Zusammenfassung des Urteils Nr. 60/2007/6: Obergericht
Der Beschwerdeführer hat eine Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Nötigung und Hausfriedensbruch erstattet. Nach polizeilichen Befragungen und einem Aufenthalt in der Klinik hat die Staatsanwaltschaft die Nichtanhandnahme verfügt. Der Beschwerdeführer hat dagegen Beschwerde erhoben, jedoch fehlen konkrete Hinweise auf eine strafbare Handlung. Das Gericht weist die Beschwerde ab und legt dem Beschwerdeführer Gerichtskosten in Höhe von CHF 300.- auf.
Kanton: | SH |
Fallnummer: | Nr. 60/2007/6 |
Instanz: | Obergericht |
Abteilung: | - |
Datum: | 08.06.2007 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Art. 29 Abs. 3 BV; Art. 29 Abs. 2 VRG. Unentgeltliche Vertretung im Verwaltungsverfahren |
Schlagwörter : | Recht; Rekurs; Vertretung; Anspruch; Sozialhilfe; Rechtsvertreter; Beistand; Verfahren; Rekursinstanz; Gesuch; Beschwerdeführers; Untersuchungsmaxime; Verwaltungsverfahren; Rechtspflege; Rekursverfahren; Zivilprozess; Hinsicht; Vertreter; Sozialhilfeleistungen; Fragen; Übrigen; Zivilprozessordnung; Departement; Innern; Rekurrenten; ändige |
Rechtsnorm: | Art. 131 ZPO ;Art. 29 BV ; |
Referenz BGE: | 130 I 180; |
Kommentar: | - |
Veröffentlichung im Amtsbericht
Art. 29 Abs. 3 BV; Art. 29 Abs. 2 VRG. Unentgeltliche Vertretung im Verwaltungsverfahren (OGE 60/2007/6 vom 8. Juni 2007)Auch im Verwaltungsrekursverfahren (betreffend Sozialhilfeleistungen) hat eine bedürftige Partei, welche ein nicht aussichtsloses Verfahren führt, Anspruch auf eine unentgeltliche Rechtsvertretung, sofern sich Fragen stellen, die nicht leicht zu beantworten sind, und die Partei nicht rechtskundig ist. Dies gilt jedenfalls dann, wenn nicht auf andere Weise eine genügende Vertretung gewährleistet werden kann (E. 2b).
Aus den Erwägungen:
2.- Die unentgeltliche Rechtspflege im Rekursverfahren vor Verwaltungsbehörden ist wie folgt geregelt: Die Rekursinstanz kann gemäss Art. 29 des Gesetzes über den Rechtsschutz in Verwaltungssachen vom 20. September 1971 (VRG, SHR 172.200) nach der Einreichung des Rekurses eine bedürftige Partei, deren Begehren nicht von vornherein als aussichtslos erscheinen, auf Gesuch davon befreien, Verfahrenskosten zu bezahlen (Abs. 1). Ist die bedürftige Partei nicht imstande, ihre Sache selbst zu führen, so kann die Rekursinstanz ausserdem der Partei einen sachverständigen Beistand beigeben (Abs. 2). Im Übrigen finden die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die unentgeltliche Rechtspflege sinngemäss Anwendung (Abs. 3; vgl. Zivilprozessordnung für den Kanton Schaffhausen vom 3. September 1951 [ZPO, SHR 273.100]).
Das Departement des Innern ging im angefochtenen Entscheid davon aus, der Rekurs sei weitgehend gutgeheissen worden und daher keineswegs aussichtslos gewesen. Ebenso sei die Bedürftigkeit des Rekurrenten ausgewiesen. Es hat das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Verbeiständung durch seinen Rechtsvertreter jedoch trotzdem abgelehnt mit der Begründung, im Verwaltungsverfahren, in welchem im Unterschied zum Zivilprozess die Untersuchungsmaxime gelte, was die selbständige Prozessführung wesentlich erleichtere, bestehe nur dann ein Anspruch auf unentgeltliche Vertretung, wenn es sich um ein kompliziertes Verfahren handle dann, wenn die betreffende Person zur Abfassung von Rechtsschriften nicht in der Lage sei. Im vorliegenden Fall wäre es dem Rekurrenten durchaus zumutbar gewesen, mit einfachen und kurzen Worten, allenfalls mit Hilfe eines
Beistands, das Gesuch um Prüfung des angefochtenen Beschlusses bei der Rekursinstanz einzureichen. Besondere Umstände, welche ihm dies verunmöglicht hätten, seien nicht ersichtlich.
