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Urteil Versicherungsgericht (SO)

Kopfdaten
Kanton:SO
Fallnummer:VSBES.2019.197
Instanz:Versicherungsgericht
Abteilung:-
Versicherungsgericht Entscheid VSBES.2019.197 vom 26.02.2020 (SO)
Datum:26.02.2020
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Erlassgesuch KVG
Schlagwörter : Beschwerde; Beschwerdeführerin; Beistand; Beschwerdegegnerin; Philos; Versicherung; Helsana; Beiständin; Glaube; Recht; Leistungen; Person; Erlass; Glauben; Beistands; Angelegenheiten; Sozial; Erkennen; Vertreten; Verfügung; Krankenkasse; Finanziell; Obligatorisch; Glaubens; Zumutbare; Kostenbeteiligungen; Härte; Unrechtmässig
Rechtsnorm: Art. 25 ATSG ; Art. 391 ZGB ; Art. 394 ZGB ; Art. 395 ZGB ; Art. 408 ZGB ; Art. 409 ZGB ; Art. 413 ZGB ; Art. 64a KVG ; Art. 7 KVG ;
Referenz BGE:102 V 245; 110 V 176; 112 V 97; 138 V 218;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid
Urteil vom 26. Februar 2020

Es wirken mit:

Präsident Flückiger

Gerichtsschreiber Isch

In Sachen

A.___ vertreten durch B.___

Beschwerdeführerin

gegen

Philos Krankenversicherung AG, Rue des Cèdres 5, c/o Groupe Mutuel, Postfach, 1919 Martigny Mutuel,

Beschwerdegegnerin

betreffend Erlassgesuch KVG (Einspracheentscheid vom 16. Juli 2019)


zieht der Präsident des Versicherungsgerichts in Erwägung:

I.

1.

1.1 Am 14. Dezember 2010 unterzeichnete A.___ (nachfolgend Beschwerdeführerin), geb. 1950, die Beitrittserklärung der Philos Krankenversicherung AG (nachfolgend Beschwerdegegnerin) für die obligatorische Krankenpflegeversicherung per 1. Januar 2011 (PA [Philos-Akten] 2 und 3).

1.2 Mit E-Mail vom 30. Oktober 2017 informierte der Beistand der Beschwerdeführerin, Herr B.___ (nachfolgend Beistand) die Beschwerdegegnerin darüber, dass die Beschwerdeführerin auch bei der Helsana obligatorisch krankenversichert sei (PA 10).

Auf Nachfrage orientierte die Helsana die Beschwerdegegnerin mit Schreiben vom 9. Februar 2018 (PA 14) darüber, dass die Beschwerdeführerin seit 4. Dezember 1995 bei der Helsana obligatorisch krankenversichert sei. Hierauf informierte die Beschwerdegegnerin die Beschwerdeführerin sowie die Helsana mit Schreiben vom 23. Februar 2018 über die rückwirkende Auflösung des Versicherungsverhältnisses per 1. Januar 2016 (PA Nr. 15). In der Folge wurde dies korrigiert und die Auflösung per 1. Januar 2011 vorgenommen (vgl. PA Nr. 25).

Mit Verfügung vom 5. Juli 2018 forderte die Beschwerdegegnerin von der Beschwerdeführerin einen Betrag von CHF 2166.00 für zu Unrecht durch die Beschwerdegegnerin im Jahr 2016 erbrachte Leistungen infolge rückwirkender Aufhebung des Versicherungsverhältnisses per Beginn zurück (PA 16).

Mit Schreiben vom 27. August 2018 mit dem Titel «Einsprache zur Verfügung betreffend Doppelversicherung» stellte der Beistand den Antrag, die Rückforderung sei zu erlassen (PA 17 und 18). Sodann verlangte die Beschwerdegegnerin vom Beistand mit Schreiben vom 26. September 2018 Dokumente um über das Erlassgesuch der Rückforderung zu entscheiden (PA 19). Mit Schreiben vom 25. Oktober 2018 reichte der Beistand die geforderten Dokumente ein und begründete sein Erlassgesuch (PA 20).

