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Urteil Handelsgericht des Kantons Zürich (ZH)

Kopfdaten
Kanton:ZH
Fallnummer:HE190382
Instanz:Handelsgericht des Kantons Zürich
Abteilung:-
Handelsgericht des Kantons Zürich Entscheid HE190382 vom 06.12.2019 (ZH)
Datum:06.12.2019
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Einsicht (Art. 958 e Abs. 2 OR)
Schlagwörter : Gesuch; Gesuchsgegnerin; Einsicht; Revisionsbericht; Hinweis; Recht; Parteien; Interesse; Geschäftsbericht; Jahresrechnung; Forderung; Investmentvertrag; Schutzwürdig; Verfügung; Bilanz; Darlehen; Investition; Anspruch; Gläubigers; Bestätigt; Finanzielle; Gläubigerstellung; Ausgewiesen; Gewinnbeteiligung; Blosse; Gesuchstellerin
Rechtsnorm: Art. 10 ZPO ; Art. 106 ZPO ; Art. 292 StGB ; Art. 343 ZPO ; Art. 6 ZPO ; Art. 680 OR ; Art. 697h OR ; Art. 958 OR ; Art. 958e OR ;
Referenz BGE:137 III 255;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid

Handelsgericht des Kantons Zürich

Einzelgericht

Geschäfts-Nr.: HE190382-O U/mk

Mitwirkend: Oberrichter Dr. Stephan Mazan sowie der Gerichtsschreiber Christian Markutt

Urteil vom 6. Dezember 2019

in Sachen

  1. AG,

    Gesuchstellerin

    vertreten durch Rechtsanwalt M.A.HSG in Law X1. , vertreten durch Rechtsanwalt MLaw X2. ,

    gegen

  2. AG,

Gesuchsgegnerin

betreffend Einsicht (Art. 958e Abs. 2 OR)

Rechtsbegehren:

(act. 1 S. 2)

1. Es sei die Gesuchsgegnerin zu verpflichten, der Gesuchstellerin Einsicht in ihren Geschäftsbericht und in ihren Revisionsbericht für das Geschäftsjahr 2018 zu gewähren, unter Androhung der Bestrafung der Organe der Gesuchsgegnerin mit Haft oder Busse wegen Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung im Sinne von Art. 343 ZPO und Art. 292 StGB im Fall der Zuwiderhandlung;

2. Unter Kostenund Entschädigungsfolgen zu Lasten der Gesuchsgegnerin zuzüglich MWST.

Der Einzelrichter zieht in Erwägung:
  1. Sachverhaltsüberblick

    1. Die Gesuchstellerin gewährte der Gesuchsgegnerin mit Investmentvertrag vom 14. November 2018 eine Investitionssumme - wohl ein Darlehen - von CHF 200'000.00 auf eine feste Laufzeit bis am 31. Dezember 2020 mit einer Basisverzinsung von 5.25%; ferner war eine anteilsmässige Gewinnbeteiligung von 10% am Projekt C. vereinbart (act. 1 Rz. 6 mit Hinweis auf act. 3/4 [Gesuchstellerin], bestätigt in act. 7 [Gesuchsgegnerin]).

    2. Am 6. Mai 2019 erhielt die Gesuchstellerin erstmals Einblick in die Jahresrechnung 2017 der Gesuchsgegnerin mit dem Revisionsbericht, der erst am

      22. November 2018 - das heisst nach Abschluss des Investmentvertrages vom

      14. November 2018 - erstellt wurde. Diesem Bericht kann u.a. entnommen werden, dass die Revisionsstelle ein Aktionärsdarlehen von CHF 5'265'686.00 mangels freien Eigenkapitals als verbotene Kapitalrückzahlung nach Art. 680 Abs. 2 OR qualifizierte (act. 1 Rz. 8 ff. mit Hinweis auf act. 3/6).

