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Urteil Obergericht (SH)

Zusammenfassung des Urteils Nr. 96/2005/1: Obergericht

In dem vorliegenden Fall geht es um die Zuständigkeit zur Entscheidung über ein Ablehnungsbegehren gegen den Polizeirichter-Stellvertreter in einem Verfahren wegen eines Verkehrsunfalls mit tödlichem Ausgang. Der Regierungsrat erachtete sich als nicht zuständig und ersuchte das Obergericht, im Kompetenzkonfliktverfahren zu entscheiden. Das Obergericht wies das Gesuch ab und lud den Regierungsrat ein, über das Ablehnungsbegehren zu entscheiden. Es wurde festgestellt, dass das Obergericht in solchen Fällen zuständig ist. Der Regierungsrat argumentierte, dass er nicht die zuständige Aufsichtsbehörde sei und das Obergericht über das Ablehnungsbegehren entscheiden sollte. Letztendlich wurde entschieden, dass der Regierungsrat über das Ablehnungsbegehren entscheiden muss.

Urteilsdetails des Kantongerichts Nr. 96/2005/1

Kanton:SH
Fallnummer:Nr. 96/2005/1
Instanz:Obergericht
Abteilung:-
Obergericht Entscheid Nr. 96/2005/1 vom 16.09.2005 (SH)
Datum:16.09.2005
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort: Art. 8, Art. 17 Abs. 1 und Art. 78 Abs. 2 KV; Art. 34 und Art. 55a VRG; Art. 18 Abs. 1 und Art. 31 Abs. 1 lit. d StPO. Zuständigkeit zum Entscheid über Ablehnungsbegehren gegen den Polizeirichter-Stellvertreter; Kompetenzkonfliktverfahren; Rechtsweggarantie
Schlagwörter : Regierungsrat; Ausstand; Recht; Verwaltung; Verwaltungs; Obergericht; Kanton; Entscheid; Regierungsrats; Aufsicht; Zuständigkeit; Verkehrsstrafamt; Untersuchung; Kantons; Recht; Untersuchungs; Kompetenz; Kompetenzkonflikt; Ablehnungsbegehren; Polizeirichter; Staatsanwalt; Justiz; Gesuch; Prozessordnung; Verfahren; Behörde; Ausstandsbegehren
Rechtsnorm:Art. 13 StPO ;Art. 15 StPO ;Art. 16 StPO ;Art. 18 StPO ;Art. 26 StPO ;Art. 30 StPO ;Art. 31 StPO ;Art. 327 StPO ;Art. 80 BGG ;Art. 92 BGG ;
Referenz BGE:-
Kommentar:
-

Entscheid des Kantongerichts Nr. 96/2005/1

Art. 8, Art. 17 Abs. 1 und Art. 78 Abs. 2 KV; Art. 34 und Art. 55a VRG; Art. 18 Abs. 1 und Art. 31 Abs. 1 lit. d StPO. Zuständigkeit zum Entscheid über Ablehnungsbegehren gegen den Polizeirichter-Stellvertreter; Kompetenzkonfliktverfahren; Rechtsweggarantie (OGE 96/2005/1 vom
  1. September 2005)

    Veröffentlichung im Amtsbericht

    Vor Anrufung des Obergerichts als Kompetenzkonfliktbehörde ist grundsätzlich ein Meinungsaustausch zwischen den betroffenen Behörden durchzuführen. Ausnahmsweise Verzicht hierauf aufgrund der konkreten Umstände (E. 2).

    Der Regierungsrat ist als Aufsichtsbehörde über das Verkehrsstrafamt zuständig zum Entscheid über ein Ablehnungsbegehren gegen den Polizeirichter-Stellvertreter. Diese Zuständigkeit verstösst weder gegen die Gewaltenteilung noch gegen die justizmässige Unabhängigkeit des Verkehrsstrafamts im Rahmen seiner Strafuntersuchungstätigkeit (E. 4c und d).

    Ausstandsentscheide des Regierungsrats können aufgrund der Rechtsweggarantie von Art. 17 Abs. 1 KV mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Obergericht angefochten werden (E. 4e).

