Zusammenfassung des Urteils Nr. 51/1999/31: Obergericht
In dem vorliegenden Fall ging es um einen Beschuldigten, der fälschlicherweise einen Ausweis eines anderen nutzte, um eine Zugfahrt ohne gültiges Ticket zu machen. Er wurde des Erschleichens einer Leistung schuldig gesprochen, jedoch vom Vorwurf der Fälschung von Ausweisen freigesprochen. Das Gericht entschied, dass der Beschuldigte nicht in der Absicht handelte, sich das Fortkommen zu erleichtern, und sprach ihn daher frei. Die Kosten des Berufungsverfahrens wurden auf die Gerichtskasse genommen, und dem Beschuldigten wurde eine Entschädigung für die Verteidigung im erstinstanzlichen Verfahren und im Berufungsverfahren zugesprochen.
Kanton: | SH |
Fallnummer: | Nr. 51/1999/31 |
Instanz: | Obergericht |
Abteilung: | - |
Datum: | 09.06.2000 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Art. 352 Abs. 3 StPO. Kostenübernahme durch den Staat im Privatstrafklageverfahren |
Schlagwörter : | Verfahren; Prozess; Verfahrens; Staat; Privatstrafklageverfahren; Prozessordnung; Kanton; Verfahrens; Verfahrenskosten; Entscheid; Staatskasse; Parteien; Privatstrafklageverfahrens; Einstellung; Obergericht; Privatstrafkläger; Interesse; Erhebung; Vorinstanz; Schaffhausen; Kostenregelung; Möglichkeit; Verweisung; Praxis; Schaffhauser; Kostentragung; Kantons |
Rechtsnorm: | Art. 295 StPO ;Art. 296 StPO ;Art. 352 StPO ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | - |
Wenn im Anfangsstadium eines Privatstrafklageverfahrens eine einvernehmliche Lösung mit Klagerückzug gefunden wird, kann auf die Erhebung von Kosten für die Einstellung des Verfahrens verzichtet werden.
Aus den Erwägungen:
4.a) Die beiden dieser Beschwerde zugrunde liegenden Privatstrafklageverfahren wurden von der Vorinstanz zufolge Rückzugs der Strafanträge eingestellt. Dies führt grundsätzlich dazu, dass die Verfahrenskosten den Privatstrafklägerinnen aufzuerlegen sind (Art. 352 Abs. 2 der Strafprozessordnung für den Kanton Schaffhausen vom 15. Dezember 1986 [StPO, SHR 320.100]). Eine andere Verteilung der Kosten gemäss dieser Bestimmung steht nicht in Frage, weil diese sich mit einer allfälligen Auferlegung der Kosten an den Angeklagten befasst. Hingegen wird von der Vorinstanz und der Beschwerdegegnerin 3 geltend gemacht, es liege ein Anwendungsfall von Art. 352 Abs. 3 StPO vor, und die Verfahrenskosten seien daher auf die Staatskasse zu nehmen.
Im angefochtenen Entscheid wird die Anwendung von Art. 352 Abs. 3 StPO nicht begründet. Im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens wird von der Vorinstanz ausgeführt, dass in Bezug auf die Kostenregelung dem Antrag der Verteidigung stattgegeben und die Kosten auf die Staatskasse genommen worden seien, weil eine Kostenfolge für die Privatstrafklägerinnen die Situation höchstwahrscheinlich erneut angeheizt hätte. Ziel der Verhandlung vom 16. November 1999 sei die Befriedung der Situation gewesen mit der Folge, dass eine künftige Beanspruchung der Behörden mit weiteren Kostenfolgen für den Staat vermieden werden könne. ...
Art. 352 Abs. 3 StPO konkretisiert nicht weiter, in welchen Ausnahmefällen die Verfahrenskosten des Privatstrafklageverfahrens auf die Staatskasse genommen werden können. Das Obergericht hatte sich, soweit ersichtlich, bisher in zwei Fällen mit der Frage zu befassen, wann ein Anwendungsfall von Art. 352 Abs. 3 StPO vorliegt. In einem Entscheid aus dem Jahre 1991 hat es die Kosten des erstinstanzlichen Privatstrafklageverfahrens auf die Staatskasse genommen und jene des Berufungsverfahrens dem Appellan-
ten und Privatstrafkläger auferlegt mit der Begründung, an der Einstellung des Verfahrens zufolge Eintritts der absoluten Strafverfolgungsverjährung trage der vorinstanzliche Richter im erstinstanzlichen und der Appellant im Berufungsverfahren die Verantwortung (OGE vom 25. Januar 1991 i.S. W., E. 7,
21 ff.). Ein Jahr später erwog es in einem Entscheid, vom Unterliegerprinzip könne nur in Ausnahmefällen abgewichen werden. Anlass dazu möge etwa sein, dass die zuständigen Gerichtsbehörden den Grund für die Einstellung des Verfahrens wesentlich mitverursacht (z.B. bei einer Einstellung zufolge Verjährung) das Verfahren unnötig ausgedehnt hätten (OGE vom 10. Juli 1992 i.S. M., E. 2b, S. 8).
