BEK 2020 69 - Einstellung Strafverfahren (Veruntreuung)
Beschluss vom 21. Dezember 2020
BEK 2020 69
Mitwirkend
Kantonsgerichtsvizepräsidentin lic. iur. Daniela Pérez-Steiner,
Kantonsrichterinnen Clara Betschart und lic. iur. Ilaria Beringer,
Gerichtsschreiberin lic. iur. Antoinette Hürlimann.
In Sachen
A.__,
Privatkläger und Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt B.__,
gegen
1. Kantonale Staatsanwaltschaft, Postfach 75, Sicherheitsstützpunkt Biberbrugg, 8836 Bennau,
Strafverfolgungsbehörde und Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Staatsanwalt C.__,
2. D.__,
Beschuldigte und Beschwerdegegnerin,
erbeten verteidigt durch Rechtsanwalt E.__,
betreffend
Einstellung Strafverfahren (Veruntreuung)
(Beschwerde gegen die Verfügung der kantonalen Staatsanwaltschaft vom 18. März 2020, SUB 2017 651);-
hat die Beschwerdekammer,
nachdem sich ergeben und in Erwägung:
1. a) Am 25. Oktober 2017 erstattete A.__ Strafanzeige gegen D.__. A.__ machte geltend, in der Zeit, als D.__ für ihn als Arztgehilfin tätig und für die Buchhaltung und die Zahlungen zuständig gewesen sei, seien von seinen Konti Geldbeträge von mutmasslich mehr als einer Million Franken abhandengekommen. Er äusserte den Verdacht, dass D.__ unter anderem ohne sein Wissen und Einverständnis an Bankomaten Geld bezogen und für sich verwendet habe (U-act. 10.2.001 Fragen 2 ff.). In der Folge wurden D.__ (nachfolgend Beschwerdegegnerin), die Ehefrau von A.__ sowie F.__ (Treuhänder von A.__) befragt und es wurden diverse Auskünfte die Bankverbindungen von A.__ betreffend eingeholt. Mit Verfügung vom 28. November 2019 zeigte die Staatsanwaltschaft den Parteien an, dass sie das Verfahren einstellen wolle (U-act. 15.1.001), worauf A.__ mit Eingabe vom 2. März 2020 diverse Beweisanträge stellte (U-act. 15.1.014). Am 18. März 2020 stellte die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren wegen Veruntreuung ein und wies die Beweisanträge von A.__ ab.
b) Dagegen erhob A.__ (nachfolgend Beschwerdeführer) am 30. April 2020 fristgerecht Beschwerde beim Kantonsgericht und beantragte, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben und die Sache sei zur Durchführung einer vollständigen Strafuntersuchung an die Staatsanwaltschaft zurückzuweisen (KG-act. 1). Mit Eingabe vom 15. Mai 2020 beantragte die Staatsanwaltschaft die Beschwerde sei abzuweisen und verzichtete im Übrigen auf Vernehmlassung (KG-act. 5). Die Beschwerdegegnerin trug mit Beschwerdeantwort vom 18. Mai 2020 auf Abweisung der Beschwerde an (KG-act. 6). Der Beschwerdeführer reichte am 22. Mai 2020 eine Stellungnahme zur Beschwerdeantwort ein (KG-act. 8), welche der Beschwerdegegnerin und der Staatsanwaltschaft zugestellt wurde (KG-act. 9).
2. a) Nach Beendigung des Untersuchungsverfahrens entscheidet die Staatsanwaltschaft, ob ein Strafbefehl zu erlassen, Anklage zu erheben das Verfahren einzustellen ist (Art. 318 StPO). Gemäss Art. 319 Abs. 1 StPO verfügt die Staatsanwaltschaft die Einstellung des Verfahrens, wenn insbesondere kein Tatverdacht erhärtet ist, der eine Anklage rechtfertigt (lit. a). Der Entscheid über die Einstellung eines Verfahrens hat sich nach dem Grundsatz „in dubio pro duriore“ zu richten. Danach darf eine Einstellung durch die Staatsanwaltschaft grundsätzlich nur bei klarer Straflosigkeit offensichtlich fehlenden Prozessvoraussetzungen angeordnet werden. Hingegen ist, sofern die Erledigung mit einem Strafbefehl nicht in Frage kommt, Anklage zu erheben, wenn eine Verurteilung wahrscheinlicher erscheint als ein Freispruch. Ist ein Freispruch genauso wahrscheinlich wie eine Verurteilung, drängt sich in der Regel, insbesondere bei schweren Delikten, eine Anklageerhebung auf. Bei zweifelhafter Beweisoder Rechtslage hat nicht die Staatsanwaltschaft über die Stichhaltigkeit des strafrechtlichen Vorwurfs zu entscheiden, sondern das zur materiellen Beurteilung zuständige Gericht. Jedoch müssen Sachverhaltsfeststellungen in Berücksichtigung des Grundsatzes „in dubio pro duriore“ auch bei Einstellungen zulässig sein, soweit gewisse Tatsachen „klar“ beziehungsweise „zweifelsfrei“ feststehen, so dass im Falle einer Anklage mit grosser Wahrscheinlichkeit keine abweichende Würdigung zu erwarten ist. Den Staatsanwaltschaften ist es mithin nur bei unklarer Beweislage untersagt, der gerichtlichen Beweiswürdigung vorzugreifen (BGer, Urteil 6B_1334/2019 vom 27. März 2020 E. 2.3.1 mit Hinweis auf BGE 143 IV 241 E. 2.2.1 und 2.3.2).
