Zusammenfassung des Urteils Nr. 51/2016/33: Obergericht
Die Geschädigte schildert einen Vorfall, bei dem sie angeblich von dem Angeklagten vergewaltigt wurde. Die Vorinstanz hat den Angeklagten schuldig befunden und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Die Geschädigte leidet an psychischen Problemen und nimmt starke Medikamente ein, was ihre Glaubwürdigkeit beeinflussen könnte. Es gibt Ungereimtheiten in ihren Aussagen bezüglich des Vorfalls, wie z.B. widersprüchliche Angaben zum Widerstand und zur verbalen Ablehnung des Angeklagten. Es bleibt unklar, ob die Geschädigte tatsächlich gegen den Angeklagten Widerstand geleistet hat. Die Beweislage ist nicht eindeutig, und es bestehen Zweifel an der Schuld des Angeklagten.
Kanton: | SH |
Fallnummer: | Nr. 51/2016/33 |
Instanz: | Obergericht |
Abteilung: | - |
Datum: | 19.07.2016 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Legitimation der Staatsanwaltschaft zur Anfechtung von Haftentscheiden - Art. 222 StPO. Kein Beschwerderecht der Staatsanwaltschaft gegen einen Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts, mit welchem die von der Staatsanwaltschaft beantragte Anordnung der Untersuchungshaft nur zeitlich verkürzt bewilligt wurde. |
Schlagwörter : | Staatsanwaltschaft; Entscheid; Zwangsmassnahmengericht; Untersuchungshaft; Beschuldigte; Zwangsmassnahmengerichts; Beschwerdeinstanz; Anordnung; Bundesgericht; Wiederholungs; Flucht; Legitimation; Wiederholungsgefahr; Antrag; Kantons; Beschuldigten; Person; Gesetzeswortlaut; Rechtsprechung; Prozessordnung; Kollusionsgefahr; Ausführungsgefahr; Anfechtung; Beschwerderecht; Schaffhausen; Kantonsgericht |
Rechtsnorm: | Art. 222 StPO ;Art. 226 StPO ;Art. 381 StPO ;Art. 396 StPO ; |
Referenz BGE: | 137 IV 244; 138 IV 96; |
Kommentar: | Donatsch, Hans, Schweizer, Hansjakob, Lieber, Hug, Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], 2014 Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Kein Beschwerderecht der Staatsanwaltschaft gegen einen Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts, mit welchem die von der Staatsanwaltschaft beantragte Anordnung der Untersuchungshaft nur zeitlich verkürzt bewilligt wurde.
OGE 51/2016/33 vom 19. Juli 2016
Veröffentlichung im Amtsbericht
SachverhaltDie Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen führt eine Strafuntersuchung gegen den Beschuldigten wegen Raubs, häuslicher Gewalt etc. Dieser wurde am
14. Juni 2016 vorläufig festgenommen. Am 16. Juni 2016 beantragte die zuständige Staatsanwältin beim Kantonsgericht Schaffhausen (Zwangsmassnahmengericht) die Anordnung von Untersuchungshaft bis 16. September 2016 wegen Flucht-, Kollusions-/Verdunkelungsgefahr und Wiederholungsgefahr. Der Einzelrichter des Kantonsgerichts verfügte am 21. Juni 2016, der Beschuldigte werde bis
31. Juli 2016 in Untersuchungshaft genommen. Die Staatsanwaltschaft beschwerte sich daraufhin beim Obergericht, welches auf die Beschwerde nicht eintrat.
Aus den ErwägungenDie verhaftete Person kann Entscheide über die Anordnung von Untersuchungshaft innert zehn Tagen beim Obergericht als Beschwerdeinstanz anfechten (Art. 222 Satz 1 und Art. 396 Abs. 1 StPO; Art. 43 Abs. 1 des Justizgesetzes vom
9. November 2009 [JG, SHR 173.200]).
[ ]
Beschwerdeberechtigt ist nach dem Gesetzeswortlaut ausschliesslich die verhaftete Person. Die Staatsanwaltschaft andere Verfahrensbeteiligte werden in Art. 222 StPO nicht explizit als beschwerdebefugt genannt.
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung kommt der Staatsanwaltschaft entgegen dem Wortlaut von Art. 222 StPO im öffentlichen Interesse einer funktionierenden Strafjustiz ein Beschwerderecht gegen haftaufhebende Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts zu (Hug/Scheidegger, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], 2. A., Zürich/Basel/Genf 2014, Art 222 N. 7a, S. 1280). Andere Lehrmeinungen haben die Legitimation der Staatsanwaltschaft in Bezug auf
eine Beschwerde gegen Haftentlassungen ebenfalls bejaht (Marc Forster, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, Jugendstrafprozessordnung, Art. 196-457, Art. 222 N. 6, S. 1643; Donatsch/Schwarzenegger/Wohlers, Strafprozessrecht, 2. A., Zürich/Basel/Genf 2014, § 7, S. 198).
In einem neueren Entscheid hat das Bundesgericht einen kantonalen Beschwerdeentscheid gestützt, in welchem die Vorinstanz bei blosser Verkürzung der von der Staatsanwaltschaft beantragten Haftdauer einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bzw. ein aktuelles Rechtsschutzinteresse der Staatsanwaltschaft an der Anfechtung des Entscheids abgelehnt hat (BGer 1B_210/2013 vom 14. Juni 2013; vgl. auch Hug/Scheidegger, Art. 222 N. 9d, S. 1283).
