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Urteil Versicherungsgericht (SG)

Zusammenfassung des Urteils UV 2011/66: Versicherungsgericht

Die Beschwerdeführerin war als Betriebsangestellte in einem Spital tätig und wurde bei einem Autounfall verletzt. Es wurde festgestellt, dass sie unter anderem an einer posttraumatischen Belastungsstörung litt. Die Kranken- und Unfallversicherung plante, die Versicherte interdisziplinär begutachten zu lassen, was von der Versicherten abgelehnt wurde. Es entstand ein Rechtsstreit über die Auswahl der Gutachterstelle und die Zumutbarkeit der Begutachtung in G. Letztendlich entschied das Versicherungsgericht, dass die Anordnung der Begutachtung in G. rechtens war und wies die Beschwerde ab.

Urteilsdetails des Kantongerichts UV 2011/66

Kanton:SG
Fallnummer:UV 2011/66
Instanz:Versicherungsgericht
Abteilung:UV - Unfallversicherung
Versicherungsgericht Entscheid UV 2011/66 vom 23.12.2011 (SG)
Datum:23.12.2011
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Entscheid ATSG Art. 43 f., 49, 52 und 56; UVV Art. 55 Abs. 2: Eintreten auf Beschwerde gegen Zwischenverfügung, mit der die Anordnung einer Begutachtung als zu früh und örtlich zu weit entfernt gerügt wird. Zeitpunkt der angeordneten Begutachtung ist nicht zu beanstanden. Auswahl der Begutachtungsstelle ist nicht in Überschreitung des Ermessens der Unfallversicherung vorgenommen worden (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 23. Dezember 2011, UV 2011/66).
Schlagwörter : Begutachtung; Gutachter; UV-act; Unfall; Gutachterstelle; Zwischenverfügung; Person; Gallen; Unfallversicherung; Verfahren; Sachverhalt; Untersuchung; Gutachten; Bundesgericht; Urteil; Ermessen; Bericht; Haftpflichtversicherung; Bundesgerichts; Massnahme; Kieser; Hinweis; Anordnung
Rechtsnorm:Art. 43 ATSG ;Art. 44 ATSG ;Art. 46 VwVG ;Art. 49 ATSG ;Art. 52 ATSG ;Art. 56 ATSG ;Art. 59 ATSG ;Art. 60 ATSG ;
Referenz BGE:123 V 152; 125 V 195; 126 V 360; 126 V 81; 131 V 164; 132 V 148; 132 V 385; 136 V 157; 137 III 382; 137 V 210; 137 V 256; 137 V 257;
Kommentar:
-

Entscheid des Kantongerichts UV 2011/66

Präsident Martin Rutishauser, Versicherungsrichter Joachim Huber, Versicherungsrichterin Marie Löhrer; Gerichtsschreiberin Vera Holenstein Werz

Entscheid vom 23. Dezember 2011

in Sachen A. ,

Beschwerdeführerin,

vertreten durch Rechtsanwalt lic. rer. publ. Michael B. Graf, St. Leonhard-Strasse 20, Postfach, 9001 St. Gallen,

gegen

ÖKK Krankenund Unfallversicherung, Bahnhofstrasse 9, 7302 Landquart,

Beschwerdegegnerin,

vertreten durch Rechtsanwalt Dr. iur. Martin Schmid, Hartbertstrasse 11, Postfach 180, 7002 Chur,

betreffend Begutachtung Sachverhalt: A.

    1. A. war mit einem Beschäftigungsgrad von 90% als Betriebsangestellte in der Küche des Spitals B. tätig und dadurch bei der ÖKK obligatorisch gegen Unfälle versichert (UV-act. 1, 17). Am 13. Mai 2010 stiess ein Personenwagen, der auf die Gegenfahrbahn geraten war, seitlich frontal in das von ihr gelenkte Auto (UV-act. 15). Die Versicherte erlitt einen Schock, hyperventilierte und klagte sofort über Nackenschmerzen (UV-act. 15, 19). Sie wurde mit der Ambulanz ins Kantonsspital