b) Nach Art. 138 Ziff. 1 Abs. 2 StGB macht sich der Veruntreuung strafbar, wer ihm anvertraute Vermögenswerte unrechtmässig in seinem eines anderen Nutzen verwendet. Anvertraut ist, was jemand mit der Verpflichtung empfängt, es in bestimmter Weise im Interesse eines anderen zu verwenden, insbesondere es zu verwahren, zu verwalten einem anderen abzuliefern. Dabei genügt es nach der Rechtsprechung, dass der Täter ohne Mitwirkung des Treugebers über die Vermögenswerte verfügen kann, ihm mithin der Zugriff auf fremde Vermögenswerte eingeräumt worden ist. Der Täter verwendet die Vermögenswerte unrechtmässig, wenn er sie entgegen den erteilten Instruktionen gebraucht, sich mithin über den festgelegten Verwendungszweck hinwegsetzt. Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz und ein Handeln in unrechtmässiger Bereicherungsabsicht. Bei der Veruntreuung von Vermögenswerten bereichert sich unrechtmässig, wer die Vermögenswerte, die er dem Berechtigten jederzeit zur Verfügung zu halten hat, in seinem Nutzen verwendet, ohne fähig und gewillt zu sein, sie jederzeit sofort zu ersetzen (BGer, Urteil 6B_940/2019 vom 6. Mai 2020 E. 1.1.2 mit Hinweis u.a. auf BGE 133 IV 21 E. 6.2).
c) Die Strafverfolgungsbehörde stellte in sachverhaltlicher Hinsicht im Wesentlichen fest, dass der Beschwerdeführer vom 1. Januar 2002 bis am 30. September 2017 als Belegarzt in der Klinik G.__ gearbeitet habe und die Beschwerdegegnerin seine Arztgehilfin und Vertraute gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe bei der H.__ (Bank I) über das Geschäftskonto zz und bei der I.__ (Bank II) über das Privatkonto yy, beide lautend auf seinen Namen, verfügt. Die Beschwerdegegnerin habe abgesehen von einer Vollmacht für telefonische Auskünfte betreffend das Konto bei der I.__ (Bank II) keine weitergehenden Vollmachten über diese Konti besessen. Der Beschwerdeführer habe über seine Barauslagen eine persönliche Buchhaltung geführt, worin er auch Kleinauslagen vermerkt habe. Die Untersuchung habe ergeben, dass die Beschwerdegegnerin Fr. 1‘319‘724.26 veruntreut haben soll. Dieser Betrag setze sich aus der Differenz zwischen dem vom Beschwerdeführer aufgezeichneten Bargeldbedarf und den Bargeldbezügen ab seinem Konto in den Jahren 2007 bis 2016 von Fr. 1‘078‘011.01 und der Begleichung privater Kreditkartenrechnungen der Beschwerdegegnerin von Fr. 241‘713.25 über das Geschäftskonto Nr. xx des Beschwerdeführers bei der H.__ (Bank I) im Zeitraum von September 2007 bis August 2017 zusammen. Für dieses Geschäftskonto bei der H.__ (Bank I) hätten zwei Maestrokarten existiert, welche jeweils an die Privatadresse des Beschwerdeführers gesandt worden seien. Der Beschwerdeführer habe der Beschwerdegegnerin mehrfach seine Maestrokarte mitsamt dem Code anvertraut, damit sie für ihn und in seinem Auftrag Bargeld für seine privaten Zwecke habe abheben können. Die Beschwerdegegnerin habe die Bezüge bzw. Zahlungen nicht bestritten resp. angegeben, den Beschwerdeführer über sämtliche Bargeldbezüge zu dessen Gunsten sowie Zahlungen von Kartenrechnungen in Kenntnis gesetzt zu haben. Die Zahlungen der Kreditkartenschulden der Beschwerdegegnerin seien gemäss deren Aussagen als Kompensation für von ihr geleisteten Überstunden gedacht gewesen. Zu diesem Zweck habe ihr der Beschwerdeführer Zugriff auf seinen E-Banking Account bei der H.__ (Bank I) gewährt (angefocht. Verfügung E. 2).
