Zusammenfassung des Urteils Nr. 96/2014/1: Obergericht
Das Scheidungsgericht entzog den Eltern die elterliche Sorge über ihre Kinder und stellte sie unter Vormundschaft. Die Vormundschaftsbehörden waren uneinig über die Zuständigkeit zur Ernennung des Vormunds. Nach dem neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrecht wurde die Frage der Zuständigkeit dem Obergericht vorgelegt. Das Obergericht entschied, dass die Kindesschutzbehörde am Aufenthaltsort der Kinder, in Zürich, für die Ernennung des Vormunds zuständig ist.
Kanton: | SH |
Fallnummer: | Nr. 96/2014/1 |
Instanz: | Obergericht |
Abteilung: | - |
Datum: | 21.02.2014 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Art. 25 Abs. 1, Art. 311 Abs. 2, Art. 315 Abs. 1, Art. 315a Abs. 1 und Art. 444 ZGB. Örtliche Zuständigkeit zur Ernennung des Vormunds nach Entzug der elterlichen Sorge im Scheidungsurteil |
Schlagwörter : | ändig; Vormunds; Eltern; Kindes; Wohnsitz; Scheidung; Kinder; Vormundschaft; Zuständig; Kanton; Zuständigkeit; Schaffhausen; Scheidungsurteil; Vormundschaftsbehörde; Sorge; Obhut; Zeitpunkt; Kindesschutzbehörde; Kindesschutzmassnahme; Ernennung; Kantons; Scheidungsurteils; Pflegefamilie; Meinungsaustausch; Vollzug; Aufenthalt; Beistandschaft; Kantonsgericht; ändige |
Rechtsnorm: | Art. 25 ZGB ;Art. 311 ZGB ;Art. 314 ZGB ;Art. 315 ZGB ;Art. 315a ZGB ;Art. 444 ZGB ; |
Referenz BGE: | 135 III 51; |
Kommentar: | - |
Keine Veröffentlichung im Amtsbericht
Entzieht das Scheidungsgericht den Eltern, denen zuvor bereits die elterliche Obhut entzogen worden war, die elterliche Sorge über ihre Kinder und haben die Eltern zudem keinen gemeinsamen Wohnsitz, so gilt der Aufenthalt der Kinder als deren Wohnsitz; die dortige Kindesschutzbehörde ist zuständig zur Ernennung des Vormunds.
Im Februar 2009 ordnete die Vormundschaftsbehörde X. für die bei ihren verheirateten Eltern in X. (Kanton Thurgau) wohnende A. (geboren 2008) eine Erziehungsbeistandschaft an. Die Familie zog in der Folge nach Y. (Kanton Schaffhausen). Im August 2009 wurde die Tochter B. geboren. Im September 2009 verfügte die Vormundschaftsbehörde Y. zum Schutz von A. und
eine Notfallplatzierung bei einer Pflegefamilie in Z. (Kanton Zürich). Im Oktober 2009 beschloss die Vormundschaftsbehörde Y., die Beistandschaft für A. weiterzuführen und auch für B. eine Beistandschaft zu errichten. Im Dezember 2009 beschloss die Vormundschaftsbehörde Y., den vorsorglichen Obhutsentzug für A. und B. aufrechtzuerhalten und die Obhut an die Pflegefamilie in Z. zu übertragen. Im Juli 2010 beschloss die Vormundschaftsbehörde Y., die Kinder bei der Pflegefamilie in Z. dauerzuplatzieren.
