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Urteil Obergericht (SH)

Zusammenfassung des Urteils Nr. 51/2016/21: Obergericht

Der Angeklagte wurde der einfachen Körperverletzung und mehrfachen Sachbeschädigung schuldig gesprochen. Er wurde zu 360 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt, wobei 4 Stunden als durch Polizeiverhaft geleistet gelten. Die Probezeiten aus früheren Urteilen wurden um je 1 ½ Jahre verlängert. Der Angeklagte muss Schadenersatz an bestimmte Geschädigte leisten, während andere Schadenersatzforderungen auf den Zivilweg verwiesen wurden. Die Gerichtskosten wurden dem Angeklagten auferlegt, die Kosten der amtlichen Verteidigung wurden auf die Gerichtskasse genommen. Eine bundesrechtliche Beschwerde in Strafsachen kann innerhalb von 30 Tagen beim Bundesgericht eingereicht werden.

Urteilsdetails des Kantongerichts Nr. 51/2016/21

Kanton:SH
Fallnummer:Nr. 51/2016/21
Instanz:Obergericht
Abteilung:-
Obergericht Entscheid Nr. 51/2016/21 vom 21.06.2016 (SH)
Datum:21.06.2016
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort: Art. 55a Abs.1 lit. a Ziff. 1 sowie Art. 123 Ziff. 2 Abs. 1 und 2 StGB. Sistierung des Strafverfahrens bei häuslicher Gewalt
Schlagwörter : Ehemann; Messer; Verfahren; Körperverletzung; Wohnung; Recht; Sistierung; Staatsanwaltschaft; Verfahren; Opfer; Küche; Hämatom; Verfahrens; Behörde; Schaffhausen; Drohung; Täter; Rüstmesser; Spital; Stich; Gesicht; Decke; Körperteil; Einstellung; Entscheid; Verfahrens
Rechtsnorm:Art. 122 StGB ;Art. 55a StGB ;
Referenz BGE:-
Kommentar:
-

Entscheid des Kantongerichts Nr. 51/2016/21

Sistierung des Strafverfahrens bei häuslicher Gewalt - Art. 55a Abs.1 lit. a Ziff. 1 sowie Art. 123 Ziff. 2 Abs. 1 und 2 StGB.

Kann eine qualifizierte einfache Körperverletzung durch Gebrauch eines gefährlichen Gegenstands nicht ausgeschlossen werden, kann das Verfahren nicht nach Art. 55a StGB sistiert werden. Der zuständigen Behörde kommt überdies auch bei Vorliegen eines unbeeinflussten positiven Entscheids des Opfers ein Ermessensspielraum zu.

OGE 51/2016/21 vom 21. Juni 2016

Veröffentlichung im Amtsbericht

Sachverhalt

Am 23. Februar 2016 erstattete A. Strafanzeige gegen ihren Ehemann B., nachdem dieser sie am 20., 21. und am 22. Februar 2016 in der gemeinsamen Wohnung mehrfach geschlagen, bedroht, genötigt und beschimpft haben soll. Im Weiteren soll er sie mit einem Messer angegriffen und verletzt haben. Am 31. März 2016 ersuchte der Rechtsvertreter von A. die Staatsanwaltschaft mit Verweis auf Art. 55a Abs. 1 StGB, das Strafverfahren vorläufig einzustellen. Mit Verfügung vom

4. April 2016 verweigerte die Staatsanwaltschaft die Sistierung des Strafverfahrens gegen B. Hiergegen beschwerte sich A. beim Obergericht des Kantons Schaffhausen, welches die Beschwerde abwies.

Aus den Erwägungen
    1. Gemäss Art. 55a Abs. 1 lit. a Ziff. 1 StGB können die Staatsanwaltschaft und die Gerichte bei einfacher Körperverletzung (Art. 123 Ziff. 2 Abs. 3-5), wiederholten Tätlichkeiten (Art. 126 Abs. 2 lit. b, bbis und c), Drohung (Art. 180 Abs. 2) und Nötigung (Art. 181) das Verfahren sistieren, wenn das Opfer der Ehegatte des Täters ist und die Tat während der Ehe innerhalb eines Jahres nach deren Scheidung begangen wurde.

      Von Art. 55a Abs. 1 StGB nicht erfasst ist die qualifizierte einfache Körperverletzung gemäss Art. 123 Ziff. 2 Abs. 1 und 2 StGB, wonach die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren Geldstrafe ist und der Täter von Amtes wegen verfolgt wird, wenn er Gift, eine Waffe einen gefährlichen Gegenstand gebraucht. Gegenstände sind gefährlich im Sinn von Art. 123 Ziff. 2 Abs. 2 StGB, wenn sie so verwendet werden, dass ein hohes Risiko der Tötung schweren Körperverletzung gemäss Art. 122 StGB besteht; denn erst diese Gefahr rechtfertigt die Verfolgung von Amtes wegen (Roth/Berkemeier, in: Niggli/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler

      Kommentar, Strafrecht II, 3. A., Basel 2013, Art. 123 N. 19, S. 182; BGer

      6B_721/2009 vom 18. Februar 2010 E. 2.2 mit Hinweisen).

