Zusammenfassung des Urteils Nr. 60/2005/2: Obergericht
Der Beschuldigte A. wurde vollumfänglich freigesprochen, nachdem er beschuldigt wurde, die Privatkläger B. und C. genötigt zu haben, die Firmenflagge der F. GmbH aufzustellen. Der Vorwurf der Drohung konnte nicht nachgewiesen werden, weshalb auch der Anklagevorwurf der Nötigung nicht bestätigt wurde. Die Kosten des Verfahrens werden auf die Gerichtskasse genommen, und dem Beschuldigten wird eine Parteientschädigung von Fr. 12'289.10 zugesprochen. Das Urteil wurde am 7. November 2019 vom Obergericht des Kantons Zürich gefällt.
Kanton: | SH |
Fallnummer: | Nr. 60/2005/2 |
Instanz: | Obergericht |
Abteilung: | - |
Datum: | 27.10.2006 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Art. 95 Ziff. 2 SVG; aArt. 32 Abs. 1 VZV; Art. 192 und Art. 196 StPO; Art. 9 Abs. 1 BÜPF. Verwertbarkeit von Zufallsfunden im Verwaltungsverfahren |
Schlagwörter : | Verfahren; Interesse; Verwaltungs; Zufallsf; Telefonüberwachung; Zufallsfunde; Sachverhalt; BÜPF; Verwaltungsverfahren; Führer; Beschwerdeführers; Wahrheit; Führerausweis; Strassen; Strassenverkehr; Wahrheitsfindung; Verwertbarkeit; Zufallsfunden; Verfahren; Überwachung; Telefongespräch; Ergebnis; Beweismittel; Recht; Prozess |
Rechtsnorm: | Art. 192 StPO ;Art. 196 StPO ;Art. 230 StPO ;Art. 61 StPO ; |
Referenz BGE: | 119 Ib 161; 120 Ib 509; |
Kommentar: | - |
Veröffentlichung im Amtsbericht
Fehlt eine Sachverhaltsfeststellung des Strafrichters, woran die Verwaltungsbehörde allenfalls gebunden wäre, so dürfen Zufallsfunde im Verwaltungsverfahren unbeschränkt verwendet werden, wenn sie auch durch ordentliche Sachverhaltsermittlung hätten beschafft werden können. Wäre das ausgeschlossen gewesen, so ist das Interesse des Privaten an einem ordnungsgemässen Verfahren gegen das öffentliche Interesse an der Wahrheitsfindung autonom abzuwägen. Letzteres ist dabei anhand abstrakter Bewertung des zufällig aufgedeckten Regelverstosses zu bestimmen.
Aus den Erwägungen:
2.- ...
Wer ein Motorfahrzeug führt, bedarf des Führerausweises (Art. 10 Abs. 2 des Strassenverkehrsgesetzes vom 19. Dezember 1958 [SVG, SR 741.01]). Der Führerausweis ist zu entziehen, wenn der Führer ein Motorfahrzeug während der Dauer eines rechtmässigen Ausweisentzugs geführt hat (aArt. 32 Abs. 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Strassenverkehr vom 27. Oktober 1976 [VZV, SR 741.51]).
Der Regierungsrat hält es für erstellt, dass der Beschwerdeführer am
19. November 1999, mithin in einem Zeitpunkt, da diesem der Führerausweis entzogen war, ein Fahrzeug gelenkt habe. Er stützt sich dabei auf ein abgehörtes Telefongespräch des Beschwerdeführers von diesem Tag sowie auf dessen Aussagen in den polizeilichen Einvernahmen vom 14. Dezember 1999 und
vom 2. Dezember 2000. Der Beschwerdeführer bestreitet, dass diese Be-
weismittel verwertbar seien.
aa) Die fraglichen Aussagen des Beschwerdeführers wurden aus einer im Rahmen eines Strafverfahrens durchgeführten Telefonüberwachung
1 Eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen diesen Entscheid hiess das Bundesgericht am 30.
April 2007 gut (Verfahren 6A.113/2006). Das Obergericht hob hierauf den Führerausweisentzug mit neuem Entscheid vom 18. Januar 2008 auf.
gewonnen. Es stellt sich die Frage, ob im vorliegenden Verwaltungsverfahren auf das Ergebnis der Überwachung abzustellen ist, ob also die Verwaltungsbehörde im Strafverfahren gewonnene Beweismittel verwenden kann muss.
