Zusammenfassung des Urteils Nr. 10/2017/1: Obergericht
In dem vorliegenden Fall wurde das Entlassungsgesuch einer Rechtsanwältin als unentgeltliche Rechtsvertreterin abgewiesen. Die Rechtsanwältin reichte daraufhin eine Beschwerde ein, in der sie ein zerstörtes Vertrauensverhältnis geltend machte. Das Gericht wies die Beschwerde ab, da keine objektiven Gründe für eine Entlassung vorlagen. Die Beschwerde wurde als aussichtslos betrachtet, und das Gesuch um unentgeltliche Rechtsvertretung wurde abgelehnt. Der Entscheid wurde am 25. Oktober 2011 vom Obergericht des Kantons Zürich gefällt.
Kanton: | SH |
Fallnummer: | Nr. 10/2017/1 |
Instanz: | Obergericht |
Abteilung: | - |
Datum: | 20.02.2018 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Lohnreduktion bei Grenzgängern; indirekte Diskriminierung von ausländischen Staatsangehörigen; Lebenshaltungskosten als Unterscheidungskriterium - Art. 2 FZA; Art. 9 Abs. 1 des Anhangs I zum FZA. Bei der Beurteilung der Vergleichbarkeit der Situation von verschiedenen Arbeit-nehmenden ist auf die Erbringung der Arbeitsleistung abzustellen. Nicht massgebend ist dagegen das sachfremde Kriterium der Lebenshaltungskosten der einzelnen Angestellten (E. 7.3.2.). Unterschiedliche Lebenshaltungskosten der einzelnen Angestellten rechtfertigen keine Ungleichbehandlung bei der Entlöhnung (E. 7.4.1). |
Schlagwörter : | Arbeit; Berufung; Schweiz; Berufungsbeklagte; Lebenshaltungskosten; Diskriminierung; Recht; Grenzgänger; Mitarbeitenden; Staatsangehörigkeit; Schweizer; Kantonsgericht; Kaufkraft; Ausland; Anhangs; Ungleichbehandlung; Berufungsklägerin; Berufungsbeklagten; Entscheid; Angestellten; Staatsangehörige; Arbeitnehmer; Arbeitnehmende; Kantonsgerichts; Rechtfertigung; Lohnreduktion; Arbeitnehmenden |
Rechtsnorm: | - |
Referenz BGE: | 129 II 249; 129 III 380; 130 I 26; 131 V 209; 133 V 367; 136 II 241; 136 V 182; 140 II 167; 140 II 364; 142 V 457; 143 II 57; 143 V 81; |
Kommentar: | - |
Art. 9 Abs. 1 des Anhangs I zum FZA hat direkte zivilrechtliche Wirkung (E. 7.3.1).
Bei der Beurteilung der Vergleichbarkeit der Situation von verschiedenen Arbeitnehmenden ist auf die Erbringung der Arbeitsleistung abzustellen. Nicht massgebend ist dagegen das sachfremde Kriterium der Lebenshaltungskosten der einzelnen Angestellten (E. 7.3.2.).
Unterschiedliche Lebenshaltungskosten der einzelnen Angestellten rechtfertigen keine Ungleichbehandlung bei der Entlöhnung (E. 7.4.1).
OGE 10/2017/1 vom 20. Februar 2018 Veröffentlichung im Amtsbericht
SachverhaltDie Berufungsbeklagte orientierte ihre Mitarbeitenden über die als Folge von Eurokrise und Frankenstärke schwierige Lage des Produktionsstandorts Schaffhausen und unterbreitete der Arbeitnehmervertretung den Vorschlag, die Löhne der Grenzgänger inskünftig mit einem Umrechnungsfaktor entsprechend dem ungefähren Durchschnittskurs des Vorjahres in Euro auszubezahlen. Gegenüber Mitarbeitenden, die keine einvernehmliche Vertragsänderung unterzeichneten, werde eine Änderungskündigung ausgesprochen. Die Berufungsklägerin stimmte in der Folge einer einvernehmlichen Vertragsänderung zu.
Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangte die Berufungsklägerin vor dem Kantonsgericht von der Berufungsbeklagten den Differenzbetrag zwischen dem ursprünglichen Lohn und dem nach der Lohnreduktion ausbezahlten Lohn. Das Kantonsgericht wies die Klage ab. Die dagegen erhobene Berufung hiess das Obergericht gut.
