Zusammenfassung des Urteils Nr. 50/2017/23: Obergericht
Eine Beschuldigte wurde wegen Mordes und weiterer Delikte verurteilt, nachdem sie ihrem Vater mit einem Steakmesser 49 Stichverletzungen zugefügt hatte. Das Obergericht wies die Berufung gegen das Urteil ab. Die Beschuldigte versuchte, sich auf Notwehr und Notwehrhilfe zu berufen, jedoch wurde festgestellt, dass ihr Handeln besonders skrupellos war und sie somit des Mordes schuldig war. Der Richter entschied, dass die Beschuldigte den Tod ihres Vaters vorsätzlich herbeigeführt hatte und keine Entschuldigung für ihre Tat vorlag. Der Betrag der Gerichtskosten betrug CHF 0.
Kanton: | SH |
Fallnummer: | Nr. 50/2017/23 |
Instanz: | Obergericht |
Abteilung: | - |
Datum: | 27.06.2018 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Mord, Totschlag; Notwehr, Notwehrhilfe; Rückzug der Straf- und Zivilklage - Art. 15, Art. 16, Art. 112 und Art. 113 StGB; Art. 404 StPO. Der Rückzug der Straf- und Zivilklage im Berufungsverfahren wirkt sich nicht auf die der Beschuldigten zur Last gelegten Straftatbestände der Nötigung und der Tätlichkeiten aus, welche sie gegenüber der Privatklägerin verübt hatte (E. 2.1-2.4.2). Der Mord unterscheidet sich von der vorsätzlichen Tötung dadurch, dass der Täter besonders skrupellos gehandelt hat. Für die Qualifikation verweist das Gesetz in nicht abschliessender Aufzählung auf äussere (Ausführung) und innere Merkmale (Beweggrund, Zweck). Es ist eine Gesamtwürdigung aller Tatumstände vorzunehmen. Vorliegend ist das Element der besonders verwerflichen Tatausführung gegeben (E. 6.1.1-6.2.4.1). Prüfung der Rechtfertigungsgründe der Notwehr und der Notwehrhilfe (E. 6.3.1.1-6.3.3.3). Der Tatbestand des Totschlags setzt voraus, dass die heftige Gemütsbewegung entschuldbar ist. Dies ist ausgeschlossen, wenn der Täter besonders skrupellos handelte (E. 6.4.1-6.4.3). |
Schlagwörter : | Beschuldigte; Notwehr; Täter; Vater; Angriff; Recht; Beschuldigten; Tatbestand; Recht; Abwehr; Nötigung; Notwehrhilfe; Totschlags; Gemütsbewegung; Mordes; Berufung; Umstände; Angegriffene; Zivilklage; Tötung; Tatausführung; Gewalt; Kantonsgericht; Obergericht; Hinweis |
Rechtsnorm: | Art. 111 StGB ;Art. 112 StGB ;Art. 113 StGB ;Art. 15 StGB ;Art. 16 StGB ;Art. 404 StPO ; |
Referenz BGE: | 102 IV 228; 136 IV 49; 141 IV 465; 141 IV 61; 73 IV 164; |
Kommentar: | - |
Der Rückzug der Strafund Zivilklage im Berufungsverfahren wirkt sich nicht auf die der Beschuldigten zur Last gelegten Straftatbestände der Nötigung und der Tätlichkeiten aus, welche sie gegenüber der Privatklägerin verübt hatte (E. 2.1- 2.4.2).
Der Mord unterscheidet sich von der vorsätzlichen Tötung dadurch, dass der Täter besonders skrupellos gehandelt hat. Für die Qualifikation verweist das Gesetz in nicht abschliessender Aufzählung auf äussere (Ausführung) und innere Merkmale (Beweggrund, Zweck). Es ist eine Gesamtwürdigung aller Tatumstände vorzunehmen. Vorliegend ist das Element der besonders verwerflichen Tatausführung gegeben (E. 6.1.1-6.2.4.1).
Prüfung der Rechtfertigungsgründe der Notwehr und der Notwehrhilfe (E. 6.3.1.1- 6.3.3.3).