    3. Unmittelbar nach der Einsicht in die Jahresrechnung 2017 und den Revisionsbericht am 6. Mai 2019 erklärte die Gesuchstellerin mit Mail vom 12. Mai 2019 gegenüber der Gesuchsgegnerin die Unverbindlichkeit des Vertrages wegen Willensmängeln und verlangte die vollständige Rückzahlung innerhalb von 3 Arbeitstagen (act. 1 Rz. 13 mit Hinweis auf act. 3/9). Die Gesuchsgegnerin erklärte sich

      mit Mail vom 14. Mai 2019 bereit, die Investition schnellstmöglich zurückzufüh- ren und teilte mit, dass sie dafür bis Ende der darauffolgenden Woche Zeit benö- tige (act. 1 Rz. 13 mit Hinweis auf act. 3/10 [Gesuchstellerin]). Von der Investitionssumme von CHF 200'000.00 bezahlte die Gesuchsgegnerin jedoch nur

      CHF 35'000.00 zurück (act. 1 Rz. 14 [Gesuchstellerin], bestätigt in act. 7 Rz. 10 [Gesuchsgegnerin]).

    4. Die Gesuchstellerin erachtet die von ihr behaupteten Ansprüche als gefährdet und verlangt gestützt auf Art. 958e Abs. 2 OR Einsicht in den Geschäftsbericht und den Revisionsbericht für das Geschäftsjahr 2018. Die Gesuchsgegnerin bestreitet ein Recht auf Einsicht.

  2. Prozessgeschichte

    1. Am 1. Oktober 2019 reichte die Gesuchstellerin das Gesuch mit dem obgenannten Rechtsbegehren ein (act. 1).

    2. Am 10. Oktober 2019 ging der Gerichtskostenvorschuss ein (act. 6).

    3. Am 28. Oktober 2019 erstattete die Gesuchsgegnerin die Stellungnahme und beantragte die Abweisung des Gesuchs (act. 7).

    4. In ihrer (nicht erbetenen) Replik vom 4. November 2019 hielt die Gesuchstellerin an ihrer Darstellung fest (act. 9).

    5. Die Replik wurde der Gesuchsgegnerin zur Kenntnis zugestellt (act. 10). Das Verfahren ist spruchreif.

  3. Formelles

    1. In Bezug auf die Anordnung der Auskunftserteilung an Aktionäre und Gläu- biger nach Art. 958e Abs. 2 OR gilt das summarische Verfahren (Art. 250 lit. c Ziff. 7 ZPO).

    2. Da der Streitwert CHF 30'000.00 übersteigt, beide Parteien im Handelsregister eingetragen sind und die Streitigkeit ihre geschäftliche Tätigkeit betrifft und da überdies beide Parteien ihren Sitz in Zürich haben, ist die örtliche und sachliche

      Zuständigkeit des Einzelgerichts des Handelsgerichts Zürich gegeben (Art. 10 ZPO [örtliche Zuständigkeit] und Art. 6 ZPO i.V.m. § 45 GOG [sachliche Zustän- digkeit]).

  4. Rechtliches

    1. Gemäss Art. 958e Abs. 2 OR haben Gläubiger, die ein schützenswertes Interesse haben, gegenüber einem Unternehmen Anspruch auf Einsicht in den Geschäftsbericht und den Revisionsbericht; im Streitfall entscheidet das Gericht. Der Gesuchsteller, der gegenüber der Gesellschaft gestützt auf die erwähnte Bestimmung Einsicht verlangt, muss seine Gläubigerstellung (nachfolgend E. 4.2.) und ein schutzwürdiges Interesse nachweisen (nachfolgend E. 4.3.). Dem Entscheid über das Einsichtsrecht kommt, auch wenn er im summarischen Verfahren ergeht, materielle Rechtskraft zu, weshalb die Anspruchsvoraussetzungen zu beweisen - und nicht bloss glaubhaft zu machen - sind, wobei die Gläubigerstellung nur mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgewiesen sein muss (BGE 137 III 255 E. 4.1

      S. 257 [bezieht sich noch auf aArt. 697h Abs. 2 OR]).

    2. Die Gläubigerstellung der Gesuchstellerin ist unbestritten. Mit Investmentvertrag vom 14. November 2018 gewährte die Gesuchstellerin der Gesuchsgegnerin ein Darlehen von CHF 200'000.00 auf eine feste Laufzeit bis am 31. Dezember 2020 mit einer Basisverzinsung von 5.25%. Der Abschluss dieses Investmentsvertrages ist unbestritten. Ferner ist unbestritten, dass ein Teilbetrag des Darlehens in der Höhe von CHF 35'000.00 zurückbezahlt wurde. Die Aktivlegitimation der Gesuchstellerin steht ausser Frage.