Im Mai 2012 schied das Kantonsgericht Schaffhausen die Ehe der Eltern von A. und B. Es entzog den Scheidungsparteien die elterliche Sorge über die Kinder und stellte diese unter Vormundschaft. Es stellte das Urteilsdispositiv unter anderen den Vormundschaftsbehörden Y. und Z. zu. Beide erachteten sich in der Folge nicht als zuständig, den Vormund zu ernennen. Ein Meinungsaustausch zwischen den vormundschaftlichen Aufsichtsbehörden der Kantone Zürich und Schaffhausen blieb ergebnislos. Im Juli 2013 ersuchte die neue Kindesund Erwachsenenschutzbehörde (KESB) des Kantons Schaffhausen die für die Gemeinde Z. zuständige KESB V., deren Zuständigkeit zur Ernennung des Vormunds zu prüfen. Nachdem sich die KESB V. nicht als zuständig erklärt hatte, unterbreitete die KESB Schaffhausen dem Obergericht die Frage der Zuständigkeit zur Beurteilung.
Aus den Erwägungen:
.- Gemäss Art. 444 ZGB1 prüft die Erwachsenenschutzbehörde ihre Zuständigkeit von Amtes wegen (Abs. 1). Hält sie sich nicht für zuständig, so überweist sie die Sache unverzüglich der Behörde, die sie als zuständig erachtet (Abs. 2). Zweifelt sie an ihrer Zuständigkeit, so pflegt sie einen Meinungsaustausch mit der Behörde, deren Zuständigkeit in Frage kommt (Abs. 3). Kann im Meinungsaustausch keine Einigung erzielt werden, so unterbreitet die zuerst befasste Behörde die Frage ihrer Zuständigkeit der gerichtlichen Beschwerdeinstanz (Abs. 4). Diese Bestimmung gilt auch im Verfahren vor der Kindesschutzbehörde.2
Im vorliegenden Fall hat das Kantonsgericht Schaffhausen im Scheidungsurteil beiden Eltern die elterliche Sorge über die hier in Frage stehenden Kinder entzogen und diese unter Vormundschaft gestellt. Die Vormundschaftsbehörde Y., welche die bereits früher errichtete Beistandschaft über die Kinder führte, erachtete sich nicht als zuständig, den Vormund zu ernennen. Sie liess - nachdem sich auch die Vormundschaftsbehörde Z. als nicht zuständig bezeichnet hatte - durch die damalige kantonale Aufsichtsbehörde eine Klärung des negativen interkantonalen Kompetenzkonflikts anstreben. Das führte jedoch zu keinem Ergebnis. Nach Inkrafttreten des neuen Kindesund Erwachsenenschutzrechts leitete die KESB des Kantons Schaffhausen als Rechtsnachfolgerin der kommunalen Vormundschaftsbehörden den im neuen Recht vorgesehenen Meinungsaustausch mit der nach ihrer Auffassung zuständigen KESB V. ein. Eine formelle Einigung wurde dabei nicht erzielt; es liegt somit ein negativer Kompetenzkonflikt vor. Die KESB Schaffhausen hat daher die Frage ihrer Zuständigkeit dem Obergericht unterbreitet in dessen Eigenschaft als zuständiger Beschwerdeinstanz (Art. 41 Abs. 1 JG3).
Auf das nicht an eine Frist gebundene Beurteilungsgesuch ist einzutreten.
.a) Hat das Gericht, das für die Ehescheidung den Schutz der ehelichen Gemeinschaft zuständig ist, die Beziehungen der Eltern zu den Kindern zu gestalten, so trifft es auch die nötigen Kindesschutzmassnahmen und betraut die Kindesschutzbehörde mit dem Vollzug (Art. 315a Abs. 1 ZGB).
Fassung vom 19. Dezember 2008, in Kraft seit 1. Januar 2013.
Vgl. Art. 440 Abs. 3 i.V.m. Art. 314 Abs. 1 ZGB; Auer/Marti, Basler Kommentar, Erwachse-
nenschutz, Basel 2012, Art. 444 N. 2, S. 558.
Justizgesetz vom 9. November 2009 (JG, SHR 173.200), Fassung vom 21. November 2011.