    In einer vom Verkehrsstrafamt geführten Strafuntersuchung wegen eines Verkehrsunfalls mit tödlichem Ausgang lehnte der Geschädigtenvertreter den zuständigen Polizeirichter-Stellvertreter wegen Befangenheit ab. Der Regierungsrat erachtete sich als nicht zuständig für die Behandlung des an ihn überwiesenen Ablehnungsbegehrens und ersuchte das Obergericht, im Kompetenzkonfliktverfahren über die sachliche Zuständigkeit zur Behandlung des Ablehnungsbegehrens zu entscheiden, wobei er von der Zuständigkeit des Obergerichts ausging. Das Obergericht wies das Gesuch im Sinn der Erwägungen ab und lud den Regierungsrat ein, über das streitige Ablehnungsbegehren zu entscheiden.

    Aus den Erwägungen:

    1. .a) Gemäss Art. 78 Abs. 2 der Verfassung des Kantons Schaffhausen vom 17. Juni 2002 (KV, SHR 101.000) entscheidet das Obergericht Zuständigkeitskonflikte zwischen Verwaltungsund Rechtspflegebehörden. Damit wurde dem Obergericht in Anlehnung an Regelungen anderer Kantone, welche sich allerdings im Unterschied zum Kanton Schaffhausen meist auf das Gebiet der Verwaltungsrechtspflege beschränken, neu die bisher dem Kantonsparlament obliegende Aufgabe zugewiesen, über positive negative Kompetenzkonflikte zwischen Verwaltungsund Justizbehörden zu entscheiden, weil es sich hierbei grundsätzlich ebenfalls um eine Rechtsprechungsaufgabe handelt und die Einschaltung des Kantonsparlaments in solchen Konflikten nach Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit jedenfalls im Gebiet des Verwaltungsrechts kaum mehr sinnvoll ist. Diese Neuerung setzte der Kantonsrat durch Einfügung von Art. 55a des Gesetzes über den Rechtsschutz in Verwaltungssachen vom 20. September 1971 (VRG, SHR 172.200) im Verwaltungsrechtspflegegesetz um, zumal es sich um eine weitere Aufgabe staatsund verwaltungsrechtlicher Natur des Obergerichts handelt (vgl. dazu Dubach/Marti/Spahn, Verfassung des Kantons Schaffhausen, Kommentar, Schaffhausen 2004, S. 238, und Arnold Marti, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Kanton Schaffhausen, Diss. Zürich 1986, S. 304 f., mit weiteren Hinweisen; vgl. zum Kompetenzkonfliktverfahren auch allgemein Zaccaria Giacometti, Das Staatsrecht der schweizerischen Kantone, Neudruck, Zürich 1979, S. 336 f., Kölz/Bosshart/Röhl, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 2. A., Zürich 1999, § 1 Rz. 38 ff., S. 34 f., und Merkli/Aeschlimann/Herzog, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege im Kanton Bern, Bern 1997, Art. 5-8, S. 64 ff.).

      Anzufügen bleibt, dass es sich bei dem in der Kantonsverfassung vorgesehenen Kompetenzkonfliktverfahren nach allgemeiner Auffassung in dem Sinn um eine subsidiäre Regelung handelt, als sie nur zum Zug kommt, soweit Verfassung und Gesetze nicht andere Konfliktregelungen vorsehen (vgl. dazu insbesondere Kurt Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau, Textausgabe mit Kommentar, Aarau/Frankfurt a.M./Salzburg 1986, § 82 Rz. 16,

      1. 280, und als Beispiel für eine andere Regelung Art. 13 Abs. 4 der Strafprozessordnung für den Kanton Schaffhausen vom 15. Dezember 1986 [StPO, SHR 320.100] ...).

        1. Art. 55a VRG sieht vor, dass das Obergericht im Rahmen hängiger Verfahren auf Anrufung durch eine betroffene Behörde (also nicht nur

          durch die jeweils oberste Behörde) über Zuständigkeitskonflikte zwischen Verwaltungsund Rechtspflegebehörden entscheidet.

