Zusammenfassung des Urteils Nr. 93/2013/22: Obergericht
Die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat hat Berufung gegen ein Urteil des Bezirksgerichtes Zürich eingelegt, das den Beschuldigten wegen Diebstahls, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruchs verurteilt hat. Die Staatsanwaltschaft hat die Berufung jedoch verspätet eingereicht, weshalb das Obergericht des Kantons Zürich nicht darauf eingetreten ist. Die Gerichtskosten werden auf die Gerichtskasse genommen, da die Staatsanwaltschaft unterliegt. Der Richter ist Dr. iur. F. Bollinger und die Gerichtsschreiberin ist lic. iur. S. Maurer.
Kanton: | SH |
Fallnummer: | Nr. 93/2013/22 |
Instanz: | Obergericht |
Abteilung: | - |
Datum: | 30.12.2014 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Art. 74 Abs. 1 SchKG; Art. 8 ZGB. Rechtzeitigkeit des Rechtsvorschlags; Benützung des Briefkastens des Betreibungsamts zur Erhebung des Rechtsvorschlags |
Schlagwörter : | Briefkasten; Rechtsvorschlag; Schalter; Betreibungs; Betreibungsamt; Schalteröffnung; Briefkastens; Schalteröffnungszeit; Eingabe; Beweis; SchKG; Frist; Eingang; Rechtsvorschlags; Schuldner; Pflicht; Betreibungsamts; Mitwirkungspflicht; Zeitpunkt; Vertrauen; Leerung; Einwurf; Eingaben; Kommentar; Eingangsstempel; Behauptung; Rechtzeitigkeit; Erhebung; Genauso |
Rechtsnorm: | Art. 143 ZPO ;Art. 31 KG ;Art. 74 KG ;Art. 8 KG ;Art. 8 ZGB ; |
Referenz BGE: | 121 I 93; 70 III 70; |
Kommentar: | - |
Veröffentlichung im Amtsbericht
Ein Schuldner ist nicht verpflichtet, um rechtzeitig Rechtsvorschlag zu erheben, diesen zwingend am Schalter des Betreibungsamts auf postalischem Weg einzureichen. Genauso gut kann er fristwahrend den Briefkasten des Amts benützen.
Der Beweis des Erhebens des Rechtsvorschlags und der Fristeinhaltung obliegt dem Schuldner. Allerdings trifft das Amt bei der Beweiserhebung eine Mitwirkungspflicht. Wer den Briefkasten des Amts vor Ende der Schalteröffnungszeit des betreffenden Tages benutzt, muss sich darauf verlassen können, dass das Amt den Inhalt des Briefkastens nach Schluss der Schalteröffnung feststellt. Geht das Amt nicht dergestalt vor, verletzt es seine Mitwirkungspflicht und das in es gesetzte berechtigte Vertrauen. Dieses Pflichtversäumnis darf der beweisbelasteten Partei nicht zum Nachteil gereichen.
Das Betreibungsamt wies den gegen einen Zahlungsbefehl erhobenen Rechtsvorschlag mit der Begründung zurück, er sei verspätet. Der Schuldner erhob daraufhin Beschwerde beim Obergericht, welches die Beschwerde guthiess.
Aus den Erwägungen:
2.- Will der Betriebene Rechtsvorschlag erheben, so hat er dies sofort dem Überbringer des Zahlungsbefehls innert zehn Tagen nach der Zustellung dem Betreibungsamt mündlich schriftlich zu erklären (Art. 74 Abs. 1 SchKG).
