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Urteil Strafkammer (SO)

Zusammenfassung des Urteils STDIV.2001.66: Strafkammer

Ein Gerichtsverfahren wegen Körperverletzung, Beleidigung und Drohungen zwischen Eheleuten wird vor dem Tribunal d'accusation verhandelt. Der Richter hat den Angeklagten in Teilen verurteilt, aber auch einen Freispruch ausgesprochen. Die Klägerin hat gegen die Entscheidung des Richters Berufung eingelegt, da dieser nicht über ihre zivilen Ansprüche entschieden hat. Das Gericht entscheidet, dass die Sache vor das Polizeigericht überwiesen wird, da der Angeklagte gegen die gesamte Verurteilung Einspruch erhoben hat. Die Klägerin wird aufgefordert, ihre zivilen Ansprüche vor dem Gericht geltend zu machen. Die Gerichtskosten belaufen sich auf 550 CHF.

Urteilsdetails des Kantongerichts STDIV.2001.66

Kanton:SO
Fallnummer:STDIV.2001.66
Instanz:Strafkammer
Abteilung:-
Strafkammer Entscheid STDIV.2001.66 vom 12.12.2001 (SO)
Datum:12.12.2001
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Aufhebung der Arbeitserziehung
Schlagwörter : Arbeit; Arbeitserziehung; Massnahme; Aufhebung; Arbeitserziehungsanstalt; Voraussetzung; Anstalt; Wiesene; Voraussetzungen; Bundesgericht; Fälle; Zeuge; Obergericht; Gericht; Abteilung; Entscheid; Entlassung; Stratenwerth; Frustrationstoleranz; Untersuchungsgefängnis; Zeugen; Persönlichkeit; Gespräch; Situation; Situationen; Verweigerungshaltung
Rechtsnorm:-
Referenz BGE:100 IV 205;
Kommentar:
-

Entscheid des Kantongerichts STDIV.2001.66

SOG 2002 Nr. 11

 

 

Art. 100ter Ziff. 4 Abs. 2 StGB. Voraussetzungen zur Aufhebung der Arbeitserziehungsmassnahme. Nur ausserordentliche Situationen stellen einen Grund für eine vorzeitige Aufhebung der Massnahme dar; eine zeitweilige Verweigerungshaltung des Betroffenen genügt nicht.

 

 

Sachverhalt:

 

Das Obergericht sprach K. der qualifizierten Entführung, der versuchten Erpressung sowie der Widerhandlung gegen die Verordnung über den Erwerb und das Tragen von Schusswaffen durch türkische Staatsangehörige schuldig. Nachdem K. zur Zeit der Taten erst 19 Jahre alt war und das eingeholte Gutachten eine entsprechende Empfehlung abgab, wies ihn das Gericht in eine Arbeitserziehungsanstalt ein. Die Arbeitserziehungsanstalt stellte K. der Abteilung Strafund Massnahmenvollzug zur Verfügung: er widersetze sich der Massnahme. K. beantragt den Abbruch der Massnahme. Die Strafkammer des Obergerichts beschliesst deren Fortsetzung.

Aus den Erwägungen:

 

5. a) Das Bundesgericht hat sich in einem Entscheid aus dem Jahre 1974 (BGE 100 IV 205 ff.) sehr dezidiert zu den Voraussetzungen der Aufhebung einer Arbeitserziehung geäussert: Die Massnahme ist aufzuheben, wenn sie ihren spezialpräventiven Zweck erreicht hat wenn sich herausstellt, dass sie zwecklos geworden ist. Letzteres soll aber nur bei ausserordentlichen Fällen zutreffen, nämlich wenn ein zwingender Grund vorliegt, der gar keine andere Wahl als die vorzeitige Aufhebung lässt. Dies würde z.B. bei Invalidität der eingewiesenen Person zutreffen. Das Bundesgericht begründet seine restriktive Haltung damit, dass durch die Aufhebung der Massnahme die für die Resozialisierung wichtige und mit Schutzaufsicht verbundene bedingte Entlassung leichthin ausgeschaltet werde.

