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Urteil Obergericht (SH)

Kopfdaten
Kanton:SH
Fallnummer:Nr. 50/1999/14
Instanz:Obergericht
Abteilung:-
Obergericht Entscheid Nr. 50/1999/14 vom 02.02.2001 (SH)
Datum:02.02.2001
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort: Art. 8, Art. 11 f., Art. 14 und Art. 16 OHG; Art. 43 f. und Art. 395a StPO. Entschädigungs- und Genugtuungsansprüche des Opfers; Rechtsweg; Beteiligung des Opfers im Strafverfahren
Schlagwörter : Opfer; Verfahren; Schadenersatz; Genugtuung; Opfers; Entschädigung; Vormundschaftsamt; Rechte; Kanton; Einzutreten; Zivilforderung; Ansprüche; Obergericht; Beiständin; Vertreter; Erstinstanzlichen; Einzutreten; Berufungsverfahren; Vormundschaftsbehörde; Ausserdem; Verfahren; Schaffhausen; Zivilrechtliche; Forderungen; Zivilforderungen; Täter; Zivilansprüche; Genugtuungsansprüche; Pflege
Rechtsnorm: Art. 395a StPO ; Art. 43 StPO ; Art. 44 StPO ;
Referenz BGE:-
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid
Art. 8, Art. 11 f., Art. 14 und Art. 16 OHG; Art. 43 f. und Art. 395a StPO. Entschädigungsund Genugtuungsansprüche des Opfers; Rechtsweg; Beteiligung des Opfers im Strafverfahren (Urteil des Obergerichts Nr. 50/1999/14 vom 2. Februar 2001 i.S. T.).1

Ansprüche auf staatliche Entschädigung und Genugtuung gemäss Opferhilfegesetz sind nicht im Strafverfahren, sondern beim Sozialversicherungsamt als Opferhilfebehörde geltend zu machen; sie sind jedoch gegenüber den beim Täter einzufordernden zivilrechtlichen Schadenersatzund Genugtuungsansprüchen subsidiär.

Das Opfer ist von Bundesrechts wegen in allen Abschnitten des Strafverfahrens über seine Rechte zu informieren. Ist dies aus Gründen, die das Opfer oder dessen Vertreter nicht zu verantworten haben, weder in der Strafuntersuchung noch im erstinstanzlichen Gerichtsverfahren geschehen, so ist auf eine erst im Berufungsverfahren anhangsweise geltend gemachte Zivilforderung ausnahmsweise noch einzutreten.

In einem Strafverfahren wegen mehrfacher Körperverletzung und Aussetzung beantragte der Vertreter der Vormundschaftsbehörde bzw. der Beiständin des kindlichen Opfers erstmals in der Berufungsverhandlung vor Obergericht, die angeklagte Mutter des Kindes zur Bezahlung einer Entschädigung bzw. von Schadenersatz zu verpflichten. Das Obergericht trat auf diesen Antrag ein, hiess die Schadenersatzund Genugtuungsforderungen des Opfers dem Grundsatz nach gut und überwies sie bezüglich der Höhe auf den Weg des ordentlichen Zivilprozesses.

Aus den Erwägungen:

8.- Der Vertreter der Vormundschaftsbehörde ... beantragte im Berufungsverfahren namens des Opfers T. gestützt auf Art. 11 und 12 des Bundesgesetzes über die Hilfe an Opfer von Straftaten (OHG, SR 312.5) adhäsionsweise die Zusprechung von Entschädigung bzw. von Schadenersatz für den bisher entstandenen und den Rahmen von normalen Unterhaltskosten ü-

1 Auf eine staatsrechtliche Beschwerde gegen dieses Urteil trat das Bundesgericht am 1.

November 2001 nicht ein; eine Nichtigkeitsbeschwerde wies es sodann ab, soweit es darauf eintrat.

bersteigenden Pflegeund Betreuungsaufwand bei der heilpädagogischen Pflegefamilie ... Eventualiter sei die Angeklagte zu verpflichten, dem Opfer für die weiteren Aufenthaltskosten der Fremdplazierung bis zum zurückgelegten 18. Altersjahr bzw. bis zu dessen Eintritt in die volle Erwerbstätigkeit als Schadenersatz Fr. ... monatlich zu bezahlen. Ausserdem sei sie unter dem Titel der Genugtuung zur Zahlung eines einmaligen Betrags ... zu verurteilen.