In der Folge ersuchte die Beschwerdegegnerin die Helsana mit E-Mail vom 9. Januar 2019 um direkte Auszahlung der zurückgeforderten Leistungen (PA 22). Am 1. Februar informierte die Helsana die Beschwerdegegnerin über die Gutschrift im Betrag von CHF 71.50 (PA 24).

Am 19. März 2019 erliess die Beschwerdegegnerin eine neue Verfügung, worin sie das Gesuch um Erlass des Rückforderungsbetrages von CHF 2'094.50 aufgrund Fehlen des guten Glaubens abwies (PA 26). Mit Schreiben vom 15. April 2019 erhob der Beistand der Beschwerdeführerin gegen die Verfügung vom 19. März 2019 Einsprache (PA 27).

Mit Einspracheentscheid vom 16. Juli 2019 wurde die Einsprache abgewiesen und an der Verfügung vom 19. März 2019 festgehalten (A.S. [Akten-Seite] 1 ff.).

2. Dagegen lässt die Beschwerdeführerin am 14. August 2019 (A.S. 5 f.) Beschwerde erheben und verlangt sinngemäss den Erlass des zurückgeforderten Betrages.

3. Mit Beschwerdeantwort vom 9. Oktober 2019 (A.S. 14 ff.) schliesst die Beschwerdegegnerin auf Abweisung der Beschwerde.

4. Mit Eingabe vom 12. Dezember 2019 (A.S. 28 f.) macht die Beschwerdegegnerin ergänzende Ausführungen und reicht weitere Unterlagen ein.

5. Auf die Ausführungen der Parteien in ihren Rechtsschriften wird, soweit erforderlich, in den nachstehenden Erwägungen eingegangen; im Übrigen wird auf die Akten verwiesen.

II.

1.

1.1     Die Sachurteilsvoraussetzungen (Einhaltung der Frist und Form, örtliche und sachliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts) sind erfüllt. Auf die Beschwerde ist daher einzutreten.

1.2     Gemäss § 54bis Abs. 1 lit. a kantonales Gesetz über die Gerichtsorganisation (GO, BGS 125.12) in der hier anwendbaren, seit 1. Juli 2016 geltenden Fassung entscheidet der Präsident des Versicherungsgerichts von hier nicht zutreffenden Ausnahmen abgesehen als Einzelrichter über sozialversicherungsrechtliche Streitigkeiten mit einem Streitwert bis höchstens CHF 30'000.00. Strittig ist eine Rückforderung von Gutschriften aus der obligatorischen Krankenversicherung, die deutlich unter diesem Betrag liegt. Die Angelegenheit fällt somit in die einzelrichterliche Zuständigkeit.

2.

2.1 Unrechtmässig bezogene Leistungen sind zurückzuerstatten (Art. 25 Abs. 1 Satz 1 Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [ATSG, SR 830.1]). Rückerstattungspflichtig sind der Bezüger oder die Bezügerin der unrechtmässig gewährten Leistungen und seine oder ihre Erben (Art. 2 Abs. 1 lit. a Verordnung über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [ATSV, SR 830.11]).

2.2 Gemäss Art. 25 ATSG und Art. 4 ATSV sind unrechtmässig gewährte Leistungen, die in gutem Glauben empfangen wurden, nicht zurückzuerstatten, wenn eine grosse Härte vorliegt. Eine grosse Härte im Sinne von Art. 25 Abs. 1 ATSG liegt vor, wenn die vom Bundesgesetz vom 19. März 1965 über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenenund Invalidenversicherung (ELG) anerkannten Ausgaben und die zusätzlichen Ausgaben nach Absatz 4 die nach ELG anrechenbaren Einnahmen übersteigen (Art. 5 ATSV).

