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Urteil Zivilkammer (SO)

Zusammenfassung des Urteils ZZ.1996.6: Zivilkammer

Die Chambre des Tutelles des kantonalen Gerichts in Lausanne hat über einen Rekurs von A.Z.________ gegen die Entscheidung der Friedensrichterin des Bezirks Lausanne betreffend B.Z.________ verhandelt. B.Z.________ hat aufgrund einer Hirnblutung eine schwere neuropsychologische Beeinträchtigung erlitten und wurde unter Vormundschaft gestellt. Nachdem Unstimmigkeiten zwischen dem Vater und Vormund A.Z.________ und seinem Sohn auftraten, wurde A.Z.________ mit sofortiger Wirkung seines Amtes enthoben und Stéphanie Cacciatore als neue Vormundin bestimmt. Es wurden auch Anweisungen bezüglich der Abwicklung der finanziellen Angelegenheiten gegeben. Das Gericht hat die Entscheidung teilweise abgeändert und die Kosten des Verfahrens dem Verlierer auferlegt.

Urteilsdetails des Kantongerichts ZZ.1996.6

Kanton:SO
Fallnummer:ZZ.1996.6
Instanz:Zivilkammer
Abteilung:-
Zivilkammer Entscheid ZZ.1996.6 vom 23.08.1996 (SO)
Datum:23.08.1996
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Einlassungsweigerung, Zuständigkeit des Instrukstionsrichters
Schlagwörter : Recht; Revision; Beklagten; Prozesseinrede; Quot; Rechtsmittel; Instruktionsrichter; Gerichtspräsident; Prozessvoraussetzung; Revisionsgesuch; Prozessvoraussetzungen; Sinne; Verfügung; Einlassung; Verfahren; Beschränkung; Obergericht; Rekurs; Rechtskraft; Zivilprozessrecht; System; Auffassung; Verfahrens; Guldener; Konrad; Stellung; Schwaller; Entscheid; Prozessurteils; Einrede
Rechtsnorm:-
Referenz BGE:-
Kommentar:
-

Entscheid des Kantongerichts ZZ.1996.6

Urteils ein. Die Beklagten erhoben in ihrer Stellungnahme zum Revisionsgesuch eine Einrede gemäss § 138 Abs. 2 ZPO und beantragten, auf das Revisionsgesuch sei nicht einzutreten. Der Gerichtspräsident stellte fest, die Revisionsbeklagten hätten, entgegen ihren schriftlichen Äusserungen, nicht eine Prozesseinrede wegen Fehlens von Prozessvoraussetzungen (vgl. § 55 ZPO) gemäss § 138 Abs. 2 ZPO erhoben, sondern die Aktivlegitimation des Klägers, mithin eine materiellrechtliche Einwendung im Sinne von § 138 Abs. 3 ZPO, bestritten. Prozessvoraussetzungen im Sinne von § 55 ZPO seien nicht bestritten worden. Im weiteren verfügte er, der Beschränkung des Prozessstoffes auf die Frage der Aktivlegitimation im Sinne von § 138 Abs. 3 ZPO werde nicht zugestimmt. Das Obergericht hiess den Rekurs der Beklagten aus folgenden Erwägungen gut:

Die Beklagten haben das Fehlen verschiedener Prozessvoraussetzungen behauptet. Sie machen insbesondere geltend, dem Revisionskläger komme als "nullum processuale" die Legitimation zum Rechtsmittel nicht zu (s. dazu Peter H. Kornicker: Die zivilprozessuale Revision im Spannungsverhältnis zwischen Rechtsfrieden und Rechtsverwirklichung, Diss. Basel 1995, S. 76 ff.; Max Kummer: Grundriss des Zivilprozessrechts, 4. A., Bern 1984, S. 191; Georg Leuch/Omar Marbach/Franz Kellerhals: Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 4. A., Bern 1995, N 12 d zu Art. 192 und N 2 b zu Art. 371; Max Kummer: Das Klagerecht und die materielle Rechtskraft im schweizerischen Recht, Bern 1954, S. 136 ff.). Sie erhoben also mithin Prozesseinreden gegen das Revisionsgesuch i.S.v. § 138 Abs. 2 ZPO.