aa) Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäss die Aufhebung der Verfügung vom 18. Oktober 2013 des Betreibungsamts und die Feststellung, dass der Rechtsvorschlag rechtzeitig erhoben worden sei. Dazu macht er in seiner Beschwerde im Wesentlichen geltend, er habe am 17. Oktober 2013, um
15.30 Uhr, den Rechtsvorschlag in den vorgesehenen Briefkasten des Betreibungsamts eingeworfen.
bb) Das Betreibungsamt führt in seiner Vernehmlassung unter anderem an, es leere seinen Briefkasten jeden Tag um 07.00 Uhr. Somit habe der Rechtsvorschlag das Betreibungsamt erst am 18. Oktober 2013 erreicht. Der 17. Oktober 2013 sei ein Donnerstag gewesen, an dem das Betreibungsamt bis um
19.00 Uhr geöffnet gewesen sei. Der Beschwerdeführer hätte den Rechtsvorschlag fristgerecht am Schalter erheben können. Er habe es in Kauf genommen, dass der Rechtsvorschlag das Betreibungsamt nicht innert Frist erreiche.
aa) Das Bundesgericht hat sich zu den Wirkungen des Einwurfs einer Eingabe in den Briefkasten des Amts und zu dessen diesbezüglichen Pflichten geäussert. Es hat festgehalten, dass die Leerung des Briefkastens für den Zeitpunkt der Fristwahrung nicht massgeblich ist. Entsprechend der Rechtslage im privaten (geschäftlichen) Rechtsverkehr befinden sich die in den Briefkasten gelegten Briefe im Machtbereich des Amts, weshalb eine Eingabe mit dem Einwurf in diesen Briefkasten als eingereicht gilt.1 Damit ist ein Schuldner nicht verpflichtet, um rechtzeitig Rechtsvorschlag zu erheben, diesen zwingend am Schalter des Amts auf postalischem Weg einzureichen. Eine solche Pflicht lässt sich weder aus Art. 74 SchKG noch aus Art. 143 Abs. 1 ZPO (i.V.m. Art. 31 SchKG) ableiten.2 Genauso gut kann er fristwahrend den Briefkasten des Amts benützen. Hat der Beschwerdeführer den Rechtsvorschlag, wie er behauptet, somit am 17. Oktober 2013, um 15.30 Uhr, in den Briefkasten des Amts eingeworfen, so gilt der Rechtsvorschlag in diesem Zeitpunkt als erhoben.3
bb) Der Beweis für die Rechtzeitigkeit einer fristwahrenden Handlung obliegt entsprechend Art. 8 ZGB4 derjenigen Person, welche sie vorzunehmen hat.5 Damit obliegt auch der Beweis des Erhebens des Rechtsvorschlags und der Fristeinhaltung dem Schuldner.6 Das Amt hat allerdings den Eingang von Eingaben festzustellen und darüber Protokoll zu führen (Art. 8 SchKG); namentlich ist das Datum der Erhebung des Rechtsvorschlags festzuhalten
BGE 70 III 70 E. 1 S. 71 f.; vgl. auch Martin Grossweiler in: Baumann et al., Kommentar zum Baugesetz des Kantons Aargau, Bern 2013, § 4 N. 43, S. 72.
Vgl. BlSchK 2011 S. 57 f.
Vgl. BGE 70 III 70 E. 1 S. 72.
Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 (ZGB, SR 210).
Nina J. Frei, Berner Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, Bern 2012, Art. 143
N. 23, S. 1589; Francis Nordmann, Basler Kommentar, SchKG I, 2. A., Basel 2010, Art. 31
N. 27, S. 231.
Nordmann, Art. 31 N. 27, S. 579.
(vgl. Art. 10 VFRR7). In Bezug auf die Fristwahrung gilt der Eingangsstempel des Amts vermutungsweise als massgebend.8 Insoweit trifft es bei der Beweiserhebung eine Mitwirkungspflicht, wenn mit der Einreichung einer Eingabe am Schalter durch Einwurf in den Briefkasten des Amts eine Frist zu wahren ist.