      St. Gallen gebracht und nach einigen Stunden (aus Kapazitätsgründen) ins Spital C. verlegt, wo sie bis 17. Mai 2010 stationär überwacht wurde (UV-act. 11). Als Diagnosen hielten die Ärzte Kontusionen des Thorax und der Halswirbelsäule (HWS) fest; Frakturen konnten keine nachgewiesen werden (UV-act. 9, 11, 19, 22). Während eines Monats war die Versicherte 100% arbeitsunfähig; am 15. Juni 2010 nahm sie aus eigenem Antrieb die Arbeitstätigkeit zu 50% auf und steigerte diese ab 3. August 2010 auf 60% (UV-act. 17, 26 f.). Sie klagte neu über Erbrechen bei besonders starken Schmerzen (UV-act. 17). Im ersten Zeugnis vom 3. August 2010 berichtete der Hausarzt der Versicherten, Dr. med. D. , Facharzt FMH für Allgemeinmedizin, neben den aktuellen Beschwerden zunehmende Schmerzen in Schulter und Armbereich und zunehmende Kopfschmerzen trotz hochdosierter Analgetika von einem weichteilrheumatischen Schmerzsyndrom im Sinn einer Fibromyalgie mit Status nach einer ersten HWS-Distorsion im Mai 2007 (UV-act. 27).

    2. Am 30. September 2010 wurde die Versicherte durch den Vertrauensarzt der ÖKK, Dr. med. E. , Facharzt FMH für Rheumatologie sowie physikalische Medizin und Rehabilitation, untersucht. In seinem ausführlichen Bericht vom 12. Oktober 2010 erhob er den dringenden Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsstörung mit/

      bei Status nach unverschuldeter Frontalkollision am 13. Mai 2010, Status nach kraniozervikalem Beschleunigungstrauma am 1. Mai 2007 mit wahrscheinlich abgeheiltem zervikozephalem und zervikovertebralem Schmerzsyndrom ohne neuropsychologische Ausfälle und ohne psychiatrische Symptome, ein primäres Fibromyalgie-Syndrom seit ca. 2000, ein mässiges lumbospondylogenes Syndrom rechts und einen Hallux rigidus rechts. Er empfahl eine psychiatrische Exploration der Patientin und führte aus, wahrscheinlich sei auch eine entsprechende Behandlung zu beginnen (UV-act. 45). Dem Vertrauensarzt war auch ein Bericht von Hausarzt Dr. D. vom 27. September 2010 über die medizinische Vorgeschichte vorgelegen (UV-act. 51). Die Haftpflichtversicherung des Kollisionsgegners erstellte am 20. Oktober 2010 eine technische Unfallanalyse und kam zum Schluss, die überwiegend wahrscheinliche kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung (Delta-v) des Citroën der Versicherten habe beim Anstoss durch den gegnerischen Cadillac an der Position Fahrersitz rund 16 bis 22 km/h betragen. Im Begleitmail wies der zuständige Sachbearbeiter darauf hin, dass bei Frontalkollisionen rechtsprechungsgemäss die Harmlosigkeitsgrenze zwischen 20 bis 30 km/h liege (Urteil des Bundesgerichts vom 22. Juli 2010, 8C_327/2010, E. 5.2; UV-act. 46). Die Haftpflichtversicherung erteilte auch Kostengutsprache für die psychotherapeutische Behandlung bei lic. phil. F. , Psychologe FSP und Fachpsychologe für Psychotherapie FSP. Die Behandlung bei ihm war am 14. Januar 2011 aufgenommen worden (UV-act. 65 ff., Berichte vom

      25. Februar und 28. März 2011).

    3. Da sich die somatischen Gesundheitsbeeinträchtigungen eher ausweiteten und die Kausalität zum Unfall vom 13. Mai 2010 auch von der Haftpflichtversicherung zunehmend hinterfragt wurde, teilte die ÖKK dem Rechtsvertreter der Versicherten, Rechtsanwalt lic. rer. publ. Michael B. Graf, St. Gallen, am 16. Juni 2011 mit, sie beabsichtige, die Versicherte durch die Gutachterstelle in G. für interdisziplinäre Begutachtungen (H. ) begutachten zu lassen, und unterbreitete ihm den vorgesehenen Fragenkatalog zur Vernehmlassung (UV-act. 73). Mit Antwort vom