Nach bundesgerichtlicher Praxis gilt es im Interesse von Rechtseinheit und Rechtssicherheit zu vermeiden, dass derselbe Lebensvorgang zu voneinander abweichenden Sachverhaltsfeststellungen von Verwaltungsund Justizbehörden führt und die erhobenen Beweise abweichend gewürdigt und rechtlich beurteilt werden. Das Strafverfahren bietet durch die verstärkten Mitwirkungsrechte des Beschuldigten sowie die weiterreichenden prozessualen Befugnisse besser Gewähr dafür, dass das Ergebnis der Sachverhaltsermittlung näher bei der materiellen Wahrheit liegt als im nicht durchwegs derselben Formstrenge unterliegenden Verwaltungsverfahren. Die Verwaltungsbehörde hat daher mit ihrem Entscheid über einen Führerausweisentzug grundsätzlich zuzuwarten, bis ein rechtskräftiges Strafurteil vorliegt, soweit der Sachverhalt die rechtliche Qualifikation des in Frage stehenden Verhaltens für das Verwaltungsverfahren von Bedeutung sind (BGE 119 Ib 161 f. E. 2c bb).
Das Untersuchungsrichteramt des Kantons Schaffhausen stellte das Strafverfahren betreffend SVG-Widerhandlungen gegen den Beschwerdeführer am 30. April 2004 zufolge Eintritts der absoluten Verfolgungsverjährung ein. Für das Administrativverfahren äussert sich das Strassenverkehrsgesetz nicht über die Folgen eines verhältnismässig langen Zeitablaufs, insbesondere sieht es keine Verjährung vor (vgl. dazu BGE 120 Ib 509 f. E. 4d und e). Das Administrativverfahren war und ist somit unabhängig von der Einstellung des Strafverfahrens gegen den Beschwerdeführer durchzuführen, und die längere Verfahrensdauer ist gegebenenfalls auf andere Weise zu berücksichtigen. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers wirkt sich die Einstellung des Strafverfahrens nicht dergestalt aus, dass ein Administrativverfahren zum vornherein nicht mehr durchgeführt werden könnte. Ob sich der Beschwerdeführer am 19. November 1999 strafbar gemacht hat, ist im Strafverfahren nicht beurteilt worden. Er gilt zwar als nicht schuldig (Art. 38 Abs. 1 der Strafprozessordnung für den Kanton Schaffhausen vom
15. Dezember 1986 [StPO, SHR 320.100]), wurde aber auch nicht freigesprochen und hätte wegen des Verjährungseintritts auch keinen Freispruch erwirken können (Art. 61 Abs. 2 StPO; OGE vom 5. Mai 2000 i.S. P., E. 3c, Amtsbericht 2000, S. 166 f.). Liegt aber kein freisprechendes Strafurteil bzw. ein diesem gleichgestellter Entscheid vor (vgl. Art. 230 Abs. 2 StPO), so existiert auch keine Sachverhaltsfeststellung, Beweiswürdigung rechtliche Beurteilung, an welche die Verwaltungsbehörde allenfalls gebunden sein könnte. Die Entzugsbehörde muss folglich den Sachverhalt selbst feststellen
und insbesondere selbst darüber befinden, ob der Zufallsfund aus der Telefonüberwachung im Verwaltungsverfahren verwertbar ist nicht.
bb) Das Verwaltungsrechtspflegegesetz regelt nicht, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen Zufallsfunde, also in anderem Zusammenhang als mit der konkreten Sachverhaltsermittlung entdeckte Beweismittel, verwertbar sind. Es liegt eine echte Lücke vor, die von den rechtsanwendenden Behörden zu füllen ist. Nach der Lehre dürfen im Verwaltungsverfahren Zufallsfunde ohne Einschränkungen verwendet werden, wenn sie auch auf dem ordentlichen Weg der Sachverhaltsermittlung hätten beschafft werden können. Wäre das rechtmässige Beibringen dieser Beweise nicht möglich gewesen, ist eine Güterabwägung zwischen dem Interesse des Privaten an einem ordnungsgemässen Verfahren und dem öffentlichen Interesse an der Wahrheitsfindung vorzunehmen (Kölz/Bosshart/Röhl, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 2. A., Zürich 1999, § 7
N. 53, S. 141; Merkli/Aeschlimann/Herzog, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege im Kanton Bern, Bern 1997, Art. 19 N. 10, S. 167).