d) Der Beschwerdeführer kritisiert die fehlende Edition der relevanten Kontoauszüge der Beschwerdegegnerin sowie von deren Ehemann und Tochter (KG-act. 1 S. 6). Abgesehen von der Einholung von Auskünften bzw. Herausgabe der entsprechenden Unterlagen bei der J.__ GmbH betreffend die Kartenbeziehung „ww“ bzw. das Kreditkartenkonto vv, lautend auf die Beschwerdegegnerin (U-act. 6.6.001 ff.), wurden die weiteren Bankbeziehungen der Beschwerdegegnerin nicht untersucht. Ausgehend vom Vorwurf, wonach die Beschwerdegegnerin an verschiedenen Bankomaten von den Konti des Beschwerdeführers bei der H.__ (Bank I) und der I.__ (Bank II) Geldbeträge abgehoben habe, ohne dass sie von diesem dazu beauftragt gewesen wäre, stellt sich die Frage, wohin diese Barbeträge geflossen sind. Solche Abklärungen wurden bislang nicht getätigt. Dem Beschwerdeführer ist beizupflichten, dass aus den Auszügen der auf die Beschwerdegegnerin lautenden Bankkonti sowie allenfalls weiterer Personen möglicherweise Hinweise auf Geldzuflüsse, welche im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Veruntreuung stehen könnten, ersichtlich sein könnten. Es kann somit nicht gesagt werden, dass beim jetzigen Stand der Untersuchung bereits zweifelsfrei feststeht, dass der Beschwerdegegnerin keine unrechtmässigen Bezüge nachzuweisen sind resp. der diesbezügliche Tatverdacht als definitiv nicht erhärtet angesehen werden kann. Denn immerhin geht aus den vom Beschwerdeführer eingereichten Aufzeichnungen teilweise unter Beilage von Flugbuchungen dergleichen hervor, dass auch während dessen Ferienabwesenheit Geldbezüge erfolgten (U-act. 3.1.003-3.1.016, vgl. Übersicht und Belege 2008-2017), was an der Aussage der Beschwerdegegnerin, jeweils nur den vom Beschwerdeführer verlangten Betrag abgehoben und diesem übergeben zu haben (U-act. 10.1.001 Frage 34) zumindest gewisse Zweifel erweckt, da es kaum plausibel erscheint, anders gesagt nicht ohne Weiteres nachvollziehbar ist, dass die Beschwerdegegnerin auch während den Ferien des Beschwerdeführers auf dessen Geheiss hin Bargeld hätte besorgen müssen (KG-act. 6 S. 13).
e) Die Strafverfolgungsbehörde bezweifelte die Glaubhaftigkeit der Aussagen des Beschwerdeführers unter anderem deshalb, weil die Beschwerdegegnerin eine zweite Maestrokarte der H.__ (Bank I) nicht ohne das Wissen des Beschwerdeführers an sich genommen haben konnte, da diese an dessen Privatadresse versandt worden sei (angefocht. Verfügung E. 3.4 und 3.5 mit Hinweis auf Donatsch et al., Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2. A., N 17 zu Art. 319 StPO). Was die Zustelladresse der Maestrokarten der H.__ (Bank I) betrifft, geht jedoch aus einem Schreiben der erwähnten Bank vom 9. November 2018 hervor, dass zwei Maestrokarten, ausgestellt am 7. bzw. 22. März 2005, an die Geschäftsdresse G.__ (Klinik) versandt wurden (KG-act. 1/1; U-act. 15.1.015). Folglich wäre es möglich, dass die Beschwerdegegnerin eine Karte ohne das Wissen des Beschwerdeführers an sich nahm. Entsprechend kann darin beim aktuellen Kenntnisstand kein Umstand gesehen werden, welcher die Zuverlässigkeit der Aussagen des Beschwerdeführers zu schmälern vermöchte. Des Weiteren bezweifelt die Strafverfolgungsbehörde die Aussagen des Beschwerdeführers auch wegen des Bestehens einer sexuellen Beziehung zwischen den Parteien und dem Umstand, dass der Beschwerdeführer diese seiner Ehefrau offenbar erst zwei Tage vor deren Befragung gestand (angefocht. Verfügung E. 3.5). Dass der Beschwerdeführer die von den Verfahrensparteien unbestrittene aussereheliche Beziehung vor seiner