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Urteil Versicherungsgericht (SO)

Kopfdaten
Kanton:SO
Fallnummer:VSBES.2005.183
Instanz:Versicherungsgericht
Abteilung:-
Versicherungsgericht Entscheid VSBES.2005.183 vom 22.12.2005 (SO)
Datum:22.12.2005
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Invalidenrente
Schlagwörter : Beistand; Interesse; Person; Beirat; Beschwerde; Vorliegenden; Verfahren; Leistungen; Recht; Mitwirkung; Verfügung; IV-Leistung; Willen; IV-Leistungen; Partei; Urteil; Verfahrens; Krankheit; Interessen; Beistandschaft; Massnahme; Einsprache; Personen; Sozialversicherung; Rechte; Pflichten; Werden
Rechtsnorm: Art. 13 ZGB ; Art. 23 ATSG ; Art. 34 ATSG ; Art. 392 ZGB ; Art. 395 ZGB ; Art. 397a ZGB ; Art. 59 ATSG ;
Referenz BGE:-
Kommentar zugewiesen:
Heinrich Honsell, Nedim Peter Vogt, Thomas Geiser, Basler Kommentar zum Zivilgesetzbuch I, Art. 392 ZGB, 2002
Ueli Kieser, Kommentar zum ATSG, Zürich, Art. 34 ATSG, 2003
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid
Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn wurde über M. infolge Gefahr der Verschleuderung seiner Aktiven eine Mitwirkungsbeiratschaft nach Art. 395 Abs. 1 des Zivilgesetzbuches (ZGB, SR 210) errichtet. M. wurde in der Folge durch seinen Beirat, in der Person des Amtsvormundes, bei der Invalidenversicherung (IV) angemeldet. Das Gesuch wurde damit begründet, dass sich M. zu einem äusserst eigenwilligen und misstrauischen Menschen entwickelt habe, der einerseits sehr isoliert lebe, andererseits den Staat und seine Exponenten beobachte und deren Handlungen bissig kommentiere. Seit mehreren Jahren habe er keinen Arzt aufgesucht, da er sich für völlig gesund halte. So finde er auch für die Anmeldung bei der IV kein Gehör. Aus Sicht des Beirates sei jedoch klar, dass M. gesundheitlich nicht in der Lage sei, einer geregelten Erwerbstätigkeit nachzugehen. Deshalb betrachte der Beirat die Bedingungen zum Bezug einer IV-Rente seit längerer Zeit als erfüllt.

Gegen die ablehnende Verfügung der IV-Stelle erhob der Beirat Einsprache. Begründet wurde diese dahingehend, dass gerade die mangelnde Zusammenarbeit von M. einen Teil seiner Krankheit darstelle. Seine Situation könne jedoch sehr wohl abgeklärt werden, nötigenfalls mittels Fürsorgerischem Freiheitsentzug (FFE). Da M. weder die Einsprache unterzeichnete noch den Beirat als seinen Vertreter bevollmächtigte, ernannte das Vormundschaftsamt den Sekretär der Vormundschaftsbehörde (VB) zum Vertretungsbeistand von M.

Den Einspracheentscheid ficht der Beistand mittels Beschwerde an. Das Versicherungsgericht tritt darauf nicht ein.

Aus den Erwägungen:

2. Streitig und zu entscheiden ist die Frage, ob M. Leistungen der Invalidenversicherungen zugesprochen werden.

a) Vorerst muss geprüft werden, ob die vorliegende Anmeldung zum Bezug von IV-Leistungen rechtsgültig erfolgt ist. Die Anmeldung wurde von S. von der VB, Beirat des M., sowie von N., Vormundschaftssekretär und Vertretungsbeistand des M., unterzeichnet. Dem beiliegenden Schreiben ist zu entnehmen, dass M. selbst jegliche Mitwirkung bezüglich eines Antrages auf IV-Leistungen verweigert.

b) Nach Art. 66 der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV, SR 831.201) sind zur Geltendmachung des Anspruchs auf IV-Leistungen befugt der Versicherte, sein gesetzlicher Vertreter sowie Behörden oder Dritte, die den Versicherten regelmässig unterstützen oder dauernd betreuen.

c) Der Beirat ist zur Geltendmachung der IV-Ansprüche zum Vorteil von M. berechtigt. Das Kriterium der dauernden Betreuung ist im vorliegenden Fall gegeben. Die Beiratschaft nach Art. 395 Abs. 1 ZGB hat zum Zweck, dass M. bei der Veräusserung seiner Grundstücke auf die Mitwirkung seines Beirates angewiesen ist, um mögliche Verschleuderungen verhindern zu können (sog. Mitwirkungsbeiratschaft). Eine dauernde Betreuung durch den Beirat zumindest für bestimmte finanzielle Belange (s. Art. 395 Abs. 1 Ziff. 19 ZGB) liegt somit vor, weshalb die IV-Stelle zu Recht auf das Gesuch eingetreten ist.

