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Urteil Obergericht (SH)

Zusammenfassung des Urteils Nr. 50/2014/13: Obergericht

Die Beschuldigte wurde wegen Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit, Verletzung der Verkehrsregeln und pflichtwidrigem Verhalten bei einem Unfall schuldig gesprochen. Sie erhielt eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je CHF 80.- und eine Busse von CHF 1'000.-. Die Gerichtskosten wurden auf CHF 3'000.00 festgesetzt. Die Beschuldigte hat Berufung eingelegt, um von den Vorwürfen freigesprochen zu werden. Die Staatsanwaltschaft forderte die Bestätigung des Urteils. Das Gericht wertete verschiedene Beweismittel aus, darunter Zeugenaussagen und Gutachten zur Alkoholisierung der Beschuldigten. Letztendlich wurde die Beschuldigte schuldig gesprochen und die Strafe bestätigt.

Urteilsdetails des Kantongerichts Nr. 50/2014/13

Kanton:SH
Fallnummer:Nr. 50/2014/13
Instanz:Obergericht
Abteilung:-
Obergericht Entscheid Nr. 50/2014/13 vom 09.06.2015 (SH)
Datum:09.06.2015
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort: Art. 9 und 13 JStG. Jugendstrafrecht; Bestimmung der Person, welche die Eltern in ihrer Erzie-hungsaufgabe unterstützt und den Jugendlichen persönlich betreut
Schlagwörter : Behörde; Betreuung; Vollzug; Jugendanwalt; Jugendanwaltschaft; Betreuungsperson; JStPO; Kanton; Person; Jugendlichen; Vollzugsbehörde; Jugendgericht; Eltern; Auslegung; Untersuchung; Recht; Kantonsgericht; Erziehungsaufgabe; Schaffhausen; Amtsvorm; Aufsicht; Jugendstrafrecht; Befehl; Unterbringung; Anklage
Rechtsnorm:Art. 34 StPO ;
Referenz BGE:139 IV 282;
Kommentar:
-

Entscheid des Kantongerichts Nr. 50/2014/13

Jugendstrafrecht; Bestimmung der Person, welche die Eltern in ihrer Erziehungsaufgabe unterstützt und den Jugendlichen persönlich betreut - Art. 9 und 13 JStG.

Die Zuständigkeit zur Bestimmung der Betreuungsperson liegt bei der urteilenden Behörde. Im Kanton Schaffhausen ist dies die Jugendanwaltschaft, sofern das Strafbefehlsverfahren zur Anwendung gelangt. Wurde jedoch Anklage beim Jugendgericht erhoben und fällt dieses einen Sachentscheid, so bestimmt es auch die Betreuungsperson (E. 2.2.4).

Mit der Unterstützung der Eltern und der persönlichen Betreuung des Jugendlichen ist in der Regel jene Person zu betrauen, die bereits mit der Abklärung der persönlichen Verhältnisse des Jugendlichen betraut war. Es kann jedoch auch eine andere Fachperson, etwa ein Amtsvormund eine Amtsvormündin, als Betreuungsperson bestimmt werden (E. 2.2.5).

OGE 50/2014/13 vom 9. Juni 2015 Veröffentlichung im Amtsbericht

Aus den Erwägungen
      1. Genügt eine Aufsicht nach Artikel 12 nicht, so bestimmt die urteilende Behörde eine geeignete Person, welche die Eltern in ihrer Erziehungsaufgabe unterstützt und den Jugendlichen persönlich betreut (Art. 13 der Schweizerischen Jugendstrafprozessordnung vom 20. März 2009 [JStPO, Jugendstrafprozessordnung, SR 312.1]).

        Strittig ist vorliegend, wer mit der urteilendenden Behörde gemeint ist. Während die Vorinstanz die Meinung vertritt, die Jugendstrafkammer des Kantonsgerichts Schaffhausen sei vorliegend die urteilende Behörde, ist die Jugendanwaltschaft der Meinung, sie selbst sei als Vollzugsbehörde urteilende Behörde im Sinne dieser Bestimmung.

