Zusammenfassung des Urteils Nr. 10/2006/5: Obergericht
In dem vorliegenden Fall ging es um eine Mietstreitigkeit mit einem Streitwert von Fr. 7'680.-, bei der das Gericht separate Klagen vereinigen wollte, jedoch aufgrund unterschiedlicher Zuständigkeiten dies nicht nachträglich tun konnte. Die Klägerin war mit der Vereinigung nicht einverstanden und argumentierte gegen die Entscheidung des Gerichts. Letztendlich wurde das Urteil des Kantonsgerichts aufgehoben und die Sache zur Neuentscheidung an die Einzelrichterin zurückverwiesen. Die Berufung wurde teilweise begründet.
Kanton: | SH |
Fallnummer: | Nr. 10/2006/5 |
Instanz: | Obergericht |
Abteilung: | - |
Datum: | 21.12.2006 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Art. 75, Art. 76, Art. 86 und Art. 138 ZPO. Nachträgliche Vereinigung separat eingereichter Klagen durch das Gericht |
Schlagwörter : | ändig; Klage; Verfahren; Kanton; Zuständigkeit; Kantons; Kantonsgericht; Klagen; Einzelrichter; Einzelrichterin; Gericht; Vereinigung; Verfahrens; Kammer; Überweisung; Appellantin; Streitwert; Kantonsgerichts; Eingabe; Klagenhäufung; Berufung; Urteil; Schaffhausen; Gerichtsschreiber; Zivilprozess; ökonomisch |
Rechtsnorm: | Art. 138 ZPO ;Art. 143 ZPO ;Art. 352 ZPO ;Art. 75 ZPO ;Art. 76 ZPO ;Art. 86 ZPO ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | - |
Veröffentlichung im Amtsbericht
Art. 75, Art. 76, Art. 86 und Art. 138 ZPO. Nachträgliche Vereinigung separat eingereichter Klagen durch das Gericht (OGE 10/2006/5 vom21. Dezember 2006)
Veröffentlichung im Amtsbericht
Das Gericht kann in analoger Anwendung von Art. 86 ZPO separat eingeleitete Verfahren vereinigen, wenn für beide Klagen dieselbe Verfahrensart und Zuständigkeit besteht (E. 2c). Da für die sachliche Zuständigkeit der Streitwert im Zeitpunkt der Klageanhebung massgebend ist, kann jedoch das Gericht im Gegensatz zur ursprünglichen Klagenhäufung - nicht nachträglich Klagen vereinigen, wenn für die eine der Einzelrichter und für die andere die Kammer zuständig ist (E. 2d).
Die Einrede der fehlenden Zuständigkeit ist grundsätzlich mit rekursfähigem Zwischenentscheid zu beurteilen. Geschieht dies nicht, kann die Unzuständigkeit mit der Berufung gegen das abschliessende Urteil gerügt werden (E. 2d).
Aus den Erwägungen:
2.a) Unbestritten geht es um eine Mietstreitigkeit mit einem Streitwert von Fr. 7'680.-, die nach Art. 73b Abs. 1 lit. a der Zivilprozessordnung für den Kanton Schaffhausen vom 3. September 1951 (ZPO, SHR 273.100) grundsätzlich in die sachliche Zuständigkeit der Einzelrichterin des Kantonsgerichts Schaffhausen fallen würde. Da beim Kantonsgericht in der gleichen Angelegenheit eine Klage gegen vier andere Mieter hängig war, überwies die Einzelrichterin ihr Verfahren am 21. Juni 2006 an die I. Zivilkammer des Kantonsgerichts. Dabei verwies die Einzelrichterin unter anderem auf die telefonische Mitteilung der Parteien an den Gerichtsschreiber, dass diese mit einer Überweisung grundsätzlich einverstanden seien. In der Eingabe ans Kantonsgericht vom 27. Juni 2005 führte die Klägerin aus, was sie dem Gerichtsschreiber telefonisch mitgeteilt habe, nämlich dass sie das Vorgehen aus ökonomischer Sicht begrüsse, damit aber die zwingende sachliche Zuständigkeit der Einzelrichterin unterlaufen werde. Die Präsidentin der I. Zivilkammer vereinigte am 28. Juni 2005 gestützt auf Art. 86 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 ZPO das
überwiesene Verfahren mit dem andern Verfahren betreffend Mietzinsanfechtung ... unter Hinweis auf die gleichartigen Rechtsansprüche, die auf den gleichen Tatsachen und Rechtsgründen wie im vorliegenden Verfahren beruhen, sowie auf prozessökonomische Gründe. An der Hauptverhandlung beantragte die Klägerin, auf die überwiesene Klage nicht einzutreten und das Verfahren an die Einzelrichterin zurückzuweisen. Das Kantonsgericht wies den prozessualen Antrag ab mit der Begründung, dass die Klägerin sich gegenüber dem Gerichtsschreiber einverstanden erklärt habe und dieses Verhalten widersprüchlich sei.
