Zusammenfassung des Urteils Nr. 10/2011/16: Obergericht
Der Kläger hat gegen ein Urteil des Einzelgerichts am Bezirksgericht Winterthur vom 16. Februar 2011 Beschwerde eingereicht, da er die Unterhaltsbeiträge abändern wollte. Nach verschiedenen Verhandlungen und Vereinbarungen zwischen den Parteien entschied das Obergericht des Kantons Zürich am 2. November 2011, dass die Klage abgewiesen wird und die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 5'400.- festgesetzt werden. Die Kosten des Verfahrens werden zu 9/10 dem Kläger und zu 1/10 der Beklagten auferlegt. Der Kläger muss der Beklagten eine reduzierte Prozessentschädigung von Fr. 5'800.- zahlen. Die Partei, die verloren hat, ist männlich.
Kanton: | SH |
Fallnummer: | Nr. 10/2011/16 |
Instanz: | Obergericht |
Abteilung: | - |
Datum: | 30.09.2011 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Art. 3 lit. a und lit. b sowie Art. 5 Abs. 1 HKsÜ; Art. 79 und Art. 85 Abs. 1 IPRG; Art. 134 und Art. 298a Abs. 2 ZGB. Neuregelung der elterlichen Sorge im internationalen Verhältnis; Zuständigkeit |
Schlagwörter : | Sorge; Scheidung; Sorgerecht; Scheidungsurteil; Eltern; Gericht; Zuständigkeit; Kantonsgericht; Schweiz; Scheidungsurteils; Kindes; Sorgerechts; Regel; HKsÜ; Gerichte; Recht; Regelung; Kinder; Ergänzung; Übereinkommen; Umständen; Vormundschaftsbehörde; Scheidungsverfahren; Sorgerechtszuteilung; Haager; Schutz; Verwaltungsbehörde; Zivilgesetzbuch |
Rechtsnorm: | Art. 134 ZGB ;Art. 287 ZGB ;Art. 298a ZGB ;Art. 309 ZGB ;Art. 68 IPRG ;Art. 79 IPRG ;Art. 85 IPRG ; |
Referenz BGE: | 123 III 413; 126 III 302; |
Kommentar: | - |
Veröffentlichung im Amtsbericht
Wurde im deutschen Scheidungsverfahren die Sorgerechtszuteilung angesichts der gesetzlichen gemeinsamen elterlichen Sorge nicht beurteilt, so ist das Scheidungsurteil nicht lückenhaft. Die elterliche Sorge kann daher in der Schweiz nicht auf dem Weg der Ergänzung Änderung des Scheidungsurteils neu geregelt werden (E. 2b).
Wird die Neuregelung der elterlichen Sorge verlangt, so sind in der Schweiz im Streitfall die Gerichte, nicht die vormundschaftlichen Behörden zuständig (E. 2c).
A. reichte beim Kantonsgericht Klage auf Ergänzung bzw. Änderung des Scheidungsurteils des deutschen Familiengerichts B. ein mit dem Hauptantrag, die Tochter C. unter ihre alleinige elterliche Sorge zu stellen. Das Kantonsgericht trat auf die Klage nicht ein, weil es sich nicht als zuständig erachtete. Eine hiegegen gerichtete Berufung von A. hiess das Obergericht teilweise gut; es wies die Sache zur Durchführung des Verfahrens ans Kantonsgericht zurück.
Aus den Erwägungen:
2.- Die Appellantin verlangt die Zuteilung der alleinigen elterlichen Sorge über die Tochter C. (geboren 2003) sowie die Regelung des persönlichen Verkehrs zum Vater des Kindes, welcher in Deutschland lebt. Für die Dauer des Verfahrens beantragt die Appellantin die alleinige Obhut. Bei diesen Anträgen handelt es sich um Schutzmassnahmen im Sinne des Haager Kindesschutzübereinkommens.1 Dieses geht dem schweizerischen Bundes-
Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Massnahmen zum Schutz von Kindern vom 19. Oktober 1996 (Haager Kindesschutzübereinkommen, HKsÜ, SR 0.211.231.011). Vgl. auch BGE 123 III 413 E. 2a, mit Hinweisen, und Kurt Siehr, Zürcher Kommentar zum IPRG, 2. A., Zürich/Basel/Genf 2004, Art. 79 N. 15,
gesetz über das Internationale Privatrecht vor (Art. 79 Abs. 2 und 85 Abs. 1 IPRG2). Sowohl Deutschland als auch die Schweiz haben das Haager Kindesschutzübereinkommen ratifiziert. Die angefochtene Verfügung des Kantonsgerichts erging zu einem Zeitpunkt, als das Übereinkommen bereits für beide Staaten in Kraft getreten war (für Deutschland am 1. Januar 2011). Das Übereinkommen ist daher auf die vorliegende Streitsache anwendbar (Art. 53 Abs. 1 HKsÜ).
