das Bundesgericht ist innert 30 Tagen von der Zustellung an beim Schweizerischen Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, einzureichen. Zulässigkeit und Form einer solchen Beschwerde richten sich nach Art. 72 ff. (Beschwerde in Zivilsachen) Art. 113 ff. (subsidiäre Verfassungsbeschwerde) in Verbindung mit Art. 42 des Bundesgesetzes über das Bundesgericht (BGG).
Dies ist ein Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 BGG.
Es handelt sich um eine nicht vermögensrechtliche Angelegenheit.
Die Beschwerde an das Bundesgericht hat keine aufschiebende Wirkung.
Obergericht des Kantons Zürich
II. Zivilkammer
Der Gerichtsschreiber:
lic. iur. T. Engler
versandt am:
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