Die Staatsanwaltschaft macht geltend, ihre Legitimation sei nunmehr in Lehre und Rechtsprechung unumstritten. Durch die Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts drohe ein nicht wiedergutzumachender Nachteil. Sobald die Kollusionsgefahr entfalle, was voraussichtlich vor dem 31. Juli 2016 der Fall sein werde, müsse die Staatsanwaltschaft den Beschuldigten entlassen, weil das Zwangsmassnahmengericht im angefochtenen Entscheid sowohl das Vorliegen von Fluchtals auch von Wiederholungsgefahr verneint habe. Dies bedeute für die Staatsanwaltschaft einen konkreten Nachteil, der nicht mehr behoben werden könne, weil der Beschuldigte nach Wegfall der Kollusionsgefahr aus der Untersuchungshaft zu entlassen sei.
Die Staatsanwaltschaft könne zwar vor Ablauf der angeordneten Untersuchungshaft einen Antrag auf Verlängerung der Untersuchungshaft wegen Flucht-, Wiederholungsund Ausführungsgefahr stellen. Dabei sei indessen davon auszugehen, dass das Zwangsmassnahmengericht diesen Antrag ablehnen und den Beschuldigten aus der Haft entlassen werde. Die Staatsanwaltschaft ihrerseits wäre in diesem Fall innert Stunden gezwungen, eine Beschwerde an die Beschwerdeinstanz zu erheben, was wiederum bedeute, dass der Beschuldigte bis zum Entscheid der Beschwerdeinstanz weiterhin in Haft bliebe. Somit würde auch der Beschuldigte, wenn die Beschwerdeinstanz die Beschwerde der Staatsanwaltschaft ablehne, einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil erleiden, welcher vermieden werden könne, wenn die Beschwerdeinstanz aufgrund der vorliegenden Beschwerde sehr zeitnah entscheide, ob zusätzlich zur Kollusionsgefahr auch Fluchtund/oder Wiederholungsgefahr bzw. Ausführungsgefahr bestehe. Die Staatsanwaltschaft sei mithin verpflichtet, gemäss Art. 381 Abs. 1 StPO diese Beschwerde auch im Interesse der beschuldigten Person zu erheben. Anders als im erwähnten Entscheid BGer 1B_210/2013 vom 14. Juni 2013 gehe es hier nicht nur um die zeitliche Befristung der Haft.
Vorliegend geht es nicht um einen haftaufhebenden Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts, sondern um eine zeitliche Kürzung der von der Staatsanwaltschaft beantragten Anordnung der Untersuchungshaft. Mithin bleibt zu prüfen, ob die Beschwerdelegitimation der Staatsanwaltschaft im vorliegenden Fall trotz Gesetzeswortlaut und bisheriger bundesgerichtlicher Praxis gegeben ist.
In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichts erleidet die Staatsanwaltschaft im vorliegenden Fall keinen endgültigen Rechtsnachteil. Wie die Staatsanwaltschaft selber einräumt, kann sie vor Ablauf der angeordneten Untersuchungshaft einen Antrag auf Haftverlängerung beim Zwangsmassnahmengericht stellen. Die vorinstanzliche Begründung für die verkürzt angeordnete Untersuchungshaft, namentlich die Verneinung der Fluchtund Wiederholungsgefahr, erwächst nicht in materielle Rechtskraft. Die Staatsanwaltschaft und auf Antrag derselben das Zwangsmassnahmengericht müssen vielmehr die möglichen Haftgründe vor dem Ablauf der angeordneten Haftdauer aufgrund der dannzumaligen Situation ohne Bindung an den früheren Entscheid neu prüfen, wobei auch neue Aspekte ins Gewicht fallen können bzw. einbezogen werden müssen. Im vorliegenden Fall wird dies insbesondere das erwartete Gutachten zur Frage der Ausführungsgefahr sein. Gründe, weshalb die Staatsanwaltschaft bereits zum jetzigen Zeitpunkt einen endgültigen Rechtsnachteil erleiden soll, sind demnach nicht ersichtlich und werden von der Staatsanwaltschaft auch nicht weiter geltend gemacht. Auch die Anordnung eines Kontaktverbots benötigt keine weitergehenden Abklärungen, womit auch in Bezug auf die Ersatzmassnahme kein nichtwiedergutzumachender Nachteil ersichtlich ist. Konsequenz dieser Rechtssituation ist, dass die Staatsanwaltschaft gegen den neuen Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts allenfalls Beschwerde erheben muss, wenn er auf Haftentlassung lauten würde. Dies wäre nach der erwähnten Praxis des Bundesgerichts möglich und allenfalls auch nötig.
Mithin sind vorliegend keine Gründe ersichtlich, weshalb die vom Bundesgericht entgegen dem Gesetzeswortlaut vorgesehene Legitimation der Staatsanwaltschaft bei haftaufhebenden Fällen für den vorliegenden Fall zusätzlich ausgedehnt werden sollte. Daran ändert auch die von der Staatsanwaltschaft vorgebrachte Begründung, wonach der Beschuldigte bei einem ablehnenden Entscheid des Haftverlängerungsgesuchs allenfalls länger in Haft bleiben müsse, nichts. Diese Situation tritt immer ein, wenn die Staatsanwaltschaft Beschwerde gegen den haftaufhebenden Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts erhebt. Überdies wird die Verlängerung der Haft um wenige Stunden bei einer Beschwerde durch die Staatsanwaltschaft gegen den haftaufhebenden Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts (bis der superprovisorische Entscheid der Beschwerdeinstanz vorliegt) vom
Bundesgericht als mit Art. 226 Abs. 5 StPO vereinbar angesehen (BGE 137 IV 244 E. 2.5; BGE 138 IV 96 E. 3.4).
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
Hier geht es zurück zur Suchmaschine.