      23. Juni 2011 hielt der Rechtsvertreter fest, der Weg nach G. sei für die Versicherte unzumutbar. Aus Gründen der Verhältnismässigkeit sei die Begutachtung in St. Gallen zu machen, wofür er die MEDAS-Ostschweiz als Gutachterstelle vorschlug (UV-act. 74). Beide Parteien hielten in der Folge an ihren Standpunkten fest (UV-act. 75 ff.). Abschliessend liess die Versicherte mit Stellungnahme ihres Rechtsvertreters vom

      9. August 2011 vorschlagen, ganz auf die Begutachtung zu verzichten und stattdessen eine erneute Beurteilung durch Dr. E. vornehmen zu lassen.

    4. Mit verfahrensleitender Zwischenverfügung vom 11. August 2011 hielt die ÖKK am Entscheid fest, H. mit der Begutachtung der Versicherten zu beantragen. Sollte die Versicherte diesem Vorgehen nicht Folge leisten, sähe sie sich gezwungen, aufgrund der vorhandenen Akten zu entscheiden und eine weitere Leistungspflicht abzulehnen (UV-act. 82).

B.

    1. Gegen diese Zwischenverfügung lässt die Versicherte am 7. September 2011 Beschwerde erheben und deren Aufhebung beantragen. Im Sinn einer vorsorglichen Massnahme sei die Beschwerdegegnerin zu verpflichten, die Taggelder während des Beschwerdeverfahrens im Ausmass der ärztlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeit (weiterhin) auszurichten; unter Kostenund Entschädigungsfolgen zu Lasten der Beschwerdegegnerin. Zur Begründung wird angeführt, die Parteien seien sich einig über den Grad ihrer Arbeitsunfähigkeit. Es sei daher nicht nötig, sie zu begutachten. Selbst wenn eine Begutachtung notwendig wäre, sei mit der H. das Erfordernis von Art. 44 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG; SR 830.1), eine natürliche Person als sachverständig zu bestimmen und mit der Begutachtung zu beauftragen, nicht erfüllt worden. Nach dem Grundsatzentscheid des Bundesgerichts vom 28. Juni 2011 (BGE 137 V 210) sei es auch in der Unfallversicherung nicht länger zulässig, dass der Versicherungsträger den Gutachter selbst auswähle und ohne sachliche Begründung bestimme. Gegen H. in G. spreche insbesondere auch die grosse örtliche Distanz.

    2. Mit Beschwerdeantwort vom 28. September 2011 beantragt die Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. iur. Martin Schmid, Chur, die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden könne; unter gesetzlicher Kostenund Entschädigungsfolge und stellt den Verfahrensantrag, das Verfahren sei dringlich zu erklären und durchzuführen. Zur Begründung lässt sie anführen, die Voraussetzungen für die Anfechtbarkeit der Zwischenverfügung vom

      11. August 2011 seien nicht gegeben, da eine Begutachtung in G. nicht unzumutbar

      sei und die Beschwerdeführerin kein Ausstandsbegehren gestellt habe. Auf den Antrag betreffend Erlass vorsorglicher Massnahmen sei nicht einzutreten, da die angefochtene Verfügung keine Leistungseinstellung zum Inhalt gehabt habe. Aufgrund des protrahierten Heilungsverlaufs, der von Psychotherapeut F. in Aussicht gestellten längeren Heilungsdauer und der vorbestehenden Rheumaproblematik habe sich die Beschwerdegegnerin entschlossen, die Beschwerdeführerin begutachten zu lassen, um die weitere Leistungspflicht objektiv abzuklären. Dazu sei ein unabhängiges, multidisziplinäres Gutachten notwendig. Die versicherte Person habe keinen Anspruch auf einen Gutachter ihrer Wahl. Die Beschwerdeführerin habe gegen die H. in G. , keine triftigen Ablehnungsgründe vorgebracht. Zwar habe das Bundesgericht in BGE 137 V 210 zur Invalidenversicherung (IV) festgehalten, Versicherer und versicherte Person sollten sich über die Gutachterstelle einigen. Soweit keine Einigung erzielt werden könne, obliege es nach wie vor dem Versicherer, die Gutachterstelle - unter Wahrung der Verfahrensrechte der versicherten Person zu bezeichnen. Da die Beschwerdeführerin eine Begutachtung nun vollends ablehne, würden sich weitere Einigungsversuche erübrigen. Aus BGE 137 V 210 ergebe sich auch, dass es einer versicherten Person zumutbar sei, sich einer Begutachtung zu unterziehen, welche nicht an ihrem Wohnort in dessen unmittelbarer Nähe stattfinde. Dies werde nämlich der Fall sein, wenn die Gutachterstellen nach dem Zufallsprinzip bestimmt würden. Ohne konkret entgegenstehende Umstände seien gemäss Ueli Kieser, ATSGKommentar, 2. Aufl. 2009, N 44 zu Art. 43 (mit Hinweis auf die Rechtsprechung) die üblichen Untersuchungen in einer Gutachterstelle generell als zumutbar zu betrachten.

