Zusammenfassung des Urteils iV 2008/236): Versicherungsgericht
Die Assurée, eine norwegische Staatsbürgerin, beantragte medizinische Leistungen und eine Invalidenrente beim Amt für Invalidenversicherung des Kantons Waadt. Nach verschiedenen medizinischen Gutachten wurde festgestellt, dass sie seit Mai 2003 zu 100 % arbeitsunfähig war. Das Amt gewährte ihr eine volle Invalidenrente ab September 2004 und eine Viertelrente ab September 2005. Die Assurée legte gegen diese Entscheidung Rekurs ein und forderte eine halbe Rente ab September 2005. Das Gericht entschied, dass die Assurée ab September 2005 Anspruch auf eine halbe Invalidenrente hat, und bestätigte die Entscheidung des Amtes für die Zeit davor. Der Richter, M. Neu, entschied über die Gerichtskosten in Höhe von CHF 1'000.
Kanton: | SG |
Fallnummer: | iV 2008/236) |
Instanz: | Versicherungsgericht |
Abteilung: | IV - Invalidenversicherung |
Datum: | 23.12.2009 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Entscheid Art. 6 und 16 ATSG. Art. 28 Abs. 1 IVG. Würdigung eines medizinischen Gutachtens im Zusammenhang mit der Abklärung des Anspruchs auf eine Rente. Prüfung der Rentenbemessung. Im Rahmen einer Umschulungsbewilligung ist die Absprache eines anrechenbaren Mindest- Invalideneinkommens für die Rentenfrage ohne Rücksicht auf den Umschulungserfolg unzulässig (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 23. Dezember 2009, IV 2008/236). |
Schlagwörter : | Arbeit; IV-act; Arbeitsfähigkeit; Gitarrenbauer; Umschulung; Abklärung; Einkommen; Beschwerdeführers; Diagnose; Verfügung; Tätigkeiten; Invalideneinkommen; Gutachter; Rente; Begutachtung; Gutachten; BEFAS; Veränderungen; Invalidität; Appisberg; Massnahme; Diagnosen; Valideneinkommen; Leistung |
Rechtsnorm: | Art. 16 ATSG ; |
Referenz BGE: | 97 V 58; |
Kommentar: | - |
Entscheid vom 23. Dezember 2009 in Sachen
S. ,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwältin lic. iur. Stephanie Bialas, Oberer Graben 44, Postfach, 9001 St. Gallen,
gegen
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Postfach 368, 9016 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin, betreffend
Rente Sachverhalt: A.
S. meldete sich im Juli 2001 zum Leistungsbezug bei der Invalidenversicherung an (IV-act. 1). Med. pract. A. bestätigte im Bericht vom 31. August 2001 die Diagnose eines chronisch rezidivierenden Lumbovertebralsyndroms sowie eine volle Arbeitsunfähigkeit in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit (als Bodenleger) seit 31. Januar 2001 (IV-act. 4). Die Invalidenversicherung übernahm nach Durchführung einer medizinischen Begutachtung im ABI Basel (IV-act. 20) die Kosten für den Vorkurs zum technischen Kaufmann (IV-act. 33) sowie den Vorkurs für die Umschulung zum Hochbautechniker (IV-act. 51) und richtete ihm in der Zeit vom 14. November 2002 bis
26. Januar 2003 sowie vom 6. Oktober bis Ende 2004 ein Taggeld aus (IV-act. 42, 47, 56, 59, 68). Da die Umschulungsmassnahmen nicht zufriedenstellend verliefen, wurde eine Abklärung in der BEFAS Appisberg angeordnet. Die BEFAS erstattete ihren Bericht am 22. Dezember 2004 (IV-act. 61, 77). Daraufhin verfügte die IV-Stelle am
21. April 2005 und, da die berufliche Massnahme wegen Krankheit des Ausbildners nicht durchgeführt werden konnte, erneut am 6. September 2005 die Übernahme der Kosten für eine Umschulung des Versicherten zum Gitarrenbauer mit Dauer vom 8. August 2005 bis 7. August 2007 bei einem anderen Ausbildner (vgl. IV-act. 82, 87, 89,
92, 98, 104, 113, 119).