Der Beschwerdeführer wendet demgegenüber ein, aufgrund der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung bestehe auch im Verwaltungsverfahren, wo die Untersuchungsmaxime gelte, und insbesondere im Bereich der Sozialhilfe aufgrund der Bundesverfassung ein Anspruch auf unentgeltliche Vertretung, wenn die Interessen der bedürftigen Partei wie vorliegend in schwerwiegender Weise betroffen seien und der Fall in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten biete, die den Beizug eines Rechtsvertreters erforderlich machten. Der Beschwerdeführer sei im Übrigen offensichtlich nicht in der Lage, selber eine Beschwerde einzureichen, wie sich dies auch aus den Akten ergebe, wobei die bestehenden Mängel auch von der IV-Stelle im Zusammenhang mit der Frage einer Umschulung bestätigt worden seien. Dass ein vom Vormundschaftsamt bestellter Beistand gegen den Beschluss der Sozialhilfekommission Rekurs erheben würde, sei kaum realistisch, da Vormundschaftsamt und Sozialhilfekommission dieselbe Behörde seien.
Wie der Beschwerdeführer zu Recht geltend macht, ergibt sich der Anspruch auf unentgeltliche Vertretung heute primär aus Art. 29 Abs. 3 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV, SR 101), wonach jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege hat, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand. Art. 29 VRG ist daher im Sinn dieser Verfassungsbestimmung auszulegen und anzuwenden. Die unentgeltliche Bestellung eines Rechtsvertreters setzt insbesondere voraus, dass die bedürftige Partei nicht imstande ist, ihre Sache selbst wirksam zu vertreten. Das trifft zu, wenn sich die aufgeworfenen Fragen nicht leicht beantworten lassen und die Partei selbst nicht rechtskundig ist. Die Geltung der Untersuchungsmaxime lässt eine anwaltliche Vertretung nicht ohne weiteres als unnötig erscheinen, zumal sie allfällige behördliche Fehlleistungen nicht zu verhindern vermag und auch nicht unbegrenzt ist. Unabhängig von der Schwierigkeit eines Falls ist sodann immer dann ein Rechtsvertreter zu bestellen, wenn besonders stark in die Rechtsposition der Betroffenen eingegriffen werden soll. Der Anspruch entfällt jedoch, wenn die bedürftige Partei auf andere Weise in den Genuss einer genügenden unentgeltlichen Vertretung gelangt (vgl. Häfelin/Müller/Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. A., Zürich 2006, Rz. 1712 ff., insbesondere Rz. 1715, S. 366 f., mit Hinweisen, insbesondere BGE 130 I 180 ff. für das Kindesschutzverfahren). Unter den erwähnten Voraussetzungen besteht daher auch im sozialhilferechtlichen Verfahren Anspruch auf unentgelt-
lichen Rechtsbeistand (vgl. in diesem Sinne bereits Felix Wolffers, Grundriss des Sozialhilferechts, Bern/Stuttgart/Wien 1993, S. 201 f.).
...
Hinsichtlich der Frage der Notwendigkeit der unentgeltlichen Vertretung fällt sodann in Betracht, dass es für den Beschwerdeführer im vorangegangenen Rekursverfahren um Leistungen von erheblicher Tragweite ging (Sicherstellung bzw. Bezahlung des Aufenthalts im Wohnheim Balgrist). In rechtlicher Hinsicht stellten sich heikle Frage, welche sich von einer nicht rechtskundigen Partei nicht leicht beantworten lassen (Verhältnis der Sozialhilfe zur Opferhilfe und zur Sozialversicherung; Erfordernisse an die Gesuchstellung; Befristung der Sozialhilfeleistungen trotz ungeklärter Wohnsituation), weshalb nicht damit argumentiert werden kann, es hätte genügt, bei der Rekursinstanz mit einfachen und kurzen Worten eine Überprüfung zu verlangen, zumal nach der Praxis trotz der Geltung der Untersuchungsmaxime ein Rekurs genügend substanziiert werden muss. Eine andere genügende Vertretungsmöglichkeit bestand im Zeitpunkt der Rekurserhebung nicht, da für den Beschwerdeführer noch keine Beistandschaft besteht und überdies fraglich ist, ob ein nicht rechtskundiger Beistand angesichts der sich stellenden heiklen Rechtsfragen im Sinn der Rechtsprechung eine andere genügende unentgeltliche Vertretung hätte gewährleisten können. Vielmehr erscheint es sinnvoll, dass der anwaltliche Vertreter des Beschwerdeführers, welcher die Situation des Beschwerdeführers als dessen Vertreter im Strafund Opferhilfeverfahren kennt, auch im Sozialhilfeverfahren als unentgeltlicher Rechtsvertreter fungiert. Der angefochtene Rekursentscheid ist daher in diesem Punkt in Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde aufzuheben, die unentgeltliche Vertretung des Beschwerdeführers im Rekursverfahren durch seinen heutigen Rechtsvertreter zu bewilligen und das Departement des Innern anzuweisen, den unentgeltlichen Vertreter nach den bestehenden Rechtsgrundlagen zu entschädigen (vgl. Art. 29 Abs. 3 VRG i.V.m. Art. 131 Abs. 2 ZPO und § 3 der Verordnung des Obergerichts über die Bemessung des Honorars der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte vom 16. August 2002 [HV, SHR 173.811]).
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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