    3. Mit Replik vom 7. November 2011 lässt die Beschwerdeführerin an ihrem Standpunkt festhalten. Betont werden die gerichtliche Anfechtbarkeit der Zwischenverfügung vom 11. August 2011 sowie die Notwendigkeit, durch vorsorgliche gerichtliche Massnahmen ihren Anspruch auf weitere Taggeldleistungen der Beschwerdegegnerin festzuhalten. Ferner lässt die Beschwerdeführerin darauf hinweisen, dass sie eine Begutachtung bisher nicht vollends abgelehnt habe und nach wie vor zu einer einvernehmlichen Gutachtenseinholung bereit sei.

    4. Die Beschwerdegegnerin lässt in der Duplik vom 22. November 2011 ebenfalls an

      ihren Standpunkten festhalten.

    5. Auf die Begründungen in den einzelnen Rechtsschriften sowie den Inhalt der übrigen Akten wird, soweit für den Entscheid erforderlich, in den nachfolgenden Erwägungen näher eingegangen.

Erwägungen:

1.

    1. Die Beschwerdegegnerin hat die Anordnung der Begutachtung durch H. am

      11. August 2011 in die Form einer formellen Zwischenverfügung gekleidet, nachdem sie sich mit der Beschwerdeführerin nicht auf eine andere Begutachtungsstelle einigen konnte (UV-act. 73 ff.). Im Licht von Art. 49 Abs. 1 ATSG, wonach der Versicherungsträger unter anderem über Anordnungen, mit denen die betroffene Person nicht einverstanden ist (unabhängig von deren Erheblichkeit) schriftlich Verfügungen zu erlassen hat, ist dieses Vorgehen korrekt (vgl. Kieser, a.a.O., N 18 und N 24 zu Art. 49 ATSG; René Wiederkehr, Mitwirkungsrechte des Versicherten bei der Durchführung einer Begutachtung, insbesondere durch Ärztekollektive in: Schaffhauser/Schlauri [Hrsg.], Medizin und Sozialversicherung im Gespräch, St. Gallen 2006, S. 57 [im Folgenden zitiert als Wiederkehr, Mitwirkungsrechte] bzw. derselbe,

      Begutachtungsanordnung im Kontext des ATSG, in: AJP 9/2004 S. 1145 [im Folgenden zitiert als Wiederkehr, Begutachtungsanordnung]; mit BGE 137 V 256 E. 3.4.2.6 postuliert das Bundesgericht neu jedenfalls für das IV-Verfahren die Pflicht, bei fehlendem Konsens, die Anordnung einer Expertise in die Form einer Verfügung zu kleiden.). - Gegen Zwischenverfügungen ist gemäss Art. 52 Abs. 1 ATSG - unter Auslassung des Einspracheverfahrens - die Beschwerde an das Sozialversicherungsgericht zulässig (Art. 56 Abs. 1 ATSG).

    2. Vorweg ist die Frage zu prüfen, ob auf die Beschwerde gegen die Zwischenverfügung vom 11. August 2011 einzutreten ist.