Nach Einholung eines medizinischen Verlaufsgutachtens beim ABI Basel (IV-act. 135), und nachdem der Versicherte die berufliche Massnahme erfolgreich abgeschlossen hatte, eröffnete die IV-Stelle ihm mit Verfügung vom 30. November 2007, nach den zur Verfügung stehenden Unterlagen sei ihm heute sowohl die Tätigkeit als Gitarrenbauer als auch jede andere körperlich leichte Arbeit zu 90% zumutbar. Es bestehe keine gesundheitliche Einschränkung bei der Stellensuche. Die beruflichen Massnahmen würden somit abgeschlossen (IV-act. 147). Zu dieser Verfügung liess der Versicherte eine Stellungnahme seiner Rechtsvertreterin vom 3. Januar 2008 einreichen mit dem Hinweis, dass er auf eine Beschwerde verzichte (IV-act. 151). Im Vorbescheid vom 25. Januar 2008 stellte die IV-Stelle die Rentenablehnung in Aussicht mit der
Begründung, in einer seiner Behinderung angepassten Tätigkeit sei der Versicherte zu 90% arbeitsfähig. Dabei könne er (auf der Basis der LSE-Tabelle 2007, privater Sektor, Berufsund Fachkenntnisse vorausgesetzt, und unter Berücksichtigung einer 10 %igen Leistungsminderung) unabhängig von der Tätigkeit als Gitarrenbauer aufgrund seiner beruflichen Qualifikation ein zumutbares Jahreseinkommen von Fr. 61'506.-erzielen. Aus der Gegenüberstellung mit dem ohne Behinderung erzielbaren Einkommen von jährlich Fr. 85'030.-resultiere ein IV-Grad von 28% (IV-act. 160). Nach Eingang der Einwände der Rechtsvertreterin des Versicherten vom 25. Februar und 17. März 2008 (IV-act. 164, 166) verfügte die IV-Stelle am 17. April 2008 im Sinn des Vorbescheids (IVact. 168).
B.
Gegen diese Verfügung erhebt Rechtsanwältin lic. iur. S. Bialas, St. Gallen, für den Versicherten mit Eingabe vom 21. Mai 2008 Beschwerde. Sie beantragt, es sei die Verfügung aufzuheben und es sei dem Beschwerdeführer eine halbe Rente auszurichten. Es sei die unentgeltliche Rechtsverbeiständung zu gewähren. Zur Begründung führt die Rechtsvertreterin unter anderem aus, seine Arbeitsfähigkeit beurteile der Beschwerdeführer hinsichtlich angepasster Tätigkeiten als um 50% eingeschränkt. Es falle auf, dass die Schlussfolgerungen im ABI-Gutachten 2007 in krassem Widerspruch zu den bereits vor über drei Jahren gemachten Feststellungen des Appisberg-Gutachtens 2004 stünden. Seit der Appisberg-Begutachtung habe sich der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers nicht verbessert. Gegenteilige Feststellungen würden auch im ABI-Gutachten 2007 nicht gemacht. Solche wären auch überraschend, liege es doch in der Natur von degenerativen Veränderungen des Skeletts, dass die bestehende Abnützung nicht durch medizinische Massnahmen wiederhergestellt werden könne. Diese Auffassung teile auch der Hausarzt des Beschwerdeführers (act. G 1.1.11). Zur Beurteilung der Arbeitsfähigkeit könne auf die im ABI-Gutachten 2007 bzw. im Appisberg-Gutachten 2004 festgestellten Diagnosen abgestellt werden. Dabei sei aber hinsichtlich der Diagnose aus dem Jahr 2004 zu beachten, dass die degenerativen Veränderungen heute noch ausgeprägter vorhanden seien, als sie es damals schon gewesen seien. Die Beschwerden im Hals/SchulterBereich seien belastungsabhängig. Bei solchen Beschwerden genüge es nicht, den Patienten einmal anzusehen, sondern es seien umfassendere Abklärungen erforderlich.
Die tatsächliche Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers in einer angepassten Tätigkeit betrage aufgrund der gegenüber 2004 ausgeprägteren degenerativen Veränderungen heute höchstens noch 70%. Falls dieser Einschätzung nicht gefolgt werde, so sei die Arbeitsfähigkeit ein weiteres Mal in seriöser Art und Weise im Appisberg in einer ähnlichen Einrichtung abzuklären. Auch der Hausarzt befürworte eine detaillierte Abklärung. Es sei offenkundig, dass das ABI unter der Leitung von Dr. med. B. , der mit seinen eigenmächtigen Methoden inzwischen massiver öffentlicher Kritik ausgesetzt gewesen sei, den Beschwerdeführer nicht objektiv habe beurteilen können, sondern die ursprüngliche Fehlbeurteilung aus dem Jahr 2002 habe rechtfertigen wollen. Angesichts dieses Umstands wäre es angezeigt gewesen, eine andere Gutachterstelle mit der Abklärung zu beauftragen. Beim Invalideneinkommen sei eine Hilfsarbeit zugrunde zu legen und höchstens von einem Betrag von Fr. 59'028.-- (100%-Pensum) auszugehen. Bei einer Restarbeitsfähigkeit von 70% und einem Leidensabzug von 15% ergebe sich im Vergleich zum Valideneinkommen ein Invaliditätsgrad von 61.82%.