Entzieht das Scheidungsgericht beiden Eltern die Sorge über die Kinder, so erhalten diese einen Vormund (Art. 311 Abs. 2 ZGB). Die Vollziehung der Kindesschutzmassnahme besteht in diesem Fall darin, dass die Kindesschutzbehörde den Vormund ernennt.4
Zuständig zum Vollzug der Kindesschutzmassnahmen ist grundsätzlich die Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes (vgl. Art. 315 Abs. 1 ZGB). Als Wohnsitz des Kindes unter elterlicher Sorge gilt der Wohnsitz der Eltern oder, wenn die Eltern keinen gemeinsamen Wohnsitz haben, der Wohnsitz des Elternteils, unter dessen Obhut das Kind steht; in den übrigen Fällen gilt sein Aufenthaltsort als Wohnsitz (Art. 25 Abs. 1 ZGB).
Als übriger Fall in diesem Sinn gilt unter anderem der Entzug der Obhutsberechtigung beider Eltern, die Inhaber der elterlichen Sorge sind und keinen gemeinsamen Wohnsitz haben.5
Im vorliegenden Fall wurde beiden Eltern die elterliche Obhut über die in Frage stehenden Kinder im Jahr 2009 vorsorglich und mit der Dauerplatzierung in einer Pflegefamilie im Juli 2010 endgültig entzogen.
Die KESB V. erachtet es als fraglich, ob der Vater im Zeitpunkt des Scheidungsurteils einen neuen, den früheren gemeinsamen ablösenden Wohnsitz begründet habe. Sie macht damit sinngemäss geltend, die Eltern hätten bei der Scheidung noch einen gemeinsamen Wohnsitz gehabt; ein übriger Fall im Sinn von Art. 25 Abs. 1 zweiter Halbsatz ZGB liege damit nicht vor. Wie sie selber ausführt, kehrte der Vater jedoch - nachdem er im September 2009 mit einer Wegweisung und einem Rückkehrverbot belegt worden war - nicht mehr in die gemeinsame Wohnung in Y. zurück. Er hielt sich in der Folge in W. (TG) und X. (TG) auf. Die Adresse in X. bestand auch noch im Zeitpunkt des Scheidungsurteils.
Wieso unter diesen Umständen der Vater der in Frage stehenden Kinder in den rund zweieinhalb Jahren zwischen der faktischen Trennung der Eltern und dem Scheidungsurteil keinen neuen Wohnsitz begründet haben könnte, ist nicht ersichtlich. Kommt dazu, dass auch die Mutter im Zeitpunkt des Scheidungsurteils nicht mehr in Y. wohnte. Daher ist davon auszugehen, dass die Eltern im Zeitpunkt des Scheidungsurteils keinen gemeinsamen Wohnsitz mehr hatten.
Mit der Anordnung der Vormundschaft hat das Kantonsgericht eine neue Kindesschutzmassnahme getroffen. Massgeblich für die Zuständigkeit
Für das frühere Recht BGE 135 III 51 E. 4.1.
Daniel Staehelin, Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, 4. A., Basel 2010, Art. 25 N. 9,
S. 237, mit Hinweisen.
zu deren Vollzug sind die Verhältnisse in jenem Zeitpunkt. Es kann nicht an die Verhältnisse im Zeitpunkt früherer Kindesschutzmassnahmen angeknüpft und so eine Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs begründet werden.
Im Zeitpunkt des Scheidungsurteils war beiden Eltern die elterliche Obhut entzogen. Sie hatten sodann keinen gemeinsamen Wohnsitz mehr. Zuständig zum Vollzug der mit dem Scheidungsurteil getroffenen Kindesschutzmassnahme, d.h. zunächst zur Ernennung des Vormunds, ist somit gemäss Art. 25 Abs. 1 zweiter Halbsatz ZGB die Kindesschutzbehörde am Aufenthaltsort der Kinder. Dieser befindet sich nicht im Kanton Schaffhausen, sondern in Z. (Bezirk V.; Kanton Zürich).
Es ist daher festzustellen, dass die KESB Schaffhausen nicht zuständig ist zur Ernennung des Vormunds der in Frage stehenden Kinder. Die Sache ist zuständigkeitshalber an die KESB V. zu überweisen.
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
Hier geht es zurück zur Suchmaschine.