      2. Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut der Bestimmung. Ist der Text nicht klar und sind verschiedene Auslegungen möglich, muss unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente nach der wahren Tragweite der Norm gesucht werden. Abzustellen ist namentlich auf die Entstehungsgeschichte (historische Auslegung) und ihren Zweck (teleologische Auslegung) sowie auf die Bedeutung, die der Norm im Kontext mit anderen Bestimmungen zukommt (systematische Auslegung). Auf den Wortlaut allein ist nur abzustellen, wenn sich daraus die sachlich richtige Lösung zweifelsfrei ergibt. Sind mehrere Interpretationen denkbar, soll jene gewählt werden, welche die verfassungsrechtlichen Vorgaben

        am besten berücksichtigt. Die Gesetzesmaterialien sind zwar nicht unmittelbar entscheidend, dienen aber als Hilfsmittel, um den Sinn der Norm zu erkennen. Namentlich bei neueren Texten kommt den Materialien bei noch kaum veränderten Umständen gewandeltem Rechtsverständnis eine besondere Stellung zu (BGE 139 IV 282 E. 2.4.1 S. 286).

      3. Gemäss Art. 13 Abs. 1 des Bundesgesetzes über das Jugendstrafrecht vom 20. Juni 2003 (JStG, Jugendstrafgesetz, SR 311.1) bestimmt die urteilende Behörde eine geeignete Person, welche die Eltern in ihrer Erziehungsaufgabe unterstützt und den Jugendlichen persönlich betreut. Das Gesetz unterscheidet bewusst zwischen der zuständigen, der urteilenden und der Vollzugsbehörde, auch wenn diese Unterscheidung die Kantone nicht dazu verpflichtet, für die Untersuchung, die Beurteilung und den Vollzug verschiedene, voneinander unabhängige Behörden vorzusehen (Botschaft des Bundesrats zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches [Allgemeine Bestimmungen, Einführung und Anwendung des Gesetzes] und des Militärstrafgesetzes sowie zu einem Bundesgesetz über das Jugendstrafrecht vom 21. September 1998, BBl 1999 2224, Fn. 563).

        Nach dem im Kanton Schaffhausen geltenden Jugendanwaltmodell führt die Jugendanwaltschaft die Strafuntersuchung durch (Art. 6 Abs. 2 lit. b JStPO i.V.m. Art. 19 des Justizgesetzes vom 9. November 2009 [JG, SHR 173.200]). Sie erlässt nach abgeschlossener Untersuchung einen Strafbefehl, wenn die Beurteilung der Straftat nicht in die Zuständigkeit des Jugendgerichts fällt (Art. 32 Abs. 1 JStPO). Die Untersuchungsleitung - die zuständige Jugendanwältin der zuständige Jugendanwalt wird zur urteilenden Behörde (Peter Aebersold, Schweizerisches Jugendstrafrecht, 2. A., Bern 2011, S. 234). Die Untersuchungsbehörde ist ausserdem gleichzeitig Vollzugsbehörde (Art. 42 Abs. 1 JStPO), so dass in minderschweren Fällen die Jugendanwaltschaft alle Funktionen (Untersuchungsund Anklagebehörde, richterliche Behörde und Vollzugsbehörde) in sich vereint.

        Wenn dagegen eine schwere Sanktion beantragt wird, ist das Jugendgericht zur Bestimmung der Sanktion zuständig (vgl. Art. 34 Abs. 1 JStPO). Die Jugendanwaltschaft übernimmt vor Jugendgericht die Rolle der Staatsanwaltschaft, sie vertritt die Anklage (Art. 6 Abs. 4 JStPO; Aebersold, S. 234) und ist Partei (Art. 18 lit. d JStPO). Urteilende Behörde ist in diesen Fällen das Jugendgericht (Art. 34 Abs. 1 JStPO).

        Der Wortlaut von Art. 13 Abs. 1 JStG und dessen Sinn sind klar. Die urteilende Behörde bestimmt eine geeignete Person, welche die Eltern in ihrer Erziehungsaufgabe unterstützt und den Jugendlichen persönlich betreut. Die urteilende Behörde ist dabei im Kanton Schaffhausen im Strafbefehlsverfahren (Art. 32 JStPO) die Jugendanwaltschaft, im ordentlichen Verfahren (Art. 33 ff. JStPO) das Jugendgericht. Hätte der Gesetzgeber vorsehen wollen, dass immer die für den Vollzug

        von Massnahmen zuständige Jugendanwaltschaft die Betreuungsperson bestimmen soll, würde das Gesetz in Art. 13 Abs. 1 JStG von der Vollzugsbehörde sprechen.