    3. Auch ein schutzwürdiges Interesse der Gesuchstellerin an einer Einsicht ist zu bejahen. Wann ein Interesse an einer Einsicht schutzwürdig ist, kann nicht allgemein umschrieben werden. Nicht ausreichend ist blosse Neugier oder ein Interesse, welches sich aus dem blossen Umstand der Gläubigereigenschaft ergibt. Demgegenüber liegt ein berechtigtes Einsichtsinteresse vor, wenn die Forderung des Gläubigers insofern gefährdet erscheint, dass die fristgerechte Begleichung der Forderung in Frage steht, oder wenn andere Anzeichen vorliegen, die auf finanzielle Schwierigkeiten des Gesuchsgegners hindeuten. Dabei ist an das

      schutzwürdige Interesse an der Einsichtnahme kein allzu strenger Massstab anzusetzen (BGE 137 III 255 E. 4.1.3 m.w.H.; BSK OR II-Neuhaus/Suter, Art. 958e N 7 und 8).

      Im vorliegenden Fall liegen Hinweise für eine Gefährdung der Forderung der Gesuchstellerin bzw. Anzeichen für finanzielle Schwierigkeiten der Gesuchsgegnerin vor. Aufgrund der Jahresrechnung 2017 - insbes. der Bilanz - und dem Revisionsbericht zur Jahresrechnung 2017 - könnte die Bonität der Gesuchsgegnerin effektiv fraglich sein. Die Gesuchstellerin befürchtet aufgrund der in der Jahresrechnung 2017 ausgewiesenen Verluste für die Jahre 2016 und 2017 (Bilanzverlust 2016 von mehr als CHF 2,8 Mio. und Bilanzverlust 2017 von mehr als

      CHF 3,8 Mio.), dass die Gesuchsgegnerin einen Kapitalverlust erlitten haben könnte (act. 1 Rz. 9 mit Hinweis auf act. 3/6). Weiter weist die Gesuchstellerin auf ein Darlehen der Gesuchsgegnerin an ihre Aktionäre in der Höhe von mehr als CHF 5,2 Mio. hin und macht zu Recht geltend, dass dieses Aktionärsdarlehen gemäss Revisionsbericht mangels freien Eigenkapitals eine verbotene Kapitalrückzahlung nach Art. 680 Abs. 2 OR darstelle (act. 1 Rz. 10 mit Hinweis auf

      act. 3/6 S. 2). Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Gesuchsgegnerin gemäss E-Mail vom 14. Mai 2019 mit der Auflösung des Investmentvertrages einverstanden war, in der Folge aber trotz dieser Zusicherung offenbar nur in der Lage war lediglich CHF 35'000.00 - aber nicht den gesamten Betrag von CHF 200'000.00

      (allenfalls zzgl. Zins und Gewinnbeteiligung) - zurückzuzahlen (act. 1 Rz. 13 ff. mit Hinweis auf act. 3/9 und 3/10); wenn die Gesuchsgegnerin dazu erwidert, sie habe bis heute Zahlungen von CHF 35'000.00 an die Gesuchstellerin geleistet

      (act. 7 Rz. 10), bestätigt sie nur die Darstellung der Gesuchstellerin, dass jedenfalls CHF 165'000.00 (ohne Berücksichtigung von Zins und Gewinnbeteiligung) nicht zurückbezahlt wurde. Dies alles deutet auf eine Gefährdung der Forderung des Gesuchstellers sowie finanzielle Schwierigkeiten der Gesuchsgegnerin hin.