3. Gemäss den Ausführungen des Beistandes der Beschwerdeführerin sei er seit dem 1. Oktober 2017 offiziell zum Beistand der Beschwerdeführerin ernannt worden. Die Beschwerdeführerin sei finanziell nicht gut situiert und lebe von einer AHV-Rente und Ergänzungsleistungen. Dieses Geld brauche sie hauptsächlich um ihre Heimkosten und den restlichen Lebensunterhalt zu bezahlen. Während seiner bisherigen Zeit als Beistand, habe er keine Rückerstattungen der Groupe Mutuel (recte: Philos) auf das Betriebskonto des Beistandes der Beschwerdeführerin feststellen können. Seit er Beistand der Beschwerdeführerin sei, sei sie bei der Helsana versichert. Nach einiger Zeit habe er festgestellt, dass immer wieder Rechnungen von der Philos an die Beschwerdeführerin gesandt worden seien. Es habe sich herausgestellt, dass sie anscheinend bei der Philos wie auch bei der Helsana versichert gewesen sei. Sie sei bereits seit 2015 verbeiständet, daher frage er sich, wie es möglich gewesen sei, dass sie bei zwei Kassen habe versichert sein können. Es sei die Aufgabe der neuen Krankenkasse, vor dem Wechsel bei der alten nachzufragen, ob noch Schulden vorhanden seien oder nicht. Anscheinend habe es die Philos versäumt und die Beschwerdeführerin und ihren Ehemann in ihre Versicherung aufgenommen ohne zu prüfen, ob offene Forderungen bei der alten Versicherung vorhanden seien. Der Art. 64a Abs. 6 KVG laute, dass in Abweichung von Artikel 7 die säumige versicherte Person den Versicherer nicht wechseln könne, solange sie die ausstehenden Prämien und Kostenbeteiligungen sowie die Verzugszinse und Betreibungskosten nicht vollständige bezahlt habe. Artikel 7 Absätze 3 und 4 bleibe vorbehalten. Die Beschwerdeführerin habe beim Wechsel noch nicht beglichene Rechnungen bei der Helsana gehabt. Hätte sich die Philos mit der Helsana in Verbindung gesetzt, wäre ein Wechsel der Beschwerdeführerin nicht möglich gewesen. Diese Tatsache unterstütze der Artikel 105 der KVV. Die Philos sei davon ausgegangen, dass die Beschwerdeführerin die Rückerstattungen von beiden Krankenkassen mit besten Wissen und Gewissen angenommen habe, um sich zu bereichern. Aufgrund des Schwächezustandes der Beschwerdeführerin könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Rückerstattungen der Krankenkasse mit böser Absicht angenommen worden seien, um sich zu bereichern. Auch, ob die Beschwerdeführerin die Versicherung selber abgeschlossen habe, sei fraglich, da sie in administrativen und finanziellen Angelegenheiten überfordert sei. Basierend auf diesem Hintergrund und mit Wissen, dass die Beschwerdeführerin finanziell knapp bemessen sei, habe er einen Antrag auf Erlass bei der Philos gestellt. Seit dem 1. November 2015 sei die KESB [...] und vorher die KESB [...] zuständig gewesen. Die Beschwerdeführerin sei somit seit längerer Zeit verbeiständet gewesen und habe einen Schwächezustand. Sie sei schon damals nicht fähig gewesen, sich um ihre administrativen und finanziellen Angelegenheiten zu kümmern. Als aktueller Beistand bezweifle er, dass sich die Beschwerdeführerin selber bei der Philos angemeldet, wie auch die Arztrechnungen selbständig eingereicht habe, um sich zu bereichern. Der Beschwerdeführerin sei nicht einmal bewusst gewesen, dass sie bei einer Krankenkasse Kundin sei. Auch wenn sie aufmerksam gewesen wäre, hätte sie den Rechtsmangel nicht erkennen können. Diese Tatsache habe auch schon vor seiner Einsetzung als Beistand gegolten, da ihre kognitive Fähigkeit und Urteilsfähigkeit vermindert sei. Diese Tatsache sei unter anderem bereits im Abklärungsbericht der KESB [...] vom 16. April 2015 festgehalten worden.