          Die Kompetenz zur abschliessenden Entscheidung von Konflikten zwischen Verwaltungsund Justizbehörden steht dem Obergericht somit einerseits im Rahmen konkreter hängiger Verfahren straf-, verwaltungsoder zivilrechtlicher Natur zu, doch kann eine entsprechende Entscheidung auch ausserhalb eines beim Obergericht hängigen Verfahrens durch formelles Gesuch der betroffenen Justizoder Verwaltungsbehörde bewirkt werden, wobei diesfalls aufgrund der Natur der Streitigkeit und angesichts der systematischen Einordnung ins Verwaltungsrechtspflegegesetz die Regeln des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (Art. 38 ff. VRG) sinngemäss zur Anwendung gelangen.

          Die privaten Verfahrensbeteiligten können sich zu den sich stellenden Zuständigkeitsfragen äussern und Anträge stellen, sind jedoch nicht Parteien im Kompetenzkonfliktverfahren, welches grundsätzlich eine Organstreitigkeit darstellt. Sie sind jedoch befugt, die Zuständigkeitsfrage im Rahmen eines anschliessenden Rechtsmittelverfahrens überprüfen zu lassen (vgl. Merkli/ Aeschlimann/Herzog, Art. 7 Rz. 3, S. 74, mit Hinweisen).

        2. Vorliegend handelt es sich grundsätzlich nicht um einen Zuständigkeitsstreit im Rahmen eines vor Obergericht hängigen Verfahrens. Vielmehr hat der Regierungsrat das Obergericht mit einem formellen Gesuch angerufen, die zuständige Instanz für die Entscheidung des an ihn überwiesenen Ablehnungsgesuchs des Geschädigtenvertreters ... zu bestimmen, da er sich hiefür als unzuständig erachtet.

      Ein eigentlicher Zuständigkeitskonflikt zwischen Verwaltungsund Rechtspflegebehörden i.S. von Art. 78 Abs. 2 KV bzw. Art. 55a VRG liegt damit allerdings noch nicht vor, da lediglich der Regierungsrat seine Zuständigkeit für die Behandlung des Ablehnungsgesuchs verneint hat, jedoch eine Stellungnahme der Justizbehörden zu dieser Frage noch gar nicht vorliegt (vgl. zum Begriff des Kompetenzkonflikts auch Merkli/Aeschlimann/ Herzog, Art. 4 Rz. 15, S. 62). Grundsätzlich besteht jedoch die Pflicht, vor Einleitung eines Kompetenzkonfliktverfahrens einen Meinungsaustausch mit den weiteren Behörden, deren Zuständigkeit in Frage steht, durchzuführen. Dadurch kann ein Kompetenzkonflikt oft vermieden werden. Ein solcher Konflikt liegt im übrigen erst dann vor, wenn eine Einigung nicht zustande kommt (vgl. dazu auch Merkli/Aeschlimann/Herzog, Art. 4 Rz. 12 ff., S. 62 f., und Art. 7 Rz. 2, S. 73 f.).

      Im vorliegenden Fall wäre die Durchführung eines Meinungsaustauschverfahrens allerdings deshalb nicht unproblematisch, weil nach Auffassung des Regierungsrats primär das Obergericht selber über das fragliche Ab-

      lehnungsbegehren entscheiden sollte (vgl. zur Problematik, wenn eine Konfliktpartei selber den Zuständigkeitsstreit entscheiden muss, auch Kälin/Bolz [Hrsg.], Handbuch des bernischen Verfassungsrechts, Bern 1995, Art. 79 Ziff. 5b, S. 463, mit Hinweisen [Erfordernis einer klaren Trennung zwischen Stellungnahme im Meinungsaustauschverfahren und förmlichem Entscheid]). Aufgrund dieser besonderen Umstände, und um keine weitere Zeit zu verlieren, kann ausnahmsweise auf das Gesuch des Regierungsrats eingetreten werden, obwohl vorgängig kein Meinungsaustauschverfahren durchgeführt wurde. Ohnehin könnte das Gesuch des Regierungsrats auch als blosse Eingabenüberweisung im Sinne von Art. 3 VRG betrachtet werden. Diesfalls aber würde insoweit ein hängiges Verfahren vorliegen, weshalb das Obergericht gemäss Art. 55a VRG jedenfalls über die unklare bzw. umstrittene Zuständigkeitsfrage einen verbindlichen Entscheid zu fällen hätte.