Das Kind C. hat seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort in der Schweiz. Somit ist die internationale Zuständigkeit der schweizerischen Behörden gegeben.3 Dies wird auch von den Parteien anerkannt. Umstritten ist hingegen, ob innerstaatlich das Zivilgericht eine Verwaltungsbehörde zuständig ist.
Das Kantonsgericht hält sich im Wesentlichen deshalb für nicht zuständig, weil die Sorgerechtsregelung nicht Bestandteil des deutschen Scheidungsurteils sei. Das betreffende Urteil bedürfe daher keiner Änderung beziehungsweise Ergänzung. Für die Umteilung der elterlichen Sorge (losgelöst von eherechtlichen Belangen) seien aber nicht die Gerichte, sondern die Verwaltungsbehörden, vorliegend die vormundschaftliche Aufsichtsbehörde, zuständig. Dabei bezieht sich das Kantonsgericht auf Art. 298a Abs. 2 ZGB4, welcher die Neuzuteilung der elterlichen Sorge unverheirateter Eltern regelt.
Die Appellantin wendet im Wesentlichen dagegen ein, Art. 298a Abs. 2 ZGB sei nicht anwendbar, sondern gelte nur für Kinder, deren Eltern im Zeitpunkt der Geburt des Kindes nicht miteinander verheiratet gewesen seien. Geschiedene Eltern seien nicht unverheiratet im Sinne von Art. 298a Abs. 2 ZGB, sondern es seien die scheidungsrechtlichen Bestimmungen und Zuständigkeiten zu beachten.
aa) Wird die Ehe der Parteien in der Schweiz geschieden, so ist ohne Weiteres der Scheidungsrichter zur Neuregelung des Sorgerechts zuständig (Art. 134 ZGB). Dabei ist ein Änderungsverfahren durchzuführen, da die Regelung des Sorgerechts auch wenn sie einvernehmlich erfolgte stets Bestandteil des Scheidungsurteils ist.5
S. 796, allerdings noch zum Haager Minderjährigenschutz-Übereinkommen vom 5. Oktober 1961 (MSA).
Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht vom 18. Dezember 1987 (IPRG, SR 291).
Art. 85 IPRG und Art. 5 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 lit. a und b HKsÜ.
Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 (ZGB, SR 210).
So neuerdings ausdrücklich Art. 283 Abs. 1 der Schweizerischen Zivilprozessordnung vom
19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO, SR 272).
Längst nicht alle Staaten kennen jedoch den in der Schweiz vertretenen Grundsatz der Einheit des Scheidungsurteils, wonach in ein und demselben Gerichtsurteil der Statusentscheid der Auflösung der Ehe und sämtliche Nebenfolgen enthalten sein sollen.6 Entsprechend werden im internationalen Privatrecht die Beziehungen der Ehegatten zu ihren Kindern denn auch nicht im allgemeinen Ehewirkungsstatut geregelt, sondern unterstehen dem für die Entstehung bzw. Wirkungen des Kindsverhältnisses massgebenden Recht (Art. 68 und 82 IPRG).7
Auch das deutsche Recht kennt den Grundsatz der Einheit des Scheidungsurteils nur in abgeschwächter Form (§ 137 FamFG8). So ergibt sich nach deutscher Rechtsauffassung das gemeinsame Sorgerecht der Eltern unmittelbar aus dem Gesetz (§ 1626 BGB9). Es wird darauf verzichtet, bei der Scheidung die elterliche Sorge von Amts wegen zu überprüfen. Nur der Versorgungsausgleich ist zwingend mit der Scheidung durchzuführen (vgl.