Die Telefonüberwachung als Massnahme zur Beweiserhebung ist im Verwaltungsrechtspflegegesetz nicht vorgesehen, und sie hätte jedenfalls nicht angeordnet werden können, bloss um zu ermitteln, ob der Beschwerdeführer während der Dauer des Führerausweisentzugs ein Motorfahrzeug führte. Sein Telefongespräch vom 19. November 1999 hätte somit im Verwaltungsverfahren nicht auf zulässigem Weg aufgezeichnet werden können. Folglich ist zwischen dem Interesse des Beschwerdeführers an einem ordnungsgemässen Verfahren und dem öffentlichen Interesse an der Wahrheitsfindung abzuwägen. Es stellt sich die Frage, ob und wie sich die vom Beschwerdeführer genannten strafprozessualen Normen auf diese Interessenabwägung auswirken.
cc) Der Beschwerdeführer bestreitet, dass die Protokolle des abgehörten Telefongesprächs sowie der polizeilichen Einvernahmen verwertbar seien. Das Protokoll des Telefongesprächs sei als Zufallsfund deshalb als Beweismittel unzulässig, weil die zur Diskussion stehende Widerhandlung gegen das SVG (Fahren ohne Führerausweis) geringfügig sei. Die in Art. 196 i.V.m. Art. 192 StPO genannten Voraussetzungen für die Verwertbarkeit von Zufallsfunden aus einer Telefonüberwachung seien daher nicht erfüllt. Entsprechend seien auch die Aussagen des Beschwerdeführers in den polizeilichen Einvernahmen vom 14. Dezember 1999 und vom 2. Dezember 2000 nicht verwertbar, weil sie lediglich gestützt auf die unzulässigerweise verwertete Telefonabhörung zustande gekommen seien.
Der Regierungsrat hält dagegen, dass kein absolutes Verwertungsverbot für Zufallsfunde bestehe. Zudem stütze sich die Beweisführung in erster Linie
auf die Aussagen des Beschwerdeführers in den polizeilichen Einvernahmen und nicht auf das Abhörprotokoll.
dd) Der Beschwerdeführer macht grundsätzlich zu Recht geltend, dass das Ergebnis der Telefonüberwachung vom 19. November 1999 nach strafprozessualen Gesichtspunkten im (inzwischen eingestellten) Strafverfahren wohl nicht hätte verwertet werden können: Beweismittel, die durch Eingriffe in Freiheitsrechte gewonnen wurden, sind im Strafprozess tendenziell nur verwertbar, wenn der prozessuale Eingriff sowohl im Zeitpunkt des Eingriffs wie auch der prozessualen Verwertung zulässig war (Niklaus Schmid, Strafprozessrecht, 4. A., Zürich/Basel/Genf 2004, S. 22). Zum Zeitpunkt der Telefonüberwachung waren die vom Beschwerdeführer genannten Art. 192 ff. StPO materiell noch in Kraft. Gemäss Art. 196 StPO dürfen Zufallsfunde, die auf die Begehung einer anderen Straftat hindeuten, nur dann verwertet werden, wenn auch bezüglich dieser Tat die Voraussetzungen der Überwachung gegeben sind. Diese Voraussetzungen wären jedoch nicht erfüllt gewesen, denn Art. 192 Abs. 1 lit. a StPO gestattete die Telefonüberwachung nur, wenn ein Verbrechen, ein Vergehen ein mit Hilfe des Telefons begangene Straftat verfolgt wurde, und Fahren trotz Führerausweisentzugs war in der damals geltenden Fassung von aArt. 95 Ziff. 2 SVG lediglich als Übertretung ausgestaltet. Der Beschwerdeführer geht aber fehl, soweit er daraus sinngemäss ableitet, das Ergebnis der Telefonüberwachung sei wegen