Der Tatbestand des Totschlags setzt voraus, dass die heftige Gemütsbewegung entschuldbar ist. Dies ist ausgeschlossen, wenn der Täter besonders skrupellos handelte (E. 6.4.1-6.4.3).
OGE 50/2017/23 vom 27. Juni 2018
(Eine Beschwerde in Strafsachen gegen diesen Entscheid wies das Bundesgericht mit Urteil 6B_1217/2018 vom 7. Juni 2019 ab.)
Keine Veröffentlichung im Amtsbericht
SachverhaltDer Beschuldigten wurde unter anderem vorgeworfen, ihrem Vater B. von hinten mit einem Steakmesser mit ganz erheblicher Gewalt 49 Stich-/Schnittverletzungen im Nacken-, Halsund Schulterbereich, darunter die todesursächlichen Stiche in die beiden Halsschlagadern, zugefügt zu haben. Das Kantonsgericht verurteilte sie wegen Mordes und weiterer Delikte. Die Zivilklage von A. (Ehefrau von B. und Mutter der Beschuldigten) hiess es im Umfang von Fr. 50'000.- Genugtuung zuzüglich Zins und Fr. 3'243.80 Schadenersatz gut. Die Beschuldigte erhob Berufung ans Obergericht und beantragte, sie sei (unter anderem) vom Vorwurf des Mordes freizusprechen. Das Obergericht wies die Berufung insoweit ab und hielt an diesem Schuldspruch fest.
Aus den ErwägungenDas Berufungsgericht überprüft das erstinstanzliche Urteil grundsätzlich nur in den angefochtenen Punkten (Art. 404 StPO).
Die Beschuldigte modifizierte an der Berufungsverhandlung die mit der Berufungserklärung gestellten Anträge. Sie verlangte, sie sei vom Vorwurf des Mordes, der einfachen Körperverletzung, der mehrfachen Widerhandlung gegen das Waffengesetz sowie neu infolge Rückzugs der Strafund Zivilklage von A. [ihrer Mutter] auch vom Vorwurf der Nötigung freizusprechen. Entsprechend sei die Gutheissung der Zivilforderung und die Zusprechung einer Parteientschädigung an
A. aufzuheben.
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A. zog am 12. Juni 2018 ihre Strafund Zivilklage zurück. Sie verzichtete damit unwiderruflich auf ihre (angefochtenen) Zivilansprüche und ihre Parteientschädigung.
Bezüglich der der Beschuldigten zur Last gelegten Straftatbestände der Nötigung und der Tätlichkeiten gegenüber A. ändert diese Desinteresse-Erklärung jedoch nichts. Die erstinstanzliche Verurteilung wegen mehrfacher Tätlichkeiten und einfacher Nötigung gemäss AKS Ziff. 1.1.18 (Anlegen der Handfesseln) wurde nicht angefochten und erwuchs somit in Rechtskraft. Trotz Rückzugs bleibt es deshalb diesbezüglich beim Schuldspruch (vgl. BGer 6B_533/2016 vom 29. November 2016 E. 4.2). Soweit die weiteren Nötigungshandlungen angefochten wurden
- dies betrifft AKS Ziff. 1.1.15, 1.1.16 und 1.1.19 ist die Desinteresse-Erklärung unbeachtlich, da es sich bei Nötigung um ein Offizialdelikt handelt (vgl. BGer 1B_8/2011 vom 20. Januar 2011 E. 2.5.4) und bei diesem schweren Delikt das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung überwiegt.
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Wer vorsätzlich einen Menschen tötet, erfüllt den Grundtatbestand von Art. 111 StGB. Handelt der Täter besonders skrupellos, kommt der Tatbestand des Mordes gemäss Art. 112 StGB zur Anwendung. Der Tatbestand des Totschlags ist nach Art. 113 StGB erfüllt, wenn der Täter in einer nach den Umständen entschuldbaren heftigen Gemütsbewegung unter grosser seelischer Belastung handelt.
Es ist erstellt, dass die Beschuldigte den Tod von B. verursachte. Entgegen der Darstellung der Beschuldigten lag dieser nicht bereits im Sterben, als sie ihm die Stichverletzungen zufügte, sondern waren ihre Messerstiche todesursächlich. Das Vorliegen eines blossen (untauglichen) Versuchs (vgl. BGE 73 IV 164 E. 2
S. 169) ist damit ausgeschlossen. Der objektive Tatbestand der vorsätzlichen
Tötung ist erfüllt. In objektiver Hinsicht bleiben die Tatbestände des Mordes und des Totschlags zu prüfen.