a) Das in der Praxis relativ selten angerufene, aber aus Gerechtigkeitserwägungen (Spannungsverhältnis zwischen Rechtsfrieden und materieller Rechtsverwirklichung) dennoch nötige Institut der Revision ist ein ausserordentliches, nicht devolutives, kassatorisch-reformatorisches und unvollkommenes Rechtsmittel. Im Erfolgsfall wird das Rechtskraftprinzip, also die Verbindlichkeit eines Gerichtsurteils, ausnahmsweise durchbrochen und der Weg geebnet für eine erneute, auf verbesserter tatsächlicher Grundlage basierende Entscheidung. Die Revision wird als Institut des Prozessrechts grundsätzlich vom kantonalen Zivilprozessrecht beherrscht, allenfalls sind in Ergänzung dazu ungeschriebenes Bundesprozessrecht der Gesetzesstufe (etwa bei der Revision von Scheidungsurteilen) und Regeln des Verfassungsrechts (als verbindliche Minimalstandards für alle Kantone) zu beachten (s. dazu Peter H. Kornicker, a.a.O., S. 40 f.). Soweit es sich nicht um revisionsspezifische Fragestellungen handelt, kommen die allgemeinen prozessualen Regeln über die Rechtsmittel zur Anwendung. Auf diesem Hintergrund sind deshalb auch gegen Revisionsbegehren Prozesseinreden gemäss § 138 Abs. 2 ZPO grundsätzlich zuzulassen.

b) Im Vordergrund stehen Sinn und Tragweite von § 138 Abs. 2 ZPO. Der Beklagte kann nach dieser Bestimmung "anstatt einer einlässlichen Antwort eine Prozesseinrede wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung einreichen, worin er bloss seine Einlassungsweigerung zu begründen hat". Der Gerichtspräsident hat die von den Beklagten erhobene Prozesseinrede mit seinen Feststellungen in der angefochtenen Verfügung als Instruktionsrichter indirekt abgewiesen.

c) § 138 Abs. 2 ZPO entspricht dem System der Einlassungsverweigerung, wonach es der Beklagte in der Hand hat, die materielle Einlassung zu verweigern, wenn eine Klage nach seiner Auffassung nicht zu einem Sachurteil führen kann (Max Guldener: Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. A., Zürich 1979, S. 223; RB 1970, Nr. 12). Der Instruktionsrichter hat die Beschränkung des Verfahrens anders als in den Fällen von § 138 Abs. 1 und 3 ZPO nicht anzuordnen ihr zuzustimmen. Es ist allein Sache des Beklagten, ob er eine "nichteinlässliche" Anwort einreichen will.