Die Klägerin macht geltend, es sei falsch und aktenwidrig, dass sie mit der Überweisung des Verfahrens von der Einzelrichterin vom 21. Juni 2005 an die I. Kammer des Kantonsgerichts Schaffhausen einverstanden gewesen sei. Aus der unvollständigen Aktennotiz des Gerichtsschreibers der Einzelrichterin gehe klar hervor, dass die Klägerin wegen der aus rechtlichen Gründen unzulässigen Vorgehensweise Zweifel angemeldet und um Sistierung des Verfahrens ersucht habe. Es sei dem Obergericht überlassen, die vom Kantonsgericht entweder nicht gelesene unliebsame Eingabe der Klägerin vom 27. Juni 2005 zu würdigen. Darin sei wiedergegeben worden, dass eine Überweisung aus ökonomischer Sicht zu begrüssen wäre, der zwingenden sachlichen Zuständigkeit jedoch entgegenstehe. Der Klägerin habe übrigens weder ein Rechtsmittel gegen die Überweisungsverfügung zur Verfügung gestanden, noch sei ihr eines eröffnet worden. Die Eingabe der Klägerin vom 27. Juni 2005 sei in der Vereinigungsverfügung vom 28. Juni 2005 und auch im Urteil vom 25. Oktober 2005 mit keinem Wort erwähnt worden, so dass das rechtliche Gehör verletzt sei. Gemäss Art. 143 ZPO habe das Kantonsgericht von Amtes wegen über die sachliche Zuständigkeit zu befinden. Die sachliche Zuständigkeit sei zwingend, so dass die Parteien darüber weder disponieren noch sich einlassen könnten. ...
Das Kantonsgericht hat eine Vereinigung von zwei Klagen vorgenommen, wovon aufgrund des Streitwertes eine bei der Einzelrichterin und die andere bei der Kammer erhoben worden war.
Eine Vereinigung von Prozessverfahren kann nach der Praxis obwohl nicht ausdrücklich geregelt in analoger Anwendung von Art. 86 ZPO (Streitgenossenschaft i.w.S.) auch durch das Gericht vorgenommen werden. Voraussetzung für eine solche Vereinigung zweier Verfahren ist freilich, dass für beide Klagen dieselbe Verfahrensart und Zuständigkeit besteht, wie dies für die objektive Klagenhäufung (Art. 138 ZPO) ausdrücklich vorgesehen ist, aber grundsätzlich auch für die Vereinigung von Klagen gegen verschiedene Beklagte (subjektive Klagenhäufung) bzw. für die einfache Streitgenossenschaft gelten muss (vgl. in diesem Sinn auch Annette Dolge, Der Zivilprozess im Kanton Schaffhausen im erstinstanzlichen ordentlichen Verfahren, Diss.
Zürich 2001, S. 41; Frank/Sträuli/Messmer, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, 3. A., Zürich 1997, § 40 N. 17 mit Hinweisen, S. 188). Richtig ist zwar, dass es zulässig ist, nach Art. 86 ZPO eine Klage gegen mehrere Beklagte bei der für den Gesamtklagebetrag zuständigen Instanz zu erheben, obwohl für eine einzelne Klage aufgrund des Streitwerts eine andere Zuständigkeit bestehen würde, weil bei der Klagenhäufung eine Zusammenrechnung des Streitwerts erfolgt (Art. 76 ZPO; vgl. auch Frank/Sträuli/ Messmer, § 40 N. 18 mit Verweis auf § 19 N. 1, S. 189). Massgebend für die Streitwertund Zuständigkeitsbestimmung ist jedoch der Zeitpunkt bei Anhebung der Klage (vgl. auch Art. 75 ZPO).