      1. Gemäss höchstrichterlicher Rechtsprechung stellt die Anordnung einer Begutachtung für sich allein grundsätzlich keine anfechtbare Zwischenverfügung dar. Selbstständig anfechtbar sind aber Zwischenverfügungen über formelle Ausstandsgründe. Zwischenverfügungen über andere Fragen der Begutachtung sind

        hingegen bereits vor dem kantonalen Gericht nur dann anfechtbar, wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können. In der Regel keinen solchen Nachteil bewirken Zwischenverfügungen über Einwände, die Fragen der Beweiswürdigung betreffen und daher beim Endentscheid in der Sache noch berücksichtigt werden können. Dazu gehören rechtsprechungsgemäss die Fragen, aus welcher medizinischen Fachrichtung ein Gutachten einzuholen ist, ob ein behandelnder Arzt als Gutachter eingesetzt werden kann, ob die Gutachterperson die notwendigen Fachkenntnisse besitzt ob der Sachverhalt bereits hinreichend abgeklärt ist (BGE 136 V 157 f. E. 3.2; bezüglich Sachverhalt geändert mit BGE 137 V 257 E. 3.4.2.7).

      2. Vorliegend stellen die Rügen, eine Begutachtung sei zum jetzigen Zeitpunkt verfrüht und die Anordnung von H. als Gutachterstelle sei aus geographischen Gründen nicht zulässig, Einwendungen formeller Natur dar. Beide beschlagen nicht Fragen, die zur Beweiswürdigung gehören, und sind geeignet, nicht wieder gutzumachende Nachteile zu bewirken. Nicht wieder gutzumachende Nachteile werden dann bejaht, wenn sie durch einen an sich günstigen Endentscheid nicht nur teilweise behoben werden können. Dies ist vorliegend der Fall, weil für die Beschwerdeführerin Schaden entstehen könnte, wenn die Zwischenverfügung erst mit dem Endentscheid angefochten werden könnte (vgl. Martin Kayser, in: Auer/Müller/ Schindler [Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren [VwVG; SR 172.021], Rz 10 zu Art. 46 VwVG und Kieser, a.a.O., N 9 f. zu Art. 56 ATSG sowie BGE 137 III 382 E. 1.2.1, alle mit Hinweisen). Es handelt sich um Einwendungen, die zwangsläufig nicht mit dem Endentscheid der Beschwerdegegnerin über allfällige Leistungsbegrenzungen behoben werden können, sondern vorab zu beurteilen sind. Andernfalls bestünde kein wirksamer Rechtsschutz der Beschwerdeführerin, um sich gegen möglicherweise rechtswidrige Begutachtungsanordnungen zur Wehr setzen zu können. Auf die Beschwerde ist daher einzutreten. Dabei kann offen bleiben, ob der zum IV-Verfahren ergangene Bundesgerichtsentscheid 137 V 210 direkt auf das Verfahren in der obligatorischen Unfallversicherung anwendbar ist, und ob gemäss dessen Erwägung 3.4.2.7 (S. 256 f.) die Eintretensvoraussetzungen auch im vorliegenden Fall zu bejahen sind.

      3. Die übrigen Eintretensvoraussetzungen der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen sind unbestritten und

ebenfalls zu bejahen (vgl. Art. 58 Abs. 1, Art. 59 ATSG; Art 65 ff. des st. gallischen Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege [VRP; sGS 951.1]). Die Beschwerde wurde am 7. September 2011 rechtzeitig innerhalb der Beschwerdefrist erhoben (vgl. Art. 60 ATSG sowie Wiederkehr, Begutachtungsanordnung, a.a.O., S. 1148, bzw. Wiederkehr, Mitwirkungsrechte, a.a.O., S. 65 f.).

