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Urteil Obergericht (SH)

Zusammenfassung des Urteils Nr. 60/2006/26: Obergericht

Eine Person wurde gegen ihren Willen einer medizinischen Zwangsbehandlung unterzogen und focht dies vor Gericht an. Das Gericht entschied teilweise zugunsten der Beschwerdeführerin, da ihr keine Gelegenheit zur vorgängigen Anfechtung gegeben wurde. Die rechtlichen Grundlagen für medizinische Zwangsbehandlungen wurden diskutiert, wobei festgehalten wurde, dass diese nur in Notfallsituationen zulässig sind und das Leben oder die Gesundheit der betroffenen Person oder Dritter unmittelbar gefährdet sein muss. Die Gerichtskosten betrugen CHF 0.

Urteilsdetails des Kantongerichts Nr. 60/2006/26

Kanton:SH
Fallnummer:Nr. 60/2006/26
Instanz:Obergericht
Abteilung:-
Obergericht Entscheid Nr. 60/2006/26 vom 16.06.2006 (SH)
Datum:16.06.2006
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort: Art. 10 Abs. 2 BV; Art. 30e und Art. 30i GesG; Art. 69h Abs. 1 EG ZGB. Nachträgliche Anfechtung einer bereits durchgeführten Zwangsbehandlung; Voraussetzungen einer medikamentösen Zwangsbehandlung
Schlagwörter : Zwang; Zwangsbehandlung; Behandlung; Recht; Person; Gesundheit; Patienten; Anfechtung; Gesundheitsgesetzes; Rechtsschutz; Zwangsmedikation; Gefährdung; Störung; Notfall; Rechtsmittel; Hinweis; Vorlage; Psychiatrie; Behandlungsplan; Hinweisen; Teilrevision; Massnahme; Freiheit
Rechtsnorm:Art. 10 BV ;
Referenz BGE:130 I 18;
Kommentar:
-

Entscheid des Kantongerichts Nr. 60/2006/26

Art. 10 Abs. 2 BV; Art. 30e und Art. 30i GesG; Art. 69h Abs. 1 EG ZGB. Nachträgliche Anfechtung einer bereits durchgeführten Zwangsbehandlung; Voraussetzungen einer medikamentösen Zwangsbehandlung (OGE 60/2006/26 vom 16. Juni 2006)

Veröffentlichung im Amtsbericht

Hatte die betroffene Person keine Gelegenheit zur vorgängigen Anfechtung ihrer Zwangsbehandlung, so kann sie dies noch während der Beschwerdefrist von 10 Tagen nachholen, sofern sich gleiche ähnliche Fragen jederzeit wieder stellen könnten und das Gericht allenfalls erneut keine Möglichkeit hätte, sie rechtzeitig zu prüfen (E. 2b).

Handelt es sich nicht um eine Notfallsituation, sondern kann die Zwangsbehandlung im Rahmen eines Behandlungsplans vorbereitet werden, ist sie der betroffenen Person vor der Durchführung mitzuteilen und ihr Gelegenheit zu geben, sie mit den offenstehenden Rechtsmitteln anzufechten (E. 4b).

Die Anordnung bzw. Durchführung einer medikamentösen Zwangsbehandlung setzt voraus, dass das Leben die Gesundheit der betroffenen Person von Dritten unmittelbar schwer gefährdet ist das Zusammenleben und insbesondere auch der Klinikbetrieb schwerwiegend gestört werden. Rein ethische Gründe das Mitgefühl von Ärzten und Pflegepersonal nur untergeordnete Störungen wie Widerständigkeit, Unruhe, Verfolgungsängste, mangelnde Sauberkeit und dergleichen genügen hierfür nicht (E. 4b und g ).

Nachdem sich B. bereits während rund drei Wochen in stationärer psychiatrischer Behandlung befunden hatte, wurde sie gegen ihren Willen einer medizinischen Zwangsbehandlung unterzogen. Dagegen und gegen allenfalls bevorstehende weitere Zwangsbehandlungen führte sie Beschwerde ans Obergericht. Dieses hiess die Beschwerde teilweise gut.