§ 1587 BGB). Die übrigen Nebenfolgen (Folgesachen), zu denen nebst dem Sorgeverfahren unter anderem auch das nacheheliche Unterhaltsund Umgangsverfahren, der Zugewinnausgleich, das Wohnungszuweisungsverfahren und die Hausratsteilung gehören, können auf Antrag des Ehepartners mit dem Scheidungsverfahren durchgeführt werden. Das alleinige Sorgerecht kann einem Elternteil auf Antrag in der Regel nur dann zugesprochen werden, wenn der andere Elternteil zustimmt das Gericht befindet, die Zuteilung entspreche dem Wohl des Kindes am besten (§ 1671 BGB). Ein solcher Antrag ist zwingend spätestens zwei Wochen vor der ersten Terminierung des Scheidungsverfahrens einzureichen (§ 137 FamFG).
bb) Die Parteien reichten unbestrittenermassen keinen Antrag zur Regelung des Sorgerechts ein. Als Folge davon bildete die Sorgerechtszuteilung nicht Gegenstand des Scheidungsverfahrens und somit auch nicht des Scheidungsurteils des Familiengerichts B. Das heisst jedoch nicht, dass das Scheidungsurteil eine Lücke aufweist, die durch nachträgliche Ergänzung zu schliessen wäre. Der Scheidungsrichter hat sämtliche Fragen geregelt, die bei der Scheidung geregelt werden mussten. Im Punkt der Sorgerechtszuteilung greift unmittelbar die gesetzliche Regelung.
Vgl. Ivo Schwander, Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ausländischer Scheidungsurteile, FamPra 2009, S. 832, 844.
Vgl. auch Paul Volken, IPRG Kommentar, Zürich 1993, Vor Art. 46-50 N. 2, S. 402, und Art. 63 N. 11, S. 482.
Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Dezember 2008.
Bürgerliches Gesetzbuch vom 18. August 1896.
Das Kantonsgericht hat daher zutreffend erwogen, dass das Scheidungsurteil unter diesen Umständen nicht ergänzt werden könne.
cc) Auch die Voraussetzungen für eine Abänderung des betreffenden Scheidungsurteils sind nicht erfüllt. Zwar wird in der Lehre zum Teil die Meinung vertreten, die Möglichkeit einer Abänderungsklage sei von den Gerichten grosszügig zu handhaben.10 Dazu bedarf es jedoch eines abänderbaren Rechtstitels, der im vorliegenden Fall fehlt. Der ursprüngliche Scheidungsrichter hat das Sorgerecht gerade nicht beurteilt. Es liegen weder eine abänderbare Entscheidung noch ein gerichtlich gebilligter Vergleich zum Sorgerecht vor.
Zu prüfen bleibt, ob das Kantonsgericht auch ausserhalb eines Änderungsoder Ergänzungsverfahrens für das vorliegende Begehren zuständig ist.
aa) Gemäss Art. 5 Abs. 1 HKsÜ sind die Behörden, seien es Gerichte Verwaltungsbehörden, des Vertragsstaats, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zuständig, Massnahmen zum Schutz der Person des Vermögens des Kindes zu treffen. Zu diesen Massnahmen gehören unter anderem die Zuweisung, Ausübung und Entziehung der elterlichen Sorge sowie deren Übertragung (Art. 3 lit. a und b HKsÜ). Das Übereinkommen regelt die örtliche Zuständigkeit in Fragen der Sorgerechtszuteilung abschliessend, unterscheidet aber sachlich nicht zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden. Diese Regelung wird vielmehr den einzelnen Vertragsstaaten überlassen.
bb) Es ist nicht klar, ob sich die Frage der zuständigen Behörde wiederum nach dem Kollisionsrecht richtet (IPRG) ob das innerstaatliche materielle Recht anwendbar ist.11 Für die Anwendung des IPRG spricht dessen abschliessender Charakter im Bereich des internationalen Zuständigkeitsrechts. Gemäss Art. 79 IPRG sind für Klagen betreffend die Beziehungen zwischen Eltern und Kind, insbesondere betreffend den Unterhalt des Kindes, grundsätzlich die schweizerischen Gerichte am gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes am Wohnsitz oder, wenn ein solcher fehlt, am gewöhnlichen Aufenthalt des beklagten Elternteils zuständig (Abs. 1). Dabei handelt es sich um eine generelle Zuständigkeitsnorm für Statusund Unterhaltsprozesse mit Auslandberührung.12
Die Frage kann jedoch offen bleiben, da auch das Zivilgesetzbuch eine
gerichtliche Zuständigkeit vorsieht.
Vgl. Schwander, S. 845.