Demgegenüber vertritt die Beschwerdegegnerin die Ansicht, der Betrag zu Gunsten der Philos betrage nach Abzug der Gutschrift der Helsana von CHF 71.50 noch CHF 2094.50. Das Sozialversicherungsverfahren solle einfach und rasch sein. Daher habe die Philos aus prozessökonomischen Gründen auf eine Revision der Verfügung vom 5. Juli 2018 verzichtet und das Erlassgesuch mit Verfügung vom 19. März 2019 abgehandelt. Gemäss der Ernennungsurkunde, ausgestellt durch die Kindesund Erwachsenenschutzbehörde (KESB) [...] vom 14. Dezember 2015 habe die KESB mit Wirkung ab 1. November 2015 eine Mandatsperson für die Beschwerdeführerin ernannt. Diese habe die Befugnis, die Beschwerdeführerin beim Erledigen der finanziellen und administrativen Angelegenheiten zu vertreten, insbesondere im Verkehr mit Sozialversicherungen (PA 29). Die Beschwerdegegnerin habe erst mit Zustellung des Entscheides der KESB am 24. Oktober 2017 Kenntnis von einer Beistandschaft gehabt (PA 9). Über das Mandat habe sie zum Zeitpunkt der Ausstellung der Kostenbeteiligungen 2016, welche nun zurückgefordert würden, keine Kenntnis gehabt. Dementsprechend habe sie die Kostenbeteiligungen 2016 an die Beschwerdeführerin gesendet. Des Weiteren sei darauf hinzuweisen, dass die Erlassvoraussetzung des guten Glaubens grundsätzlich an die versicherte Person gebunden sei, welche die Leistungen unrechtmässig bezogen habe. Die Rechtsprechung sehe jedoch im Falle einer gesetzlichen Vertretung eine Ausnahme vor. Die Fahrlässigkeit der gesetzlichen Vertretung werde der vertretenen Person grundsätzlich angerechnet (BGE 112 V 97). Als die Kostenbeteiligungen 2016 an die Beschwerdeführerin mangels Kenntnis der Beistandschaft zugestellt worden sei, habe bereits eine Beistandschaft bestanden. Somit stelle sich die Frage, ob der damalige Beistand bei zumutbarer Aufmerksamkeit den bestehenden Rechtsmangel hätte erkennen sollen. Der Beistand habe die Befugnis zur Vertretung beim Erledigen der administrativen und finanziellen Angelegenheiten, insbesondere im Verkehr mit Sozialversicherungen. Es gehöre zur Sorgfaltspflicht des Beistandes, über das Versicherungsverhältnis der Vertretenen Bescheid zu wissen, Abrechnungen von Kostenbeteiligungen zu prüfen und gegebenenfalls das Versicherungsverhältnis abzuklären. Der Beistand hätte erkennen sollen, dass die Beschwerdeführerin von zwei verschiedenen Krankenkassen Abrechnungen für Kostenbeteiligungen aus der obligatorischen Krankenpflegeversicherung erhalten und somit von einer Krankenkasse unrechtmässig Leistungen empfangen habe. Der damalige Beistand habe grobfahrlässig gehandelt, da er ausser Acht gelassen habe, dass die Beschwerdeführerin nur bei einer Krankenkasse eine obligatorische Krankenpflegeversicherung haben und somit auch nur von einer Krankenkasse daraus Leistungen beziehen könne. Dem Beistand wäre es unter geringem Aufwand und bei zumutbarer Aufmerksamkeit möglich gewesen, die zu Unrecht erbrachten Leistungen der Philos zu erkennen. Somit sei im vorliegenden Fall der gute Glaube nicht gegeben. Aufgrund Fehlen des guten Glaubens erübrige sich die Prüfung der grossen Härte. Wie zudem dem Sachverhalt entnommen werden könne, habe die Philos bereits 2010 die Versicherungsbestätigung an die Helsana gesandt und sei somit ihrer Pflicht gemäss Art. 7 Abs. 5 KVG nachgekommen (PA 4). Die Philos habe daraufhin keine Meldung durch die Helsana bekommen, dass ein Wechsel des Versicherers aufgrund fehlender Kündigung oder fälliger Ausstände nicht möglich sei. Die Philos habe noch zwei weitere Male eine Bestätigung an die Helsana geschickt. Jedoch sei auch dies ohne Reaktion geblieben, weshalb der Philos diesbezüglich nichts vorgeworfen werden könne (PA 6 und 11). Mit ergänzender Eingabe vom 12. Dezember 2019 verweist die Beschwerdegegnerin darauf, dass sie gegen die Beschwerdeführerin für unbezahlte Prämien von Januar 2011 bis Juni 2017 Betreibungen eingeleitet gehabt habe, worauf jeweils Verlustscheine ausgestellt worden seien. Bis 15. Februar 2017 seien die Zahlungsbefehle entweder der Beschwerdef.rerin oder ihrem Ehemann zugestellt worden. Erst ab 17. Mai 2017 seien die Zahlungsbefehle dem Beistand zugestellt worden, obwohl die Beistandschaft bereits am 16. April 2015 errichtet worden sei.