Aus den Erwägungen:

  1. .a) Gemäss Art. 30i Abs. 3 des Gesundheitsgesetzes vom 19. Oktober 1970 (GesG, SHR 810.100; Fassung vom 27. November 2000) steht der betroffenen einer ihr nahestehenden Person das Recht auf richterliche Überprüfung einer Zwangsbehandlung i.S.v. Art. 30e GesG zu; das Verfahren

    richtet sich nach den Art. 69h ff. des Gesetzes über die Einführung des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs vom 27. Juni 1911 (EG ZGB, SHR 210.100). Gemäss Art. 69h Abs. 1 EG ZGB können die Berechtigten grundsätzlich innert zehn Tagen seit der Mitteilung beim Obergericht schriftlich Verwaltungsgerichtsbeschwerde erheben. Im vorliegenden Fall erklärte die Beschwerdeführerin ..., sie wehre sich sowohl gegen die am 19. Mai 2006 erfolgte als auch gegen die vom Psychiatriezentrum vorgesehene weitere Zwangsbehandlung.

    1. In der vom Psychiatriezentrum abgegebenen Rechtsmittelbelehrung ist zwar nur von der erfolgten Zwangsbehandlung die Rede, doch beabsichtigte das Psychiatriezentrum ursprünglich, weitere Zwangsbehandlungen vorzunehmen, was in zukünftigen Fällen der Klarheit halber und zur Wahrung der Anfechtungsrechte in der Rechtsmittelbelehrung unter Hinweis auf den Behandlungsplan angemerkt werden sollte (vgl. zur Unterscheidung von Zwangsbehandlungen in einer Notfallsituation und nach Behandlungsplan auch nachfolgend E. 4).

      Es stellt sich im übrigen die Frage, ob bezüglich der bereits erfolgten Zwangsbehandlung noch ein aktuelles Rechtsschutzinteresse bestehe, wie es allgemein für die Erhebung einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde verlangt wird (Arnold Marti, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Kanton Schaffhausen, Diss. Zürich 1986, S. 173 ff. mit weiteren Hinweisen). Die Vorlage des Regierungsrats für die Teilrevision des Gesundheitsgesetzes (Patientenrechte) vom 4. April 2000 geht davon aus, dass es sich bei dem mit Art. 30i Abs. 3 GesG eingeführten Rechtsschutz in der Regel um eine nachträgliche richterliche Überprüfung handle (S. 15 der Vorlage). Daraus könnte geschlossen werden, dass im Sinne einer Erleichterung des Rechtsschutzes auf eine Anfechtungsfrist verzichtet und auch eine nachträgliche Anfechtung ermöglicht werden sollte, wie dies grundsätzlich auch der in die Vernehmlassung gegebene Vorentwurf des Bundes für eine Revision des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs vom 10. Dezember 1907 (ZGB, SR 210; Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindsrecht) vom Juni 2003 vorsieht (Art. 430 Abs. 2 Ziff. 2 des Gesetzesentwurfs und erläuternder Bericht, S. 70; die Vorlage des Regierungsrats geht jedoch sinngemäss von einer 10-tägigen Rechtsmittelfrist aus; vgl. S. 15). Diese Frage kann aber letztlich offen gelassen werden, da auch nach der allgemeinen Praxis auf das Erfordernis eines aktuellen Rechtsschutzinteresses verzichtet werden kann, wenn sich wie im vorliegenden Fall (vgl. dazu auch E. 3) - ähnliche Fragen jederzeit wieder stellen können und darüber allenfalls wiederum nicht rechtzeitig, d.h. vor der Durchführung der Massnahme, entschieden werden könnte (vgl. zur nicht ganz einheitlichen Praxis, was diese Anforderungen anbetrifft, Marti, S. 174, und Kölz/Bosshart/ Röhl, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich,

      2. A., Zürich 1999, § 21 Rz. 25, S. 401, je mit weiteren Hinweisen). Im Bereich der medizinischen Zwangsbehandlung rechtfertigt es sich jedenfalls auch aufgrund der angeführten gesetzgeberischen Motive, eine nachträgliche Anfechtung einer Zwangsbehandlung im Interesse des Rechtsschutzes grosszügig zuzulassen, zumal es sich um einen schweren Eingriff in die persönliche Freiheit handelt (BGE 130 I 18 E. 3 mit Hinweisen). Allerdings kann eine bereits durchgeführte Zwangsbehandlung nicht mehr rückgängig gemacht werden, weshalb diese im Fall der Gutheissung nicht aufgehoben, sondern lediglich deren Rechtswidrigkeit festgestellt werden kann (vgl. BGE 1P.689/2003 vom 7. Januar 2004, E. 1 mit Hinweisen; Walter Kälin, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, 2. A., Bern 1994, S. 402).

