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Urteil Obergericht des Kantons Zürich (ZH)

Zusammenfassung des Urteils PC110052: Obergericht des Kantons Zürich

Der Einzelrichter hat den Parteien die beantragte unentgeltliche Prozessführung verweigert, woraufhin sie beide dagegen vorgehen. Es wird diskutiert, ob auch im Beschwerdeverfahren die unentgeltliche Rechtspflege gewährt werden sollte. Das Bundesgericht hat entschieden, dass eine kantonale Beschwerde gegen die Ablehnung der unentgeltlichen Rechtspflege kostenpflichtig ist. Es wird betont, dass die einheitliche Auslegung des Zivilprozessrechts angestrebt wird, auch wenn kantonale Gerichte ihre Unabhängigkeit wahren sollen. Die Frage der Kostenfreiheit im Beschwerdeverfahren bleibt umstritten, und es wird empfohlen, bei einer möglichen Einschränkung der unentgeltlichen Rechtspflege vorsichtig zu sein. Die Kammer folgt vorerst nicht dem Urteil des Bundesgerichts, behält sich aber eine neue Beurteilung vor.

Urteilsdetails des Kantongerichts PC110052

Kanton:ZH
Fallnummer:PC110052
Instanz:Obergericht des Kantons Zürich
Abteilung:II. Zivilkammer
Obergericht des Kantons Zürich Entscheid PC110052 vom 23.11.2011 (ZH)
Datum:23.11.2011
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege, Kosten
Schlagwörter : Bundesgericht; Rechtspflege; Verfahren; Beschwerdeverfahren; Entscheid; Gesuch; Praxis; Kammer; Verständnis; Rechtsmittelverfahren; Prozessführung; Kostenvorschuss; Urteil; Ablehnung; Weiterzug; Gerichte; Bundesgerichts; Aspekt; Kostenfreiheit; Kostenlosigkeit; Rechtsmittelinstanz; Über; Rechtsmittelverfahren; Auseinandersetzung; *BGer; Einzelrichter; Parteien
Rechtsnorm:Art. 114 ZPO ;Art. 119 ZPO ;Art. 121 ZPO ;Art. 28 BV ;Art. 343 OR ;Art. 65 BGG ;Art. 98 ZPO ;
Referenz BGE:132 I 201;
Kommentar:
-

Entscheid des Kantongerichts PC110052

Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege, Kosten

Art. 119 Abs. 6 ZPO gilt auch für das Rechtsmittelverfahren; Auseinandersetzung mit *BGer 5A_405/2011 vom 27. September 2011 E. 6

Der Einzelrichter verweigerte den Parteien die verlangte unentgeltliche Prozessführung, das fechten sie beide an.

(Erwägungen:)

2.1 Vorweg stellt sich die Frage nach einem Kostenvorschuss für die mutmasslichen Kosten des Beschwerdeverfahrens (Art. 98 ZPO).

Die Kammer versteht Art. 119 Abs. 6 ZPO so, dass Verfahren und Entscheid um die unentgeltliche Rechtspflege nicht nur in der ersten Instanz grundsätzlich kostenlos sind, sondern auch in einem allfälligen Beschwerdeverfahren (Art. 121 ZPO), und sie hat diese Praxis publiziert (OGerZH NQ110017 vom 8. September 2011).

Im Urteil 5A_405/2011 vom 27. September 2011 hat das Bundesgericht die Frage behandelt und ist zum Schluss gekommen, eine kantonale Beschwerde gegen die Ablehnung der unentgeltlichen Rechtspflege sei kostenpflichtig. Die bisherige Praxis der Kammer ist daher zu überprüfen.

2.2. Die Vereinheitlichung des Zivilprozessrechts sollte kantonale Besonderheiten zum Verschwinden bringen. Das nunmehr eidgenössische Verfahrensrecht wird vom Bundesgericht nach und nach eine einheitliche Auslegung erfahren. Auch wo ein Weiterzug nicht zu erwarten ist, sollten sich die kantonalen Gerichte daher trotz ihrer von Verfassungs wegen garantierten Unabhängigkeit im Interesse der einheitlichen Rechtsanwendung einer gefestigten Praxis des Bundesgerichts unterziehen. Auf dem Weg zu einer solchen Praxis sind aber abweichende Meinungen wohl nicht nur erlaubt, sondern auch erwünscht.

    1. Auszulegen ist Art. 119 Abs. 6 ZPO, wonach im Verfahren um die unentgeltliche Rechtspflege keine Gerichtskosten erhoben [werden]. Ob das

      auch für ein Beschwerdeverfahren nach Ablehnung eines Gesuches gilt, wird damit nicht ausdrücklich gesagt. Dem Bundesgericht ist ohne Weiteres darin zuzustimmen, dass der Wortlaut als primärer Ausgangspunkt für das Verständnis nicht klar ist.