Ehefrau zu verbergen versuchte und ihr diese erst spät gestand, erscheint aber nicht aussergewöhnlich und vermag dessen Aussage ebenso wenig a priori als zweifelhaft erscheinen lassen. Schliesslich sah die Strafverfolgungsbehörde einen Widerspruch darin, dass der Beschwerdeführer einerseits mögliche unautorisierte Transaktionen von 1.3 Millionen Franken nicht bemerkt haben will, obwohl er auf der anderen Seite seine persönlichen Ausgaben sehr genau vermerkte und jeweils die aktuellen Kontostände wusste. Dem ist entgegenzuhalten, dass, sollte es sich tatsächlich so abgespielt haben wie der Beschwerdeführer vorbringt, dass nämlich die Beschwerdegegnerin das stillgelegte I.__ (Bank II)-Konto für unrechtmässige Bezüge nutzte und dieses jeweils ab dem aktiven und deshalb variable Saldi aufweisenden Geschäftskonto bei der H.__ (Bank I) alimentierte, so dass das I.__ (Bank II)-Konto stets etwa denselben Stand aufwies (U-act. 3.1.019 S. 2), nicht auszuschliessen ist, dass der Beschwerdeführer davon nichts mitbekam, zumal er laut dem Zeugen F.__ ja lediglich den aktuellen Saldo seiner Konti und nicht alle Ein- und Ausgänge gekannt haben soll (U-act. 10.1.003 Fragen 21/22). Mithin spricht das Nichtmitbekommen der Bezüge nicht grundsätzlich gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben des Beschwerdeführers. Jedenfalls kann den Aussagen des Beschwerdeführers gesamthaft nicht derart die Zuverlässigkeit abgesprochen werden, dass sie in keiner Weise einen rechtsgenügenden Tatverdacht begründen vermöchten. Daran ändert auch die Argumentation der Beschwerdegegnerin nichts, wonach der Beschwerdeführer mit ihrer Hilfe seinen angeblichen hohen „Geldverschleiss“ vor seiner Familie zu verschleiern versucht haben soll (KG-act. 6 S. 3 f.), zumal nicht dargelegt wird, wofür der Beschwerdeführer das Geld konkret verwendet haben soll und die Behauptung, er habe diverse aussereheliche Beziehungen geführt, nicht weiter untermauert wurde. Wie diese These der Beschwerdegegnerin (schliesslich) zu würdigen ist, kann bzw. ist vorliegend offenzulassen.
3. Zusammenfassend ist die Beschwerde im Sinne der Erwägungen gutzuheissen und die angefochtene Verfügung antragsgemäss aufzuheben. Anweisungen an die Staatsanwaltschaft sind aktuell indes nicht erforderlich. Ausgangsgemäss gehen die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu Lasten des Staates und ist der Beschwerdeführer angemessen zu entschädigen (Art. 428 Abs. 4 und Art. 436 Abs. 3 StPO; §§ 2, 6 und 13 lit. d GebTRA);-
beschlossen:
1. In Gutheissung der Beschwerde wird die Einstellungsverfügung vom 18. März 2020 aufgehoben.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens von Fr. 1‘200.00 gehen zu Lasten des Staates und die geleistete Sicherheit von Fr. 1‘500.00 wird dem Beschwerdeführer zurückerstattet.
3. Der Beschwerdeführer wird für das Beschwerdeverfahren aus der Kantonsgerichtskasse mit Fr. 1‘200.00 (inkl. Auslagen und MWST) entschädigt.
4. Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Zustellung nach Art. 78 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht in Lausanne eingereicht werden. Die Beschwerdeschrift muss den Anforderungen von Art. 42 BGG entsprechen.
5. Zufertigung an Rechtsanwalt B.__ (2/R), die kantonale Staatsanwaltschaft (1/A), die Oberstaatsanwaltschaft (1/R), Rechtsanwalt E.__ (2/R) sowie nach definitiver Erledigung an die kantonale Staatsanwaltschaft (1/R, mit den Akten) und die Kantonsgerichtskasse (1/ü, im Dispositiv)
Namens der Beschwerdekammer
Die Kantonsgerichtsvizepräsidentin
Die Gerichtsschreiberin
Versand
22. Dezember 2020 kau