    2. ...

    3. Auf die Beschwerde ist daher einzutreten, wobei das Verfahren hinsichtlich einer weiteren Zwangsmedikation gegenstandslos geworden ist (unten, E. 3). Gegenpartei im vorliegenden Verfahren (Zwangsbehandlung im Rahmen einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung) ist das Psychiatriezentrum als anordnende Institution (Art. 30e und 30i Abs. 2 GesG), während die Anordnung einer Zwangsbehandlung als Nachmassnahme vom zuständigen Departement ausgeht (Art. 30e Abs. 5 GesG i.V.m. Art. 69f Abs. 3 EG ZGB, vgl. auch OGE Nr. 60/2006/6 vom 16. März 2006, E. 2b - d). ...

  2. .- [Das Psychiatriezentrum sieht einstweilen von einer weiteren Zwangsmedikation ab. Die Beschwerde wird insoweit gegenstandslos.]

  3. .a) Als Anfechtungsgegenstand verbleibt somit die bereits erfolgte Zwangsmedikation vom 19. Mai 2006, deren Rechtmässigkeit zu überprüfen ist. Bei der medikamentösen Zwangsbehandlung handelt es sich um einen schweren Eingriff in die persönliche Freiheit, welcher grundsätzlich eine präzise Formulierung auf Gesetzesstufe erfordert, wie dies mit der Verbesserung der Patientenrechte durch die Teilrevision des Gesundheitsgesetzes vom

27. November 2000 geschehen ist (BGE 130 I 18 E. 3 mit Hinweisen; Heinz Aemisegger, Fürsorgerische Freiheitsentziehung und Zwangsmedikation nach der Praxis des Bundesgerichtes, in: Ebner/Dittmann/Gravier/Hoffmann/Raggenbass [Hrsg.], Psychiatrie und Recht, Zürich/Basel/Genf 2005, S. 227 ff., insbesondere S. 233 ff., sowie Stefan Bilger, Das Schaffhauser Gesundheitsrecht ein zunehmend bröckelnder Fels in der Brandung, in: Verein Schaffhauser Juristinnen und Juristen [Hrsg.], Schaffhauser Recht und Rechtsleben, Festschrift zum Jubiläum 500 Jahre Schaffhausen im Bund, Schaffhausen 2001, S. 583 ff., S. 590, je mit weiteren Hinweisen).

  1. Gemäss Art. 30e GesG sind Behandlungen gegen den Willen von Patienten ausnahmsweise zulässig, sofern diese behördlich in eine Behandlungseinrichtung, insbesondere nach den Bestimmungen des ZGB über die für-

    sorgerische Freiheitsentziehung über Massnahmen, eingewiesen worden sind, die Behandlung im überwiegenden Interesse des Patienten Dritter liegt und verhältnismässig ist (Abs. 1). Ein überwiegendes Interesse des Patienten Dritter liegt vor, wenn die Behandlung notwendig ist, um eine unmittelbare Gefährdung des Lebens der Gesundheit des Patienten Dritter abzuwenden um eine andere schwerwiegende Störung des Zusammenlebens zu beseitigen (Abs. 2). Die Verhältnismässigkeit ist gegeben, wenn die Behandlung mit dem Einweisungsgrund sachlich zusammenhängt und zur Erreichung des Behandlungsziels geeignet, erforderlich und zumutbar ist (Abs. 3).