3. Weiter zu prüfen ist die Frage, ob die Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall zur Erhebung der Beschwerde beim Versicherungsgericht des Kantons Solothurn legitimiert ist.

a) M. hat während des Verfahrens mehrmals unmissverständlich kundgetan, dass er sich völlig gesund fühle und darum die Einstellung des IV-Verfahrens wünsche. Diese Willensäusserung gilt als sinngemässer Verzicht auf IV-Leistungen gemäss Art. 23 ATSG (Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts, SR 830.1), wonach eine berechtigte Person auf Versicherungsleistungen verzichten kann.

b) Zu prüfen ist, ob die Einwohnergemeinde und/oder der Vertretungsbeistand nach Art. 392 Abs. 1 ZGB als Partei im vorliegenden Verfahren legitimiert sind.

Als Parteien gelten gemäss Art. 34 ATSG Personen, die aus der Sozialversicherung Rechte oder Pflichten ableiten, sowie Personen, Organisationen oder Behörden, denen ein Rechtsmittel gegen die Verfügung eines Versicherungsträgers oder eines ihm gleichgestellten Durchführungsorgans zusteht. Folge der Parteistellung ist die Beschwerdelegitimation. Gemäss Art. 59 ATSG ist zur Beschwerde legitimiert, wer durch die angefochtene Verfügung oder den Einspracheentscheid berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat.

Die Lehre umschreibt im Sozialversicherungsrecht den Parteibegriff im engeren Sinn dahingehend, dass Parteistatus denjenigen Personen und Organisationen zugeordnet wird, die aus der Sozialversicherung Rechte oder Pflichten ableiten. Diesbezüglich ist massgebend, ob die zu erlassende Verfügung Rechte oder Pflichten dieser Personen berühren soll. Ein solches Berühren von Rechten oder Pflichten liegt vor, wenn die zu erlassende Verfügung die Rechtsstellung einer Person zu verändern bezweckt. Dies ist etwa dann der Fall, wenn ein praktisches oder rechtliches Interesse am Entscheid geltend gemacht werden kann. Dies wird dahingehend verstanden, dass die Verfügung eine Auswirkung wirtschaftlicher, ideeller, materieller oder anderweitiger Natur mit sich bringt. Insofern gelten die Verfügungsadressaten als Partei (Ueli Kieser: Kommentar zum ATSG, Zürich 2003, N 6 ff. zu Art. 34 ATSG).

c) Wie aus dem Urteil der Zivilkammer des Obergerichts hervorgeht, wurde M. bis anhin noch nie durch das Sozialamt mit öffentlichen Mitteln unterstützt. Die Einwohnergemeinde kann somit kein schutzwürdiges, finanzielles Interesse geltend machen, welches ihr ein eigenständiges Beschwerderecht einräumt. Den Einwänden der Gemeinde, es sei lediglich eine Frage der Zeit, bis M. sämtliche Grundstücke veräussert habe und von der Sozialhilfe abhängig sein werde, kann nicht gefolgt werden. Gerade die Bestellung des Beirates hat zum Zweck, dass M. seine Grundstücke nur noch unter dessen Mitwirkung und somit zum wirklichen Verkehrswert veräussern kann. Damit ist im Sinne einer ausreichenden Sicherung jedoch gewährleistet, dass M. für längere Zeit von seinem eigenen Vermögen leben kann. Im Weiteren muss das von der Einwohnergemeinde geltend gemachte Interesse unmittelbar und konkret sein. Ein rein künftiges Interesse aufgrund einer irgendwann allenfalls drohenden Sozialhilfebedürftigkeit kann im jetzigen Zeitpunkt nicht berücksichtigt werden.

d) Der durch die Vormundschaftsbehörde ernannte Beistand von M. erhielt den Auftrag, dessen Interessen im IV-Verfahren wahrzunehmen und ihn zu vertreten. Nach Meinung des Beistandes verkennt M. gerade auf Grund seiner Krankheit die Notwendigkeit des vorliegenden Verfahrens und verweigert deshalb seine Mitwirkung. Aus diesem Grund handle er sehr wohl im Interesse von M., welcher seit einiger Zeit bereits die Voraussetzungen zum Bezug einer IV-Leistung erfülle.

Gemäss Art. 392 ZGB ernennt die Vormundschaftsbehörde auf Ansuchen eines Beteiligten oder von Amtes wegen einen Beistand da, wo das Gesetz es besonders vorsieht sowie u.a., wenn eine mündige Person in einer dringenden Angelegenheit infolge von Krankheit, Abwesenheit oder dergleichen weder selbst zu handeln noch einen Vertreter zu bezeichnen vermag.

