BEK 2017 168 - Anklage
Verfügung vom 13. März 2018
BEK 2017 168
Mitwirkend
Kantonsgerichtspräsident Dr. Urs Tschümperlin,
Kantonsrichter Clara Betschart und Josef Reichlin,
a.o. Gerichtsschreiberin BLaw Sonia Zwirner.
betreffend
Anklage
(Beschwerde gegen die Verfügung der kantonalen Staatsanwaltschaft vom 10. August 2017, SUB 2015 394);-
hat die Beschwerdekammer,
nachdem sich ergeben und in Erwägung:
1. Mit Strafbefehl vom 10. August 2017 verurteilte die kantonale Staatsanwaltschaft D.________ (nachfolgend Beschuldigter) wegen einfacher Körperverletzung i.S.v. Art. 123 Ziff. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu Fr. 370.00 und einer Busse von Fr. 8‘320.00 (KGact. 1/4). Gegen den Strafbefehl erhob der Privatkläger A.________ Einsprache (KGact. 1/5). Er führte aus, der Beschuldigte sei zusätzlich der Gefährdung des Lebens i.S.v. Art. 129 StGB anzuklagen. In der Folge überwies die Strafverfolgungsbehörde den Strafbefehl als Anklageschrift i.S.v. Art. 356 Abs. 1 StPO an das Bezirksgericht March (KGact. 1/6). Mit Verfügung vom 22. September 2017 erwog das Bezirksgericht March, dass der Straftatbestand der Gefährdung des Lebens aufgrund des im Strafbefehl umschriebenen Sachverhalts erfüllt sein könnte (KGact. 1/8). Die Anklageschrift entspräche diesbezüglich jedoch nicht den gesetzlichen Anforderungen, weshalb der kantonalen Staatsanwaltschaft Gelegenheit gegeben werde, die Anklage zu ändern. Es hielt jedoch ausdrücklich fest, dass die kantonale Staatsanwaltschaft nicht zur Änderung der Anklage verpflichtet sei und eine Teileinstellung des Verfahrens vorliegen könne (KGact. 1/8, S. 2). Es erfolgte eine Rückübertragung der Rechtshängigkeit an die Staatsanwaltschaft, womit ihr wieder die vor Anklageerhebung zustehenden Befugnisse zukamen (KGact. 1/8). Mit Schreiben vom 3. Oktober 2017 (KGact. 1/2) überwies die kantonale Staatsanwaltschaft den Strafbefehl vom 10. August 2017 (KGact. 1/4) ohne Änderungen erneut an das Bezirksgericht March.
2. Gegen die erneute und unveränderte Überweisung des Strafbefehls erhob A.________ (nachfolgend Beschwerdeführer) mit Eingabe vom 3. Oktober 2017 Beschwerde am Kantonsgericht (KGact. 1). Er beantragt die Aufhebung der „Verfügung vom 03.10.2017“. Zudem sei die kantonale Staatsanwaltschaft anzuweisen, Anklage wegen Gefährdung des Lebens und einfacher Körperverletzung zu erheben und diesbezüglich den rechtserheblichen Sachverhalt zu ergänzen. Die Staatsanwaltschaft verzichtet auf eine Vernehmlassung (KGact. 5). Der Beschuldigte beantragt die vollumfängliche Abweisung der Beschwerde unter Kosten- und Entschädigungsfolge zulasten des Beschwerdeführers (KGact. 9).
3. Der Beschwerdeführer bringt vor, die Zulässigkeit der Beschwerdeerhebung ergebe sich aus Art. 393 i.V.m. Art. 382 StPO. Das Festhalten der Staatsanwaltschaft an der unveränderten Anklage stelle eine Verfahrenshandlung i.S.v. Art. 393 StPO dar (KGact. 1, S. 2).