In der Beschwerdeantwort vom 11. Juli 2008 beantragt die Beschwerdegegnerin Abweisung der Beschwerde. Zur Begründung legt sie unter anderem dar, der Aufenthalt in der BEFAS Appisberg sei keine medizinische Begutachtung, sondern eine Evaluation der funktionellen Möglichkeiten im Hinblick auf eine Umschulung gewesen. Der Beschwerdeführer habe sich selbst sowohl 2002 wie 2007 auch als Gitarrenbauer lediglich zu 50 % arbeitsfähig betrachtet. Subjektiv habe sich somit der Gesundheitszustand nicht verändert. Es sei nicht einzusehen, wieso nicht auf das ABIGutachten abgestellt werden solle. Es sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in einer adaptierten Tätigkeit eine Leistung von 90 % der Norm erbringen könne. Ein sogenannter Leidensabzug werde bereits mit der Berücksichtigung dieser Teilleistungsfähigkeit vollständig abgegolten. Aufgrund der Ausbildung des Beschwerdeführers und seiner Erfahrung dürfe als Valideneinkommen (richtig wohl: Invalideneinkommen) selbstverständlich nicht der Hilfsarbeiterlohn berücksichtigt werden. Die angefochtene Verfügung sei im Ergebnis richtig.
Am 14. Juli 2008 bewilligt der Abteilungspräsident die unentgeltliche Rechtsverbeiständung für das vorliegende Verfahren.
Mit Replik vom 18. September 2008 bestätigt die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers ihren Standpunkt. Die Beschwerdegegnerin verzichtet auf eine weitere Stellungnahme.
Erwägungen:
1.
Zu prüfen ist, ob der Beschwerdeführer Anspruch auf eine Rente hat. Nach Art. 28 Abs. 1 IVG in der ab 1. Januar 2004 gültigen Fassung besteht der Anspruch auf eine ganze Invalidenrente, wenn die versicherte Person mindestens zu 70 %, derjenige auf eine Dreiviertelsrente, wenn sie mindestens zu 60 % invalid ist. Bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 50 % besteht Anspruch auf eine halbe Rente und bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 40 % Anspruch auf eine Viertelsrente. Für die Bestimmung des Invaliditätsgrades wird nach Art. 16 ATSG das Erwerbseinkommen, das die versicherte Person nach Eintritt der Invalidität und nach Durchführung der medizinischen Behandlung und allfälliger Eingliederungsmassnahmen durch eine ihr zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte (Invalideneinkommen), in Beziehung gesetzt zum Erwerbseinkommen, das sie erzielen könnte, wenn sie nicht invalid geworden wäre (Valideneinkommen). Die Invalidität des Beschwerdeführers ist unbestrittenermassen nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs zu bemessen.
2.