      Auf das vorliegende, im übrigen formgerecht erhobene Gesuch ist daher einzutreten (vgl. zu den fehlenden Fristen bei Kompetenzkonfliktverfahren auch Giacometti, S. 336, Fn. 82).

    2. .- ...

    3. .a) Das Ausstandsverfahren ist in der Strafprozessordnung wie folgt geregelt: Will eine Partei gestützt auf Art. 25 26 StPO den Ausstand einer Justizperson verlangen, so hat sie bei dem betroffenen Richter Mitarbeiter bei der zum Entscheid über den streitigen Ausstand berufenen Instanz ein begründetes Ausstandsbegehren schriftlich einzureichen mündlich anzubringen, sobald ihr der Ausschliessungsoder Ablehnungsgrund bekannt geworden ist (Art. 30 Abs. 1 StPO). Der betroffene Richter Mitarbeiter hat sich zum Ausstandsbegehren unverzüglich zu äussern und bis zum endgültigen Entscheid sofern nicht ein offensichtlich unbegründetes Ausstandsbegehren vorliegt vorläufig den Ausstand zu nehmen (Art. 30 Abs. 2 StPO). Ist die Ausstandspflicht streitig, so entscheidet über das Ausstandsbegehren gemäss Art. 31 Abs. 1 StPO endgültig:

  1. über den Ausstand des Präsidenten eines anderen Mitgliedes des Obergerichts das Obergericht unter Mitwirkung von mindestens drei Richtern. Kommt eine Beschlussfähigkeit nicht zustande, so hat der Kantonsrat ausserordentliche Ersatzrichter zu bestellen,

  2. über den Ausstand eines beisitzenden Kantonsrichters der Vorsitzende der betreffenden Kammer,

  3. über den Ausstand des Anklagevertreters während der Hauptverhandlung das in der Sache zuständige Gericht,

  4. in allen übrigen Fällen die zuständige Aufsichtsinstanz; wenn die Aufsicht dem Obergericht zusteht, dessen Präsident. Ein zusammen mit einer Be-

schwerde gestelltes Ausstandsbegehren kann jedoch das Obergericht im Beschwerdeentscheid beurteilen.

Das Verkehrsstrafamt führt als besondere Untersuchungsbehörde bei Verkehrswiderhandlungen das strafprozessuale Vorverfahren nach den Bestimmungen der Strafprozessordnung durch (Art. 13 Abs. 2 StPO). Insoweit kommt dem Verkehrsstrafamt und insbesondere dem Polizeirichter und dessen Stellvertreter, welche in diesem Bereich die Aufgaben und Befugnisse eines Untersuchungsrichters ausüben (Art. 15 Abs. 2 StPO), justizmässige Unabhängigkeit zu. In administrativer und disziplinarischer Hinsicht steht das Verkehrsstrafamt jedoch wie die Staatsanwaltschaft - unter der Aufsicht des Regierungsrats, welcher für eine gesetzmässige Organisation sorgt und die ordnungsgemässe Geschäftsführung überwacht (Art. 18 Abs. 1 StPO). Diese Regelung ist auch mit der neuen Kantonsverfassung vereinbar (vgl. Art. 76 Abs. 3 KV und dazu Dubach/Marti/Spahn, S. 234).

  1. Aufgrund der Zuständigkeitsregelung von Art. 31 Abs. 1 lit. d StPO hätte grundsätzlich der Regierungsrat im vorliegenden Fall über die streitige Ausstandspflicht zu entscheiden, da das Verkehrsstrafamt bzw. der stellvertretenden Polizeirichter unbestrittenerweise unter die übrigen Fälle gemäss Art. 31 Abs. 1 lit. d StPO fallen und der Regierungsrat nach Art. 18 StPO Aufsichtsbehörde über das Verkehrsstrafamt ist.