a) Nach Art. 393 Abs. 1 lit. a StPO ist die Beschwerde gegen Verfügungen und Verfahrenshandlungen der Staatsanwaltschaft zulässig. Bezeichnet die Strafprozessordnung einen Entscheid jedoch als endgültig oder nicht anfechtbar, so ist dagegen gemäss Art. 380 StPO kein Rechtsmittel nach diesem Gesetz zulässig. Ein solcher nicht anfechtbarer Entscheid stellt die Anklageerhebung nach Art. 324 Abs. 2 StPO dar (Lieber, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2. A., 2014, N 1 zu Art. 380 StPO). Nicht nur die Anklageerhebung selbst, sondern auch der Inhalt der Anklage ist nicht anfechtbar. Einwände gegen die Anklage sind allenfalls bei deren Prüfung (Art. 329 StPO) vorzubringen (Landshut/Bosshard, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2. A., 2014, N 10 zu Art. 324 StPO; Heimgartner/Niggli, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2. A., Basel 2014, N 18 zu Art. 324 StPO). Eine Beschwerde ist indessen möglich, wenn mit einer Anklage Deliktsvorwürfe faktisch eingestellt werden, sprich implizit und ohne eine separate Einstellungsverfügung (Landshut/Bosshard, a.a.O., N 10 zu Art. 324 StPO; BGE 138 IV 241, E. 2.6 = Pra 2013 Nr. 29). Eine implizite Einstellung liegt vor, wenn namentlich einzelne Sachverhaltselemente nicht in der Sachverhaltsfeststellung berücksichtigt werden (vgl. BGE 138 IV 241, E. 2.4; 130 IV 90, E. 3.2 = Pra 2005 Nr. 34).
b) Der Beschwerdeführer erhebt Beschwerde gegen den von der Staatsanwaltschaft bestätigten Strafbefehl vom 10. August 2017 (KGact. 1/4). Die Staatsanwaltschaft hielt unverändert am Strafbefehl fest (KGact. 1/2), weshalb dieser als Anklageschrift gilt (Art. 356 Abs. 1 StPO). Sie hat festgestellt, dass der Beschuldigte den Beschwerdeführer während 2030 Sekunden, nicht aber mehr als ein bis zwei Minuten, mit beiden Händen würgte, in deren Folge neben Hautrötungen beziehungsweise Blutergüssen am Hals eine Einblutung des Hautmuskels der rechten Seite auftraten. Die Staatsanwaltschaft hat weitere Auswirkungen wie den unwillkürlichen Urinabgang, der gemäss Gutachten auf ein konkrete Lebensgefahr schliessen lässt (Uact. 11.1.001, S. 3), als nicht festgestellt erachtet (KGact. 1/4; vgl. dazu Uact. 8.1.001, S. 4). Ebenso hat sie den vom Privatkläger geschilderten „Röhrenblick“ und das „Flimmern am Rande des Gesichtsfeldes“ (Uact. 10.1.002, Frage 28) in der Anklage nicht berücksichtigt. Damit hat sie einen Strafbefehl für einen Teil des Sachverhaltes erlassen und die Einstellung der Strafverfolgung für den Rest angeordnet. Von einer blossen rechtlichen Würdigung des Sachverhalts kann nicht gesprochen werden, vielmehr hat die Staatsanwaltschaft darauf verzichtet, den Beschuldigten für einen Teil des Sachverhaltes, nämlich den Urinabgang, den Röhrenblick und das Flimmern, zu verfolgen. Es handelt sich demzufolge geradezu nicht um denselben Sachverhalt, sondern um eine Vernachlässigung eines Sachverhaltsteils. Es liegt somit eine implizite teilweise Einstellung vor, die mittels Beschwerde anfechtbar ist.
c) Es kann die Frage aufgeworfen werden, ob nicht bereits gegen den erstmaligen Strafbefehl Beschwerde gemäss Art. 322 Abs. 2 StPO hätte erhoben werden müssen. Dieser enthielt aber in Missachtung von Art. 81 Abs. 1 lit. d StPO in Bezug auf die Einstellung keine Rechtsmittelbelehrung. Aus einer fehlenden Rechtsmittelbelehrung darf der betroffenen Partei nach Treu und Glauben grundsätzlich kein Nachteil entstehen, es sei denn, das zulässige Rechtsmittel ergäbe sich ohne weiteres aus dem Gesetz (BGE 138 IV 241, E. 2.7). Davon ist aber nicht auszugehen, da nicht einmal klar war, ob überhaupt eine implizite Teileinstellung des Verfahrens erfolgte. Der Beschwerdeführer muss daher in die Lage versetzt werden, Beschwerde gegen den Strafbefehl vom 10. August 2017 erheben zu können. Indem das Bezirksgericht March die Rückübertragung der Rechtshängigkeit verfügte, welche der Beschwerdeführerin wieder die ihr vor Anklageerhebung zustehenden Befugnisse zukommen liess (Griesser, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2. A., 2014, N 6 zu Art. 333 StPO), wurde diese Möglichkeit gewährt. Denn die Rückübertragung ermöglichte der Staatsanwaltschaft sich mit dem Sachverhalt und der impliziten Einstellung erneut auseinanderzusetzen, d.h. nebst einer Anklageerhebung konnte sie auch die Verfahrenseinstellung oder den Erlass eines (neuen) Strafbefehls beschliessen (Griesser, a.a.O., N 26 zu Art. 326 StPO). Durch diese Zurückversetzung in den Zustand vor der Anklageerhebung, stand dem Beschwerdeführer die Ergreifung der Beschwerde im Rahmen des bestätigten Strafbefehls offen. Somit schadet die fehlende Beschwerdeerhebung gegen den ersten Strafbefehl vorliegend nicht.
