Zusammenfassung des Urteils Nr. 63/2012/61: Obergericht
Ein IV-Taggeldbezüger beantragte Ergänzungsleistungen, die jedoch abgelehnt wurden, da die Ausgleichskasse die Ausgaben für seine vier Kinder nicht berücksichtigte. Das Obergericht wies die Beschwerde gegen diesen Entscheid ab. Es wurde festgestellt, dass nur die anerkannten Ausgaben und Einnahmen von Kindern mit Anspruch auf Kinderrente in die Berechnung einbezogen werden sollen. Eine Beschwerde ans Bundesgericht wurde zurückgezogen. Der Beschwerdeführer argumentierte, dass auch Kinder von Taggeldbezügern in die Berechnung einbezogen werden sollten. Letztendlich wurde entschieden, dass nur die Ausgaben und Einnahmen von Kindern mit Kinderrenteanspruch relevant sind, weshalb der Beschwerdeführer keine Ergänzungsleistungen erhielt.
Kanton: | SH |
Fallnummer: | Nr. 63/2012/61 |
Instanz: | Obergericht |
Abteilung: | - |
Datum: | 31.05.2013 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 10 Abs. 1 lit. a Ziff. 3 und Abs. 3 lit. e ELG. Ergänzungsleistungen für IV-Taggeldbezüger; Anrechnung von Einnahmen und Ausgaben der Kinder |
Schlagwörter : | Kinder; Taggeld; Anspruch; Ergänzungsleistung; Ergänzungsleistungen; Ausgaben; Taggelder; Einnahmen; Berechnung; Invalidenversicherung; Lebensbedarf; Rechtsprechung; Bundesgericht; Kindern; Kinderrente; Waisen; Rente; Auslegung; Einkommensgrenze; Kindergeld; Einkommensgrenzen; Taggeldbezügern; Revision; Gesetzgeber; Eltern; Beschwerde; Anrechnung; IV-Taggeldbezüger |
Rechtsnorm: | - |
Referenz BGE: | 119 V 191; |
Kommentar: | - |
Keine Veröffentlichung im Amtsbericht
In die Berechnung der Ergänzungsleistungen für IV-Taggeldbezüger sind nur die anerkannten Ausgaben und die anrechenbaren Einnahmen von Kindern, die einen Anspruch auf eine Kinderrente der AHV IV begründen, einzubeziehen (E. 2c).
Bei allen Personen werden geleistete familienrechtliche Unterhaltsbeiträge als Ausgaben anerkannt. Damit sind allerdings Unterhaltszahlungen an getrennt lebende Kinder und nicht Naturalleistungen an Kinder im gemeinsamen Haushalt gemeint (E. 2d).
Ein Bezüger von IV-Taggeldern meldete sich zum Bezug von Ergänzungsleistungen an. Die als Teil des Sozialversicherungsamts Schaffhausen organisierte AHV-Ausgleichskasse berücksichtigte bei der Berechnung des Anspruchs auf der Ausgabenseite den Lebensbedarf der vier Kinder nicht und wies daher das Gesuch ab. Das Obergericht wies die dagegen erhobene Beschwerde ab.
Aus den Erwägungen:
2.- a) Anspruch auf Ergänzungsleistungen hat, wer während mindestens sechs Monaten ein Taggeld der Invalidenversicherung bezieht (Art. 4 Abs. 1 lit. c ELG2). Die jährliche Ergänzungsleistung entspricht dem Betrag, um den die anerkannten Ausgaben die anrechenbaren Einnahmen übersteigen (Art. 9 Abs. 1 ELG). Die anerkannten Ausgaben sowie die anrechenbaren Einnahmen von Ehegatten und von Personen mit rentenberechtigten Waisen mit Kindern, die einen Anspruch auf eine Kinderrente der AHV IV
Eine Beschwerde in öffentlichrechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht gegen diesen Entscheid wurde am 5. August 2013 zurückgezogen (BGer 9C_490/2013 vom 8. August 2013).
Bundesgesetz über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenenund Invalidenversicherung vom 6. Oktober 2006 (ELG, SR 831.30).
begründen, werden zusammengerechnet. Dies gilt auch für rentenberechtigte Waisen, die im gleichen Haushalt leben (Art. 9 Abs. 2 ELG).
Die AHV-Ausgleichskasse rechnete bei den Einnahmen die Taggelder des Beschwerdeführers sowie die Kindergelder für die vier Kinder an. Bei den Ausgaben berücksichtigte sie die Krankenkassenprämien sowie die Miete für die ganze Familie (Ehepaar und vier Kinder), beim Lebensbedarf rechnete sie dagegen nur den Betrag für ein Ehepaar an. Sie führte dazu aus, unklar sei, ob unter Art. 9 Abs. 2 ELG auch Kinder von IV-Taggeldbezügern fielen, welche ein eigenes Kindergeld bezögen. Vom Zweckgedanken der Bestimmung, der Verhinderung von Armut, müssten Kinder, welche Anspruch auf Rente Taggeld hätten, gleich gestellt sein. Deshalb würden die Kinder in die Berechnung mit einbezogen. Die Anrechnung des Lebensbedarfs für Kinder sei hingegen von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht vorgesehen worden, weshalb hierauf, obwohl eine gemeinsame Berechnung erfolge, verzichtet werde.