Aus den Erwägungen 7.1. Nach Art. 2 des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA, SR 0.142.112.681) dürfen Staatsangehörige einer Vertragspartei, die sich rechtmässig im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei aufhalten, bei der Anwendung dieses Abkommens gemäss den Anhängen I, II und III - die gemäss Art. 15 FZA Bestandteil desFZA sind - nicht aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit diskriminiert werden. Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger einer Vertragspartei ist, darf aufgrund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei hinsichtlich der Beschäftigungsund Arbeitsbedingungen, namentlich im Hinblick auf die Entlöhnung, nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer (Art. 9 Abs. 1 des Anhangs I zum FZA). Entsprechende einzelarbeitsvertragliche Bestimmungen sind von Rechts wegen nichtig (Art. 9 Abs. 4 des Anhangs I zum FZA; zum Verhältnis von Art. 2 FZA und Art. 9 des Anhangs I zum FZA vgl. BGE 140 II 364 E. 5.1).
Die Vorinstanz vertrat die Ansicht, die Kaufkraft am Ort des Lebensmittelpunktes sei der zentrale Faktor, der darüber bestimme, welchen Lebensstandard sich Arbeitnehmende leisten könnten. Ihr jede Bedeutung zu verweigern, wenn es um Fragen der Diskriminierung gehe, könne nicht angehen, sondern führe zu neuer Diskriminierung. Die Kaufkraft als objektiver und der Vergleichbarkeit zugänglicher Faktor müsse daher grundsätzlich als zulässiges Kriterium bei der Lohnfestsetzung betrachtet werden. Sie verneinte eine (indirekte) Diskriminierung, indem sie in tieferen Lebenshaltungskosten im Ausland sinngemäss einen Rechtfertigungsgrund erkannte. Im Übrigen seien vor der Eurokrise die in Deutschland wohnhaften Arbeitnehmenden aufgrund des für sie vorteilhaften Wechselkurses viele Jahre lang gegenüber den in der Schweiz ansässigen Mitarbeitenden stark privilegiert worden, ohne dass dies als Inländerdiskriminierung behandelt worden sei.
Die Vorinstanz sah das Überleben des Produktionsstandorts Schaffhausen in Gefahr. In einer solchen ausserordentlichen Lage müsse es zulässig sein, auch ungewöhnliche Wege zu beschreiten und die Arbeitnehmenden soweit sinnvoll in bescheidenem Ausmass am Risiko zu beteiligen. Andernfalls könnte sich eine Arbeitgeberin gezwungen sehen, den Betrieb aufzugeben und sämtliche Arbeitnehmer, inund ausländische, zu entlassen.
Die Berufungsklägerin bringt vor, die Berufungsbeklagte habe das FZA verletzt, indem sie den Grenzgängern für die gleiche Arbeit weniger Lohn in Schweizer Franken bezahlt habe. Pauschale Lohndifferenzierungen allein aufgrund des Wohnsitzes seien unzulässig. Ein Rechtfertigungsgrund für die (indirekte) Diskriminierung sei nicht gegeben, namentlich nicht in den angeblich unterschiedlichen Lebenshaltungskosten. Hätte die Berufungsbeklagte ein nach der Kaufkraft differenzierendes Lohnsystem einführen wollen, hätte sie auch innerhalb Deutschlands und innerhalb der Schweiz, zum Beispiel zwischen den Kantonen Schaffhausen und Zürich, die unterschiedlichen Lebenshaltungskosten berücksichtigen müssen. Diese seien zwar etwa in Norddeutschland zum Teil tatsächlich tiefer als in der Schweiz, nicht jedoch in Grenznähe.
Die Berufungsbeklagte verweist im Zusammenhang mit dem FZA im Wesentlichen auf die ihrer Ansicht nach richtige Begründung des vorinstanzlichen Urteils. Ergänzend führt sie an, betreffend Lebenshaltungskosten stelle man vernünftigerweise und wegen der Praktikabilität sowie Durchsetzbarkeit auf die Verhältnisse innerhalb eines Staates ab und differenziere nicht weiter. Die Lohnreduktion durch die Berufungsbeklagte habe lediglich dem Vorteilsausgleich durch den Wertzuwachs der Lohnwährung gedient, so dass von einer Benachteiligung der Angestellten aus dem Ausland nicht die Rede sein könne. Der Umstand, dass Sozialleistungen aus der Schweiz ins Ausland kaufkraftbezogen ausgerichtet würden, zeige, dass die in den verschiedenen EU-Staaten unterschiedlichen Lebenshaltungskosten nach Schweizer Rechtsauffassung einen sachlichen Rechtfertigungsgrund für eine Ungleichbehandlung bildeten.