Vgl. den Verweis in Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 21 Abs. 1 HKsÜ, der sich aber wohl nur auf die materielle lex fori bezieht und nicht auf Zuständigkeitsfragen.
Siehr, Art. 79 N. 1, S. 791 f.
cc) Im Allgemeinen ist die Vormundschaftsbehörde für die Umteilung der elterliche Sorge nur zuständig, wenn diese unbestritten unausweichlich ist (Art. 134 Abs. 3, Art. 298 Abs. 2, Art. 298a Abs. 1 ZGB). In strittigen Fällen ist in der Regel das Gericht zuständig. Das zivilprozessuale Verfahren ist in diesen Fällen besser geeignet als das Verwaltungsverfahren. Namentlich ist der Instanzenzug des Zivilverfahrens bei umstrittener elterlicher Sorge dem vormundschaftlichen Beschwerdeverfahren vorzuziehen, nicht zuletzt im Hinblick auf Art. 6 Ziff. 1 EMRK13.
Es sind keine Gründe ersichtlich, weshalb in Streitfällen mit Auslandberührung anders verfahren werden sollte. Eine Beurteilung durch den Zivilrichter ist gerade bei umstrittenen internationalen Sachverhalten geboten, weil sich unter Umständen schwierige kollisionsrechtliche Fragen stellen und ausländisches Recht anwendbar sein kann.14
Weiter ist zu bedenken, dass hinsichtlich der Ordnung sämtlicher Kinderbelange uneingeschränkt die Offizialmaxime gilt. Diese gehört zum schweizerischen Ordre public. Die schweizerischen Gerichte haben daher sobald sie mit der Gestaltung der Elternrechte befasst sind von Amts wegen nötigenfalls auch den Kinderunterhalt und das Besuchsrecht festzulegen.15 Unter diesen Umständen ist aber im Falle geschiedener Ehegatten das für die Abänderung des Scheidungsurteils zuständige Gericht am besten geeignet, ein (strittiges) Begehren auf Umteilung des Sorgerechts zu behandeln.
dd) Entgegen der Ansicht des Kantonsgerichts ist Art. 298a Abs. 2 ZGB vorliegend nicht anwendbar. Der betreffende Abschnitt regelt die elterliche Sorge für nichteheliche Kinder.16 Im Unterschied zur entsprechenden deutschen Regelung wird dies im Gesetzestext nicht ausdrücklich erwähnt.17 Eine entsprechende Auslegung ergibt sich jedoch aus dem Gesetzeskontext. In diesen Fällen, bei welchen das Sorgerecht von Gesetzes wegen grundsätzlich der Mutter zufällt (Art. 298a Abs. 1 ZGB), macht die Zuständigkeit der Vormundschaftsbehörden durchaus Sinn. Diese sind näher an der Sache und in der Regel mit den Verhältnissen besser vertraut als das Gericht. Im Falle einer gemeinsamen elterlichen Sorge unverheirateter Eltern hat die Vormundschaftsbehörde bereits überprüft, ob die Gemeinschaft genügend stabil ist (Art. 298a Abs. 1 ZGB). Zusätzlich genehmigte sie den Unterhaltsvertrag
Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (EMRK, SR 0.101).
Vgl. Art. 15 ff. HKsÜ.
BGE 126 III 302 f. E. 2a bb mit Hinweisen.
Ingeborg Schwenzer, Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, Art. 1-456 ZGB, 4. A., Basel 2010, Art. 298 N. 1, S. 1582.
§ 1626a BGB.
zwischen unverheirateten Eltern (Art. 287 ZGB). Unter Umständen war die Vormundschaftsbehörde auch bei der Feststellung der Vaterschaft beteiligt (Art. 309 ZGB).
Diese Sachnähe der Vormundschaftsbehörden fehlt bei Kindsbelangen geschiedener Eltern regelmässig. Auch aus den Materialien geht hervor, dass der Gesetzgeber in Art. 298a ZGB mit unverheiratete Eltern nicht auch geschiedene Eheleute meinte. So werden in der Botschaft die Begriffe unverheiratet und geschieden wiederholt einander gegenübergestellt.18
Unter diesen Umständen durfte das Kantonsgericht seine Zuständigkeit nicht verneinen. Vielmehr hätte der Einzelrichter in Familiensachen auf die Sache eintreten müssen.
Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches vom 15. November 1995, BBl 1996 I 1 Ziff. 244.41, S. 162 ff.
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