6.2.1. Eine vorsätzliche Tötung ist als Mord zu qualifizieren, wenn der Täter besonders skrupellos handelt, namentlich wenn sein Beweggrund, der Zweck der Tat die Art der Ausführung besonders verwerflich sind (Art. 112 StGB). Mord zeichnet sich nach der Rechtsprechung durch eine aussergewöhnlich krasse Missachtung fremden Lebens bei der Durchsetzung eigener Absichten aus. Es geht um die besonders verwerfliche Auslöschung eines Menschenlebens. Für die Qualifikation verweist das Gesetz in nicht abschliessender Aufzählung auf äussere (Ausführung) und innere Merkmale (Beweggrund, Zweck). Diese müssen nicht alle erfüllt sein, um Mord anzunehmen. Entscheidend ist eine Gesamtwürdigung der äusseren und inneren Umstände der Tat. Eine besondere Skrupellosigkeit kann beispielsweise entfallen, wenn das Tatmotiv einfühlbar und nicht krass egoistisch war, so etwa wenn die Tat durch eine schwere Konfliktsituation ausgelöst wurde. Die für eine Mordqualifikation konstitutiven Elemente sind jene der Tat selber, während Vorleben und Verhalten nach der Tat nur heranzuziehen sind, soweit sie tatbezogen sind und ein Bild der Täterpersönlichkeit geben (BGE 141 IV 61 E. 4.1S. 64 f.). Im Rahmen dieser Gesamtwürdigung können namentlich auch eine besondere Kaltblütigkeit und Gefühlskälte als Indiz für die fehlenden Skrupel berücksichtigt werden (vgl. BGer 6S.106/2006 vom 16. Oktober 2006 E. 2; Christian Schwarzenegger, in: Niggli/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar, Strafrecht II,
3. A., Basel 2013 [BSK Strafrecht II], Art. 112 N. 17, S. 53).
Die Art der Tatausführung (Art. 112 StGB dritte Variante) ist besonders verwerflich, wenn sie unmenschlich aussergewöhnlich grausam ist (vgl. BGE 141 IV 61 E. 4.1 S. 65; Schwarzenegger, BSK Strafrecht II, Art. 112 N. 21,
S. 54 f.) bzw. wenn dem Opfer mehr physische psychische Schmerzen, Leiden Qualen zugefügt werden, als sie mit einer Tötung notwendigerweise verbunden sind (Urteil 6S.441/2004 vom 7. September 2005 E. 2.2.1 mit Hinweisen). Eine besonders skrupellose Tatausführung wurde in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung beispielsweise bezüglich eines Täters bejaht, der seinem Opfer im Bett 47 Messerstiche versetzte und ihm die Kehle aufschnitt (BGE 141 IV 61
E. 4.2 S. 65 f.). Besonders skrupellos handelte auch ein Täter, der elfmal mit voller Kraft auf eine fliehende Person einstach und nicht abliess, bis diese tot war (BGer 6B_877/2014 vom 5. November 2015 E. 6.3, nicht publ. in: BGE 141 IV 465). Gleiches gilt für den Täter, der seine Frau mit zwei aufgesetzten Schüssen in den Hinterkopf und einem Nachschuss in den Hals tötete und dann noch einmal auf sie schoss, als sie bereits am Boden lag (BGer 6B_953/2008 vom 17. März 2009
E. 2.6). Wird auf eine schwerverletzt am Boden liegende Person geschossen,
spricht dies ebenfalls für Mord (BGer 6S.84/2005 vom 20. Oktober 2005 E. 2.3; vgl. auch BGer 6B_328/2016 vom 6. Februar 2017 E. 3.3).