  1. Vorab ist festzustellen, dass im Strafverfahren keine Entschädigungsund Genugtuungsansprüche nach Art. 11 und 12 OHG geltend gemacht werden können. Bei solchen Ansprüchen handelt es sich nämlich nicht um zivilrechtliche Forderungen, sondern um Ansprüche gegenüber dem Staat, die bei der zuständigen kantonalen Behörde (im Kanton Schaffhausen beim Sozialversicherungsamt; vgl. Art. 395a der Strafprozessordnung für den Kanton Schaffhausen vom 15. Dezember 1986 [StPO, SHR 320.100]), geltend gemacht werden müssten und die der Kanton im Falle einer Zusprechung gegebenenfalls vom Täter wieder zurückfordern kann. Solche Leistungen sind im übrigen gegenüber den direkt vom Täter zu fordernden zivilrechtlichen Schadenersatzoder Genugtuungsleistungen subsidiär. Gegen den Entscheid der kantonalen Opferhilfebehörde stünde ein verwaltungsunabhängiger Beschwerdeweg offen (Art. 14 ff. OHG). Insoweit wäre also auf die Forderungen des Vormundschaftsamts bzw. des Opfers nicht einzutreten. Im übrigen wären Ansprüche auf staatliche Leistungen ohnehin verwirkt, da sie nicht innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen zwei Jahre nach der Straftat (...) geltend gemacht wurden (Art. 16 Abs. 3 OHG). Indessen können die vom Vormundschaftsamt geltend gemachten Forderungen unbesehen der behaupteten gesetzlichen Grundlage sinngemäss als echte Zivilforderungen betrachtet werden, richten sie sich doch ausdrücklich nicht an den Staat, sondern an die Angeklagte. Ausserdem wird in den Anträgen nicht von Entschädigung, sondern von Schadenersatz gesprochen.

Gemäss Art. 8 OHG kann sich das Opfer am Strafverfahren beteiligen und Zivilansprüche geltend machten (Abs. 1 lit. a). Die Behörden informieren es in allen Verfahrensabschnitten über seine Rechte (Abs. 2). Laut Art. 44 StPO ist eine Zivilklage jedoch schriftlich oder mündlich bis zum Beginn der (erstinstanzlichen) Hauptverhandlung anzubringen und zu begründen. Daraus ergibt sich zunächst, dass auf die erstmals im Berufungsverfahren vorgebrachten Schadenersatzund Genugtuungsforderungen aufgrund offensichtlicher Verspätung grundsätzlich nicht mehr einzutreten wäre. Allerdings ist vorliegend zu prüfen, ob das Opfer überhaupt im Sinne des Gesetzes rechtzeitig über seine Rechte orientiert und in das Strafverfahren zwecks Stellung von

Zivilansprüchen korrekt einbezogen wurde. War dies nicht der Fall, stellt sich die Frage, ob auf die Zivilforderungen dennoch einzutreten ist.

Das Vormundschaftsamt begründete die Verspätung damit, dass in der Untersuchung und im erstinstanzlichen Hauptverfahren die Schuldfrage noch offen gewesen sei, weshalb die Frage des Schadenersatzes und der Genugtuung aus Sicht des Opfers noch nicht habe beantwortet werden können. Ausserdem seien damals das Ausmass des erlittenen und zu erwartenden Schadens im Zusammenhang mit den heilpädagogischen Leistungserfordernissen zu Gunsten des Opfers und die konkreten Kosten für dessen Pflege und Unterbringung noch zuwenig bekannt gewesen.

Im vorliegenden Strafverfahren wurden T. bzw. dessen Beiständin weder von den Untersuchungsbehörden noch vom Kantonsgericht je über ihre Rechte aufgeklärt und zur Stellung allfälliger Zivilforderungen eingeladen, auch nicht im Grundsatz. Erst das Obergericht hat das Opfer bzw. das Vormundschaftsamt Schaffhausen über dessen Rechte gemäss Opferhilfegesetz in Kenntnis gesetzt und in das Verfahren einbezogen. Indessen fragt es sich, ob es nicht zu den Pflichten der Vormundschaftsbehörde bzw. der Beiständin von T. gehört hätte, sich bei den Strafverfolgungsbehörden oder beim Kantonsgericht rechtzeitig nach den Opferrechten zu erkundigen. Da die mit der Vertretung von T. betraute Beiständin jedoch nicht rechtskundig ist und das Opfer durch diese Unterlassung nicht in unzulässiger Weise in seinen bundesrechtlich garantierten Verfahrensrechten beschnitten werden soll, erscheint eine nachträgliche Geltendmachung von Zivilansprüchen ausnahmsweise gerechtfertigt. Die übrigen formellen Voraussetzungen sind erfüllt (Art. 346 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs vom 21. Dezember 1937 [StGB, SR 311.0], Art. 43 StPO); auf die Zivilklage des Vormundschaftsamts ist daher einzutreten.

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