seiner Unverwertbarkeit im Strafverfahren vorbehaltlos auch im Administrativverfahren nicht verwertbar. Denn die Administrativbehörde ist unter anderem deshalb an die Sachverhaltsermittlung des Strafrichters gebunden, weil diese aufgrund der verstärkten Mitwirkungsrechte und der prozessualen Befugnisse des Beschuldigten - die materielle Wahrheit eher zu ergründen vermag (BGE 119 Ib 161 f. E. 2c bb). Ein Beweisverwertungsverbot dient aber gerade nicht der Feststellung der materiellen Wahrheit, sondern beschränkt sie im Gegenteil zu Gunsten eines entgegenstehenden, als gewichtiger betrachteten Interesses. Nach dem Sinn der bundesgerichtlichen Praxis besteht folglich für die Verwaltungsbehörde wenn sie nicht an die Sachverhaltsfeststellung eines rechtskräftigen materiellen Straferkenntnisses gebunden ist gerade im Interesse der Wahrheitsfindung kein Grund, für die Verwertbarkeit von Zufallsfunden auf eine autonome Interessenabwägung zu verzichten. Ebensowenig besteht in der vorliegenden Situation die Gefahr, dass die Sachverhaltsfeststellungen des Entzugsund des Strafverfahrens auseinanderfallen könnten, nachdem das Strafverfahren eingestellt worden ist.
ee) Sodann ist zu prüfen, ob sich die Regeln über die Verwertbarkeit von Zufallsfunden des am 1. Januar 2002 in Kraft getreten Bundesgesetzes betreffend die Überwachung des Postund Fernmeldeverkehrs vom 6. Oktober 2000 (BÜPF, SR 780.1) für eine analoge Anwendung eignen; diese Regeln
haben die Art. 192 ff. StPO materiell aufgehoben, soweit sie die Telefonüberwachung betreffen (vgl. Hauser/Schweri/Hartmann, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. A., Basel/Genf/München 2005, § 71 N. 12, S. 360; Niklaus Oberholzer, Grundzüge des Strafprozessrechts, 2. A., Bern 2005,
N. 1267, S. 544). Nach Art. 9 Abs. 1 BÜPF sind Zufallsfunde aus einer Telefonüberwachung verwertbar, wenn die durch die Überwachung bekannt gewordenen strafbaren Handlungen zusätzlich zur vermuteten Straftat begangen werden (lit. a) wenn die bekannt gewordenen strafbaren Handlungen
selbst die Voraussetzungen für eine Überwachung erfüllen (lit. b). Im Fall von
Art. 9 Abs. 1 lit. a BÜPF können Zufallsfunde selbst dann verwertet werden, wenn diese zusätzlichen strafbaren Handlungen bloss Übertretungen sind (Thomas Hansjakob, Kommentar zum Bundesgesetz und zur Verordnung über die Überwachung des Postund Fernmeldeverkehrs, St. Gallen 2002, Art. 9 N. 11, S. 205 f.; Niklaus Schmid, Verwertung von Zufallsfunden sowie Verwertungsverbote nach dem neuen Bundesgesetz über die Überwachung des Postund Fernmeldeverkehrs [BÜPF], ZStrR 2002, S. 290).
Weil wegen Verdachts einer Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz nach dem BÜPF keine Telefonüberwachung angeordnet werden kann (vgl. die in Art. 3 Abs. 2 und 3 BÜPF abschliessend aufgeführten Katalogtaten), wäre das Ergebnis der Telefonüberwachung unter dem Geltungsbereich des BÜPF lediglich aufgrund Art. 9 Abs. 1 lit. a BÜPF in einem Strafverfahren verwertbar, also nur, wenn die vermutete Straftat (sogenannte Verdachtstat), welche die Telefonkontrolle auslöste, tatsächlich begangen worden ist.