4. Strittig und zu prüfen ist vorliegend, ob die Beschwerdegegnerin das Erlassgesuch der Beschwerdeführerin zu Recht abgewiesen hat.

4.1 Die Rückerstattung kann nur erlassen werden, wenn die beiden Voraussetzungen des gutgläubigen Empfangs und der grossen Härte der Rückerstattung kumulativ erfüllt sind. Diese Kriterien sind in einer reichhaltigen Rechtsprechung konkretisiert worden. Hinsichtlich des guten Glaubens sind die Voraussetzungen nicht schon mit der Unkenntnis des Rechtsmangels gegeben. Die Rechtsprechung unterscheidet zwischen dem guten Glauben als fehlendem Unrechtsbewusstsein und der Frage, ob sich jemand unter den gegebenen Umständen auf den guten Glauben berufen kann, beziehungsweise ob er bei zumutbarer Aufmerksamkeit den bestehenden Rechtsmangel hätte erkennen sollen (vgl. AHI 1994 S. 122; BGE 102 V 245 mit Hinweisen). Der Bezüger unrechtmässiger Leistungen darf sich nicht nur keiner böswilligen Absicht, sondern auch keiner groben Nachlässigkeit schuldig gemacht haben. Der Erlass der Rückforderung ist daher zu verweigern, wenn der Leistungsbezüger die nach den Umständen gebotene zumutbare Aufmerksamkeit nicht beachtet oder seine Meldeund Auskunftspflicht hinsichtlich Änderungen in den massgebenden Verhältnissen in grober Weise verletzt hat (BGE 102 V 245 mit Hinweisen); eine bloss leichte Verletzung der Sorgfaltsund Aufmerksamkeitspflicht schliesst hingegen den Begriff des guten Glaubens nicht aus (BGE 110 V 176; ZAK 1985, 63; I 622/05 vom 14. August 2006, E. 3.1). Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn jemand das ausser Acht lässt, was jedem verständigen Menschen in gleicher Lage und unter gleichen Umständen als beachtlich hätte einleuchten müssen (BGE 110 V 176), wobei aber das den Betroffenen in ihrer Subjektivität Mögliche und Zumutbare (Urteilsfähigkeit, Gesundheitszustand, Bildungsgrad usw.) nicht ausgeblendet werden darf (BGE 138 V 218 E. 4 S. 220, 112 V 97 E. 2c S. 103; SVR 2017 AHV Nr. 3 S. 5, 9C_413/2016 E. 3.1 mit Hinweis).