Das FZA bindet vorab die Vertragsparteien, darunter die Schweizerische Eidgenossenschaft und die Bundesrepublik Deutschland, und verpflichtet diese, ihr innerstaatliches Recht entsprechend anzupassen (vgl. zum Recht auf Gleichbehandlung mit den Inländern in Bezug auf den Zugang zu einer Erwerbstätigkeit und deren Ausübung sowie auf die Lebens-, Beschäftigungsund Arbeitsbedingungen Art. 7 lit. a FZA). Darüber hinaus verschafft das FZA den unter dieses Abkommen fallenden Personen ein individuelles Beschwerdebzw. Klagesowie Berufungsrecht (Art. 11 FZA). Art. 9 Abs. 1 des Anhangs I zum FZA hat mithin direkte zivilrechtliche Wirkung (vgl. BGE 129 II 249 E. 3.3 m.w.H.; BGer 4A_593/2009 vom
5. März 2010; Entscheid des Kantonsgerichts Jura CC 96/2016 vom 10. März 2017
E. 4.2.3 m.w.H.; Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft 400 12 152 vom
Dezember 2012 E. 3.5 m.w.H.; Streiff/von Kaenel/Rudolph, Arbeitsvertrag,
Praxiskommentar zu Art. 319-362 OR, 7. Aufl. 2012, Art. 322 N 8 S. 281).
Das Diskriminierungsverbot von Art. 2 FZA bzw. Art. 9 Abs. 1 des Anhangs I zum FZA gilt nur innerhalb des persönlichen und sachlichen Anwendungsbereichs des FZA; unterschiedliche Behandlungen, die sich aufgrund anderer Rechtsgebiete ergeben, fallen nicht darunter (BGE 140 II 167 E. 4.3; BGer 2C_1049/2011 vom
Juli 2012 E. 5.3; je m.w.H.). Die Berufungsklägerin, deutsche Staatsangehörige mit Arbeitsort in der Schweiz, fällt als sogenannt abhängig beschäftigte Grenzgängerin im Sinne von Art. 7 des Anhangs I zum FZA sowohl in persönlicher als auch sachlicher Hinsicht in dessen Anwendungsbereich.
Eine Diskriminierung kann nur vorliegen, wenn vergleichbare Situationen ungleich behandelt werden unterschiedliche Situationen gleich behandelt werden (statt vieler Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften [EuGH] C-559/16 Bossen u.a. vom 7. September 2017 Rn. 19; BGE 140 II 364
E. 6.1 S. 375). Für die Vergleichbarkeit ist auf die Erbringung der Arbeitsleistung
durch die Arbeitnehmenden abzustellen, die beim Arbeitsvertrag in einem Austauschverhältnis mit der Lohnzahlung durch die Arbeitgeberin steht (Art. 319 Abs. 1 des Obligationenrechts [OR, SR 220]). Nicht massgebend sein kann dagegen das sachfremde Kriterium der Lebenshaltungskosten der einzelnen Angestellten (Entscheid des Kantonsgerichts Jura CC 96/2016 vom 10. März 2017 E. 5.2.2 letzter Absatz; Kurt Pärli, Möglichkeiten und Schranken der Anpassung von Arbeitsbedingungen als Reaktion auf die Frankenstärke, Jusletter 11. Mai 2015, Rz. 81, mit Hinweis auf den Entscheid des Bezirksgerichts Arlesheim vom 31. Januar 2012 E. 6.6.1; vgl. ferner Christa Tobler, Indirekte Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit durch Lohnsenkungen bei schwachem Euro-Kurs, in: Bäni/ Obrist [Hrsg.], Festschrift zur Emeritierung von Jean-Fritz Stöckli, 2014, S. 674, mit Verweis auf die EuGH-Rechtsprechung betreffend selbständig erwerbende Grenzgänger [grenzüberschreitende Pacht von Landwirtschaftsland]; a.M. Jean-Fritz Stöckli, Lohngleichheit für Grenzgänger bei Währungsverschiebungen, ARV online 2012 Nr. 262, Rz. 15 ff.; Jens Onnen, «Schadenersatzansprüche» aus Lohnzahlungen in Euro, in: Böhme/Gähwiler/Theus Simoni/Zuberbühler [Hrsg.], Ohne jegliche Haftung - Festschrift für Willi Fischer, Beiträge zum schweizerischen Haftpflichtund Schuldrecht, 2016, S. 410 ff.; zum dort jeweils angeführten Urteil des EuGH C-152/73 Sotgiu vom 12. Februar 1974, Slg. 1974 S. 153, vgl. Tobler,