Ob der Beschwerdeführer die Verdachtstat tatsächlich begangen hat was noch nicht rechtskräftig entschieden worden ist -, braucht hier nicht näher geprüft zu werden, denn das Obergericht ist der Ansicht, dass sich Art. 9 Abs. 1 lit. a BÜPF ohnehin nicht für eine analoge Anwendung eignet. Für den Strafprozess mögen Gründe bestehen, dass auch leichte Delikte mitbeurteilt werden können, wenn der Beschuldigte die Verdachtstat begangen hat; für das Verwaltungsverfahren überzeugt die Regelung des BÜPF als Konkretisierung der Interessenabwägung im Administrativverfahren jedoch nicht. Es ist nämlich nicht einzusehen, weshalb auch kleinste strafbare, zufällig ermittelte Regelverstösse ohne weiteres eine verwaltungsrechtliche Sanktion auslösen können sollten, ohne dass das entgegenstehende Interesse des Betroffenen am ordnungsgemässen Verfahrensablauf noch näher beachtet werden müsste. Ferner hält auch die Strafrechtsliteratur diese Norm aus mehreren Gründen für nicht unbedenklich; insbesondere bemängelt sie, dass damit das Gebot, dass Untersuchungshandlungen der Verdachtssteuerung unterliegen sollen, prinzipiell ausser Kraft gesetzt werde (Judith Natterer, Die Verwertbarkeit von Zufallsfunden aus der Telefonüberwachung im Strafverfahren, Diss. Bern
2001, S. 129 f.; Hansjakob, Art. 9 N. 12, S. 206). Soweit diese Bestimmung von der Lehre selbst für das Strafverfahren als zu weitgehend bemängelt wird, sollte sie daher nicht im Verwaltungsverfahren angewandt werden.
ff) Aus diesen Gründen ist es angezeigt, über die Verwertbarkeit von Zufallsfunden im Verwaltungsverfahren autonom und nicht analog nach den dargelegten strafprozessualen Lösungen zu entscheiden. Somit ist abzuwägen zwischen dem öffentlichen Interesse an der Wahrheitsfindung und der Rechtsdurchsetzung einerseits und dem privaten Interesse am ordnungsgemässen Verfahren bzw. der Nichtverwertbarkeit von nicht auf ordentlichem Weg beschaffte bzw. zu beschaffende Beweisen anderseits (vgl. Kölz/Bosshart/Röhl, § 7 N. 53, S. 141).
Das private Interesse des Beschwerdeführers besteht darin, dass sein verfassungsmässig garantiertes Fernmeldegeheimnis (Art. 13 Abs. 1 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 [BV, SR 101]; vgl. auch Art. 8 der europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 [EMRK, SR 0.101]) nicht tangiert werde, bzw. in Verletzung des Fernmeldegeheimnisses erlangte Beweismittel nicht verwertet werden. Weitere Interessen auf Seiten des Beschwerdeführers sind nicht auszumachen geltend gemacht.
Um das öffentliche Interesse der Wahrheitsfindung zu bestimmen, ist der in Frage stehende, zufällig aufgedeckte Regelverstoss nach einhelliger Auffassung des Gerichts grundsätzlich abstrakt zu bewerten, auch wenn die konkreten Umstände nicht vernachlässigt werden sollen; massgebend ist also hauptsächlich die Art und (abstrakte) Schwere des Fehlverhaltens. Nicht zu berücksichtigen sind die konkreten Verschuldensumstände wie etwa die Vorgeschichte der Leumund des Betroffenen.