    Der Regierungsrat macht nun aber mit dem zu beurteilenden Gesuch geltend, er könne aufgrund einer verfassungskonformen Auslegung in der vorliegenden streitigen Ausstandssache nicht zuständige Aufsichtsbehörde i.S.v. Art. 31 Abs. 1 lit. d StPO sein. Seine administrative Aufsicht sei rein organisationsrechtlicher Natur und könne nicht inhaltlich die Untersuchungstätigkeit erfassen. Auch die personalrechtliche Aufsicht (...) beschränke sich auf das personalrechtliche Rechtsverhältnis der Angestellten des Verkehrsstrafamts und umfasse keine materielle Überprüfungsbefugnisse im Tätigkeitsbereich des Verkehrsstrafamts als Strafverfolgungsbehörde. Auch die Pflicht des Regierungsrats, für eine gesetzmässige Organisation des Amts zu sorgen, sei rein organisationsrechtlicher Natur und es liessen sich daraus keine konkreten, auf einzelne Handlungen Unterlassungen der Mitarbeitenden ausgerichteten Aufsichtsbefugnisse ableiten. Schliesslich könne sich auch die Pflicht des Regierungsrats, die ordnungsgemässe Geschäftsführung zu überwachen, nur auf die Überwachung der Amtsführung als Ganzes (z.B. Anzahl Pendenzen, Betriebsund Führungsabläufe usw.) sowie allenfalls die konkrete inhaltliche Geschäftsführung im Bereich der Verwaltungstätigkeit des Verkehrsstrafamts (Administrativmassnahmen im Bereich des Strassenverkehrs) beziehen, da dem Regierungsrat als Verwaltungsbehörde im Bereich der Strafverfolgung aufgrund der Gewaltenteilung keine konkrete, inhaltliche Überprüfung der Geschäftstätigkeit - d.h. der Führung einer Straf-

    untersuchung und mithin der Rechtsprechung zukommen könne. Die Beurteilung des gestellten Ablehnungsbegehren bedinge jedoch eine Überprüfung der rechtmässigen Durchführung der bisherigen Untersuchung durch den Polizeirichter-Stellvertreter und setze auf diese Weise eine materielle Überprüfung des Polizeirichter-Stellvertreters in seiner Funktion als Untersuchungsrichter voraus, was einen Eingriff in die materielle Strafverfahrensführung dieses Untersuchungsrichters darstelle und klarerweise die verfassungsmässige Gewaltentrennung (Art. 8 KV) verletze. Über das Ablehnungsbegehren müsse daher eine Justizbehörde, am ehesten wohl das Obergericht entscheiden.

  2. Festzuhalten ist zunächst, dass der Gesetzgeber aufgrund von Wortlaut und Systematik der Strafprozessordnung offensichtlich davon ausging, dass Ausstandsbegehren gegen den Staatsanwalt gegen Angestellte des Verkehrsstrafamts, insbesondere gegen den Polizeirichter und dessen Stellvertreter, vom Regierungsrat zu entscheiden sind, da in beiden Fällen allein der Regierungsrat, nicht das Obergericht Aufsichtsbehörde für die gesamte Tätigkeit dieser Behörden ist (vgl. Art. 18 StPO) und die Entscheidung über streitige Ablehnungsbegehren ausdrücklich der zuständigen Aufsichtsinstanz zugewiesen wurde, was keinen Sinn machen würde, wenn der Entscheid effektiv doch dem Obergericht hätte zukommen sollen.

    Für diese Auslegung spricht im übrigen auch, dass bei Ausstandsbegehren gegen den Anklagevertreter (nach Art. 15 Abs. 3 StPO also gegebenenfalls auch gegen den Polizeirichter bzw. dessen Stellvertreter) nur für die Dauer der Hauptverhandlung als Ausnahme von der allgemeinen Regelung (Art. 31 Abs. 1 lit. d StPO) eine gerichtliche Behörde über den Ausstand entscheidet (Art. 31 Abs. 1 lit. c. StPO).