S. 667 f.).
Mangels anderer Behauptung ist davon auszugehen, dass die im Ausland und die im Inland wohnhaften Mitarbeitenden der Berufungsbeklagten ihren jeweiligen Löhnen (inkl. variable Zahlungen und Zulagen) entsprechend grundsätzlich vergleichbare Arbeitsleistungen erbrachten. Ausschlaggebend für die von der Berufungsbeklagten angeregte Lohnreduktion bei den Grenzgängern waren denn auch nicht deren Arbeitsleistung und im Übrigen auch nicht deren angeblich tieferen Lebenshaltungskosten (bezüglich welcher in der Zusammenfassung der Präsentation [der Berufungsbeklagten] vom 13. Dezember 2011 nur ausgeführt wird, sie fielen überwiegend in Euro an, weshalb die Lohnzahlung zukünftig in Euro erfolgen solle, was für beide Seiten Planungssicherheit schaffe und woraus sich für die betroffenen Mitarbeitenden eine Kaufkraftgarantie ergebe), sondern der schwache Eurokurs und die damit verbundenen wirtschaftlichen Folgen. Die Vergleichbarkeit der Situation der Berufungsklägerin mit derjenigen der inländischen Arbeitnehmenden ist daher zu bejahen.
Das im FZA verankerte Diskriminierungsverbot verbietet sowohl die offene direkte (formelle) Diskriminierung, das heisst jede Unterscheidung, die ausdrücklich auf die Staatsangehörigkeit abstellt, als auch die versteckte indirekte (materielle) Diskriminierung. Eine solche liegt vor, wenn eine benachteiligende Regelung an ein anderes Kriterium als die Staatsangehörigkeit anknüpft, aber in ihren
Auswirkungen zum gleichen Ergebnis führt, ohne dass dies durch objektive Umstände gerechtfertigt wäre (zum Ganzen statt vieler BGE 140 II 364 E. 6.1 und 6.3 sowie BGE 131 V 209 E. 6).
Eine direkte Diskriminierung liegt unbestrittenermassen nicht vor, da die Berufungsbeklagte mit gewissen Mitarbeitenden - darunter die Berufungsklägerin - nicht aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit, sondern wegen ihres ausländischen Wohnsitzes bzw. Grenzgänger-Status Vereinbarungen über eine Lohnreduktion traf (bei genauer Betrachtung dürfte das formale Anknüpfungskriterium das Leben im Fremdwährungsgebiet bzw. Eurowährungsraum sein [vgl. dazu Stöckli, Rz. 37 a.E.], was im Ergebnis aber nichts ändert [vgl. Tobler, S. 660]). Zu bejahen ist indes eine indirekte Ungleichbehandlung der ausländischen Mitarbeitenden mit EUStaatsangehörigkeit. Weder hat die Berufungsbeklagte behauptet noch ist dargetan, dass ein wesentlicher Anteil der bei ihr beschäftigten Grenzgänger das Schweizer Bürgerrecht besitzt ein substanzieller Teil ihrer inländischen Belegschaft eine ausländische Staatsangehörigkeit aufweist (nicht notwendig ist, dass alle Schweizer Staatsangehörigen begünstigt und/oder nur Ausländer benachteiligt werden, vgl. Urteil des EuGH C-514/12 Zentralbetriebsrat der gemeinnützigen Salzburger Landeskliniken Betriebs GmbH vom 5. Dezember 2013 Rn. 27 m.H.; BGE 130 I 26 E. 3.2.3 S. 36; BGer 4A_593/2009 vom 5. März 2010
E. 1.5.2). Die von der Berufungsbeklagten getroffene Lohnmassnahme gegenüber ihren Angestellten mit Wohnsitz im Ausland traf demnach letztlich zumindest weitestgehend - nur die Mitarbeitenden mit ausländischer bzw. EU-Staatsangehörigkeit.