1.3 Die Beschwerdeführerin lässt im Sinn einer vorsorglichen Massnahme beantragen, die Beschwerdegegnerin sei durch das Gericht zu verpflichten, die Taggelder während des Beschwerdeverfahrens im Ausmass der ärztlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeit auszurichten. Auf diesen Antrag ist nicht einzutreten, da die Leistungspflicht der Beschwerdegegnerin nicht Gegenstand der Verfügung vom

11. August 2011 war (vgl. BGE 131 V 164 f. E. 2.1, Urteil des Bundesgerichts vom

9. Juni 2008, 8C_532/2007, E. 2.1). Nachdem die Beschwerdegegnerin am 20. Mai 2010 ihre Leistungspflicht anerkannt hatte, gilt diese auch ohne gerichtliche Massnahme so lange, bis entweder die (unfallkausalen) Gesundheitsbeeinträchtigungen geheilt sind bis die Beschwerdegegnerin rechtsgenüglich nachweisen kann, dass die Unfallkausalität dahingefallen ist (vgl. RKUV 2000 Nr. U 363, S. 45, E. 2; RKUV 1994 Nr. U 206, S. 326, E. 3b; Urteil des

Bundesgerichts vom 15. Mai 2008, 8C_210/2007, E. 4.2 mit Hinweisen; Kieser, a.a.O., N 40 zu Art 43 ATSG).

2.

    1. In materieller Hinsicht ist zunächst strittig, ob eine Begutachtung der Beschwerdeführerin zum jetzigen Zeitpunkt bzw. zum Zeitpunkt der Verfügung angezeigt ist, ob eine Untersuchung durch den Vertrauensarzt genügt.

    2. Gemäss Art. 43 Abs. 1 Satz 1 ATSG prüft der Versicherungsträger die Begehren, nimmt die notwendigen Abklärungen von Amtes wegen vor und holt die erforderlichen Auskünfte ein. Es liegt im Ermessen des Unfallversicherers darüber zu befinden, mit welchen Mitteln die Sachverhaltsabklärung zu erfolgen hat. Gerade bei medizinischen Erhebungen kommt ihm im Rahmen der Verfahrensleitung ein grosser Ermessensspielraum bezüglich der Notwendigkeit, des Umfangs und der Zweckmässigkeit zu. Was zu beweisen ist, ergibt sich aus der Sachund Rechtslage.

      Gestützt auf den Untersuchungsgrundsatz hat der Unfallversicherer den Sachverhalt soweit zu ermitteln, dass er über den Leistungsanspruch zumindest mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl. dazu BGE 126 V 360 E. 5b S.

      360) entscheiden kann. Dabei kommt Sachverständigengutachten eine massgebende Rolle zu (vgl. Art. 55 Abs. 2 der Verordnung über die Unfallversicherung [UVV; SR 832.202]). Der Untersuchungsgrundsatz wird ergänzt durch die Mitwirkungspflichten der versicherten Person (vgl. BGE 125 V 195 E. 2). Danach hat sich diese den ärztlichen fachlichen Untersuchungen zu unterziehen, wenn sie zumutbar sind. Nach dem Wortlaut von Art. 43 Abs. 1 und Abs. 2 ATSG müssen diese aber auch notwendig und somit von entscheidender Bedeutung für die Erstellung des rechtserheblichen Sachverhalts sein (vgl. SVR 2007 UV Nr. 33 [U 571/06] S. 111 E. 4.1; Kieser, a.a.O., N 43 ff. zu Art. 43 ATSG mit Hinweisen).

    3. Unfallversicherer kommen ihrer gesetzlichen Pflicht den medizinischen Sachverhalt abzuklären, regelmässig durch das periodische Einholen von Berichten behandelnder Ärztinnen und Ärzte nach. Bestehen Unklarheiten bezüglich Diagnose, Kausalität, Therapie, Arbeitsunfähigkeit, Abschluss etc. und sind mehrere medizinische Disziplinen betroffen, ist die (interdisziplinäre) Meinung medizinischer Fachpersonen und damit eine Begutachtung gefragt (vgl. auch David Weiss, Ausgewählte Aspekte der Begutachtung in der obligatorischen Unfallversicherung, in: SZS 2011 S. 332). Auch im vorliegenden Fall verhält es sich so: Dr. E. hielt am Ende seines Berichts vom