Eine medizinische Abklärung im ABI Basel ergab gemäss Gutachten vom 4. November 2002 die Diagnose mit Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit eines lumbospondylogenen Schmerzsyndroms beidseits sowie weitere Diagnosen ohne Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit. Die Gutachter kamen zum Schluss, die bisherige Tätigkeit als Bodenleger sei dem Beschwerdeführer nicht mehr zumutbar. Für sämtliche, körperlich leichten, wechselbelastenden Tätigkeiten bestehe demgegenüber eine uneingeschränkte Arbeitsfähigkeit, solange das Einhalten einer fixierten Körperposition über längere Zeit (d.h. Sitzen über eine Stunde, Stehen an Ort über eine Stunde) und die Durchführung von repetitiven Bewegungsmustern sowie das Tragen
und Heben von repetitiv schweren Lasten über 10kg vermieden werden könne (IV-act. 20). Gegenüber den BEFAS-Abklärungspersonen äusserte der Beschwerdeführer den Wunsch, Gitarrenbauer zu werden (IV-act. 77-10/15, 77-14/15). Im Schlussbericht der BEFAS vom 22. Dezember 2004 wurde unter anderem dargelegt, im weiteren Verlauf sei es beim Beschwerdeführer neu zunehmend zu linksseitigen Cervicobrachialgien gekommen. Ein MRI der HWS vom 5. April 2004 habe multiple mässige bis deutlich ausgeprägte degenerative Bandscheibenveränderungen C4-C7, einhergehend mit Spondylarthrosen gezeigt. Zudem sei eine mittelgrosse dorsale Discushernie C5/C6 mediolateral bis foraminal links festgestellt. Eine fragliche Reizsymptomatik C6 sei schon zuvor durch den Neurologen Dr. med. C. (Bericht vom 27. Oktober 2003) abgeklärt worden, wobei vor allem elektrodiagnostisch bei Status nach beidseitiger CTOperation die elektrodiagnostische Untersuchung keine eindeutige Diagnose erlaubt habe. Der betreuende Chiropraktor Dr. D. habe in seinem Bericht vom 30. September 2004 von einer Cervicobrachialgie C6 links gesprochen. Im Appisberg hätten phasenweise Kribbelparästhesien im Bereich des dritten und vierten Fingers links provoziert werden könne (entsprechend in etwa dem Dermatom C7 links). Unter Beachtung der aktuellen medizinischen Situation und der Abklärungsresultate könnten zur Zeit unter behinderungsgerechten Arbeitsbedingungen Arbeitsleistungen entsprechend einer 75%-Arbeitsfähigkeit erzielt werden. Dies sei unter Verwertung während sechs Stunden täglich bei verschiedenen Tätigkeiten geprüft worden (vorzeitiger Arbeitsschluss am Nachmittag bei belastungsabhängig im Tagesverlauf akzentuierter Schmerzsymptomatik lumbal und etwas weniger ausgeprägt cervicobrachial links). Eine leichtere und wechselbelastend ausübbare Tätigkeit sollte keine repetitiven Hebeund Traglasten über 10 kg fordern und zudem nicht mit längerdauernden repetitiven Arbeitseinsätzen in für den Rücken ungünstigen Körperpositionen einhergehen. Insbesondere seien wiederholte Überkopfarbeiten sowie längerdauerndes Tätigsein mit stark geneigtem rotiertem Oberkörper zu vermeiden. Manuelle Tätigkeiten sollten vorwiegend auf Tischhöhe ausgeübt werden können. Tätigkeiten sollten zudem nicht mit dem Besteigen hoher Gerüste Sprossenleitern einhergehen. Neben der verminderten lumbalen Belastbarkeit müsse ergänzend zur Begutachtung im ABI eine auch unter behinderungsangepassten Arbeitsbedingungen gegebene Minderbelastbarkeit durch die linksseitige Cervicobrachialgie festgehalten werden, weshalb eine Attestierung einer
Arbeitsfähigkeit über 75% auch bei optimal behinderungsadaptierten Arbeitsbedingungen nicht mehr sinnvoll erscheine, wolle man überlastungsbedingte Zustandsverschlechterungen und Arbeitsausfälle nicht provozieren. Der Beschwerdeführer sehe für sich die grössten Wiedereingliederungschancen bei einer Tätigkeit als Gitarrenbauer. Dabei handle es sich um eine wechselbelastende Tätigkeit ohne grössere Kraftaufwendungen, wie er im Rahmen eines Schnupperpraktikums habe erfahren können. Aus aktueller medizinischer Sicht sei eine 75%ige Arbeitsfähigkeit bei einer selbständigen Tätigkeit als Gitarrenbauer zumutbar. Hierbei werde neben der manuellen Tätigkeit genügend Wechselbelastung ermöglicht durch administrative Arbeiten und Kundenkontakte bei Verkauf und Beratung. Ebenfalls zumutbar seien dem Beschwerdeführer leichte behinderungsadaptierte Lager-, Speditions-, Kurier-, Konfektionsoder Hauswartarbeiten. Die guten administrativen und buchhalterischen Kenntnisse würden auch einen (teilzeitlichen) Einsatz im Büro erlauben. Aus berufsberaterischer Sicht werde der Vorschlag des Beschwerdeführers betreffend Umschulung zum Gitarrenbauer als sinnvoll erachtet. Ob die Umschulung sich später als finanziell rentabel erweisen werde, müsse in die Verantwortung des Beschwerdeführers gelegt werden. Eine Umschulung, die einen grossen Anteil an Schulstunden beinhalte, wie z.B. zum technischen Kaufmann, könne aufgrund der Abklärungsresultate nicht empfohlen werden (IV-act. 77).