Eine Diskriminierung stellt aber erst die unzulässige Ungleichbehandlung dar (zur Terminologie vgl. etwa BGE 142 V 457 E. 3.4.1 und 141 I 241 E. 4.3.2; Schweizer/Bigler-Eggenberger/Kägi-Diener, Art. 8 N 46 f.). Eine solche wäre gegeben, wenn die Berufungsbeklagte ihre Angestellten mit einer EU-Staatsbürgerschaft im Vergleich zu den Schweizer Staatsangehörigen im Ergebnis ungleich behandelte, ohne dass dafür ein sachlicher Grund bestünde. Wie erwähnt ist es dabei irrelevant, ob eine direkte eine dieser gleichgestellte indirekte Diskriminierung vorliegt, mithin die Ungleichbehandlung einzig aufgrund der ausländischen Staatsangehörigkeit der Mitarbeitenden aufgrund von deren Wohnsitz im Ausland erfolgt.
Zu prüfen ist nachfolgend somit, ob sich die Lohnreduktion nur bei den Grenzgängern sachlich rechtfertigen lässt. Neben einem sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung ist das Verhältnismässigkeitsprinzip zu beachten (vgl. BGE 136 V 182 E. 7.1; Entscheid des Kantonsgerichts Jura CC 96/2016 vom 10. März 2017 E. 4.2.4 letzter Absatz; Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft 400 12 152 vom 17. Dezember 2012 E. 3.8; Tobler, S. 670; Stöckli, Rz. 63). Der EuGH,
dessen Rechtsprechung zu den analogen Normen des Gemeinschaftsrechts für die Auslegung des FZA zu berücksichtigen ist (Art. 16 Abs. 2 FZA; statt vieler BGE 143 II 57 E. 3.6 m.w.H.), hielt dazu fest, eine Ungleichbehandlung sei zulässig, wenn sie durch objektive, von der Staatsangehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer unabhängige Erwägungen gerechtfertigt sei und in einem angemessenen Verhältnis zum Zweck stehe, der mit den nationalen Rechtsvorschriften zulässigerweise verfolgt werde (Urteile C-124/99 Borawitz vom 21. September 2000, Slg. 2000, I-7293, Rn. 26, und C-237/94 O'Flynn vom 23. Mai 1996, Slg. 1996,
I-2617, Rn. 19; vgl. aus der jüngeren Praxis etwa Urteil C-523/13 Larcher vom
18. Dezember 2014 Rn. 32). Das Bundesgericht hat diese Rechtsprechung übernommen (BGE 133 V 367 E. 9.3 und 131 V 209 E. 6.3).
Ein Rechtfertigungsgrund gemäss Art. 5 Abs. 1 des Anhangs I zum FZA ist unstreitig nicht gegeben.
Die von der Berufungsbeklagten behaupteten tieferen Lebenshaltungskosten der namentlich in Süddeutschland wohnhaften Grenzgänger sind kein tauglicher Rechtfertigungsgrund für eine Ungleichbehandlung bei der Entlöhnung der Mitarbeitenden, da sie in keinem Zusammenhang mit der von den Angestellten erbrachten Arbeitsleistung stehen, die mit der Lohnzahlung abgegolten wird (Entscheid des Kantonsgerichts Jura CC 96/2016 vom 10. März 2017 E. 5.2.1; Pärli, Rz. 81; Philipp Gremper, Frage der Zulässigkeit der Zahlung des Lohnes in Euro, Anwaltsrevue 2/2012, S. 77 [der zumindest eine generelle Ungleichbehandlung der Grenzgänger unbesehen der individuellen Umstände und Interessenlage im konkreten Einzelfall als diskriminierend im Sinne des FZA betrachtet]; Jean Christoph Schwaab, Paiement du salaire en euros, adaptation au cours de l'euro: que dit le droit du travail, Jusletter 8. August 2011, Rz. 25). Selbst wenn man aber auch sachfremde Kriterien als Rechtfertigungsgründe zulassen wollte (so Stöckli, Rz. 20 ff.; Onnen, S. 410 ff.; beide mit Verweis auf das EuGH-Urteil Sotgiu; vgl. zu diesem indes Tobler, S. 667 f.), wäre die behauptete unterschiedliche Kaufkraft nicht geeignet, verschiedene Saläre zu rechtfertigen. Denn auch innerhalb der Schweiz sind die Lebenshaltungskosten nicht überall gleich hoch. So gibt es zwischen den einzelnen Gemeinden und Kantonen etwa erhebliche Unterschiede bei Versicherungsprämien und Steuern, aber auch bei gewissen Dienstleistungen und zum Teil bei Konsumgütern. Die Lebenshaltungskosten der einzelnen Mitarbeitenden variieren indes nicht nur abhängig vom Wohnort, sondern sie sind ebenso abhängig von den persönlichen Lebensumständen der Betroffenen. Wollte man auch andere Kriterien als die mit der Lohnzahlung in einem Austauschverhältnis stehende Arbeitsleistung als sachliche Rechtfertigungsgründe für eine unterschiedliche Entlöhnung berücksichtigen, ist nicht einsehbar, weshalb nicht auch die kon-