Der Beschwerdeführer hat am 19. November 1999 trotz Ausweisentzugs ein Fahrzeug geführt. Die Gerichtsmehrheit erachtet dies als schwerwiegendes und nicht zu bagatellisierendes Verhalten. Sowohl ein Sicherungsentzug wie auch ein Warnungsentzug wie der vorliegend missachtete - dient letztlich dem Schutz anderer Verkehrsteilnehmer. Während der Sicherungsentzug unmittelbare Gefährdungen im Strassenverkehr verhindern soll, bezweckt der Warnungsentzug, dass die Einhaltung der Verkehrsregeln durchgesetzt wird, indem der Fehlbare sein gefährliches gefahrenträchtiges Verhalten einsieht und es künftig unterlässt (vgl. René Schaffhauser, Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrsrechts, Bd. III, Bern 1995, N. 2232 f., S. 155 f., und N. 2236, S. 156 f.). Es bedarf keiner besonderen Erwähnung, dass die Verletzung von Verkehrsregeln höchst fatale Folgen haben kann, wie bereits ein Blick in die Statistiken belegt: gemäss dem SINUS-Report 2006 waren im Jahr 2005 auf Schweizer Strassen 409 Tote, 5'059 Schwerverletzte und
21'695 Leichtverletzte zu beklagen (Schweizerische Beratungsstelle für Unfallverhütung, SINUS-Report 2006, Sicherheitsniveau und Unfallgeschehen im Strassenverkehr 2005, Bern 2006, S. 9). Deshalb besteht ein gewichtiges öffentliches Interesse daran, dass die Verletzung der Sanktion, die für die Missachtung eines Warnungsentzugs ausgesprochen wurde, geahndet wird. Es geht nicht etwa bloss darum, die für eine Verkehrsregelverletzung ausgefällte Sanktion um der Rechtsdurchsetzung selbst willen durchzusetzen. Vielmehr sind zum Schutz der Verkehrssicherheit gerade diejenigen Verkehrsteilnehmer zur Einhaltung der Verkehrsregeln nachdrücklich anzuhalten, die sich zuvor nicht nur um die Verkehrsregeln, sondern auch um die staatliche Sanktion bei ihrer Missachtung foutierten. Zu beachten ist ebenfalls, dass der Gesetzgeber den Straftatbestand des Fahrens ohne Führerausweis trotz Entzugs (Art. 95 Ziff. 2 SVG) neu mit einer schärferen Strafandrohung ausgestaltet hat, um ihm mehr Nachachtung zu verschaffen (Amtliches Bulletin, AB 2000, S. 221, und AB 2001, S. 928; Botschaft des Bundesrats zur Änderung des Strassenverkehrsgesetzes vom 31. März 1999, BBl 1999 V 4497). Der revidierte Artikel trat zwar erst am 1. Januar 2005 in Kraft, mithin nachdem der Beschwerdeführer am 19. November 1999 trotz entzogenen Führerausweises ein Motorfahrzeug lenkte; das Obergericht bewertet aber die Handlung des Beschwerdeführers auch für diesen Zeitpunkt als gravierende Verfehlung. Das Interesse an der Wahrheitsfindung und damit an der Verwertbarkeit des Zufallsfunds aus dem abgehörten Telefongespräch vom
19. November 1999 ist somit höher zu werten als dasjenige des Beschwerdeführers, dass der Zufallsfund nicht verwertet werde.
Nach Auffassung der Gerichtsminderheit ist die durch die Telefonüberwachung ermittelte Verfehlung des Beschwerdeführers zwar nicht leicht zu nehmen, hat der Beschwerdeführer doch eine wichtige behördliche Sanktion im Bereich des Strassenverkehrsrechts verletzt. Es handelt sich jedoch nicht um ein schwerwiegendes Delikt. Zum hier massgeblichen Zeitpunkt, da der Beschwerdeführer den Warnungsentzug missachtete, qualifizierte das Gesetz diese Verfehlung denn auch lediglich als Übertretung. Davon ist für die hier vorzunehmende Interessenabwägung grundsätzlich auszugehen. Überdies missachtete der Beschwerdeführer nicht einen Sicherungsentzug, sondern einen Warnungsentzug, was die Verkehrssicherheit bloss mittelbar tangieren konnte. Unter diesen Umständen überwiegt nach Auffassung der Gerichtsminderheit das Interesse an der Einhaltung der prozessualen Formen die öffentlichen Interessen an der Wahrheitsfindung und an der Rechtsdurchsetzung, und der Zufallsfund aus der Telefonüberwachung ist folglich nicht verwertbar.
gg) Aus der Ansicht der Gerichtsmehrheit folgt, dass das Protokoll des abgehörten Telefongesprächs vom 19. November 1999 im vorliegenden Ad-
ministrativverfahren verwertbar ist. Somit sind auch die Ergebnisse der dadurch ausgelösten polizeilichen Einvernahmen vom 14. Dezember 1999 und vom 2. Dezember 2000 als Beweismittel zuzulassen.
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