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Urteil Obergericht (SH)

Kopfdaten
Kanton:SH
Fallnummer:Nr. 50/2016/11
Instanz:Obergericht
Abteilung:-
Obergericht Entscheid Nr. 50/2016/11 vom 01.12.2017 (SH)
Datum:01.12.2017
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort: Stationäre therapeutische Massnahme mit Zwangsmedikation - Art. 56 und Art. 59 StGB. Voraussetzungen einer stationären therapeutischen Massnahme mit medikamentöser Zwangsbehandlung.
Schlagwörter : Massnahme; Beschuldigte; Störung; Behandlung; Stationäre; Psychisch; Beschuldigten; Psychische; Taten; Therapeutische; Täter; Psychischen; Anordnung; Gefahr; Freiheit; Rückfallwahrscheinlichkeit; Begangen; Zusammenhang; Kantonsgericht; Vergehen; Sicherheit; Zwangsmedikation; Täters; Stationären; Rückfallgefahr; Verbrechen; Begutachtung; Schwere; Könne
Rechtsnorm: Art. 10 StGB ; Art. 144 StGB ; Art. 186 StGB ; Art. 22 StGB ; Art. 222 StGB ; Art. 56 StGB ; Art. 59 StGB ; Art. 76 StGB ;
Referenz BGE:-
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid
Stationäre therapeutische Massnahme mit Zwangsmedikation - Art. 56 und Art. 59 StGB.

Voraussetzungen einer stationären therapeutischen Massnahme mit medikamentöser Zwangsbehandlung.

OGE 50/2016/11 vom 1. Dezember 2017 Veröffentlichung im Amtsbericht

Sachverhalt

Z. wurde vom Kantonsgericht zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten, teilweise als Zusatzstrafe zu einem rechtskräftigen Strafbefehl, verurteilt. Zusätzlich ordnete das Kantonsgericht eine stationäre therapeutische Massnahme zur Behandlung von psychischen Störungen im Sinne von Art. 59 StGB an. Den Vollzug der Freiheitsstrafe schob es zugunsten der Massnahme auf. Gegen dieses Urteil erhob Z. Berufung an das Obergericht und beantragte unter anderem die Aufhebung der stationären therapeutischen Massnahme. Das Obergericht wies die Berufung ab.

Aus den Erwägungen 7. Eine Massnahme ist anzuordnen, wenn (lit. a) eine Strafe allein nicht geeignet ist, der Gefahr weiterer Straftaten des Täters zu begegnen, (lit. b) ein Behandlungsbedürfnis des Täters besteht oder die öffentliche Sicherheit dies erfordert und (lit. c) die Voraussetzungen der Art. 59 - 61 oder 64 StGB erfüllt sind (Art. 56 Abs. 1 StGB). Die Anordnung einer Massnahme setzt voraus, dass der mit ihr verbundene Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Täters im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit und Schwere weiterer Straftaten nicht unverhältnismässig ist (Art. 56 Abs. 2 StGB). Das Gericht stützt sich beim Entscheid über die Anordnung einer Massnahme auf eine sachverständige Begutachtung. Diese äussert sich über (lit. a) die Notwendigkeit und die Erfolgsaussichten einer Behandlung des Täters, (lit. b) die Art und die Wahrscheinlichkeit weiterer möglicher Straftaten und (lit. c) die Möglichkeiten des Vollzugs der Massnahme (Art. 56 Abs. 3 StGB).

Ist der Täter psychisch schwer gestört, so kann das Gericht eine stationäre Behandlung anordnen, wenn (lit. a) der Täter ein Verbrechen oder Vergehen begangen hat, das mit seiner psychischen Störung in Zusammenhang steht und (lit. b) zu erwarten ist, dadurch lasse sich der Gefahr weiterer mit seiner psychischen Störung in Zusammenhang stehender Taten begegnen (Art. 59 Abs. 1 StGB). Die stationäre Behandlung erfolgt in einer geeigneten psychiatrischen Einrichtung oder einer Massnahmevollzugseinrichtung (Art. 59 Abs. 2 StGB). Solange die Gefahr

besteht, dass der Täter flieht oder weitere Straftaten begeht, wird er in einer geschlossenen Einrichtung behandelt. Er kann auch in einer Strafanstalt nach Art. 76 Abs. 2 StGB behandelt werden, sofern die nötige therapeutische Behandlung durch Fachpersonal gewährleistet ist (Art. 59 Abs. 3 StGB).