4. Der Beschwerdeführer rügt eine Ermessensüberschreitung der Staatsanwaltschaft sowie Willkür und Rechtsverweigerung. Ausserdem sei die Sachverhaltsfeststellung unvollständig und unrichtig. Zudem werde der Grundsatz „in dubio pro duriore“ verletzt, in dem der Tatbestand der Gefährdung des Lebens nicht verfolgt wird (KG-act. 1, Rz. 18).
a) Ein Verfahren kann nach Art. 319 Abs. 1 (teilweise) eingestellt werden, wenn zum Beispiel der Straftatbestand nicht erfüllt ist (lit. b), sprich das untersuchte Verhalten vermag den Tatbestand einer Strafnorm nicht zu erfüllen (Landshut/Bosshard, a.a.O., N 19 zu Art. 319). Unter Berücksichtigung des Grundsatzes „in dubio pro duriore“ ist eine Einstellung bei Ermessensfragen oder ungelösten Streitfragen der Lehre und Rechtsprechung mit Zurückhaltung zu verfügen (Grädel/Heiniger, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2. A., Basel 2014, N 9 zu Art. 319 StPO; Landshut/Bosshard, a.a.O., N 19 f. zu Art. 319 StPO). Der Beschwerdeführer verlangt eine Anklage nach Art. 129 StGB, da eine Gefährdung des Lebens vorliege, die aber durch die Teileinstellung nicht verfolgt werde. Nach Art. 129 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer einen Menschen in skrupelloser Weise in unmittelbare Lebensgefahr bringt. Der objektive Tatbestand von Art. 129 StGB verlangt demzufolge nach einer Tathandlung, die eine konkrete, unmittelbare Lebensgefahr verursacht. Eine blosse Gefahr für die Gesundheit genügt nicht. Unmittelbar ist die Gefahr, wenn sich aus dem Verhalten des Täters nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge direkt die Wahrscheinlichkeit oder nahe Möglichkeit der Todesfolge ergibt (BGE 133 IV 1, E. 5.1; 121 IV 67, E. 2b/aa; Maeder, in: Niggli/Wiprächtiger [Hrsg.] Basler Kommentar zum Strafrecht II, Art. 111392 StGB, 3. A., Basel 2013, N 47 zu Art. 129 StGB). Als Folge des Würgens besteht die Gefahr, dass ein Stau in der Blutzufuhr des Hirns entsteht. Für die Annahme einer unmittelbaren Lebensgefahr müssen handfeste Befunde für eine kritische Hirndurchblutungsstörung vorliegen. (STK 2011 26, E. 1.2.2; Maeder, a.a.O., N 16 zu Art. 129 StGB). Gemäss Lehre und Rechtsprechung wird in subjektiver Hinsicht ein direktvorsätzliches Verhalten verlangt. Das Vorliegen eines Eventualvorsatzes genügt nicht (Maeder, a.a.O., N 47 zu Art. 129 StGB; BGE 133 IV 1, E. 5.1). Das blosse Wissen um die Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung genügt somit nicht. Der Täter muss wissen, dass er durch sein Verhalten die unmittelbare Lebensgefahr direkt herbeiführt und die Möglichkeit des Erfolgseintritts wollen (Maeder, a.a.O., N 45 ff. zu Art. 129 StGB; Stratenwerth/Jenny/Bommer, Schweizerisches Strafrecht, BT I, 7. Aufl., Bern 2010, § 4 N 12; BGE 121 IV 67).