In diesem Zusammenhang gehört es zur richtigen Amtsbesorgung, den Briefkasten jeweils am Ende der Schalteröffnungszeit des betreffenden Tages zu leeren und seinen Inhalt festzustellen. Die Benutzung des Briefkastens soll mithin dieselben Garantien bieten wie die Abgabe am Schalter. Wer den Briefkasten des Amts vor Ende der Schalteröffnungszeit des betreffenden Tages benutzt, muss sich darauf verlassen können, dass die Feststellung des Inhalts des Briefkastens nach Schluss der Schalteröffnung vorgenommen wird, sei es auch nur, indem die dem Briefkasten entnommenen Eingaben vorderhand pro memoria beiseite gelegt werden. Sollte dann von irgendeiner Seite der Zeitpunkt der Einreichung bestritten werden, kann der Benutzer auf den vom Amt angebrachten Eingangsstempel verweisen. Eine andere Art des Nachweises braucht er nicht zu leisten. Mit dieser Sachlage darf jede Person rechnen, die den Briefkasten des Amts noch während der Schalteröffnungszeiten benutzt. Dieses Vertrauen darf nicht getäuscht werden. Erfolgt am Ende der Schalteröffnungszeit keine Leerung des Briefkastens, muss deshalb nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung die blosse Behauptung, die Eingabe sei während der Schalteröffnungszeiten eingeworfen worden, als wahr hingenommen werden, wenn das Amt es versäumt hat, den Inhalt des Briefkastens am Ende der Schalteröffnungszeit gehörig festzustellen.9
Gründe, von der dargelegten Rechtsprechung des Bundesgerichts abzuweichen, sind nicht ersichtlich. Demnach ist vom Betreibungsamt zu verlangen, dass es seinen Briefkasten am Ende der Schalteröffnungszeit leert und mittels Eingangsstempel den Eingang der betroffenen Eingaben feststellt. Geht das Amt nicht dergestalt vor, verletzt es seine Mitwirkungspflicht und das in es gesetzte berechtigte Vertrauen. Dieses Pflichtversäumnis darf der beweisbelasteten Partei nicht zum Nachteil gereichen. Es entspricht einem allgemei-
Verordnung über die im Betreibungsund Konkursverfahren zu verwendenden Formulare und Register sowie die Rechnungsführung vom 5. Juni 1996 (VFRR, SR 281.31).
Vgl. Grossweiler, § 4 N. 43, S. 72, mit Hinweisen.
BGE 70 III 70 E. 1 und 2 S. 71 ff.; BlSchK 2011 S. 57.
nen Rechtsgrundsatz, dass der Rechtsuchende nicht ohne Not um die Beurteilung seines Rechtsbegehrens durch die zuständige Instanz gebracht werden soll.10
Nach eigenen Angaben leert das Betreibungsamt seinen Briefkasten jeden Tag nur einmal um 07.00 Uhr. Damit lässt sich der Eingang von Briefen, die im Laufe des Vortages vor Schalterschluss in den Briefkasten eingeworfen werden, nicht feststellen. Wie oben ausgeführt, ist der Zeitpunkt der Leerung des Briefkastens nicht massgeblich. Es kann deshalb vorliegend nicht nachgewiesen werden, ob der Beschwerdeführer seine Eingabe tatsächlich noch am
17. Oktober 2013, um 15.30 Uhr, eingereicht hat. Indes geht dieser Beweisnotstand nach dem Gesagten nicht zulasten des Beschwerdeführers, ist doch das Betreibungsamt seiner Pflicht, den Briefkasten nach Schalterschluss zu leeren, nicht nachgekommen. Auch der Gläubiger hat keine gegenteiligen Behauptungen vorgebracht. Da somit keine Tatsachen gegen die Behauptung des Beschwerdeführers sprechen, ist darauf abzustellen, dass er den Rechtsvorschlag am 17. Oktober 2013, um 15.30 Uhr, eingereicht hat. Folglich ist davon auszugehen, dass der Rechtsvorschlag rechtzeitig erhoben worden ist.
10 BGE 121 I 93 E. 1d S. 95; 118 Ia 241 E. 3c S. 243 f.
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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