Günter Stratenwerth hat sich mit dem zitierten Entscheid differenziert auseinandergesetzt (Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil II, Bern 1989, §13 N 60 ff.). Nach seiner Auffassung kann der Gesetzgeber nicht nur die vom Bundesgericht genannten krassen Fälle im Auge gehabt haben, denn bei Invalidität unheilbarer Krankheit dürfte sich kaum je ernstlich die Frage nach einer noch auszufällenden Strafe stellen, wie sie Art. 100ter Ziff. 4 Abs. 2 StGB vorsieht. In der Praxis bedeutsamer sind indes diejenigen Fälle, bei denen sich im Verlaufe des Vollzugs herausstellt, dass die Wirksamkeit der Arbeitserziehung - und damit eine Voraussetzung für deren Anordnung - nicht mehr gegeben ist (so auch Jörg Rehberg, Strafrecht II, Zürich 2001, § 11 Ziff. 4.2.). Es ist eben möglich, dass der Eingewiesene den Methoden der Arbeitserziehung entgegen der ursprünglichen Prognose nicht zugänglich ist. Wenn nicht mehr erwartet werden kann, dass die Massnahme Erfolg hat, z.B. weil sich der Eingewiesene fortwährend durch Flucht entzieht aufgrund einer geistigen Störung einer vorwiegend sozialpädagogischen Massnahme nicht zugänglich ist, so muss der Massnahmevollzug abgebrochen werden (Stratenwerth, a.a.O., N 65). Diese Ausführungen sind überzeugend. Der Wortlaut des Gesetzes spricht bloss von "irgend einem Grund", ohne sich näher zu dessen Natur zu äussern. Zwar liegt auf der Hand, dass es sich um ausserordentliche Situationen handeln muss, entscheidet doch gemäss Art 100ter Ziff. 2 StGB im Regelfall die Vollzugsbehörde, ob die Massnahme aufzuheben (oder zu verlängern) ist, wenn nach drei Jahren die Voraussetzungen der bedingten Entlassung noch nicht erfüllt sind. Es ist aber nicht sachgerecht, dabei einen derart strengen Massstab anzulegen wie das Bundesgericht im zitierten Entscheid. Vielmehr ist mit Stratenwerth davon auszugehen, dass darüber hinaus noch weitere Gründe bestehen, die eine vorzeitige Aufhebung der Massnahme gebieten können.

b) Die Voraussetzungen der Arbeitserziehung waren erfüllt, als das Gericht diese anordnete. K. war mit dieser Massnahme ausdrücklich einverstanden, hatte er doch zuvor ein Gesuch um vorzeitigen Eintritt in die Arbeitserziehungsanstalt gestellt. Beinahe zwei Jahre später lehnte er demgegenüber eine Rückkehr in die Anstalt entschieden ab, woran er bis heute festhielt. Der Verteidiger macht geltend, vor diesem Hintergrund fehle es an der erforderlichen Motivation von K.. Die Aufhebung der Arbeitserziehung dürfte sich in der Tat aufdrängen, wenn der Eingewiesene seine Bereitschaft, sich der Massnahme zu unterziehen, unwiederbringlich verloren hat. Dazu genügt es aber nicht, dass der Eingewiesene einfach sagt, er verweigere die Fortführung der Arbeitserziehung; der dauerhafte Verlust der Motivation muss sich vielmehr in seinem Verhalten ausdrücken. Die Arbeitserziehung stellt nämlich keineswegs eine Vergünstigung dar, auf die der Eingewiesene nach Belieben verzichten kann; sie wird vom Richter vielmehr angeordnet, weil sie im konkreten Fall der Spezialprävention besser dient als eine Strafe eine andere Massnahme.

Die Arbeitserziehung verlief bis kurz vor ihrem Abbruch erfreulich positiv, wenn auch nicht in allen Belangen die gleichen Erfolge erzielt wurden. Der Zwischenbericht lobte insbesondere den Arbeitseifer von K. und bescheinigte ihm überdies, dass er keine Drogen mehr konsumiere, sich in die Bewohnergruppe der offenen Abteilung schnell integriert habe, engen Kontakt zu seiner Familie pflege, Ordnung halte und seine Freizeit aktiv gestalte. Vor allem die beiden ersten Punkte stellen wichtige Schritte auf dem Weg zur Nachreifung dar. In den Bereichen Konfliktbewältigung und Frustrationstoleranz fielen die Fortschritte bescheidener aus, wobei aber auch hier gewisse Verbesserungen auszumachen waren. Der Schlussbericht hingegen erwähnte zwar ebenfalls die positiven Elemente, betonte jedoch die Defizite von K. in Sachen Konfliktverhalten, Frustrationstoleranz etc. und strich heraus, dass er sich nicht an Regeln und Abmachungen halte; da er die Anstalt habe verlassen wollen und nicht bereit gewesen sei, die Massnahme im ordentlichen Rahmen zu beenden, sei er ins Untersuchungsgefängnis Solothurn überstellt worden. Die Zeugen M. und C. (Therapeuten) bekräftigten, dass K. die Arbeit an seiner Persönlichkeit vernachlässigt habe und wegen seines Benehmens nicht mehr tragbar gewesen sei.