b) Aus der Unschuldsvermutung ergibt sich, dass die Strafbehörden verpflichtet sind, den Nachweis der Schuld zu führen (BGE 120 IA 37; Wohlers, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2. A., 2014, N 6 zu Art. 10 StPO). Der objektive Tatbestand von Art. 129 StGB setzt, wie bereits ausgeführt, eine Lebensgefahr vor-aus. Gemäss Gutachten konnten keine objektiven Zeichen einer konkreten Lebensgefahr (Stauungsblutungen Gesichtsbereich) festgestellt werden. Die subjektiven Angaben zum unwillkürlichen Urinabgang konnten nicht bestätigt werden, liessen aber auf eine konkrete Lebensgefahr schliessen (Uact. 11.1.001). Eine unmittelbare Lebensgefahr für den Beschwerdeführer geht aus den Akten nicht hervor beziehungsweise stützt sich nur auf die Aussage des Privatklägers, zumal der Beschuldigte jeglichen Würgevorgang oder Körperkontakt mit dem Beschwerdeführer bestreitet (vgl. Uact. 8.1.001, S. 4; 10.2.001, S. 3 f.). Der einvernommene Zeuge vermag sich nicht mehr an den Urinabgang oder an sonstige körperliche Reaktionen erinnern (U-act. 10.2.003, S. 7 f.). Der Urinabgang selber konnte auch im Rahmen der kriminaltechnischen Untersuchung nicht nachgewiesen werden (U-act. 8.1.001, S. 3). Es gibt zudem keinen Anhaltspunkt, dass der Beschuldigte direktvorsätzlich eine unmittelbare Lebensgefahr hervorrufen wollte. Aufgrund der sich widersprechenden Aussagen des Privatklägers und des Beschuldigten und der ausweichenden Aussage des Zeugen ist auch nicht davon auszugehen, dass sich der direkte Vorsatz des Beschuldigten und die unmittelbare Lebensgefahr durch weitere Untersuchungshandlungen nachweisen liessen. Die teilweise Einstellung des Verfahrens in Bezug auf Art. 129 StGB ist im Sinne des Gesagten mangels Erfüllung des Straftatbestandes begründet (Art. 319 Abs. 1 lit. b StPO).
5. Zusammenfassend ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Ausgangsgemäss hat der Beschwerdeführer die Kosten des Beschwerdeverfahrens im Umfang von Fr. 1‘200.00 zu tragen und den Beschuldigten für seinen Aufwand angemessen zu entschädigen (Art. 428 Abs. 1 StPO und Art. 436 Abs. 1 i.V.m. Art. 429 Abs. 1 StPO).
Nachdem der Aufwand des Rechtsvertreters des Beschuldigten sich für die vorliegende Beschwerde auf eine rund sechsseitige Antwort belief (KGact. 9) und die Streitsache keine besonderen Schwierigkeiten bot, ist der Beschuldigte mit pauschal Fr. 700.00 (inkl. Auslagen und MWST) zu entschädigen (§§ 6 Abs. 1 i.V.m. §§ 2 Abs. 2 GebTRA);-
beschlossen:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens von Fr. 1‘200.00 werden dem Beschwerdeführer auferlegt und von seinem in gleicher Höhe geleisteten Kostenvorschuss bezogen.
3. Der Beschwerdeführer wird verpflichtet, den Beschuldigten mit Fr. 700.00 (inkl. Auslagen und MWST) zu entschädigen.
4. Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Zustellung nach Art. 78 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht in Lausanne eingereicht werden. Die Beschwerdeschrift muss den Anforderungen von Art. 42 BGG entsprechen.
5. Zufertigung an Rechtsanwalt B.________ (2/R), Rechtsanwalt E.________ (2/R), die Oberstaatsanwaltschaft (1/R), die Vorinstanz (1/A) sowie mit definitiver Erledigung an die Vorinstanz (1/R, unter Rückgabe der Akten) und die Kantonsgerichtskasse (1/ü, im Dispositiv).
Namens der Beschwerdekammer
Der Kantonsgerichtspräsident
Die a.o. Gerichtsschreiberin
Versand
14. März 2018 kau
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