    Auch der Grundsatz der verfassungskonformen Auslegung und Rechtsanwendung führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Tätigkeit der Untersuchungsund Anklagebehörden kann nach dem Gewaltenteilungsprinzip nicht eindeutig der Rechtsprechung zugeordnet werden (vgl. auch Art. 76 KV und dazu Dubach/Marti/Spahn, S. 233 f., wonach entsprechend dem bisherigen Schaffhauser Recht das Untersuchungsrichteramt, nicht aber die Staatsanwaltschaft und das Verkehrsstrafamt den Rechtspflegebehörden zugeordnet werden). Es ist in diesem Zusammenhang daran zu erinnern, dass der Regierungsrat bei der Schaffung der neuen Strafprozessordnung das Untersuchungsrichteramt der unter der Aufsicht des Regierungsrats stehenden Staatsanwaltschaft unterstellen wollte (vgl. dazu Robert Hauser, Die Schaffhauser Strafprozessordnung vom 15. Dezember 1986, ZStrR 1990, S. 202 ff.,

    S. 206 f.) und auch der Vernehmlassungsentwurf für eine Schweizerische Strafprozessordnung vom sogenannten Staatsanwaltsmodell ausgeht, wonach die Untersuchung von Staatsanwälten geführt wird, die typischerweise unter

    der Aufsicht der Exekutive stehen (vgl. Begleitbericht des Bundesamts für Justiz zum Vorentwurf für eine Schweizerische Strafprozessordnung, Bern 2001, S. 19 ff., 41 f.). Die Zuweisung von Aufsichtsfunktionen gegenüber Untersuchungsund Anklagebehörden an die Exekutive verstösst somit grundsätzlich nicht gegen das in Art. 8 KV verankerte Gewaltenteilungsprinzip.

  3. Unbestritten ist dagegen, dass den Untersuchungsund Anklagebehörden, auch wenn sie formell den Verwaltungsbehörden zugeordnet sind, nach heutigem rechtsstaatlichem Verständnis in ihrer Tätigkeit justizmässige Unabhängigkeit zukommen muss, d.h. dass die vorgesetzten Verwaltungsbehörden ihnen keine inhaltlichen Weisungen für die Behandlung der ihnen obliegenden Aufgaben erteilen dürfen (so ausdrücklich Art. 16 Abs. 3 StPO, Art. 18 StPO e contrario sowie heute auch Art. 70 Abs. 2 KV und dazu Dubach/Marti/Spahn, S. 219; vgl. auch den erwähnten Bericht des Bundesamts für Justiz, S. 42).

    Auch dieser justizmässigen Unabhängigkeit der Untersuchungsund Anklagebehörden aber steht das Aufsichtsrecht des Regierungsrats grundsätzlich nicht entgegen. Dieses bezieht sich wie sich auch aus Art. 18 StPO ergibt - nur auf den äusseren Geschäftsgang und schliesst wie erwähnt insbesondere ein Weisungsrecht für die Behandlung konkreter Fälle aus. Eine entsprechende Situation besteht in anderen Kantonen nicht nur hinsichtlich der Anklageund Untersuchungsbehörden im Strafrecht, sondern auch für gewisse Spezialverwaltungsgerichte (Rekurskommissionen), welche formell der Verwaltung zugeordnet sind und deren Aufsicht unterstehen, aber in ihrer Rechtsprechungstätigkeit über justizmässige Unabhängigkeit verfügen (vgl. etwa für die Baurekursund Steuerrekurskommissionen des Kantons Zürich Kölz/Bosshart/Röhl, § 19 Rz. 81 ff., insbesondere Rz. 86, S. 352 ff., und für die bisherigen Rekurskommissionen des Bundes Kölz/Häner, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. A., Zürich 1998, Rz. 786 ff., insbesondere Rz. 795 ff., S. 280 ff.).