Auch Heimtücke kann die Art der Tatausführung als besonders verwerflich erscheinen lassen. Darunter fällt die Ausnutzung besonderer Argund Wehrlosigkeit, wenn beispielsweise die ahnungslose Tochter, die dem Täter gebückt bzw. auf den Knien den Rücken zuwendet, in der Familienwohnung angegriffen wird, dem Ehemann bzw. dem Vater unerwartet in den Rücken geschossen wird (vgl. die Kasuistik in BGer 6B_305/2013 vom 22. August 2013 E. 4.6; sodann OGE 50/2013/7 vom 22. Mai 2014 E. 6d und Bestätigung in BGer 6B_55/2015 vom 7. April 2015 E. 2.2).
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6.2.4.1. Das Kantonsgericht spricht zutreffend von einem heimtückischen Vorgehen. Die Beschuldigte fasste das Vorhaben, ihren Vater zu töten, als sie von C. um Hilfe gerufen wurde, und hat dieses konsequent zu Ende geführt. Insgesamt wurden bei B. anlässlich der Legalinspektion 49 Stichverletzungen in Nacken-, Halsund Schulterbereich festgestellt, wovon 18 bis auf die Halswirbelsäule mit teils bis 5 mm tiefen Knochendurchtrennungen reichten. Die Beschuldigte liess nicht von ihrem Vater ab, sondern richtete ein eigentliches Blutbad an. Die Verletzungen wurden zielgerichtet mit ganz erheblicher Gewalt und Wucht zugefügt. Die Beschuldigte griff ihren bereits verletzten Vater überraschend, ohne Vorwarnung und von hinten an, und zwar während des Kampfs zwischen C. und ihrem Vater. Dieser konnte ihren Angriff nicht abwehren, da er Angriffen von vorne und von hinten ausgesetzt war; die Beschuldigte liess ihm überhaupt keine Chance, am Leben zu bleiben. Indem sie vor ihrem Eingreifen die Küchentür zustemmte, gelang es ihr zu verhindern, dass A. ihrem Mann helfend einschreiten konnte. All dies zeugt von äusserster und nicht nachvollziehbarer Brutalität, Entschiedenheit und Konsequenz. Die Art der Tatausführung ist als besonders verwerflich zu qualifizieren.[ ]
Wird jemand ohne Recht angegriffen unmittelbar mit einem Angriff bedroht, so ist der Angegriffene und jeder andere berechtigt, den Angriff in einer den Umständen angemessenen Weise abzuwehren (Art. 15 StGB). Überschreitet der Abwehrende die Grenzen der Notwehr, so mildert das Gericht die Strafe (Art. 16 Abs. 1 StGB). Überschreitet er die Grenzen der Notwehr in entschuldbarer Aufregung Bestürzung über den Angriff, so handelt er nicht schuldhaft (Art. 16 Abs. 2 StGB). Nach der Rechtsprechung muss die Abwehr in einer Notwehrsituation nach der Gesamtheit der Umstände als verhältnismässig erscheinen. Eine
Rolle spielen vor allem die Schwere des Angriffs, die durch den Angriff und die Abwehr bedrohten Rechtsgüter, die Art des Abwehrmittels und dessen tatsächliche Verwendung. Die Angemessenheit der Abwehr ist aufgrund jener Situation zu beurteilen, in der sich der rechtswidrig Angegriffene im Zeitpunkt seiner Tat befand. Es dürfen nicht nachträglich allzu subtile Überlegungen darüber angestellt werden, ob der Angegriffene sich nicht allenfalls auch mit anderen, weniger einschneidenden Massnahmen hätte begnügen können und sollen (BGE 136 IV 49 E. 3.2
S. 51 f.; Donatsch/Tag, Strafrecht I, 9. A., Zürich/Basel/Genf 2013, S. 234 f.; Trechsel/Geth, in: Trechsel/Pieth [Hrsg.], Praxiskommentar, Schweizerisches Strafgesetzbuch, 3. A., Zürich/St. Gallen 2018, Art. 15 N. 10, S. 108).
Der Angegriffene kann sich nicht auf Notwehr berufen, wenn er die Notwehrsituation provoziert, mithin den Angriff absichtlich herbeigeführt hat, um den Angreifer gleichsam unter dem Deckmantel der Notwehr etwa zu töten zu verletzen (sogenannte Absichtsprovokation). Hat der Angegriffene die Notwehrlage zwar nicht absichtlich herbeigeführt, aber durch sein Verhalten mit verschuldet beziehungsweise verursacht, so hängt es von der Bewertung dieses Verhaltens ab, welche Folgen sich daraus für das Notwehrrecht ergeben. Je nach den Umständen kann das Notwehrrecht des Angegriffenen uneingeschränkt bestehen bleiben aber eingeschränkt sein (BGer 6B_910/2016 vom 22. Juni 2017 E. 3.1).