[ ]

      1. Das Kantonsgericht hat unter anderem angeführt, obwohl die Krankheit des Beschuldigten mit der stationären Behandlung nicht geheilt werden könne, bestehe doch die Hoffnung, dass mit deren Weiterführung die Gefahr weiterer Straftaten zumindest vermindert werden könne, auch wenn dieser Prozess bis zur Entlassung in einen offenen oder zumindest teilweise offenen Rahmen möglicherweise noch lange dauern werde. Ohne Anordnung einer stationären Massnahme würde spätestens nach der Entlassung des Beschuldigten aus dem Strafvollzug die Gefahr bestehen, dass er weitere Delikte beginge, insbesondere auch solche, bei denen eine grosse Gefahr für die öffentliche Sicherheit bestehe, wie Drohungen, Angriffe gegen Personen mit gefährlichen Gegenständen, Verursachung von Feuersbrünsten und ähnliche Delikte.

      2. Der amtliche Verteidiger hält zusammengefasst fest, eine Massnahme sei aussichtslos. Das Kantonsgericht habe mit Beschluss vom 3. Juli 2013 völlig zu Recht ausgeführt, dass sich der Beschuldigte als nicht behandelbar beziehungsweise nicht massnahmefähig erwiesen habe. Es verschweige (nun), was es unter verbesserten Erfolgsaussichten verstehe, nämlich, dass der Beschuldigte unter Dauermedikation, allenfalls unter Zwangsbehandlung, und in Unfreiheit leben solle. Der Beschuldigte sei am 22. Dezember 2015 aus dem Pflegeheim X. entwichen. Trotz fehlender Sedierung und wiederhergestellter Freiheit habe er sich bis zur Anordnung der Sicherheitshaft fast zwei Jahre wohlverhalten. Eine Reduzierung der Rückfallgefahr durch eine Behandlung schliesse der Gutachter vollständig aus. Daran ändere auch nichts, dass der Gutachter und das Kantonsgericht auf eine Verbesserung wegen Altersreife hoffen. Das Argument der Altersreife würde einer faktischen Verwahrung Tür und Tor öffnen und habe mit einer Behandlung nichts zu tun. Die Aussicht, dass das Rückfallrisiko durch die Behandlung, die Zwangsmedikation, das Einsperren, deutlich verringert werden könne, bestehe bei jedem.

7.5. In seinem Ergänzungsgutachten führt Dr. med. Y. aus, es gelte weiterhin, dass beim Beschuldigten zur Zeit der Taten eine psychische Störung von erheblicher Schwere vorgelegen habe. [ ] Nach wie vor sei sein Störungsbild als mindestens mittelgradig, in krisenhaften Phasen sogar als eher schwergradig zu bezeichnen. Die aktuelle Untersuchung habe ganz eindeutig gezeigt, dass die Störung weiterhin bestehe, wobei aktuell gelte, dass die Affektdynamik nun nicht mehr

aufgrund konsequenter Psychopharmakaabgabe gemildert sei. Ein tatpsychologischer Zusammenhang zwischen seiner Störung und den vorgeworfenen Taten sei klarerweise zu sehen.

Die Beurteilung von Dr. med. Y. zum Gesundheitszustand des Beschuldigten deckt sich im Wesentlichen mit seiner Einschätzung im psychiatrischen Gutachten vom

27. Mai 2015. Auch in den früheren psychiatrischen Begutachtungen des Beschuldigten wurde von einer schweren psychischen Störung ausgegangen. Es ist damit erwiesen, dass beim Beschuldigten eine schwere psychische Störung vorliegt. Der Beschuldigte hat eine Sachbeschädigung mit grossem Schaden (Art. 144 Abs. 1 und 3 StGB) begangen, welche ein Verbrechen im Sinne von Art. 10 Abs. 2 StGB darstellt. Zudem handelt es sich bei der fahrlässigen Verursachung einer Feuersbrunst (Art. 222 Abs. 1 StGB), der Gewalt und Drohung gegen Beamte (Art. 285 Ziff. 1 StGB), der mehrfachen versuchten Nötigung (Art. 181 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB), des mehrfachen Hausfriedensbruchs (Art. 186 StGB) und der Sachbeschädigung (Art. 144 Abs. 1 StGB) um Vergehen im Sinne von Art. 10 Abs. 3 StGB. Die vom Beschuldigten begangenen Vergehen und das Verbrechen stellen Anlasstaten im Sinne von Art. 59 Abs. 1 lit. a StGB dar, welche die Anordnung einer Massnahme grundsätzlich rechtfertigen. Die begangenen Vergehen und das Verbrechen stehen zudem mit der schweren psychischen Störung im Zusammenhang.