Voraussetzung für die Anordnung einer Beistandschaft ist das Unvermögen der betroffenen Person, in einer oder mehreren Angelegenheiten selber in zweckmässiger Weise zu handeln, d.h. in einer Art und Weise, die geeignet ist, die eigenen Interessen gehörig wahrzunehmen. Als Verbeiständungsgründe nennt das Gesetz in nicht abschliessender Aufzählung Krankheit, Abwesenheit und Interessenkollision. Liegt besondere Schutzbedürftigkeit vor, welche durch einen Verbeiständungsgrund hervorgerufen ist, kommt eine Beistandschaft als geeignete Massnahme auch ohne Einverständnis der mit dem Schwächezustand behafteten Person in Betracht. Bei ernsthaftem Widerstand der betroffenen Person gegen die Beistandschaft ist eine solche nicht anzuordnen oder eine bereits angeordnete aufzuheben und nötigenfalls durch eine andere Massnahme zu ersetzen. Als ernsthafter Widerstand wird i.d.R. die begründete Beschwerde gegen die Anordnung der Beistandschaft bei der Rechtsmittelinstanz anzusehen sein, ferner das ständige Durchkreuzen der Handlungen des Beistandes durch die verbeiständete Person (Heinrich Honsell/Nedim Peter Vogt/Thomas Geiser in: Basler Kommentar zum Zivilgesetzbuch I, Basel 2002, N 18 zu Art. 392 ZGB).

Der obigen Argumentation des Beistandes, wonach M. gerade wegen seiner Krankheit die Mitwirkung verweigere, kann nicht gefolgt werden. Das Amtsgericht lehnte einen Antrag auf Entmündigung von M. ab, da dieser mangels Selbstoder Fremdgefährdung weder einen Beistand noch Fürsorge benötige. Einen Schutz benötige einzig sein Vermögen. Die von der VB dagegen eingereichte Appellation wurde wieder zurückgezogen. Daraus muss geschlossen werden, dass auch die VB davon ausgeht, dass bei M. keine ausreichenden Gründe für eine Entmündigung vorliegen. Folglich verfügt jedoch M. nach wie vor über die volle Urteilsund Handlungsfähigkeit gemäss Art. 13 und 16 ZGB und er kann seinen Willen frei und selbst bilden. Bezüglich des vorliegenden Verfahrens hat M. seinen Willen mehrfach unmissverständlich kundgetan. Er wünscht keine IV-Leistungen, weil er sich als völlig gesund erachtet. Die Interessen von M., welche vom Beistand gemäss seinem Auftrag vertreten werden müssen, werden somit nur wahrgenommen, wenn auf das Weiterführen des vorliegenden Verfahrens verzichtet wird. Sämtliche anderen Handlungen entsprechen nicht dem Willen von M. Damit fehlt es dem Beistand an einer Prozessvoraussetzung, nämlich dem schutzwürdigen Interesse von M., weshalb auf die Beschwerde des Beistandes nicht eingetreten werden kann.

4. Selbst wenn auf die Beschwerde einzutreten wäre, müsste diese abgelehnt werden. Die vom Beistand angeregte Einweisung in eine Anstalt mittels fürsorgerischen Freiheitsentzugs (FFE) ist im vorliegenden Fall nicht geeignet, eine ärztliche Begutachtung von M. zu erzwingen. Wie das Amtsgericht in seinem Urteil nach Anhörung von M. festgehalten hat, liegt bei ihm weder die Gefahr einer Selbstnoch einer Fremdgefährdung vor. Voraussetzung für einen FFE wäre jedoch gemäss Art. 397a ZGB das Vorliegen von Geisteskrankheit, Geistesschwäche, Trunksucht, anderen Suchterkrankungen oder schwerer Verwahrlosung. Ein solcher Grund müsste jedoch ernsthaft in Betracht kommen. Ein blosser Verdacht genügt nicht. Im vorliegenden Fall liegen keinerlei Anzeichen vor, welche bei M. die Anordnung einer Einweisung in eine Anstalt mittels FFE rechtfertigen würden. Die Erzwingung einer Begutachtung von M. vermag seine privaten Interessen nicht zu überwiegen. Diese Massnahme würde somit das Verhältnismässigkeitsprinzip verletzen. Der Aufforderung der Behörde zu einer ambulanten Begutachtung gleichsam als mildere Massnahme wird M. erfahrungsgemäss nicht nachkommen.

5. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass M. sehr wohl berechtigt ist, seine ablehnende Haltung gegenüber IV-Leistungen im vorliegenden Verfahren durchzusetzen. Es liegen bis anhin keinerlei Anzeichen dafür vor, dass M. nicht mehr über seine volle Urteilsfähigkeit verfügt. Ein entsprechender Antrag auf seine Entmündigung wurde denn in einem früheren Verfahren auch rechtskräftig abgewiesen. Wenn M. jedoch in der Lage ist, sich einen rechtsverbindlichen Willen zu bilden und zu äussern, handelt der Beistand nicht in seinem Interesse, wenn er gegen dessen unmissverständlichen Willen, keine Leistungen der IV beziehen zu wollen, prozessiert. Dem Beistand fehlt es somit an einer Prozessvoraussetzung, weshalb auf die Beschwerde nicht einzutreten ist.

Versicherungsgericht, Urteil vom 22. Dezember 2005 (VSBES.2005.183)



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