      1. Aus der Systematik gewinnt das Bundesgericht sein Argument für die Kostenfälligkeit der Beschwerde: Art. 119 ZPO regelt Gesuch und Verfahren (unter dem letzteren Aspekt die Kostenfreiheit), Art. 121 ZPO eigenständig und ohne Bestimmungen zu den Kosten die Beschwerde gegen einen ablehnenden Entscheid. Da das Erheben von Kosten den Normalfall darstellt (Art. 95 f., 104 ff. ZPO), kann man daraus, dass die Kostenlosigkeit nicht in einem eigenen und den Art. 119 und 121 ZPO gleich gestellten Artikel angeordnet wird, mit dem Bundesgericht den Schluss ziehen, das Beschwerdeverfahren sei darum nicht kostenlos.

        Die ZPO ist freilich nicht konsequent nach innerer Logik aufgebaut. Erklärter politischer Wille war ein (möglichst) bürgerfreundliches und Laien-taugliches Gesetz (Botschaft S. 7237, 7242). Es darf und soll daher auch gefragt werden, ob sich ein bestimmtes Verständnis bei unbefangener Lesart aufdrängt. Die ZPO regelt das kantonale Verfahren, und zwar sowohl in der ersten als auch in der Rechtsmittelinstanz. Es liegt daher nahe anzunehmen, das Verfahren um die unentgeltliche Rechtspflege umfasse auch den kantonalen Weiterzug.

        Dazu gibt es Parallelen: Art. 343 aOR gab den Kantonen auf, Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis bis zu einem Streitwert von Fr. 30'000.-kostenfrei zu halten; das wurde diskussionslos auch auf die (kantonalen) Rechtsmittelinstanzen bezogen. Art. 114 lic. c ZPO hat daran nichts geändert (Adrian Urwyler, DikeKomm ZPO, Art. 114 N. 7, mit besonderem Hinweis auf die sozialpolitische Komponente). Die betreibungsrechtliche Beschwerde ist von Bundesrechts wegen kostenlos, und zwar in einer einzigen in zwei kantonalen Aufsichtsbehörden (Art. 20a Abs. 2 Ziff. 5 SchKG).

        Es scheint daher, dass bei unbefangenem Verständnis das Beschwerdeverfahren von der Kostenlosigkeit umfasst, und nicht ausgeschlossen sein sollte.

      2. Das Bundesgericht zitiert die vorbereitende Kommission des Ständerates mit dem Anliegen, dass der Betroffene nicht solle befürchten müssen, schon für das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege Kosten tragen zu müssen, und es räumt ein, diese Überlegung könnte auch in einem Rechtsmittelverfahren gegen einen abweisenden Entscheid eine gewisse Berechtigung haben (E. 6.5.4 a. E.).

        Die unentgeltliche Rechtspflege bliebe in ihrem Kern erhalten, auch wenn kantonale Rechtsmittelverfahren gegen ablehnende Entscheide kostenpflichtig würden. Vor Bundesgericht ist ein solches Verfahren etwa nicht kostenfrei (Art. 65 BGG), und der Gesetzgeber hat, um ein anderes Beispiel anzuführen, nur das Schlichtungs-, nicht aber das Entscheidverfahren in Mietsachen kostenfrei ausgestaltet (Art. 113 Abs. 2 lit. c gegenüber Art. 114 ZPO). Gleichwohl sollten sich die Gerichte Zurückhaltung auferlegen, wenn es um eine wenn auch nur teilweise Schwächung der von Art. 28 Abs. 3 BV garantierten unentgeltlichen Rechtspflege als Pfeiler des Rechtsstaates (BGE 132 I 201, 214) geht, und solche Einschränkungen der Gesetzgebung überlassen. Unter dem Aspekt der gesetzlichen Grundlage für alle Gebühren lässt es sich zudem vertreten, Ausnahmen von einer gesetzlich statuierten Kostenfreiheit ebenfalls nur zurückhaltend anzunehmen. Möglich bleibt die Kostenauflage in jedem Fall, wenn eine Beschwerde bösoder mutwillig erhoben wurde (Art. 119 Abs. 6 ZPO).

      3. Die Materialien enthalten, wie das Bundesgericht nach eingehenden Erörterungen feststellt, keine klare Stellungnahme zur Frage, ob (auch) das kantonale Beschwerdeverfahren um die unentgeltliche Prozessführung kostenfrei sein solle.

    2. Unter diesen Umständen folgt die Kammer dem erwähnten Urteil des Bundesgerichts einstweilen nicht. Wenn die erhoffte Diskussion zum Thema zu einem klaren Ergebnis führt, kann sich je nachdem eine neue Beurteilung aufdrängen.

Das bedeutet für das heutige Verfahren, dass kein Kostenvorschuss aufzuerlegen ist, und zwar auch dann, wenn ein Begehren um unentgeltliche

Rechtspflege für das Beschwerdeverfahren (Art. 119 Abs. 5 ZPO) nicht bewilligt werden könnte. Über die Frage der unentgeltlichen Vertretung für das Beschwerdeverfahren ist separat zu entscheiden.

Obergericht, II. Zivilkammer Verfügung vom 23. November 2011 Geschäfts-Nr.: PC110052-O/Z01

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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