d) Das System der freien Wahl des Beklagten wurde 1966 geschaffen und gilt nicht als sehr fortschrittlich, weil es zuviel Möglichkeiten öffne, den Prozess hinauszuzögern (Max Guldener, a.a.O., S. 224; Konrad Schwaller: Die Stellung des Richters im ordentlichen Verfahren der solothurnischen ZPO, S. 62 ff.). In der alten Prozessordnung gab es die Regelung nicht. Es wurde deshalb schon die Frage aufgeworfen, ob sie versehentlich gar nur vermeintlich Eingang gefunden hat (Konrad Schwaller, a.a.O., S. 65). Das Obergericht hatte im zitierten Entscheid (RB 1970, Nr. 12) kurze Zeit nach der Revision von 1966 aber entschieden festgehalten, es handle sich um eine bewusste gesetzgeberische Lösung. In der Praxis und im Schrifttum haben sich dazu seither keine Einsichten ergeben, die eine andere Auffassung Auslegung rechtfertigen könnten. Nur weil die Vorschrift dem Beklagten starke Parteirechte einräumt und sie sich offenbar lediglich noch in älteren Prozessgesetzen findet, kann ihr die Anwendung nicht versagt werden. Wortlaut und System sind eindeutig und klar anders gewählt als bei § 138 Abs. 1 und 3 ZPO. Der Instruktionsrichter kann die Prozesseinrede weder verfügen noch verhindern. Es ist von ihm überhaupt nicht die Rede. Die Bestimmung überlässt es ausschliesslich dem Beklagten, "ebenso" (d.h. wie der Instruktionsrichter gemäss § 138 Abs. 1 ZPO) zu entscheiden, ob er sich auf die Einlassungsverweigerung beschränken will. Die Beklagten haben ausdrücklich eine Prozesseinrede erhoben, und sie haben Anspruch darauf, dass über deren Begründetheit vom Amtsgericht (und nicht vom Instruktionsrichter, s. Konrad Schwaller, a.a.O., S. 57, Anm. 5) im Rahmen eines Prozessurteils befunden wird. Es ist deshalb die Beweisverfügung zu erlassen, zur Hauptverhandlung anzusetzen und daselbst vom Amtsgericht über das Prozessthema "Abweisung Gutheissung der Prozesseinrede" (die Legitimation des Revisionsklägers zum Rechtsmittel erscheint in der Tat fraglich) im Rahmen eines appellablen amtsgerichtlichen Prozessurteils zu befinden. Wird die Prozesseinrede gutgeheissen, kann auf das Revisionsgesuch gar nicht eingetreten werden. Im Falle der Abweisung der Prozesseinrede, wenn sämtliche Prozessvoraussetzungen also als gegeben erachtet werden, kann der Instruktionsrichter bei Rechtskraft des Prozessurteils auf Antrag der Beklagten neu entscheiden, ob eine Beschränkung des Prozessstoffes gemäss § 138 Abs. 3 ZPO als opportun erscheint.

Da der Instruktionsrichter die Prozesseinrede also vorliegend ohne gesetzliche Grundlage in eine materiellrechtliche Einwendung umgedeutet hat, erweist sich die angefochtene Verfügung als nichtig.

e) Hat der Instruktionsrichter für die Einreichung einer Einrede gemäss § 138 Abs. 2 ZPO weder mitzuwirken noch ihr zuzustimmen, besteht auch kein Raum für ein ordentliches Rechtsmittel, wenn er trotzdem verfügt. §§ 138 Abs. 4 und 139 beziehen sich nicht auf § 138 Abs. 2 ZPO (vgl. U. Wunderlich: Dispositionsmaxime, Verhandlungsmaxime und Untersuchungsmaxime der solothurnischen ZPO, S. 66). Der Gerichtspräsident hat in logischer Folge seiner Auffassung wohl die Möglichkeit des Rekurses eröffnet. Ein gesetzlich nicht vorgesehenes Rechtsmittel kann indessen auch mit einer unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung nicht geschaffen werden (René A. Rhinow/Beat Krähenmann: Schweizerische Verwaltungsrechtssprechung, Ergänzungsband, 5. A., Basel 1990, Nr. 86, Bd. II d.). Eine Partei muss sich gegen eine unrichtige Verfügung von einer gewissen Tragweite aber nach den allgemeinen Verfahrensgarantien zur Wehr setzen können. Der Entscheid des Gerichtspräsidenten hätte die verfahrensrechtliche Stellung der Beklagten erheblich verschlechtert, was der (formellen) Rechtsverweigerung entspricht. Ein allgemeines Rechtsmittel sieht die Zivilprozessordnung im Unterschied zu andern Verfahrensordnungen dafür nicht vor (vgl. §§ 204 StPO; 32 VRG). Rechtsverweigernde Tatbestände können aber im Rahmen einer Aufsichtsbeschwerde gemäss § 106 GO gerügt werden (Max Guldener, a.a.O., S. 539). Der Rekurs der Beklagten ist somit im Sinne einer Aufsichtsbeschwerde gutzuheissen und die Nichtigkeit der Verfügung des Gerichtspräsidenten festzustellen.

 

Obergericht Zivilkammer, Urteil vom 23. August 1996



Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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