Mit der Möglichkeit, auch andere als Ehrverletzungsdelikte in das Privatstrafklageverfahren zu verweisen, hat der Gesetzgeber mit der am
September 1988 in Kraft getretenen Totalrevision der Strafprozessordnung sein Interesse an der Verfolgung gewisser Tatbestände aufgegeben. Voraussetzung für die Verweisung ist ein Fehlen eines öffentlichen Interesses an Abklärung und Beurteilung einer Tat und eine mutmassliche Obergrenze der zu erwartenden Strafe von 3 Monaten Gefängnis (Art. 295 Abs. 2 StPO). Die Praxis zu Art. 295 Abs. 2 StPO hat bisher gezeigt, dass vor allem Nachbarschaftsstreitigkeiten und solche innerhalb der Familie in das Privatstrafklageverfahren verwiesen werden. Die Verweisung erfordert die Zustimmung der Anklagebehörde (Art. 296 StPO). Weil bei diesen Antragsdelikten das private Interesse des Verletzten im Vordergrund steht, das sich in Wiedergutmachung des Schadens äussert, soll ein in erster Linie auf Ausgleich zwischen den Parteien ausgerichtetes Verfahren stattfinden (Robert Hauser, Die Schaffhauser Strafprozessordnung vom 15. Dezember 1986, ZStrR 107, 1990, S. 234). Das Privatstrafklageverfahren trägt denn auch Züge eines Schlichtungsverfahrens zwischen Täter und Opfer mit der Folge, dass hinsichtlich Verfahrenskosten grundsätzlich der Privatstrafkläger an die Stelle des Staates tritt und an dessen Stelle das Kostenrisiko bei Verfahrenseinstellung Freispruch zu tragen hat, sofern die Kostentragung im Rahmen eines allfälligen Vergleichs nicht anders geregelt werden kann. Damit kann gesagt werden, dass eine Kostentragung des Staates im Privatstrafklageverfahren grundsätzlich nur dann in Frage kommen kann, wenn durch staatliches Handeln Unterlassen Kosten entstanden sind (vgl. auch die eben erwähnte Praxis des Obergerichts und Hauser/Schweri, Schweizerisches Strafprozessrecht, 4. A., Basel/Genf/ München 1999, § 88 N. 24, S. 381, mit explizitem Hinweis auf die Schaffhauser Strafprozessordnung). Soweit entspricht diese Regelung auch der Praxis in anderen Kantonen (Donatsch/Schmid, Kommentar zur Strafprozessordnung des Kantons Zürich, 3. Lieferung, Zürich 1999, § 293 N. 1 und 14, sowie Irma Baumann, Der gewöhnliche Ehrverletzungsprozess gemäss Strafprozess-
ordnung des Kantons Zürich, Zürich 1988, S. 249, Benno Weber, Das Privatstrafverfahren nach aargauischem Recht, Diss. Zürich 1987, S. 161 ff., Niklaus Schmid, Strafprozessrecht, 3. A., Zürich 1997, N. 875, S. 274; vgl. auch
§ 202 f. der Strafprozessordnung [für den Kanton Basel-Stadt] vom 15. Oktober 1931 und § 198 des Gesetzes betreffend die Strafprozessordnung [des Kantons Basel-Land] vom 30. Oktober 1942).
Ob Art. 352 Abs. 3 StPO aber darüber hinaus die Möglichkeit eröffnet, die Verfahrenskosten auch dann auf die Staatskasse zu nehmen, wenn solche Kosten nicht durch staatliches Handeln Unterlassen, sondern allein durch Parteihandlungen entstanden sind, hatte das Obergericht bisher nicht zu entscheiden.
Im Gegensatz zu den eben zitierten Rechtsordnungen enthält die Schaffhauser Strafprozessordnung in Art. 352 Abs. 3 StPO eine explizite Bestimmung, wonach die Verfahrenskosten ausnahmsweise vom Staat getragen werden können, und Abs. 1 der genannten Bestimmung legt fest, dass die Kosten des Privatstrafklageverfahrens in der Regel von den Parteien zu tragen sind. Anders als im Zivilprozess (Art. 256 Abs. 3 der Zivilprozessordnung für den Kanton Schaffhausen vom 3. September 1951 [ZPO, SHR 273.100]) besteht im Strafprozess eine Beschränkung der Kostentragung durch den Staat für den Fall von dessen Verantwortung für entstandene Kosten demnach nicht. In Betracht zu ziehen ist auch, dass es grundsätzlich als zulässig erachtet wird, im Rahmen einer Vergleichsoder Vermittlungslösung auf die Erhebung von Verfahrenskosten zu verzichten, dies jedenfalls solange, als dem Gericht noch kein grosser Aufwand, beispielsweise durch ein Beweisverfahren, entstanden ist. Im Unterschied etwa zur Regelung im Kanton Zürich gehen die Möglichkeiten zur Verweisung eines Strafverfahrens ins Privatstrafklageverfahren im Kanton Schaffhausen auch bedeutend weiter mit der Folge, dass der Geschädigte bei der Beurteilung von sogenannten Bagatelldelikten in weitgehendem Masse auf sich allein gestellt ist. Wenn in solchen Fällen durch die Vermittlung des Einzelrichters bereits im Anfangsstadium eines Verfahrens eine einvernehmliche Lösung gefunden werden kann und im Gegenzug auf die Erhebung von Staatsgebühren verzichtet wird, erscheint das durchaus sinnvoll und auch im öffentlichen Interesse stehend. Zu entscheiden ist jedoch immer anhand des konkreten Einzelfalles und dessen Umständen.
Vorliegend konnten zwei Privatstrafklageverfahren durch Klagerückzug erledigt werden, nachdem der Einzelrichter den Parteien die Prozessaussichten und eine spezielle Kostenregelung in Aussicht gestellt hatte. Den Notizen ist zu entnehmen, dass die Parteien nach Ermahnung durch den Einzel-
richter, Konfrontationen künftig zu vermeiden und sich, soweit möglich, aus dem Weg zu gehen, mit der Erledigung der Verfahren ohne materiellen Entscheid einverstanden waren. Damit aber kann gesagt werden, dass eine Befriedung der Parteien in einem frühen Verfahrensstadium erreicht werden konnte, was nach dem oben Gesagten eine Kostenregelung nach Art. 352 Abs. 3 StPO zu rechtfertigen vermag.
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