Im Verlaufsgutachten des ABI vom 31. August 2007 wurden die Diagnosen mit Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit eines chronischen panvertebralen Schmerzsyndroms, von mässiggradigen degenerativen Veränderungen im mittleren Abschnitt der Halswirbelsäule, einer Diskusprotrusion L4/L5 mit Einengung der Neuroforamina und Kontakt zu den Nervenwurzeln L4 beidseits, MR-tomographisch ohne sichtbare Kompression derselben, sowie von degenerativen Veränderungen der gesamten Lendenwirbelsäule und Status nach thorakolumbalem Morbus Scheuermann festgehalten. Die Gutachter kamen zum Schluss, körperlich schwere und überwiegend mittelschwere Tätigkeiten seien dem Beschwerdeführer nicht mehr zumutbar. Körperlich leichte, wechselbelastende Tätigkeiten ohne Heben und Tragen von Lasten über 5 kg und ohne Einnahme von Zwangshaltungen seien ihm aus orthopädischer Sicht vollschichtig zumutbar, mit einer 10%igen Leistungseinbusse. Eine 90 %ige Arbeitsund Leistungsfähigkeit, ganztägig realisierbar mit leicht vermindertem Rendement, sei für leichte Tätigkeiten, wie die aktuell ausgeübte als Gitarrenbauer,
auch aus polydisziplinärer Sicht zu bestätigen. Der Beschwerdeführer scheine seinen Idealberuf gefunden zu haben. Weitere Massnahmen seien nicht vorzuschlagen, da von Verweistätigkeiten keine höhere medizinisch-theoretische Arbeitsfähigkeit anzunehmen sei. Da der Beschwerdeführer bereits im Jahr 2002, damals noch für administrative Tätigkeiten, wie auch heute für die leichte Arbeit als Gitarrenbauer, für sich nur ein 50
%-Pensum gewünscht habe, müsse diese Selbsteinschätzung so zur Kenntnis genommen werden (IV-act. 135). Diese Beurteilung wurde vom RAD am 6. September 2007 bestätigt (IV-act. 136). Med. pract. A. hielt im Bericht vom 11. März 2008 zur Frage der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers, ob degenerative Veränderungen der Wirbelsäule im Jahr 2004 zu einer Belastungsgrenze von 25 % und von 10 % im Jahr 2007 führen könnten, fest, dass degenerative Veränderungen von Natur aus nicht besser würden. Sie würden im besten Fall gleich bleiben. Normalerweise würden sie sich mit der weiteren Belastung und Alterung verschlechtern. Seit der Beschwerdeführer bei Räumungsarbeiten auf dem Bau arbeite, sei er am 13. und 14. Februar 2008 100 % arbeitsunfähig und mit Schmerzmitteln seit dem 15. Februar 2008 wieder 50 % arbeitsfähig gewesen. Es habe sich wie früher gezeigt, dass er unter vermehrter körperlicher Belastung erneute Rückfälle von Seiten seiner Rückenbeschwerden erlitten habe. Beim Beschwerdeführer könne nicht nur von einer Untersuchung aus die Arbeitsfähigkeit festgelegt werden. Eher sei hier ein längerer Belastungstest am Arbeitsplatz in einem Zentrum durchzuführen (IV-act.
166-8/11, 174). Am 10. April 2008 nahm der RAD erneut Stellung (IV-act. 167).
3.