Aufgrund der vorliegenden Berichte ist davon auszugehen, dass K. noch nicht die erforderliche Reife erreicht hat und somit weiterhin massnahmebedürftig ist. Überdies steht fest, dass es zu einem Zerwürfnis zwischen der Anstaltsleitung und K. kam, da dieser sich nicht damit abfinden konnte, erst später eine externe Arbeit antreten zu dürfen. Angesichts der bis dahin günstigen Entwicklung kann aber nicht gesagt werden, K. sei eine durch und durch renitente Person, die gänzlich unkooperativ bleibe und sich jeder Massnahme verweigere. Bemerkenswerterweise hatten die Streitigkeiten wegen der externen Stelle weder auf die Drogenabstinenz noch auf die Arbeitsleistung von K. einen Einfluss, und er versuchte auch nie, aus der Anstalt zu fliehen. Nach der Entlassung aus dem Untersuchungsgefängnis arbeitete er temporär an verschiedenen Orten. Dies zeigt, dass K. durchaus bereit ist, sich in die Gesellschaft zu integrieren. Was seine mehrfach heraufbeschworenen Regelverstösse angeht, so geben dazu weder der Schlussbericht noch die Zeugenaussagen viel an Details her; ausdrückliche Erwähnung finden lediglich der verbotene Gebrauch von Handy und Auto, wobei diese Fälle keineswegs an der Tagesordnung waren. Es hat sich mehrfach gezeigt, dass K. durchaus positiv beeinflusst und zur Zusammenarbeit motiviert werden kann. So strebte er nach dem ersten Gespräch mit R. (Psychologe) von sich aus eine Rückkehr in die Arbeitserziehungsanstalt an. Voraussetzung für die Mitwirkung von K. ist aber, dass die Bezugsperson mit dem nötigen Fingerspitzengefühl vorgeht. Der Zeuge R. führte überzeugend aus, dass der in der Arbeitserziehungsanstalt gepflegte konfrontative Gesprächsstil bei K. nur dazu führt, dass er sich erst recht quer stellt. Diese Erkenntnis deutet sich bereits im Zwischenbericht an, wo steht, ein von Wohlwollen und Toleranz bestimmtes Gesprächsklima sei geeignet, K. zu fördern. Man muss mit anderen Worten bis zu einem gewissen Grad auf die besondere Persönlichkeitsstruktur von K. Rücksicht nehmen, was in der offenen Abteilung der Arbeitserziehungsanstalt anscheinend recht gut gelungen ist. Im Übrigen wollte K. gegen Ende des Anstaltsaufenthaltes auch seine abgebrochene Psychotherapie wieder aufnehmen, als ein neuer Therapeut kam. Wenn die Zeugen M. und C. die mangelnde Frustrationstoleranz von K. beklagen, so ist ihnen zu entgegnen, dass dies Teil der Persönlichkeitsstörung bildet und nach einer angepassten Betreuung ruft. Auch der Einwand ist unbehelflich, K. sei zwar mit einer Fortsetzung der Arbeitserziehung einverstanden gewesen, habe sich dann aber bereits kurze Zeit später wieder dagegen ausgesprochen: Dieser Sinneswandel rührt nämlich vor allem daher, dass ein sofortiger Wiedereintritt nicht möglich war; K. fühlte sich betrogen, weil er davon ausgegangen war, er müsse insgesamt lediglich vier Wochen im Untersuchungsgefängnis bleiben.

Vor diesem Hintergrund gelangt das Gericht zu der Auffassung, dass eine Arbeitserziehung auch im jetzigen Zeitpunkt immer noch erfolgversprechend ist. Einerseits entwickelte sich K. in der Arbeitserziehungsanstalt während mehr als anderthalb Jahren positiv, andererseits verfügt er vor allem in Gestalt seiner Familie - über Ressourcen, die sich für eine Beeinflussung nutzen lassen. Die gegenwärtige Verweigerungshaltung von K. rührt daher, dass er sich in einer bestimmten Situation ungerecht behandelt fühlte. Daraus lässt sich indes keine generelle und permanente Ablehnung einer Massnahme ableiten; vielmehr muss man annehmen, dass sich K., die nötige Sensibilität in der Betreuung vorausgesetzt, wieder für eine Arbeitserziehung motivieren lässt. Möglicherweise fehlt zwar in der Anstalt die Vertrauensbasis für eine fruchtbare Arbeit mit K.. Dies spricht aber keinesfalls gegen die Einweisung in eine andere Institution.

Obergericht Strafkammer, Beschluss vom 12. Dezember 2001 (STDIV.2001.66)



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