4.2 Wie aus dem Entscheid der KESB [...] vom 14. Januar 2016 ersichtlich, wurde über die Beschwerdeführerin und ihren Ehemann bereits am 16. April 2015 eine Beistandschaft gemäss Art. 394 Abs. 1 i.V.m. Art. 395 Abs. 1 und 3 ZGB (Verwaltungsund Vermögensbeistandschaft) errichtet. Mit Ernennungsurkunde vom 14. Dezember 2015 wurde die Beistandschaft durch die in der Zwischenzeit zuständig gewordene KESB [...] per 1. November 2015 an C.___ übertragen (PA 29). Schliesslich wurde B.___, welcher die Beschwerdeführerin im vorliegenden Verfahren vertritt, mit Ernennungsurkunde vom 10. Oktober 2017 per 1. Oktober 2017 zum neuen Beistand der Beschwerdeführerin und deren Ehemann ernannt (PA 17).

4.3 Ob die Beschwerdeführerin als verbeiständete Person aufgrund ihres Gesundheitszustandes überhaupt in der Lage gewesen wäre zu erkennen, dass die im Jahr 2016 von der Beschwerdegegnerin zu ihren Gunsten ausbezahlten Versicherungsleistungen (vgl. PA 16) aufgrund der Doppelversicherung unrechtmässig waren, kann offen bleiben. So muss sich die rückerstattungspflichtige Person das Verhalten und die Kenntnisse ihres mit der Einkommensund Vermögensverwaltung betrauten Beistands anrechnen lassen (Urteile 9C_463/2016 vom 12. Juli 2017 E. 2.1, 9C_496/2014 vom 22. Oktober 2014 E. 3.1, P 87/02 vom 11. Juli 2003 E. 3.2 und P 20/03 vom 12. Juni 2003; vgl. BGE 112 V 97 E. 3b und c S. 104 f.), selbst wenn sie in ihrer Handlungsfähigkeit nicht eingeschränkt ist (Art. 394 Abs. 3 ZGB). Es ist somit zu klären, ob die damalige Beiständin (vgl. PA 29) bei zumutbarer Aufmerksamkeit den bestehenden Rechtsmangel hätte erkennen sollen.

4.3.1 Die Vertretungsbeistandschaft gemäss Art. 394 ZGB bezweckt, eine hilfsbedürftige Person bei Erledigung bestimmter Angelegenheiten, die sie selbst nicht, oder nicht zweckmässig erledigen kann, zu vertreten. Die Angelegenheiten, in denen der Beistand die betroffene Person zu vertreten hat, ergeben sich aus den ihm übertragenen Aufgabenbereichen (Art. 391 Abs. 1 ZGB). In diesem Umfang ist der Beistand gesetzlicher Vertreter und handelt mit Wirkung für den Betroffenen (Biderbost / Henkel, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, 6. Aufl. 2018, N. 41 zu Art. 394 ZGB). Erstreckt sich die Vertretungsbeistandschaft wie im vorliegenden Fall auch auf die Vermögensverwaltung, findet Art. 395 ZGB zusätzlich Anwendung. Gemäss dem Wortlaut von Art. 395 Abs. 1 ZGB fallen unter den Begriff «Vermögen» sowohl das Einkommen als auch das Vermögen im engeren Sinne, wozu neben Bargeld, Sacheigentum, Forderungen, Guthaben, Anwartschaften auch allfällige Schulden («negatives Vermögen») gehören (Biderbost / Henkel, a.a.O., N. 10 zu Art. 395 ZGB). Insbesondere kann der Beistand mit befreiender Wirkung die von Dritten geschuldeten Leistungen für die verbeiständete Person entgegennehmen und soweit angezeigt Schulden bezahlen (Art. 408 ZGB). Während der Dauer des Mandats beinhaltet sorgfältige Vermögensverwaltung die Wahrung aller vermögensbezogenen Interessen im Lebensalltag der betreuten Person (Geltendmachung von Forderungen und Ansprüchen gegenüber Sozialund Privatversicherungen, als wirtschaftliche Berechtigte gegenüber privaten Stiftungen, Ansprüche gegenüber der öffentlichen Sozialhilfe, Abwehr ungerechtfertigter Ansprüche Dritter oder von Übervorteilungen, Sicherstellung von Fristwahrungen etc.) (Affolter, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, 6. Aufl. 2018, N. 8 zu Art. 408 ZGB). Der Beistand oder die Beiständin hat bei der Erfüllung der Aufgaben die gleiche Sorgfaltspflicht wie eine beauftragte Person nach den Bestimmungen des Obligationenrechts (Art. 413 ZGB).