    2. Der Ehemann der Beschwerdeführerin soll zwischen Oktober 2015 und November 2015 in der gemeinsamen Wohnung ein kleines Rüstmesser ohne Zacken mit schwarzem Griff geholt haben, welches er in der Küche auf den Tisch gelegt habe. Er habe der Beschwerdeführerin gedroht, sie müsse ihm alles erzählen, sonst würde er sie erstechen. Er habe dann das Messer gegen sie geworfen, ohne wirklich zu zielen. Das Messer habe die Beschwerdeführerin am rechten Unterarm getroffen. Sie habe eine stark blutende Schnittwunde erlitten, die im Spital mit einem Stich habe genäht werden müssen.

      Im Dezember 2015 soll der Ehemann der Beschwerdeführerin dieser im Kosovo mit einer Faust mehrmals ins Gesicht und auf die Ohren geschlagen haben, auch als sie bereits auf dem Boden gelegen habe. Verwandte hätten die Beschwerdeführerin dann ins Spital gebracht. Sie habe aus den Ohren geblutet, und ihr rechtes Auge sei tagelang zugeschwollen gewesen. Auch ihre rechte Stirnhälfte sei geschwollen gewesen, so dass ein Spitalaufenthalt unumgänglich gewesen sei.

      Am 20. Februar 2016 sei die Beschwerdeführerin wegen der Streitereien in der gemeinsamen Wohnung in der Küche vor dem Lavabo zu Boden gesunken. Ihr Ehemann habe rechts neben ihr gestanden und habe aus der Schublade ein Rüstmesser mit schwarzem Griff und gerader Klinge, Totallänge ca. 15 cm, genommen. Er habe sich zu ihr hinuntergebückt und ihr durch eine Überwurfdecke, die sie über sich gehabt habe, ins Bein gestochen. Er habe dann das Messer sogleich wieder herausgezogen. Er habe gesagt, dass er dies nicht absichtlich gemacht habe. Er habe aber ergänzt, dass er ihr dies das nächste Mal am Hals machen würde.

      Ihr Ehemann habe die Beschwerdeführerin sodann am 21. Februar 2016 in der gemeinsamen Wohnung in der Küche mehrmals als Schlampe beschimpft. Er habe ihr dann das karierte Hemd, das sie trug, an den Knöpfen aufgerissen. Danach soll er nicht mehr zugelassen haben, dass sie sich wieder ankleide, und sie in Hose und BH fotografiert haben. Er habe erklärt, er werde die Aufnahmen ins Internet stellen. Die Beschwerdeführerin habe daraufhin die Tante ihres Ehemanns gebeten, diesen abzuholen. Ihr Ehemann sei deswegen total ausgerastet, habe sie an den Oberarmen gepackt und sie festgehalten. Er habe ihr dann mit der flachen Hand und mit der Faust auf den Kopf geschlagen. Er habe sodann gedroht, erneut das Messer zu holen, und die Schublade in der Küche geöffnet. Weil die Beschwerdeführerin drei Messer in die Hand genommen habe, habe ihr Ehemann von weiteren Handlungen abgelassen.

      Am 22. Februar 2016 soll die Beschwerdeführerin auf dem Rücken im Bett im Schlafzimmer der gemeinsamen Wohnung gelegen haben. Ihr Ehemann sei auf ihr

      gekniet und habe ihr ins Gesicht geschlagen. Plötzlich sei Blut aus ihrem Mund an die Wand und an den Vorhang gespritzt. Sie habe sich kurzzeitig aus seiner Halterung lösen und das Bett verlassen können, ihr Ehemann habe sie aber immer wieder an den Armen zurückgezogen. Als er dann wieder auf ihr gesessen habe, habe er sie mit beiden Händen gewürgt, bis ihr schwarz vor Augen geworden sei.

      Gemäss dem Bericht der Spitäler Schaffhausen vom 22. Februar 2016 wurde bei der Beschwerdeführerin gleichentags Folgendes diagnostiziert: 1. Contusio capitis mit zahlreichen unterschiedlich alten Prellmarken im Gesicht und einem Hämatom extrakranial frontal; 2. Hämatome linke Halsseite; 3. Hämatom linke Brust; 4. Hämatom Oberarm links; 5. Abriss Proc. styloideus ulnae links; 6. kleine Rissquetschwunde/Stichwunde oberhalb der Kniekehle links. Gemäss dem Bericht der Spitäler Schaffhausen vom 11. März 2016 bestand jedoch zu keinem Zeitpunkt für die Beschwerdeführerin unmittelbare Lebensgefahr.