Kein Raum besteht für die Annahme, die Beschuldigte selbst sei angegriffen unmittelbar mit einem Angriff bedroht worden. Die von ihr im Vorverfahren geäusserte Aussage, ihr Vater habe während des Kampfs zu C. gesagt Als Nächstes kommt deine Frau dran. bzw. Jetzt kommt deine Frau dran., ist unglaubwürdig. Vor Obergericht betonte sie selbst, dass sie keine Angst vor ihrem Vater gehabt habe, der ihr nie etwas zuleide hätte tun können. Dies steht auch in Einklang mit den Aussagen von A. vor Obergericht. Abgesehen davon befand sich B. im fraglichen Zeitpunkt im Kampf mit C., wandte der Beschuldigten den Rücken zu und nahm auch nicht wahr, dass sich diese von hinten näherte. Es fehlte daher ohnehin an der Unmittelbarkeit des Angriffs (vgl. BGer 6B_281/2014 vom 11. November 2014 E. 2.3.1). Die Beschuldigte befand sich nicht in einer Situation, in der ihr unmittelbar ein Angriff drohte.
Die Beschuldigte machte vor Kantonsgericht Notwehrhilfe geltend. Vor Obergericht verweist die amtliche Verteidigung der Beschuldigten auf ihre Ausführungen vor Kantonsgericht.
Die Beschuldigte wusste gemäss eigenen Aussagen um die gewalttätige, cholerische und impulsive Art von C., die insbesondere im Vorfall vom [ ] zum Ausdruck kam und was die Beschuldigte ebenfalls wusste ihre Eltern ihm gegenüber zu einem Hausverbot veranlasste. Ebenso musste die Beschuldigte
sich nach den Darstellungen der amtlichen Verteidigung im Klaren sein, dass C. bereit war, für sie nötigenfalls 'über Leichen zu gehen' . Die Beschuldigte und C. haben die gewalttätige Auseinandersetzung zwischen letzterem und B. in Kauf genommen, als sie am späten Abend des [ ] überraschend in [ ] auftauchten, bewaffnet mit Schlagring, Handschellen und CS-Spray. Dieser Hintergrund lässt nur den Schluss zu, dass die Beschuldigte und C. mit Wissen und Willen eine Situation schufen, die B. massiv bedrohte und diesen zum Einsatz des Messers berechtigte. Zu Beginn des Kampfs zwischen C. und B. unterstützte die Beschuldigte ihren Ehemann, indem sie A. vom Wohn-/Essbereich aussperrte und mit Gewalt am Eingreifen hinderte.
Damit haben die Beschuldigte und C. durch eigenes verwerfliches Verhalten die Reaktion von B. nicht nur vorausgesehen, sondern sie wissentlich sowie willentlich herbeigeführt, und die Notwehrlage von C. im Ergebnis selbst provoziert. Entsprechend haben sowohl die Beschuldigte als auch C. ihr Abwehr(hilfe)recht verloren (vgl. BGE 102 IV 228 E. 2 S. 230; BGer 6S.702/2001 vom 7. November