4.3.2 Gemäss Ernennungsurkunde der KESB [...] vom 14. Dezember 2015 (PA 29) wurden der Beiständin C.___ per 1. November 2015 folgende Befugnisse übertragen:

-       D.___ und A.___ beim Erledigen der administrativen Angelegenheiten zu vertreten, insbesondere auch im Verkehr mit Behörden, Ämtern (u.a. mit dem Betreibungsund Konkursamt), Banken, Post, (Sozial)-Versicherungen, sonstigen Institutionen und Privatpersonen,

-       D.___ und A.___ beim Erledigen der finanziellen Angelegenheiten zu vertreten, insbesondere das Einkommen und Vermögen sorgfältig zu verwalten,

-       für das gesundheitliche Wohl sowie für hinreichende medizinische Betreuung von D.___ und A.___ zu sorgen und sie bei allen in diesem Zusammenhang erforderlichen Vorkehrungen zu vertreten,

-       stets für eine geeignete Wohnsituation besorgt zu sein und D.___ und A.___ bei all diesen im Zusammenhang erforderlichen Handlungen zu vertreten.»

Weiter wurde in der Ernennungsurkunde festgehalten: «Gestützt auf Art. 395 Abs. 3 ZGB i.V.m. Art. 9 Abs. 2 lit. B VBVV wird D.___ und A.___ ohne Handlungsfähigkeitseinschränkung der Zugriff auf alle auf sie lautenden bereits bestehenden und/oder noch zu eröffnenden Kontound Depotbeziehungen mit Ausnahme des von der Beistandsperson zu bezeichnenden Kontos mit den von dieser zu bestimmenden und zu überweisenden Beiträgen zur freien Verfügung gemäss Art. 409 ZGB entzogen. Soweit die KESB in diesem Entscheid nichts anderes entschieden hat und auch zukünftig nichts anderes von ihr entschieden wird, kommt der Beistandsperson gem. Art. 9 Abs. 2 lt. a VBVV das alleinige Verfügungsrecht über die zu verwaltenden Vermögenswerte zu.»