    3. Vorliegend soll der Ehemann der Beschwerdeführerin gegen diese zweimal ein rund 15 cm langes Rüstmesser (mit einer Klinge von rund 7 cm) eingesetzt und sie einmal am Arm und einmal am Bein verletzt haben. Das verwendete Messer ist geeignet, tiefe Stichverletzungen zu verursachen. Der Einsatz eines solchen Messers bei einer tätlichen Auseinandersetzung birgt gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ein hohes Risiko einer Tötung schweren Körperverletzung in sich, da wichtige Organe Körperteile betroffen sein können (vgl. BGer 6B_721/2009 vom 18. Februar 2010 E. 2.3). Zwar wurde die Beschwerdeführerin bei beiden Vorfällen nicht schwer verletzt. Beim ersten Vorfall soll deren Ehemann das Messer aber gegen sie geworfen haben, ohne wirklich zu zielen. Er hätte somit auch andere Körperteile als den Arm, zum Beispiel den Kopf gar ein Auge, treffen können. Beim zweiten Vorfall soll der Ehemann der Beschwerdeführerin sie durch eine Decke hindurch gestochen haben. Er hätte somit irgendein sich unter der Decke befindliches Körperteil der Beschwerdeführerin, mithin auch eine Hauptschlagader, treffen können, konnte er doch wegen der Decke die Position allfällige Bewegungen der Beschwerdeführerin nicht genau erkennen.

      Unter diesen Umständen kann bei beiden Vorfällen eine von Art. 55a Abs. 1 StGB nicht erfasste qualifizierte einfache Körperverletzung durch Gebrauch eines gefährlichen Gegenstands (Art. 123 Ziff. 2 Abs. 1 und 2 StGB) jedenfalls nicht ausgeschlossen werden. Demzufolge kann die Beschwerdeführerin diesbezüglich die Einstellung nach Art. 55a StGB von vornherein nicht verlangen.

    4. Im Übrigen enthält Art. 55a StGB eine Kann-Formulierung. Der zuständigen Behörde kommt daher auch bei Vorliegen eines unbeeinflussten positiven Entscheids des Opfers ein Ermessensspielraum zu. Damit soll vermieden werden, dass der Entscheid betreffend Sistierung des Verfahrens allein auf dem Opfer las-

      tet. Die Behörde hat im Einzelfall die auf dem Spiel stehenden privaten und öffentlichen Interessen gegeneinander abzuwägen (Riedo/Allemann, in: Niggli/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar, Strafrecht I, 3. A., Basel 2013, Art. 55a N. 129 und

      N. 132 f., S. 1150 mit Hinweisen).

      Gemäss dem im Recht liegenden psychiatrischen Gutachten vom 25. März 2016,

      S. 40 f., ist aktuell und auch in den nächsten Monaten die Wahrscheinlichkeit vom Ehemann der Beschwerdeführerin neuerlich begangener Gewaltanwendungen und Drohungen gegenüber seiner Ehefrau als hoch einzustufen. Die Ausführungsgefahr von Drohungen gegenüber der Ehefrau ist als mittelgradig bis leicht hoch einzustufen. Das Verfahren gegen den Ehemann der Beschwerdeführerin kann daher nicht allein aufgrund deren im Verfahren geäusserten Wunsch sistiert werden. Das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung des Täters überwiegt klar das private Interesse der Beschwerdeführerin an der Einstellung des Verfahrens. Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin vorerst nicht in die gemeinsame Wohnung zurückkehren, sondern bei ihrem Eltern wohnen will, ändert hieran nichts; denn es ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann wieder zusammen kommen wollen. In den im Recht liegenden Akten finden sich jedenfalls keine Anhaltspunkte, die darauf hindeuten, dass die Eheleute die Ehe auflösen wollen.

      Eine nur teilweise, auf die Vorfälle ohne Messer beschränkte Einstellung des Verfahrens ist ebenfalls nicht angebracht, liesse sich doch dadurch das Ziel von Art. 55a StGB, nämlich die Situation der Beschwerdeführerin zu erleichtern, nicht erreichen (vgl. Riedo/Allemann, Art. 55a N. 140, S. 1151).

    5. Nach dem Gesagten hat die Staatsanwaltschaft zu Recht die Sistierung des Strafverfahrens gegen den Ehemann der Beschwerdeführerin verweigert. Die Beschwerde erweist sich als unbegründet; sie ist abzuweisen.

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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