    Nach den Gesetzesmaterialien ist eine solche Behandlung nur ausnahmsweise zulässig, insbesondere dann, wenn die betroffene Person aufgrund ihrer Krankheit nicht in der Lage ist, nach erfolgter Aufklärung der medizinisch indizierten Behandlung zuzustimmen, sei es, weil ihr die Einsichtsfähigkeit dafür fehlt, sei es, weil sie sich trotz gegebener Einsicht aus anderen Gründen dagegen entscheidet. Dies allein genügt jedoch noch nicht. Vielmehr muss die Behandlung im überwiegenden Interesse des Patienten selbst Dritter liegen, d.h. notwendig sein, um eine unmittelbare und schwere Gefährdung des Lebens der Gesundheit des Patienten selbst von Dritten abzuwenden (akute Selbstoder Drittgefährung) um eine andere schwerwiegende Störung des Zusammenlebens zu beseitigen (Art. 30e Abs. 2 GesG). Letzteres wäre z.B. bei wiederholten massiven Sachbeschädigungen in einer Behandlungseinrichtung, aber auch bei einer anderweitigen schwerwiegenden Störung des Klinikbetriebs anzunehmen. Schliesslich ist der Grundsatz der Verhältnismässigkeit in jedem Fall zu wahren, d.h. die Behandlung muss mit dem Einweisungsgrund sachlich zusammenhängen und zur Erreichung des Behandlungsziels geeignet, erforderlich und zumutbar sein; das Behandlungsziel darf nicht auf andere Weise erreicht werden können (Art. 30e Abs. 3 GesG; vgl. zum Ganzen auch S. 12 der Vorlage zur Teilrevision des Gesundheitsgesetzes).

    Die dargelegten Bestimmungen zeigen, dass eine Zwangsbehandlung gegen den Willen des Patienten nur in Ausnahmefällen bei akuter Gefährdung von Leben und Gesundheit des Patienten Dritter zulässig ist. Indessen muss es sich nicht in jedem Fall um einen absoluten Notfall handeln, welcher eine sofortige, nicht weiter aufschiebbare Zwangsbehandlung erfordert. Eine solche Einschränkung ergibt sich weder aus dem Wortlaut von Art. 30e GesG noch aus den Materialien. Wie gerade der vorliegende Fall zeigt, kann sich eine schwere unmittelbare Gefährdung des Lebens der Gesundheit eines Patienten Dritter auch aufgrund der sukzessiven Krankheitsentwicklung bzw. der anhaltenden Weigerung, Medikamente einzunehmen, ergeben. In diesen Fällen ist die Zwangsbehandlung im voraus planbar und muss nicht

    unbedingt sofort vorgenommen werden. Der Regierungsrat, geht denn auch davon aus, dass eine nötige Zwangsmedikation allenfalls auch länger andauern kann (S. 15 der Vorlage zur Teilrevision des Gesundheitsgesetzes). Dies setzt ein planmässiges Vorgehen voraus, wie dies auch bei einer Zwangsbehandlung als Nachmassnahme bei fürsorgerischer Freiheitsentziehung der Fall ist (Art. 30e Abs. 5 GesG). Beschränkt auf Notsituationen ist nur die Anwendung von physischem Zwang gemäss Art 30f Abs. 2 GesG, womit im Zusammenhang mit der Zwangsmedikation aber lediglich die Modalitäten der Durchführung geregelt werden. Kann die Durchführung einer Zwangsmedikation nach Art. 30e GesG nicht anders (z.B. durch Zureden) sichergestellt werden, darf als letztes Mittel physischer Zwang angewendet werden. Eine Notsituation liegt vor, solange die betroffene Person sich weigert, die angeordnete Medikation zu sich zu nehmen (S. 14 der Vorlage zur Teilrevision des Gesundheitsgesetzes).

  2. Die Regelung des revidierten Gesundheitsgesetzes stimmt im wesentlichen mit dem bereits zitierten Vorentwurf für eine Revision des Vormundschaftsrechts und den einschlägigen Vorschriften (Art. 7 und Art. 8) des Europäischen Übereinkommens über Menschenrechte und Biomedizin vom

    4. April 1997 überein, dem die Schweiz beitreten will (BBl 2002, S. 271 ff., insbesondere S. 340 ff.). Das geplante neue Vormundschaftsrecht sieht hierbei einerseits eine Notfallbehandlung in einer akuten Gefährdungssituation und andererseits - unter bestimmten, einschränkenden Voraussetzungen -

    eine Behandlung nach einem Behandlungsplan ohne Zustimmung der be-

    troffenen Person vor (Art. 427 und 429 des erwähnten Vorentwurfs für eine Revision des Vormundschaftsrechts; vgl. dazu auch Aemisegger, S. 241 ff.; zu den damit grundsätzlich übereinstimmenden medizinischen Empfehlungen Daniel Hell, Leitlinien zum Umgang mit Zwangsmassnahmen in der Medizin, in: Ebner/Dittmann/Gravier/Hoffmann/Raggenbass [Hrsg.], Psychiatrie und Recht, Zürich/Basel/Genf 2005, S. 269 ff.; siehe auch Thomas Geiser, Medizinische Zwangsmassnahmen bei psychisch kranken aus rechtlicher Sicht, recht 2006, S. 99 f.).