4.3.3 Zwar konnte die damalige Beiständin, wie aus den Ausführungen der Beschwerdegegnerin hervorgeht, nicht erkennen, dass von der Beschwerdegegnerin zugunsten Beschwerdeführerin 2016 Kostenbeteiligungen bezahlt wurden, da diese allesamt im System des tiers payant abgerechnet und damit direkt dem Leistungserbringer vergütet wurden. Jedoch hätte die Beiständin schon bald nach Mandatsantritt am 1. November 2015 aufgrund ihrer obengenannten Befugnisse und Pflichten bei Anwendung der zumutbaren Sorgfalt erkennen müssen, dass bezüglich der Beschwerdeführerin eine Doppelversicherung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung besteht, und dies entsprechend den beiden involvierten Krankenversicherungen anzeigen müssen. Wie erwähnt, zählte zu ihren Aufgaben das Erledigen der administrativen und finanziellen Angelegenheiten. Dazu gehört auch, dass sich die Beiständin über die laufenden Ausgaben, Schulden usw. ins Bild setzt, etwa durch eine entsprechende Erkundigung beim Betreibungsamt. Es hätte der Beiständin bei sorgfältiger Prüfung der Einnahmen und Ausgaben der Beschwerdeführerin schon bald auffallen müssen, dass diese jeden Monat zwei Prämien der obligatorischen Krankenversicherung bei zwei verschiedenen Krankenversicherern zu bezahlen hat (vgl. die Schreiben des neuen Beistands vom 30. Oktober und 28. November 2017; PA Nr. 10 und 12). Dies gilt umso mehr aufgrund des Umstandes, dass der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann während der Mandatszeit der Beiständin mehrfach Zahlungsbefehle und Verlustscheine wegen nichtbezahlter Krankenkassenprämien der Beschwerdegegnerin zugestellt wurden (s. PA-Nr. 33 - 42). Bei der damaligen Beiständin, C.___, handelt es sich um eine damals bei der E.___ tätige Sozialarbeiterin (vgl. PA 29 und Geschäftsbericht der E.___ 2015, S. 9, abrufbar unter: http://www.[...]), weshalb auch angesichts ihrer Ausbildung erwartet werden durfte, dass sie den Umstand der Doppelversicherung entdeckt und meldet, zumal die Beiständin im Rahmen der Vermögensverwaltung gemäss Art. 395 ZGB die Pflicht hat, alle vermögensbezogenen Interessen im Lebensalltag der betreuten Person u.a. die Geltendmachung von Forderungen und Ansprüchen gegenüber Sozialund Privatversicherungen zu wahren. Damit hätte verhindert werden können, dass die Beschwerdegegnerin im Jahr 2016 Kostenvergütungen leistet, auf welche die Beschwerdeführerin aufgrund der Doppelversicherung bzw. des nicht gültig zustande gekommenen Versicherungsverhältnisses mit der Beschwerdegegnerin keinen Anspruch hatte.

4.4 Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass es der damaligen Beiständin unter Aufwendung der zumutbaren Sorgfalt möglich gewesen wäre, den Umstand der Doppelversicherung zu entdecken und dies der Beschwerdegegnerin zu melden. Diese Verletzung der Sorgfaltspflicht durch die Beiständin ist, wie vorgehend ausgeführt, auch der Beschwerdeführerin anzurechnen. Damit ist das Vorliegen des guten Glaubens der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Kostenvergütungen im Jahr 2016 zu verneinen. Da die Erlassvoraussetzungen des guten Glaubens und der grossen Härte gleichzeitig erfüllt sein müssen, ist das Vorhandensein der grossen Härte auf Seiten der Beschwerdeführerin nicht weiter zu prüfen. Demnach ist die Beschwerde abzuweisen.

5. Bei diesem Verfahrensausgang besteht kein Anspruch auf eine Parteientschädigung.

Grundsätzlich ist das Verfahren kostenlos. Von diesem Grundsatz abzuweichen, besteht im vorliegenden Fall kein Anlass.

Demnach wird erkannt:

1.         Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.         Es werden weder eine Parteientschädigung zugesprochen noch Verfahrenskosten erhoben.

Rechtsmittel

Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit der Mitteilung beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht werden (Adresse: Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern). Die Frist beginnt am Tag nach dem Empfang des Urteils zu laufen und wird durch rechtzeitige Aufgabe bei der Post gewahrt. Die Frist ist nicht erstreckbar (vgl. Art. 39 ff., 82 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes, BGG). Bei Vorund Zwischenentscheiden (dazu gehört auch die Rückweisung zu weiteren Abklärungen) sind die zusätzlichen Voraussetzungen nach Art. 92 oder 93 BGG zu beachten.

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn

Der Präsident Der Gerichtsschreiber

Flückiger Isch



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