Nachdem die ABI-Gutachter im Jahr 2002 die Arbeitsfähigkeit für eine körperlich leichte, wechselbelastende Tätigkeit aufgrund der Diagnosen im lumbalen Rücken als nicht eingeschränkt bezeichnet hatten (IV-act. 20), schätzten die Berichterstatter der BEFAS die Arbeitsfähigkeit unter zusätzlicher Berücksichtigung von Einschränkungen im Halswirbelsäulen-Bereich im Jahr 2004 auf 75 % für eine adaptierte Tätigkeit (IVact. 77). Im Jahr 2007 bestätigten die ABI-Gutachter unter Einbezug der degenerativen Veränderungen im HWS-Bereich eine 90 %ige Arbeitsfähigkeit. Zur Begründung vermerkten sie unter anderem eine freie Kopfbeweglichkeit ohne relevante Verspannungen der Nackenmuskulatur sowie an den oberen Extremitäten eine freie und schmerzlose Beweglichkeit sämtlicher Gelenke bei sehr guter Kraftentfaltung,
insbesondere am Schultergürtel und an den Händen. Hinweise auf die anamnestisch angegebenen Dysästhesien der Arme würden sich nicht finden lassen und die Symptomatik sei heute auch nicht provozierbar (IV-act. 135 S. 14f). Die Schmerzsymptomatik, wie sie der Beschwerdeführer anlässlich der BEFAS-Abklärung angegeben hatte, zeigte sich drei Jahre später bei der Verlaufsbegutachtung des ABI nicht mehr. Anhaltspunkte, welche es erlauben würden, von einer "recht oberflächlichen" Begutachtung zu sprechen (act. G 1 S. 6), sind nicht ersichtlich, zumal an der Begutachtung ein Orthopäde, ein Internist und ein Psychiater beteiligt waren. Aus medizinischen Diagnosen allein aus einem Diagnosen-Vergleich (act. G 1 S. 6 Mitte) lässt sich im Übrigen noch keine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit ableiten. Massgebend ist in jedem Fall die Auswirkung derselben auf die Leistungsfähigkeit mit dem Ergebnis einer zu Tage tretenden Einschränkung. Vor dem geschilderten medizinischen Hintergrund erscheint die Einschätzung der ABI-Gutachter nachvollziehbar und begründet. Unbestrittenermassen konnte der Beschwerdeführer seine Ausbildung zum Gitarrenbauer im Rahmen einer ganztätigen Tätigkeit absolvieren (act. G 1 S. 6 unten). Wenn er einwenden lässt, es sei ihm dort jederzeit möglich gewesen, zwischendurch Entlastungsübungen durchzuführen (act. G 1 S. 7), so ist festzuhalten, dass die ABI-Gutachter gerade mit der Bestätigung einer 10%igen Leistungsverminderung der Pausenbedürftigkeit ebenfalls Rechnung trugen. Wenn der Hausarzt im Nachgang zur ABI-Begutachtung bestätigte, seit der Durchführung von Räumungsarbeiten auf dem Bau sei der Beschwerdeführer zuerst 100 % und dann ab
15. Februar 2008 wieder 50 % arbeitsfähig gewesen (IV-act. 167), so ist festzuhalten, dass Räumungsarbeiten auf dem Bau zu den schwereren Tätigkeiten zählen dürften. Solche sind dem Beschwerdeführer unbestrittenermassen nicht mehr zumutbar. Der geltend gemachte Umstand, dass sich unter vermehrter körperlicher Belastung Rückfälle von Seiten der Rückenbeschwerden ergaben (IV-act. 167), erscheint somit nicht verwunderlich. Dies vermag jedoch die Einschätzung der Arbeitsfähigkeit durch das ABI, welche sich ausdrücklich auf eine leichte Tätigkeit bezieht, nicht in Frage zu stellen.
Die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers macht im Weiteren geltend, es sei offenkundig, dass das ABI Basel unter der Leitung von Dr. med. B. , der mit seinem eigenmächtigen Methoden inzwischen massiver öffentlicher Kritik ausgesetzt gewesen sei, den Beschwerdeführer nicht habe objektiv beurteilen können, sondern die
ursprüngliche Fehlbeurteilung aus dem Jahr 2002 habe rechtfertigen bzw. in ein besseres Licht habe stellen wollen. Dazu ist festzuhalten, dass sich im Nachgang zur ABI-Begutachtung im Jahr 2002 zusätzliche Einschränkungen und Diagnosen betreffend die Halswirbelsäule ergaben, wie sie bereits im Jahr 2004 von den BEFASAbklärungsper-sonen bestätigt wurden. Anlässlich der ABI-Begutachtung im Jahr 2002 hatte der Beschwerdeführer ausschliesslich über lumbale Einschränkungen, zum Teil mit Ausstrahlung in beide Schultern, geklagt. Er erwähnte darüberhinaus lediglich Kopfschmerzen als Folge eines HWS-Traumas. Eigentliche gesundheitliche Probleme Schmerzen im (cervikalen) HWS-Bereich brachte er jedoch damals nicht zur Sprache (IV-act. 20 S. 4f). Anhaltspunkte für eine Fehlbeurteilung im Jahr 2002 sind von daher nicht ersichtlich. Die an der Abklärung 2007 beteiligten Gutachter, d.h. der Internist Dr. med. B. , der Psychiater Dr. med. E. und der Orthopäde Dr. med.