Der Beschwerdeführer wendet sich zunächst gegen die von der AHVAusgleichskasse zitierte bundesgerichtliche Rechtsprechung.
Im zitierten BGE 119 V 191 E. 1 ging es um aArt. 2 Abs. 3 Satz 1 ELG, gemäss welchem zu den Einkommensgrenzen für Alleinstehende und Ehepaare für Kinder, die einen Anspruch auf Zusatzrente der AHV IV begründeten, die für Waisen massgebenden Einkommensgrenzen hinzuzuzählen waren. Das Bundesgericht führte aus, nach dem klaren Wortlaut der gesetzlichen Regelung, von welchem bei der Auslegung praxisgemäss in erster Linie auszugehen sei, fänden die um den Betrag für Waisen erweiterten Einkommensgrenzen nur Anwendung, wenn die Kinder des Ergänzungsleistungsbezügers einen Anspruch auf eine Zusatzrente der AHV der Invalidenversicherung begründeten. Dies treffe auf Kinder von Rentenbezügern, nicht aber auf Kinder von Taggeldbezügern der Invalidenversicherung zu. Aus den Materialien ergäben sich keine Anhaltspunkte für die gegenteilige Lösung: Mit der zweiten Revision des IVG3 sei Versicherten in erstmaliger beruflicher Ausbildung neu ein Anspruch auf Taggelder (anstelle einer Rente) eingeräumt worden. Mit dem Dahinfallen des Rentenanspruchs hätte jedoch auch kein Anspruch auf Ergänzungsleistungen mehr entstehen können. Das BSV habe sich deshalb veranlasst gesehen, der mit der IVG-Revision befass-
ten ständerätlichen Kommission eine Revision des ELG zu beantragen, mit der Versicherten, die ununterbrochen während mindestens sechs Monaten ein Taggeld der Invalidenversicherung bezögen, ebenfalls ein Anspruch auf Ergänzungsleistungen eingeräumt werden solle. Dieser Vorschlag habe zu keinen Diskussionen Anlass gegeben, sei in der Folge von Ständerat und Natio-
Bundesgesetz über die Invalidenversicherung vom 19. Juni 1959 (IVG, SR 831.20).
nalrat unverändert in die Revisionsvorlage aufgenommen und im aArt. 2 Abs. 1quater ELG Gesetz geworden. Die Tatsache, dass diese Bestimmung ausdrücklich nur auf die Absätze 1 bis 1ter des aArt. 2 ELG, nicht aber auf Abs. 3, verweist, sei als qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers zu interpretieren. Denn wenn es seinem Willen entsprochen hätte, die erweiterten Einkommensgrenzen gemäss aArt. 2 Abs. 3 ELG auch für Bezüger von Taggeldern der Invalidenversicherung als anwendbar zu erklären, hätte er dies in aArt. 2 Abs. 1quater ELG erwähnt.
Der Beschwerdeführer macht geltend, der Sachverhalt gemäss Bundesgerichtsentscheid sei kaum mit dem vorliegenden vergleichbar, insbesondere, weil die damalige Versicherte ihren Anspruch auf Taggelder auf die damals erst kürzlich eingeführte Berechtigung, Taggelder bei Erstausbildung zu beziehen, gestützt habe. Da die vorliegend strittige Norm schon lange in Kraft sei, komme der historischen Auslegung keine wesentliche Bedeutung mehr zu. Aus dem Schweigen des Gesetzgebers könne nicht ohne weitere Anhaltspunkte geschlossen werden, dass ein qualifiziertes Schweigen vorliege, vielmehr müsse geprüft werden, ob nicht ein Versehen des Gesetzgebers vorgelegen habe. Aufgrund des Sinns und Zwecks des ELG - Gewährleistung des Existenzminimums leuchte es nicht ein, dass die Bezüger von Taggeldern zwar einen grundsätzlichen Anspruch auf Taggelder hätten, jedoch der Lebensbedarf ihrer Kinder nicht angerechnet werden solle. Die entstehende Ungleichbehandlung sei nicht sachlich gerechtfertigt. Im Verwaltungsrecht sei die teleologische Auslegung besonders bedeutsam. Eine weitere Ungleichbehandlung entstehe zwischen Taggeldbezügern und Rentenbezügern, welche möglicherweise an derselben Integrationsmassnahme teilnähmen. Die restriktive Auslegung sei daher aufzugeben.
Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers sind der vorliegende Fall und derjenige, der vom Bundesgericht zu beurteilen war, vergleichbar. In beiden Fällen geht es um die Frage, ob Kinder von Taggeldbezügern in die Berechnung einzubeziehen sind. Aus welchem Grund die Betroffenen Taggelder erhalten, ist in diesem Zusammenhang nicht erheblich. Das Bundesgericht hat sodann den umstrittenen Gesetzesartikel hauptsächlich nach dem Wortlaut ausgelegt. Auch die heutigen Art. 9 Abs. 2 und Art. 10 Abs. 1 lit. a Ziff. 3 ELG sagen klar, dass nur die anerkannten Ausgaben und die anrechenbaren Einnahmen von Kindern, die einen Anspruch auf eine Kinderrente der AHV IV begründen, in die Berechnung einzubeziehen sind. Schliesslich ist vorliegend auch die historische Auslegung weiterhin von Bedeutung. Seit dem erwähnten Bundesgerichtsentscheid wurde die Einkommensgrenze durch die anrechenbaren Einnahmen abgelöst, und am 6. Oktober 2006 wurde eine
Totalrevision des ELG beschlossen.4 Angesichts der bundesgerichtlichen Rechtsprechung wäre zu erwarten gewesen, dass der Gesetzgeber die umstrittenen Gesetzesartikel angepasst hätte, wenn er eine Gleichbehandlung von Kindern mit Kinderrenten und von Kindern mit Kindergeldern beabsichtigt hätte. Von einem gesetzgeberischen Versehen kann unter diesen Umständen nicht ausgegangen werden. Die bisherige bundesgerichtliche Rechtsprechung ist damit weiterhin anwendbar.
Falsch ist allerdings auch die Ansicht der AHV-Ausgleichskasse, wonach diese Rechtsprechung nur auf die Anrechnung des Lebensbedarfs anzuwenden sei. Vielmehr fallen minderjährige Kinder, die weder Anspruch auf eine Waisenrente haben noch Anspruch auf eine Kinderrente begründen, bei der Berechnung der Ergänzungsleistungen der Eltern vollständig ausser Betracht.5
Damit sind bei der Berechnung der Ergänzungsleistungen für den Beschwerdeführer auf der Einnahmenseite die Kindergelder und auf der Ausgabenseite die Krankenkassenprämien der Kinder sowie der Lebensbedarf der Kinder ausser Acht zu lassen. Hingegen ist gemäss der Rechtsprechung keine Mietzinsaufteilung im Sinn von Art. 16c ELV vorzunehmen.6
Der Beschwerdeführer macht geltend, alternativ seien die Unterhaltsleistungen der Eltern an ihre Kinder anzurechnen. Jede andere Rechtsauffassung müsse als völlig abwegig bezeichnet werden, da sie dem Grundgedanken der Existenzsicherung durch das ELG zuwiderlaufe. Auszugehen sei vom monatlichen Grundbetrag für Kinder gemäss Richtlinien für die Berechnung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums.
Nach Art. 10 Abs. 3 lit. e ELG werden bei allen Personen geleistete familienrechtliche Unterhaltsbeiträge als Ausgaben anerkannt. Damit sind allerdings Unterhaltszahlungen an getrennt lebende Kinder und nicht Naturalleistungen an Kinder im gemeinsamen Haushalt gemeint.7 Würde anders entschieden, würde die Rechtsprechung, wonach der Lebensbedarf der Kinder nicht zu berücksichtigen ist, unterlaufen.
Botschaft zur Ausführungsgesetzgebung zur Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA) vom 7. September 2005, BBl 2005 6225.
Art. 8 Abs. 1 der Verordnung über die Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenenund Invalidenversicherung vom 15. Januar 1971 (ELV, SR 831.301); Bundesamt für Sozialversicherungen (Hrsg.), Wegleitung über die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV (WEL), Stand 1. Januar 2013, 3124.04.
BGer P 56/00 vom 5. Juli 2001 E. 2b.
Vgl. WEL 3270.01 ff.; Carigiet/Koch, Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, 2. A., Zürich/ Basel/Genf 2009, S. 143 ff.; Urs Müller, Bundesgesetz über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung, 2. A., Zürich/Basel/Genf 2006, Rz. 289 ff.,
S. 91 ff.
Damit sind als anerkannte Ausgaben die Pauschalen für die Krankenkassenprämien der Eltern von Fr. 8'976.-, die Beiträge an die AHV/IV/EO von Fr. 468.-, der gesamte Mietzins von Fr. 12'048.sowie der Lebensbedarf für die Eltern von Fr. 28'575.anzurechnen, was einen Gesamtbetrag von Fr. 50'067.ergibt. Dem stehen bei den anrechenbaren Einnahmen die Taggelder des Beschwerdeführers von Fr. 50'364.gegenüber. Ein Anspruch auf Ergänzungsleistungen besteht somit nicht. Damit ist die Beschwerde abzuweisen.
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