kreten Lebenshaltungskosten (etwa Mietoder Hypothekarzinsen, Kosten für Versicherungen, Energie, Verkehr und Kommunikation, Ausgaben für Lebensmittel und Kleidung usw.) berücksichtigt werden sollten der Umstand, ob die Mitarbeitenden für Kinder aufzukommen haben. Daraus erhellt ohne Weiteres, dass die persönlichen Lebensumstände der Angestellten keinen tauglichen Anknüpfungspunkt darstellen, um unterschiedliche Löhne zu rechtfertigen. Dies anerkennt im Übrigen auch die Berufungsbeklagte, die jedoch dafürhält, wegen der Umsetzbarkeit sei nur auf die Lebenshaltungskosten innerhalb eines Staates abzustellen und nicht weiter zu differenzieren. Dafür gibt es indes keinen Anlass, können doch im Einzelfall die Lebenshaltungskosten innerhalb der Schweiz weiter auseinanderliegen als zwischen grenznahen Gebieten der Schweiz und des Auslandes. Es eignen sich daher nur mit der Arbeitsleistung und dem Verhalten am Arbeitsplatz in Zusammenhang stehende Umstände für die Rechtfertigung unterschiedlicher Löhne für gleichwertige Arbeit.
Ebenso wenig kann die Berufungsbeklagte aus dem Umstand, dass Sozialleistungen aus der Schweiz ins Ausland sofern überhaupt vereinzelt kaufkraftbezogen ausgerichtet werden, etwas zu ihren Gunsten ableiten. In diesen Fällen geht es nicht um bei der gleichen Arbeitgeberin beschäftigte Arbeitnehmer, die gleichwertige Arbeit verrichten. Es fehlt überdies ein gemeinsamer Anknüpfungspunkt (z.B. Arbeitsort) in der Schweiz. Soweit die Berufungsbeklagte konkret Art. 4 Abs. 3 des Familienzulagengesetzes (FamZG, SR 836.2) anführt, ist darauf hinzuweisen, dass die Kaufkraft namentlich bei EU-Mitgliedstaaten gar nicht (vgl. Leitfaden des Bundesamtes für Sozialversicherungen BSV vom August 2017 für die Durchführung des Freizügigkeitsabkommens Schweiz-EU im Bereich der Familienleistungen, S. 10; abrufbar unter < http://www.bsv.admin.ch/bsv/de/home / sozialversicherungen/famz/grundlagen-und-gesetze/ausland.html >, abgerufen am 20.02.2018) und im Übrigen erst bei einer Differenz von mehr als einem Drittel berücksichtigt wird (vgl. Art. 8 Abs. 1 der Familienzulagenverordnung [FamZV, SR 836.21]). Abgesehen davon erfolgt eine Anpassung von Sozialleistungen an die Kaufkraft soweit ersichtlich - nur noch bei den ins Ausland ausgerichteten Prämienverbilligungen für die Krankenversicherung (vgl. Art. 6 der Verordnung über die Prämienverbilligung in der Krankenversicherung für Rentner und Rentnerinnen, die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft, in Island Norwegen wohnen [VPVKEG, SR 832.112.5]).
Im Schrifttum wird für die Zulässigkeit eines von den Lebenshaltungskosten abhängigen Lohnes teilweise auf das Bundespersonalrecht verwiesen, das in Form des Ortszuschlags einen von den Lebenshaltungskosten abhängigen Lohnbestandteil kennt (Art. 43 der Bundespersonalverordnung [BPV, SR 172.220.111.3] und Art. 11 der Verordnung des EFD zur Bundespersonalverordnung [VBPV,
SR 172.220.111.31]). Dieser knüpft indes grundsätzlich gerade nicht an die Kaufkraft am Wohnort der Arbeitnehmenden, sondern an diejenige am Arbeitsort an. Ist der Ortszuschlag für den Wohnort der angestellten Person höher als derjenige für den Arbeitsort, wird er zwar nach dem Wohnort festgesetzt (vgl. Art. 11 Abs. 3 VBPV). Bei Grenzgängern verhält es sich jedoch gerade umgekehrt: Die Kaufkraft an ihrem Wohnort ist (angeblich) höher als am Arbeitsort, der Ortszuschlag an Letzterem demnach höher als an Ersterem.