F. , unterzeichneten das Gutachten auf Seite 21. Die Konsensbeurteilung weicht im Ergebnis nicht von den Beurteilungen der einzelnen Fachärzte ab (vgl. IV-act. 135). Ein konkreter Anlass für die Annahme einer unkorrekten Beurteilung ist bei diesem Sachverhalt nicht ersichtlich. Im Übrigen war es auch gerechtfertigt und vom Ablauf her sinnvoll, das Verlaufsgutachten im Jahr 2007 wieder bei der gleichen Gutachterstelle, welche das Gutachten 2002 erstellte, einzuholen. Nachstehend ist somit von der Einschätzung der ABI-Gutachter auszugehen.
4.
Zu prüfen ist die Höhe des Einkommens, welches der Beschwerdeführer ohne Gesundheitsschaden erzielen könnte (Art. 16 ATSG). Auch beim Valideneinkommen handelt es sich wie beim Invalideneinkommen - um einen hypothetischen Wert (A. Rumo-Jungo, Bundesgesetz über die Unfallversicherung, 3. A., 122). In den Jahren 1978 bis 1982 war der Beschwerdeführer im gelernten Beruf als Bodenleger selbständig erwerbend tätig. Dem Auszug aus dem individuellen Konto sind für diese Jahre Einkommen zwischen Fr. 3'525.-- und Fr. 46'400.-zu entnehmen. Danach war er in verschiedenen Anstellungsverhältnissen tätig. Von 1986 bis 1990 übte er erneut eine selbständige Tätigkeit aus mit IK-Einkommen von jährlich rund 90'000.-- Franken. Ab 1990 rechnete er aus seiner Tätigkeit in der von ihm zusammen mit einem Partner gegründeten G. AG Jahreseinkommen von zwischen 38'000.-- und 98'000.-- Franken als Lohn ab. Ab Juli 1998 war der Beschwerdeführer in der H. GmbH seiner
Ehefrau angestellt (IV-act. 106). Hieraus kamen Monatslöhne von Fr. 4'500.-- (1998), Fr. 5'000.-- (1999), Fr. 6'000.-- (2000) und Fr. 6'500.-- (2001; prognostische Angabe) zur Abrechnung (IV-act. 5). Die H. GmbH wurde 2001 aufgelöst (IV-act. 186). Die Einkommen der Jahre 2001 bis 2003 bestanden aus einem unselbständigen Nebenerwerb und (zum grössten Teil) aus Versicherungstaggeldern (IV-act. 110). Das von der Beschwerdeführerin zugrunde gelegte Valideneinkommen von Fr. 85'030.-- (2007) blieb unbestritten. Es lässt sich aufgrund der vorangehenden Darlegungen nicht beanstanden, dass die Beschwerdegegnerin bei der Bemessung des Valideneinkommens auf das von der letzten Arbeitgeberin angegebene Einkommen (Fr. 6'500.-x 12 bzw. Fr. 78'000.-für 2001; IV-act. 5) abstellte und es auf die Nominallohnverhältnisse des Jahres 2007 aufrechnete. Im Sinn eines Vergleichs bleibt festzuhalten, dass im angestammten Bereich des Beschwerdeführers (Baugewerbe) tätige Männer nach den Lohnstrukturerhebungen 2006 des Bundesamtes für Statistik im Niveau 1+2 (anspruchsvolle und schwierige bzw. selbständige und qualifizierte Arbeiten) Fr. 6'202.-pro Monat bzw. Fr. 74'424.-pro Jahr erzielten. Aufgerechnet auf die Nominallohnverhältnisse des Jahres 2007 und unter Berücksichtigung der betrieblichsüblichen Wochenstundenzahl (41.7 Stunden) ergibt sich ein Wert von Fr. 78'828.--. Es erscheint auch vor diesem Hintergrund gerechtfertigt, den Betrag von
Fr. 85'030.-als Valideneinkommen anzunehmen.
Die Parteien stimmen darin überein, dass das zumutbare Invalideneinkommen anhand der Lohnstrukturerhebung (LSE) des Bundesamtes für Statistik zu ermitteln und dabei auf Tabelle 1 (Privater Sektor) abzustellen sei. Nicht einig sind sie sich jedoch bei der Frage, welcher Tabellenlohn bzw. welches Anforderungsniveau dabei massgeblich sei (act. G 1 S. 9 oben). Im Rahmen der Verfügung der Übernahme der Umschulungskosten zum Gitarrenbauer hatte der Beschwerdeführer am 12. April 2005 die ihm von der Beschwerdegegnerin vorgelegten, folgenden Bedingungen unterzeichnet: Bei der Prüfung eines allfälligen Rentenanspruchs nach Abschluss der beruflichen Massnahme werde mindestens auf das Einkommen abgestellt, welches er ohne berufliche Eingliederungsmassnahme mit der Behinderung auf einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt erzielen könnte. Es werde nicht auf ein tieferes Einkommen als Gitarrenbauer abgestellt. Weitere berufliche Massnahmen seien nach Ende der Ausbildung zum Gitarrenbauer nicht geschuldet (IV-act. 89).