Im vorliegenden Fall wurden je separate Klagen eingereicht, wobei für die eine die Einzelrichterin und für die andere die Kammer zuständig war. Eine nachträgliche Prozessvereinigung durch das Gericht ist daher nicht möglich (vgl. im übrigen auch die ausdrückliche Bestimmung von § 20 der Zivilprozessordnung des Kantons Zürich vom 13. Juni 1976, wonach die richterliche Vereinigung und Trennung von Prozessen die Zuständigkeit und Zulässigkeit von Rechtsmitteln nicht verändern kann). Die Problematik, welche sich ergibt, wenn dies nicht beachtet wird, zeigt gerade der vorliegende Fall: Die Verfahren wurden später wieder getrennt, und es stellt sich beim angefochtenen Urteil das Problem, ob Berufung Nichtigkeitsbeschwerde möglich ist. Festzuhalten ist, dass in einer Konstellation wie der vorliegenden aufgrund der dargestellten Rechtslage wenn separate Klagen eingereicht worden sind wohl nur die Möglichkeit der Sistierung des einen Verfahrens besteht, wenn so enge Zusammenhänge bestehen, dass eine gleichzeitige Weiterführung getrennter Verfahren nicht sinnvoll erscheint.
Entgegen der Darstellung des Kantonsgerichts kann im vorliegenden Fall nicht mit der Einlassung der Appellantin gar mit Rechtsmissbrauch argumentiert werden, wie das Kantonsgericht dies tut. Eine klare Zustimmung der Appellantin zur Prozessvereinigung liegt nicht vor. Gemäss Aktennotiz des Kantonsgerichts vom 10. Juni 2005 soll sie mit der Überweisung an die Kammer zwar grundsätzlich einverstanden gewesen sein, aber bezüglich der Rechtmässigkeit Zweifel geäussert haben. In einer unmittelbar nach Versand der Überweisungsverfügung am 24. Juni 2005 eingereichten Eingabe vom
27. Juni 2005 ... hat sich die Appellantin jedoch gegen den Inhalt dieser Aktennotiz verwahrt und ausgeführt, sie habe gesagt, die Verfahrensvereinigung wäre zwar ökonomisch grundsätzlich zu begrüssen, sei jedoch unzulässig. Anlässlich der Hauptverhandlung hat die Appellantin sodann ausdrücklich die Zuständigkeit der Kammer bestritten und Nichteintreten auf die Klage beantragt. Da sie mehrmals auf die Unzulässigkeit der Verfahrensvereinigung hingewiesen hat, kann ihr offensichtlich nicht Rechtsmissbrauch vorgeworfen werden.
Es erscheint auch tatsachenwidrig zumindest sehr missverständlich, wenn das Kantonsgericht festhält, die Appellantin habe gegen die Anordnung der Verfahrensvereinigung nicht interveniert. Gegen die Überweisungsverfügung und die Vereinigungsverfügung, also gegen blosse prozessleitende Verfügungen, stand weder ein ordentliches Rechtsmittel noch die Nichtigkeitsbeschwerde offen. Möglich gewesen wäre höchstens die Disziplinarbeschwerde; doch kann nicht verlangt werden, dass diese immer erhoben wird, wenn eine Partei mit der Prozessleitung nicht einverstanden ist. Dass letzteres der Fall war, hat die Appellantin wie erwähnt genügend zum Ausdruck gebracht. Da die Zuständigkeit schon mit Eingabe vom 27. Juni 2005 bestritten worden war, hätte die Kammervorsitzende vielmehr über diese Einrede entscheiden müssen, und dagegen wäre der Rekurs offen gestanden (Art. 354 Ziff. 1 lit. b ZPO). Da sie dies nicht getan hat, sondern direkt im Endentscheid die Zuständigkeit bekräftigt hat, kann der Appellantin nicht verwehrt werden, dass sie die Unzuständigkeit der entscheidenden Instanz im Rahmen des Berufungsverfahrens geltend gemacht hat.
Das Urteil des Kantonsgerichts ist daher aufzuheben und die Sache zur Neuentscheidung an die Einzelrichterin zurückzuweisen. Offengeblieben ist die Frage der Gültigkeit der Mietzinserhöhung. In diesem Sinn erweist sich die Berufung als teilweise begründet (Art. 352 Abs. 1 ZPO).
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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