    Zum äusseren Geschäftsgang und zur gesetzmässigen Organisation, für welche der Regierungsrat im Fall der Staatsanwaltschaft und des Verkehrsstrafamts gemäss Art. 18 StPO zu sorgen hat, gehört jedoch mangels anderer Regelung bzw. aufgrund von Art. 31 Abs. 1 lit. d StPO auch die Entscheidung über strittige Ablehnungsbegehren (vgl. zur nicht ganz klaren Rechtsnatur von Ausstandsentscheiden [Justizverwaltung Rechtsprechung] auch Hauser/Schweri, Kommentar zum Zürcherischen Gerichtsverfassungsgesetz, Zürich 2002, Vorbemerkungen zu §§ 95 ff., Rz. 13,

    S. 314). Damit wird entgegen der Auffassung des Regierungsrats nicht in die justizmässige Unabhängigkeit der betreffenden Behörden eingegriffen, zumal sich die über den Ausstand entscheidende Behörde nicht materiell zur Sache

    zu äussern hat, sondern lediglich überprüfen muss, ob die geltend gemachten Ausstandsgründe (im vorliegenden Fall eine Befangenheit i.S. von Art. 26 StPO) gegeben sind nicht. Dabei hat sie grundsätzlich nicht eine inhaltliche Richtigkeitskontrolle betreffend die einzelnen untersuchungsrichterlichen Handlungen und Anordnungen vorzunehmen, sondern lediglich zu prüfen, ob aufgrund des Sachverhalts und des Verhaltens des zuständigen Untersuchungsrichters ein Ausstandsoder Ablehnungsgrund gegeben sei, im vorliegenden Fall insbesondere, ob Tatsachen vorliegen, die diesen als befangen erscheinen lassen und Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit erregen könnten (Art. 26 Abs. 1 StPO).

    Es trifft zwar zu, dass diese Prüfung unter Umständen nicht ganz einfach von der materiellen Beurteilung der Strafsache getrennt werden kann, doch ist dies etwa auch bei der Ausübung der disziplinarischen Aufsicht der Fall, welche nach ausdrücklichem Wortlaut von Art. 18 Abs. 1 StPO für die Staatsanwaltschaft und das Verkehrsstrafamt ebenfalls dem Regierungsrat zufällt. Im übrigen kann auch darauf hingewiesen werden, dass der Regierungsrat über Ablehnungsgesuche gegen die Staatsanwaltschaft auch in neuester Zeit entschieden hat (vgl. etwa Beschluss des Regierungsrats Nr. D/Sp/12/7 vom

    22. März 2005 i.S. R.), obwohl dieser wie erwähnt in ihrer Tätigkeit als Anklagebehörde ebenfalls justizmässige Unabhängigkeit zukommt. Im Kanton Zürich schliesslich entscheidet über streitige Ausstandsbegehren gegen die Staatsanwaltschaft und auch gegen die ebenfalls über justizmässige Un-

    abhängigkeit verfügenden Baurekursund Steuerrekurskommissionen unter

    Umständen ebenfalls eine Verwaltungsbehörde, nämlich die Direktion der Justiz und des Innern als Aufsichtsbehörde (vgl. Hauser/Schweri, § 101 Rz. 10,

    S. 343 f.). Dies mag unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung bedauert werden, entspricht aber dem geltenden Recht und müsste geändert werden, wenn dieses Ergebnis nicht mehr gewollt ist.

  4. Für eine gesetzgeberische Änderung der heutigen Zuständigkeitsordnung spricht allenfalls auch die Rechtsschutzproblematik, was vom Regierungsrat in der Gesuchsbegründung allerdings nicht jedenfalls nicht ausdrücklich erwähnt wird.