Zu dieser Abmachung ist vorweg festzuhalten, dass eine anlässlich der Bewilligung einer Umschulung getroffene Vereinbarung, mit welcher die Modalitäten eines allfälligen Invalideneinkommens nach Abschluss der Umschulung im Voraus festgelegt werden, für die spätere Rentenbemessung nicht beachtlich sein kann. Die tatsächliche Situation im Zeitpunkt der Rentenbemessung lässt sich nicht durch eine früher getroffene Vereinbarung zum vornherein ausklammern. In einer Umschulungsbewilligung sind im Hinblick auf die Rentenfrage getroffene Absprachen unzulässig, mit welchen ein künftig in jedem Fall anrechenbares MindestInvalideneinkommen präjudizierend festgelegt wird. In der IV ist eine antizipierte Invaliditätsbemessung grundsätzlich unzulässig (BGE 97 V 58; 109 V 24; 131 V 165, E. 2.3.3). Indem die Beschwerdegegnerin im erwähnten Schreiben vom 21. März 2005 festhielt, es bestehe in der Ostschweiz keine Chance, nach Abschluss der Ausbildung eine entsprechende Anstellung zu finden (IV-act. 89-3/4), brachte sie ausschliesslich arbeitsmarktliche Aspekte zur Sprache, welche sich zudem einzig auf die damalige Wohnregion des Beschwerdeführers bezogen. Die hier bereits bei Bewilligung der Umschulungsmassnahme in Betracht gezogene Arbeitslosigkeit des Beschwerdeführers nach Abschluss der Ausbildung tangiert nicht die Frage der Invalidität, indem sie die Erzielbarkeit eines rentenausschliessenden Einkommens auf dem in Betracht kommenden ausgeglichenen Arbeitsmarkt nach Umschulungsabschluss und damit die Tauglichkeit der Umschulung nicht per se ausschliesst. Solange nicht geklärt ist, welches Einkommen der Beschwerdeführer mit der Ausbildung als Gitarrenbauer in einer Region erzielen könnte, welche solche Arbeitsplätze auch bereithält, kann ihm nicht ein Tabellenlohn als Invalideneinkommen entgegengehalten werden. Wenn m.a.W. die Umschulung bewilligt und in der Folge auch abgeschlossen wurde, kann nicht auf die Abklärung des mit der umgeschulten Tätigkeit erzielbaren Einkommens verzichtet und stattdessen auf statistische Löhne abgestellt werden. Vorerst wird somit, z.B. bei einem einschlägigen Berufsverband, das als Gitarrenbauer erzielbare Einkommen zu eruieren sein.
5.
Im Sinn der vorstehenden Erwägungen ist die Beschwerde in dem Sinn teilweise gutzuheissen, dass die Verfügung vom 17. April 2008 aufgehoben und die Sache zur Abklärung des Invalideneinkommens und zu anschliessender neuer Verfügung an die
Beschwerdegegnerin zurückgewiesen wird. Bei diesem Verfahrensausgang wird die bewilligte unentgeltliche Rechtsverbeiständung gegenstandslos. Das Beschwerdeverfahren ist kostenpflichtig (Art. 69 Abs. 1 bis IVG). Unter Berücksichtigung des Verfahrensaufwandes wird die der unterliegenden Beschwerdegegnerin zu auferlegende Gerichtsgebühr auf Fr. 600.-festgesetzt. Der Beschwerdeführer hat bei diesem Verfahrensausgang Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 61 lit. g ATSG). Es rechtfertigt sich, diese auf pauschal Fr. 3'500.-- (einschliesslich Barauslagen
und Mehrwertsteuer) festzulegen.
Demgemäss hat das Versicherungsgericht
im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 53 GerG entschieden:
1. Die Beschwerde wird in dem Sinn teilweise gutgeheissen, dass die Verfügung vom
17. April 2008 aufgehoben und die Sache zur Abklärung des Invalideneinkommens und zu neuer Verfügung an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen wird.
Die Beschwerdegegnerin hat eine Gerichtsgebühr von Fr. 600.-zu bezahlen.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer mit Fr. 3'500.-zu entschädigen.
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
Hier geht es zurück zur Suchmaschine.