    Hinsichtlich der Notfallsituation wird im Bericht zum Vorentwurf für die Revision des Vormundschaftsrechts festgehalten, eine psychisch kranke Person könne mit ohne Vorzeichen plötzlich in eine Verfassung geraten, in der sie sich selbst zu töten zu verletzen droht, Dritte durch ihre Erregung aus Krankheit heraus ernsthaft gefährdet und zuletzt auch die materielle Umgebung (Fenster, Türen, Möbel usw.) in arge Mitleidenschaft zieht. In dieser Situation müsse sofort eingegriffen und behandelt werden können. Der Einweisungsgrund sei dabei insofern wichtig, als lediglich krankheitsbedingte Verhaltensweisen therapiert werden dürften, während anders motivierte Gewalt mit polizeirechtlichen Massnahmen angegangen werden müssten. Dass

    bei alledem die Verhältnismässigkeit gewahrt werden müsse, verstehe sich im Rahmen professionell geführter Behandlungseinrichtungen von selbst. Erlaubt seien nur diejenigen medizinischen Massnahmen, die nach Massgabe des Einweisungsgrundes indiziert seien und nicht aufgeschoben werden könnten (erläuternder Bericht, S. 67).

    Hinsichtlich der geplanten Behandlung ohne Zustimmung wird ausgeführt, die fachärztliche Leitung einer Behandlungseinrichtung könne die im Behandlungsplan vorgesehene und nach Massgabe des Einweisungsgrunds verhältnismässige Behandlung schriftlich anordnen, wenn die betroffene Person keinen Willen äussert mangels Einsichtsfähigkeit in ihre Behandlungsbedürftigkeit Widerstand leiste und ihr ohne Behandlung ein ernster gesundheitlicher Schaden drohe. Die Anordnung sei der betroffenen Person mit einer Rechtsmittelbelehrung mitzuteilen, damit sie sich allenfalls gegen die Durchführung der vorgesehenen Massnahmen wehren könne. Eine Behandlung ohne Zustimmung der betroffenen Person sei indes nur möglich, wenn ohne Behandlung ein schwerer gesundheitlicher Schaden drohe. Die Kompetenz der ärztlichen Leitung werde also auf eine Gefahrensituation beschränkt. Dies stehe mit Art. 7 des erwähnten Übereinkommens in Einklang, sei aber insofern enger, als der Behandlung immer eine fürsorgerische Unterbringung vorausgehen müsse. Die Behandlung müsse im übrigen nach dem Einweisungsgrund verhältnismässig sein und dem letzten Stand der Wissenschaft entsprechen. Umstrittene Massnahmen kämen ohne Zustimmung der betroffenen Person nicht in Betracht. Vielmehr gehe es um die Abgabe von Medikamenten, das Einhalten eines Tagesrhythmus, Gespräche und allenfalls Zwangsernährung. Liege keine Gefahrensituation keine Zustimmung der betroffenen Person zur Behandlung vor, so müsse eine solche Person aus der Einrichtung entlassen werden. Psychiatrische Spitäler dürften nicht dafür missbraucht werden, Personen einfach ohne Behandlung einzuschliessen und vor der Gesellschaft abzuschirmen (erläuternder Bericht, S. 68 f.).

  3. Hieraus ergibt sich, dass nach der vorgesehenen neuen Regelung des Vormundschaftsrechts die Zwangsbehandlung im Fall einer Notfallsituation sofort, allenfalls auch ohne die Möglichkeit einer vorgängigen Rechtswahrung seitens der betroffenen Person durchgeführt werden kann, während eine Zwangsbehandlung im Rahmen eines Behandlungsplans grundsätzlich vor der Durchführung der betroffenen Person mitgeteilt werden muss, worauf diese vor deren Durchführung die offen stehenden Rechtsmittel ergreifen kann (vgl. zum Rechtsschutz auch erläuternder Bericht, S. 70). Die bestehende, im vorliegenden Fall massgebende Schaffhauser Regelung unterscheidet zwar nicht ausdrücklich zwischen sofort durchzuführender Notfallbehandlung und geplanter Zwangsbehandlung mit der Möglichkeit einer vorgängigen Rechtswahrung. Vielmehr ging der Gesetzgeber davon aus, dass es sich in der