2002 E. 5).
Im Übrigen sind Notwehr und so auch die Notwehrhilfe Institute des Rechtsgüterschutzes. Sie können nicht zur Rechtfertigung einer rücksichtslosen Aggression herbeigezogen werden. Ganz abgesehen davon, dass die Beschuldigte die Handlungen ihres Vaters mitprovozierte, ist ein auf Rechtsgüterschutz gerichteter Wille bei ihrem Vorgehen nicht erkennbar. Die Beschuldigte ging sofort auf ihren Vater los, als dieser die Oberhand über C. erlangte, fügte ihm 49 Messerstiche in einer Art zu, die als besonders skrupellos zu qualifizieren ist (vorangehende E. 6.2.4), obschon sie zu weitaus milderen Massnahmen hätte greifen können und müssen. Das erstellte brutale Vorgehen und das Ausmass der angewendeten Gewalt zeigen, dass sie bereit war, ihren Vater in jedem Fall zu töten, unabhängig davon, ob C. von ihrem Vater unrechtmässig angegriffen worden war nicht (vgl. BGer 6B_62/2008 vom 17. Juni 2008 E. 4; siehe auch BGer 6B_600/2014 vom 23. Januar 2015 E. 2.5.1 a.E., nicht publ. in: BGE 141 IV 61). Eine Handlung ohne Verteidigungswille, die mithin nicht zur Abwehr eines Angriffs vorgenommen wird, fällt aber nicht unter den Begriff der Notwehr und damit auch nicht unter jenen der Notwehrhilfe. Entsprechend fallen auch ein Notwehrhilfeexzess (vgl. Art. 16 StGB) und eine Putativnotwehrhilfe ausser Betracht (vgl. BGer 6B_62/2008 vom 17. Juni 2008 E. 4).
Mit Bezug auf den Tatbestand des Totschlags führte das Kantonsgericht aus, bei Art. 113 StGB handle es sich im Kern um eine im Besonderen Teil des
StGB geregelte obligatorische Strafmilderungsnorm. Bei einer gutachterlich attestierten nur allenfalls und höchstens leicht verminderten Steuerungsfähigkeit sei eine heftige Gemütsbewegung im Sinne von Art. 113 StGB ausgeschlossen.
Die heftige Gemütsbewegung stellt einen besonderen psychologischen Zustand dar, der nicht pathologisch begründet ist (BGer 6B_748/2013 vom 19. Juni 2014 E. 2.2). Ob sie vorliegt, ist eine Rechtsfrage (BGer 6B_600/2014 vom 23. Januar 2015 E. 3.1.2 a.E., nicht publ. in: BGE 141 IV 61, mit Hinweisen). Diese ist vom Gericht, nicht vom Gutachter zu beantworten (BGer 6B_305/2013 vom
22. August 2013 E. 4.5 mit Hinweis).
Dem Gutachter D. wurde die Frage vorgelegt, ob die psychiatrische Untersuchung ergeben habe, dass die Beschuldigte zur Zeit der Tat an einer psychischen Störung gelitten habe. In seiner Antwort hielt er unter anderem fest, im Fall einer gesicherten Täterschaft der Beschuldigten könne vermutet werden, dass es sich dabei um eine affektiv-akzentuierte Gewalttat gehandelt habe, welche mit einer gewissen Einengung ihres Bewusstseinsfelds einhergegangen sei, was zumindest im Hinblick auf ihre Steuerungsfähigkeit gewisse Auswirkungen gehabt haben könnte. Wie der Gutachter aber selbst ausführt, steht für ihn nicht mit wünschbarer Klarheit fest, unter welchen exakten inneren und äusseren (psychischen und situativen) Bedingungen die Beschuldigte zur Tat geschritten ist. Ob aus dieser (psychiatrischen) Beurteilung folgt, dass (juristisch) der Tatbestand des Totschlags entfallen muss, scheint fraglich. Entscheidend ist aber Folgendes: Art. 113 StGB setzt voraus, dass die heftige Gemütsbewegung entschuldbar ist. Dies ist ausgeschlossen, wenn der Täter nach Art. 112 StGB besonders skrupellos handelte (vgl. BGer 6B_158/2009 vom 1. Mai 2009 E. 1.1 mit Hinweisen; Schwarzenegger, BSK Strafrecht II, Art. 112 N. 32, S. 58). Ein allenfalls bestehender Affekt schliesst die Qualifizierung einer Tötung als Mord nicht aus (BGer 6B_305/2013 vom 22. August 2013 E. 4.6 mit Hinweisen). Mit anderen Worten: Lässt eine Gesamtwürdigung aller äusseren und inneren Umstände der Tat auf eine besondere Skrupellosigkeit schliessen, kann eine gegebenenfalls bestehende heftige Gemütsbewegung nicht entschuldbar sein. Da die Beschuldigte vorliegend besonders skrupellos handelte (vorangehende E. 6.2.4), scheidet der Tatbestand des Totschlags aus.
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