      Da der Gesuchstellerin eine Forderung von mindestens CHF 165'000.00 zusteht und da es sich dabei nicht um eine blosse Bagatellforderung handelt (vgl. BGE 137 III 255 E. 4.1.3 S. 259), ist der beantragte Einsichtsanspruch ausgewiesen. Der Einwand der Gesuchsgegnerin, die Gesuchstellerin mache den Einsichtsanspruch missbräuchlich geltend, um eine vorzeitige Rückführung ihres Investments entgegen der vertraglichen Abmachung zu erzwingen (act. 7 Rz. 12), ist nicht überzeugend. Einerseits hat die Gesuchsgegnerin in ihrem E-Mail vom 14. Mai 2019 selbst zugesichert, sie sei bestrebt, [die] Investition schnellst möglich zurückzuführen (act. 3/10). Andrerseits bestehen aufgrund der genannten Umstän- de Zweifel an der Zahlungsfähigkeit der Gesuchsgegnerin, weshalb das Einsichtsrecht nicht missbräuchlich geltend gemacht wird. Art. 958e Abs. 2 OR verschafft einen Anspruch auf Einsicht in den Geschäftsbericht - bestehend aus Bilanz, Erfolgsrechnung und Anhang (Art. 958 Abs. 2 OR) - sowie in den Revisionsbericht. Im Übrigen bestreitet die Gesuchsgegnerin nicht, dass unterdessen der Geschäftsbericht und Revisionsbericht für das Jahr 2018 vorliegt bzw. vorliegen müsste.

    4. Die beantragte Vollstreckungsmassnahme (act. 1 Rz. 28) ist angemessen und anzuordnen.

  5. Kostenund Entschädigungsfolgen

Da das Gesuch gutzuheissen ist, wird die Gesuchsgegnerin als unterliegende Prozesspartei kostenund entschädigungspflichtig (Art. 106 Abs. 1 ZPO). Aufgrund der Möglichkeit des Vorsteuerabzugs besteht in Bezug auf die Parteientschädigung kein Anspruch auf Vergütung der Mehrwertsteuer. Der Streitwert beträgt CHF 165'000.00 (vgl. 4 S. 2).

Der Einzelrichter erkennt:
  1. Die Gesuchsgegnerin wird verpflichtet, der Gesuchstellerin innerhalb von

    30 Tagen ab Zustellung dieses Urteil Einsicht in ihren Geschäftsbericht und ihren Revisionsbericht für das Geschäftsjahr 2018 zu gewähren.
  2. Die Einsicht erfolgt am Sitz der Gesuchsgegnerin zu den gewöhnlichen Geschäftszeiten, soweit sich die Parteien nicht auf andere Erfüllungsmodalitä- ten einigen. Die Gesuchstellerin ist berechtigt, auf eigene Kosten Abschriften oder Kopien zu erstellen. Die Gesuchsgegnerin ist berechtigt, eine unter-

    schriftliche Bestätigung der Gesuchstellerin über die gewährte Einsicht zu verlangen.

  3. Für den Fall der Widerhandlung gegen Ziffer 1 und 2 wird den Organen der Gesuchsgegnerin die Bestrafung wegen Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung im Sinne von Art. 292 StGB (Busse bis CHF 10'000) angedroht:

    Art. 292 StGB Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen

    Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, wird mit Busse bestraft.

  4. Die Gerichtsgebühr wird festgesetzt auf CHF 4'000.00.

  5. Die Kosten werden der Gesuchsgegnerin auferlegt und aus dem von der Gesuchstellerin geleisteten Kostenvorschuss gedeckt. Der Gesuchstellerin wird das Rückgriffsrecht auf die Gesuchsgegnerin eingeräumt.

  6. Die Gesuchsgegnerin wird verpflichtet, der Gesuchstellerin eine Parteientschädigung von CHF 5'000.00 zu bezahlen.

  7. Schriftliche Mitteilung an die Parteien.

  8. Eine bundesrechtliche Beschwerde gegen diesen Entscheid ist innerhalb von 30 Tagen von der Zustellung an beim Schweizerischen Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, einzureichen. Zulässigkeit und Form einer solchen Beschwerde richten sich nach Art. 72 ff. (Beschwerde in Zivilsachen) oder Art. 113 ff. (subsidiäre Verfassungsbeschwerde) in Verbindung mit Art. 42 und 90 ff. des Bundesgesetzes über das Bundesgericht (BGG). Der Streitwert beträgt CHF 165'000.00.

Zürich, 6. Dezember 2019

Handelsgericht des Kantons Zürich Einzelgericht

Der Gerichtsschreiber:

Christian Markutt

Bemerkungen

Anderes interessantes Muster für eine Informationsklage vgl. HE180280.

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