        Auch aus Art. 34 Abs. 4 StPO kann die Jungendanwaltschaft nichts zu ihren Gunsten ableiten. Stellt sich im Hauptverfahren heraus, dass an sich auch ein Strafbefehl hätte erlassen werden können, steht es dem Jugendgericht frei, den Fall an die Jugendanwaltschaft zurückzuweisen aber selber in der Sache zu entscheiden. Tut es Letzteres, ist es als urteilende Behörde befugt, die vom Jugendstrafgesetz vorgesehenen Strafen und Schutzmassnahmen auszusprechen, was bei der Aufsicht (Art. 12 JStG) und der persönlichen Betreuung (Art. 13 JStG) auch die Ernennung der Aufsichtsresp. Betreuungsperson umfasst. Nur wenn eine ambulante Behandlung nach Art. 14 JStG eine Unterbringung nach Art. 15 JStG angeordnet wird, hat stets die Vollzugsbehörde zu bestimmen, wer mit dem Vollzug betraut wird (Art. 17 Abs. 1 JStG). Dies wird auch von der Lehre so verstanden, schreiben doch Gürber/Hug/Schläfli im Basler Kommentar: Ist für einen Jugendlichen eine ambulante Behandlung (Art. 14) eine Unterbringung (Art. 15) angeordnet, so hat die vollziehende Behörde zu bestimmen, wer mit dem Vollzug betraut wird. ( ) Zu beachten ist, dass im Unterschied dazu bei der Aufsicht (Art. 12) und der persönlichen Betreuung (Art. 13 Abs. 1) die urteilende Behörde die geeignete Stelle bzw. Person bestimmt, welche die Schutzmassnahme durchzuführen hat. (Gürber/Hug/Schläfli, in: Niggli/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar, Strafrecht I, 3. A., Basel 2013, Art. 17 JStG N. 2, S. 60). Unbehelflich ist daher das Argument der Jugendanwaltschaft, das Kantonsgericht widerspreche mit der Bezeichnung der Betreuungsperson seiner Praxis, wonach es bei der Unterbringung von jugendlichen Straftätern im Sinne von Art. 15 JStG jeweils nur die Unterbringung anordne, die Bestimmung der Institution aber der Vollzugsbehörde überlasse. Das Kantonsgericht hält sich mit dieser Praxis lediglich an die vom Gesetz vorgesehene Ordnung, wonach die urteilende Behörde bei Anwendung von Art. 12 und 13 JStG die zum Vollzug ermächtigte Person Stelle bestimmt, bei Anwendung von Art. 14 und 15 JStG aber lediglich die Massnahme anordnet, die Bezeichnung der zum Vollzug betrauten Stelle Einrichtung aber der Vollzugsbehörde (und damit der Jugendanwaltschaft) überlässt.

      4. Es lag damit im Kompetenzbereich der Vorinstanz, die Betreuungsperson zu bestimmen. Soweit die Jugendanwaltschaft sinngemäss geltend macht, es müsse stets sie selbst mit der Betreuung der Eltern und des Jugendlichen betraut werden, kann dem ebenfalls nicht gefolgt werden. Zwar ist zutreffend, dass in der Regel die gleiche Person mit der Betreuung betraut werden soll, die bereits mit der Abklärung der persönlichen Verhältnisse gemäss Art. 9 JStG betraut war (Gürber/

Hug/Schläfli, Art. 13 JStG N. 4, S. 49), also möglicherweise die fallführende Jugendanwältin der fallführende Jugendanwalt. Es ist jedoch keineswegs ausgeschlossen, die Betreuung einer anderen Fachperson zu übertragen, z.B. einer Amtsvormündin einem Amtsvormund (vgl. hierfür und für weitere Beispiele Aebersold, S. 139). Wenn das Kantonsgericht beabsichtigt, zur Bestimmung der Betreuungsperson die KESB zu konsultieren, d.h. sich bei der KESB nach einer geeigneten Betreuungsperson zu erkundigen, ist dies nicht zu beanstanden. Klar ist, dass der KESB nur beratende Funktion zukommen kann und die Bestimmung der Betreuungsperson in der alleinigen Verantwortung des Kantonsgerichts liegt.

Die Berufung ist nach dem Gesagten in diesem Punkt abzuweisen.

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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