      1. Die Rückfallwahrscheinlichkeit wird von Dr. med. Y. bejaht. [ ]

      2. Die Ausführungen von Dr. med. Y. zur Rückfallgefahr sind nachvollziehbar und schlüssig. Auch med. pract. V., Leitender Arzt des Altersund Pflegeheims X., ging in seinem ärztlichen Bericht zur Überprüfung der fürsorgerischen Unterbringung vom 25. November 2015 davon aus, bei einer sofortigen Entlassung aus der fürsorgerischen Unterbringung seien die damit verbundenen Gefährdungen von Drittpersonen infolge der chronifizierten Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis mit aggressivem Verhalten absehbar. Seit der ersten Begutachtung durch Dr. med. Y. hat sich die Rückfallwahrscheinlichkeit sogar erhöht. Es ist damit von einer deutlich erhöhten Rückfallwahrscheinlichkeit für Straftaten auszugehen, die mit seiner paranoiden psychischen Störung im Zusammenhang stehen, so insbesondere Delikte gegen Leib und Leben, gegen das Eigentum oder die Freiheit Dritter.

7.7.1.-7.7.3. [Ausführungen des Gutachters zur Eignung einer Massnahme] 7.7.4. Zusammengefasst sieht Dr. med. Y. die stationäre therapeutische Massnahme nach Art. 59 Abs. 1 StGB mit Vornahme einer medikamentösen Zwangsbehandlung im Sinne einer konstanten Abgabe eines Depotneuroleptikums als geeignet an, um die Rückfallgefahr wesentlich zu vermindern. Auch aus dem Bericht

von med. pract. V. ergibt sich, dass mit der Abgabe eines Depotneuroleptikums eine Stabilisation des Beschuldigten stattgefunden hat.

Es liegen folglich keine Gründe vor, um von der Beurteilung von Dr. med. Y. abzuweichen. Entgegen dem amtlichen Verteidiger trifft es nicht zu, dass die Rückfallgefahr durch die gutachterlich empfohlene Behandlung nicht reduziert werden kann. Würde nämlich keine entsprechende stationäre therapeutische Massnahme nach Art. 59 Abs. 1 StGB angeordnet, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Beschuldigte während und nach Verbüssung seiner Freiheitsstrafe in das Verhaltensmuster zurückfiele, welches zu diesem Strafverfahren geführt hat. Daran vermag der Umstand nichts zu ändern, dass er sich nach der Flucht aus dem Pflegeheim X. am 22. Dezember 2015 bis zu seiner Rückkehr in die Schweiz im September 2017 offenbar nicht strafbar gemacht hat. Erstellt ist nämlich, dass er zumindest nach seiner Rückkehr in die Schweiz wieder in die alten Muster zurückgefallen ist. Zudem rechtfertigen die Schwere der psychischen Störung und das sich aus den zahlreichen begangenen Straftaten gegen die körperliche Integrität, gegen die Freiheit und das Eigentum Dritter manifestierende erhebliche Deliktspotential die Anordnung einer Zwangsmedikation im Sinne einer konstanten Abgabe eines Depotneuroleptikums. Eine mildere Massnahme zur Verminderung der Rückfallwahrscheinlichkeit ist dagegen nicht ersichtlich (vgl. den ähnlichen Fall in BGer 6B_694/2017 vom 19. Oktober 2017 E. 4.8). Insbesondere ist zurzeit nicht damit zu rechnen, dass der Beschuldigte die Medikamente freiwillig einnähme und eine ambulante Massnahme einen genügenden Rahmen böte.

Damit erscheint aufgrund der Wahrung der öffentlichen Sicherheit und dem objektiv verstandenen Interesse des Beschuldigten eine stationäre therapeutische Massnahme mit Zwangsmedikation im Sinne von Art. 59 Abs. 1 StGB erforderlich und geeignet, um die Rückfallwahrscheinlichkeit zu vermindern. Die Massnahme ist daher verhältnismässig.

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