Dem einzelnen Arbeitnehmer bleibt es unbenommen, nicht an seinem Arbeitsort, sondern an einem anderen Ort mit tieferen Lebenshaltungskosten Wohnsitz zu nehmen, verbunden mit etwaigen Nachteilen, namentlich einem längeren Arbeitsweg. Dies galt und gilt ganz allgemein, sowohl vor als auch nach Eintritt der Eurokrise. Deshalb kann, entgegen der Ansicht von Berufungsbeklagter und Vorinstanz, allein aufgrund unterschiedlicher Lebenshaltungskosten nicht von Diskriminierung gesprochen werden. Soweit die Vorinstanz sodann erwog, vor der Eurokrise seien die in Deutschland wohnhaften Arbeitnehmenden aufgrund des für sie vorteilhaften Wechselkurses viele Jahre lang gegenüber den in der Schweiz ansässigen Mitarbeitenden privilegiert worden, ohne dass dies als Inländerdiskriminierung behandelt worden sei, ist überdies darauf hinzuweisen, dass das FZA auf im Inland wohnhafte Schweizer Staatsbürger mangels grenzüberschreitenden Sachverhalts grundsätzlich nicht anwendbar ist (vgl. BGE 143 V 81 E. 8.3; anders kann es sich verhalten, wenn der betroffene Schweizer Staatsangehörige im EUAusland wohnt [vgl. BGE 136 II 241 E. 11]).
Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass die per Anfang 2012 vorgenommene Lohnkürzung bei der Berufungsklägerin gegen das im FZA verankerte Diskriminierungsverbot verstiess und demnach unzulässig war.
Würde das Vorgehen der Berufungsbeklagten nicht als diskriminierend gewertet, könnte dies im Übrigen eine Benachteiligung der inländischen Wohnbevölkerung, vorab von Schweizer Staatsangehörigen, zum Ergebnis haben, wenn sich Arbeitgeber aufgrund der tieferen Lohnkosten veranlasst sehen, vermehrt Grenzgänger anzustellen (vgl. dazu Anne Troillet, La monnaie du salaire dans les situations transfrontalières, in: Rémy Wyler [Hrsg.], Panorama II en droit du travail, 2012, S. 236 f.).
7.5. Offenbleiben kann bei diesem Ergebnis, ob die Kaufkraft der Grenzgänger tatsächlich höher bzw. deren Lebenshaltungskosten tiefer sind als diejenigen in der Schweiz. Ebenso wenig ist zu prüfen, ob die entsprechenden Vorbringen der Berufungsklägerin in der Berufungsschrift wie von der Berufungsbeklagten geltend gemacht gegen das Novenverbot von Art. 317 Abs. 1 der Zivilprozessordung (ZPO, SR 272) verstossen.Nicht beantwortet werden muss sodann die Frage, ob das Vorgehen der Berufungsbeklagten verhältnismässig war. Immerhin erscheint dies zweifelhaft, hätte diese doch etwa mittels Änderungskündigungen von der ganzen Belegschaft (dafür geringere) Lohnkürzungen (oder eine Erhöhung der Arbeitszeit) verlangen können, wenn das Überleben des Produktionsstandorts Schaffhausen in Gefahr war (vgl. dazu auch Entscheid des Kantonsgerichts Jura CC 96/2016 vom 10. März 2017 E. 6.2 m.w.H.).
Schliesslich ist nicht mehr zu untersuchen, ob die Berufungsbeklagte mit der Lohnreduktion in unzulässiger Weise das Währungsrisiko auf die Berufungsklägerin abwälzte (vgl. dazu Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft 400 12 152 vom 17. Dezember 2012 E. 3.8.4 sowie zum Verbot, das Betriebsund Wirtschaftsrisiko auf die Arbeitnehmer zu überwälzen, BGE 129 III 380 E. 3.1 und 125 III 65 E. 5 m.H.; Streiff/von Kaenel/Rudolph, Art. 324 N 5).
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