    Regel um dringende Fälle handle, welche nur einen nachträglichen Rechtsschutz ermöglichten (S. 15 der Vorlage zur Teilrevision des Gesundheitsgesetzes). Indessen sieht Art. 30i Abs. 2 GesG ausdrücklich vor, dass eine Zwangsbehandlung der betroffenen Person so bald als möglich schriftlich mit einer Rechtsmittelbelehrung mitzuteilen ist. Handelt es sich nicht um eine Notfallsituation, sondern um eine im voraus in Erwägung gezogene Behandlung, ist daher auch aufgrund von Art. 30i Abs. 2 GesG der betroffenen Person Gelegenheit zu geben, sich gegen eine solche geplante Zwangsbehandlung vor deren Durchführung zur Wehr zu setzen. Schliesslich entspricht es allgemeinen Grundsätzen des Rechtsschutzes, dass die Durchführung einer Zwangsmassnahme grundsätzlich zuerst angeordnet werden muss und erst vollzogen werden darf, wenn die Anordnung rechtskräftig geworden ist. Vorbehalten bleiben Fälle einer unmittelbaren Gefährdung von Rechtsgütern (vgl. auch Art. 4 VRG und dazu Kölz/Bosshart/Röhl, § 6 Rz. 1 ff., S. 101).

  4. [Zusammenfassung der medizinischen Feststellungen. Demnach bestand keine unmittelbar bevorstehende Gefährdung des Lebens der Gesundheit der Beschwerdeführerin eine andere schwerwiegende Störung des Zusammenlebens.]

    ... Damit wäre es ohne weiteres möglich gewesen, die Beschwerdeführerin im voraus über die notwendig erachtete Zwangsmedikation in Kenntnis zu setzten und ihr damit die Möglichkeit zu bieten, dagegen ein Rechtsmittel zu ergreifen. Besteht keine zeitliche Dringlichkeit, erscheint es sogar mit Blick auf den Verhältnismässigkeitsgrundsatz geboten, bereits im Entscheid über die Zwangsbehandlung die aufschiebende Wirkung anzuordnen und mit der Behandlung bis zur Rechtskraft des Entscheids abzuwarten (Geiser, S. 100).

  5. Aufgrund dieser Beurteilung hätte die am 19. Mai 2006 durchgeführte Zwangsbehandlung der B. vorgängig mitgeteilt und ihr Gelegenheit gegeben werden müssen, diese vor der Durchführung anzufechten. Da dies nicht geschehen ist, erweist sich die Zwangsbehandlung insofern nicht als rechtskonform. Entgegen dem Antrag der B. kann die Zwangsbehandlung jedoch im vorliegenden Fall nicht aufgehoben werden. Hingegen ist in teilweiser Gutheissung der vorliegenden Beschwerde festzustellen, dass die vorgenommene Zwangsbehandlung mangels vorgängiger Anfechtungsmöglichkeit rechtswidrig war.

  6. Bei diesem Ausgang des Verfahrens kann offen gelassen werden, ob die materiellen Voraussetzungen für eine Zwangsbehandlung im vorliegenden Fall gegeben gewesen wären. Es ist jedoch festzuhalten, dass hiefür wie dargelegt eine unmittelbare und schwere Gefährdung des Lebens der Gesundheit der Beschwerdeführerin von Dritten (akute Selbstoder Drittgefährdung) eine andere schwerwiegende Störung des Zusammen-

lebens (wiederholte Sachbeschädigung; schwerwiegende Störung des Klinikbetriebs) erforderlich gewesen wäre. Die geltend gemachten ethischen Gründe bzw. das Mitgefühl der zuständigen Ärzte und des Pflegepersonals lediglich untergeordnete Störungen im Zusammenleben (Widerständigkeit, Unruhe, Verfolgungsängste, mangelnde Sauberkeit) genügen demgegenüber grundsätzlich nicht für eine Zwangsbehandlung. Immerhin ist festzuhalten, dass die allenfalls drohende katatonische Starre ein zu befürchtender gesundheitlicher Zusammenbruch wegen lange anhaltender Schlafund Ruhelosigkeit Gründe i.S.v. Art. 30e Abs. 2 GesG bilden können, welche eine Zwangsbehandlung zu rechtfertigen vermögen.

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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