    Heute sieht Art. 17 Abs. 1 KV (kantonale Rechtsweggarantie) nämlich vor, dass jede Person mit Ausnahme gewisser, hier nicht gegebener Sonderfälle bei Rechtsstreitigkeiten Anspruch auf Beurteilung durch ein kantonales Gericht hat (vgl. dazu auch Dubach/Marti/Spahn, S. 64 ff.). Nun kann allerdings diese Rechtsweggarantie nicht zur Folge haben, dass alle verfahrensleitenden Entscheide direkt bei einem kantonalen Gericht müssen angefochten werden können. Grundsätzlich muss es vielmehr genügen, dass der Endentscheid an ein kantonales Gericht weitergezogen und dabei der fragliche Mangel gerügt werden kann (vgl. zum Begriff des Rechtsstreits i.S. der

    Rechtsweggarantien auch Andreas Kley in: Ehrenzeller/Mastronardi/Schweizer/Vallender [Hrsg.], Die schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, Zürich/Basel/Genf 2002, Art. 29a Rz. 6, S. 417 f.). Wo allerdings verfahrensleitende Entscheide wie im Fall der Ausstandsentscheide direkt mit einem Rechtsmittel (heute: staatsrechtliche Beschwerde; nach dem neuen Bundesgerichtsgesetz vom 17. Juni 2005 [BGG, BBl 2005, S. 4045 ff.] mit strafrechtlicher Beschwerde) beim Bundesgericht angefochten werden können bzw. müssen (vgl. zur Pflicht, Ausstandsentscheide direkt anzufechten, Walter Kälin, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, 2. A., Bern 1994,

    S. 345, und neuerdings Art. 92 BGG), erscheint es erforderlich, dass auch ein Zwischenentscheid einer nichtrichterlichen Behörde an ein kantonales Gericht weitergezogen werden kann, da andernfalls die Rechtsweggarantie von Art. 17 Abs. 1 KV in dieser Frage nicht eingehalten würde.

    Die Vorschrift von Art. 31 Abs. 1 StPO, wonach der Ausstandsentscheid (innerhalb des Kantons) endgültig ist, erscheint somit im Fall eines Ausstandsentscheids des Regierungsrats als nicht mehr mit der geltenden Kantonsverfassung vereinbar (vgl. zur unmittelbaren Anwendbarkeit der Rechtsweggarantie, welche dem Gesetzesrecht vorgeht, auch OGE 60/2003/28 vom

    24. Oktober 2003, E. 2; Amtsbericht 2003, S. 111 ff., vgl. im übrigen auch Art. 80 Abs. 2 BGG, mit welchem das Erfordernis kantonaler gerichtlicher Vorinstanzen für solche Entscheide durch das Bundesrecht eingeführt wird). Somit muss der Ausstandsentscheid des Regierungsrats in der vorliegenden

    Sache mit einem gerichtlichen Rechtsmittel angefochten werden können. Die

    Beschwerde nach Art. 327 ff. StPO entfällt, weil der Regierungsrat nicht Vorinstanz in diesem Verfahren sein kann (vgl. Art. 327 Abs. 1 StPO). Hingegen steht die Verwaltungsgerichtsbeschwerde offen, zumal diese eine Generalklausel für die Anfechtung von Entscheiden des Regierungsrats enthält und auch strafrechtliche Entscheide des Regierungsrats nicht ausschliesst (Art. 34 VRG; vgl. dazu auch Marti, S. 116 ff.).

    Die Weiterzugsmöglichkeit mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist allerdings mit dem Nachteil verbunden, dass bei solchen Ausstandsentscheiden des Regierungsrats innerkantonal ein zweistufiger Instanzenzug entsteht, was Art. 31 Abs. 1 StPO an sich verhindern wollte. Dieser Gesichtspunkt würde für eine gesetzgeberische Änderung im Sinn des Antrags des Regierungsrats sprechen, doch kann dies aus den dargelegten Gründen - nicht auf dem Weg der blossen Auslegung erreicht werden (vgl. im übrigen auch Art. 65 Abs. 3 lit. b des erwähnten Vernehmlassungsentwurfs für eine Schweizerische Strafprozessordnung, welcher bei Ausstandsbegehren gegen die Staatsanwaltschaft und die Übertretungsstrafbehörden einen endgültigen Entscheid der gerichtlichen Beschwerdekammer vorsieht).

  5. Das Gesuch des Regierungsrats ist daher im Sinn der Erwägungen abzuweisen, und der Regierungsrat ist einzuladen, über das gegen den Polizeirichter-Stellvertreter gerichtete Ablehnungsbegehren ... zu entscheiden.

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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