12. Oktober 2010 über die Untersuchung der Beschwerdeführerin am 30. September 2010 unter dem Titel "Diagnostische und therapeutische Vorschläge" unter anderem fest: "( ) Das Unfallereignis hat bei dieser Patientin nun zu einer zusätzlichen nicht nur somatischen Belastung geführt, sondern mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auch zu einer posttraumatischen Belastungsstörung. Dementsprechend ist es unbedingt notwendig, dass die Patientin psychiatrisch exploriert und auch eine entsprechende Behandlung initiiert wird ( )." Die Hauptdiagnose des Vertrauensarztes lautete auf dringenden Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsstörung. Entsprechend seiner Qualifikation als Facharzt FMH für Rheumatologie sowie physikalische Medizin und Rehabilitation ging Dr. E. fachgerecht vor und verwies für die definitive psychiatrische Diagnose auf eine entsprechend qualifizierte Fachperson. Nachdem die Psychotherapie der Beschwerdeführerin auf Veranlassung der Haftpflichtversicherung am 14. Januar 2011 bei F. aufgenommen worden war und dieser die Diagnose einer

posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10 F43.1) stellte, wurde die in Aussicht genommene psychiatrische Exploration zunächst ausgesetzt (vgl. UV-act. 61 ff.). Für die Beschwerdegegnerin wuchs jedoch der Bedarf, die medizinische Situation interdisziplinär abklären zu lassen. Am 16. Juni 2011 kündigte sie daher der Beschwerdeführerin und der Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers eine interdisziplinäre Begutachtung an (UV-act. 71, 73). Mitte Juni lagen die Untersuchung durch Vertrauensarzt Dr. E. und seine Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit der Beschwerdeführerin bereits 8½ Monate zurück (UV-act. 45). Die von ihm empfohlene psychiatrische Exploration war noch nicht durchgeführt worden. Zwar hatte F. am

25. Februar und 28. März 2011 ausführlich über die bisherige Psychotherapie berichtet (UV-act. 66 f.); seine Berichte über die Behandlung können jedoch nicht den Bericht einer aussenstehenden Fachärztin eines Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie ersetzen. Da sich zunehmend Fragen der Kausalität stellten und von der Haftpflichtversicherung gestellt wurden, und neben psychiatrischen und rheumatologischen wahrscheinlich weitere Fachpersonen Stellung nehmen müssten, war die Anordnung der interdisziplinären Begutachtung Mitte 2011 sachgerecht und im Rahmen der Abklärungspflicht der Beschwerdegegnerin gar geboten (vgl. auch Gabriela Riemer-Kafka, Verweigerte Mitwirkung bei Sachverhaltsabklärungen, in: Schaffhauser/Kieser (Hrsg.), Leistungsverweigerungen im Sozialversicherungsrecht, Ursachen - Bedeutung - Auswirkungen, St. Gallen 2011, S. 73). Das Vorgehen der Beschwerdegegnerin, Mitte 2011 eine interdisziplinäre Begutachtung zu veranlassen, ist somit nicht zu beanstanden.

3.

    1. Weiter ist die Frage strittig, ob die Auswahl einer Gutachterstelle in G. durch die Beschwerdegegnerin rechtens war und der Beschwerdeführerin der Weg nach G. zumutbar ist.

    2. Die Beschwerdegegnerin begründet die Wahl von H. in G. als Begutachtungsstelle mit der besonderen Fachkompetenz respektive Spezialisierung (UV-act. 79). Weitere Gründe Details zur Fachkompetenz der für H. tätigen Gutachter führt sie nicht an. Im Schreiben vom 16. Juni 2011 hatte sie lediglich die Internetadresse von H. angegeben und die Namen der dort tätigen Gutachter

      aufgelistet (ohne Facharzttitel; UV-act. 73). Weder aus dem Internetauftritt von H. noch dem Zweck der im Handelsregister des Kantons G. als Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) eingetragenen Gutachterstelle G. GmbH ("Erstellung von interdisziplinären medizinischen Gutachten durch Fachärzte mit FMH-Titel zu Handen privater Unfallund Haftpflichtversicherer, sozialversicherungsrechtlicher Institutionen sowie weiterer Auftraggeber. [ ]";241.4.006.150, Abfragen vom

      12. Dezember 2011) gehen Hinweise hervor, die die Bevorzugung von H. gegenüber örtlich näheren Gutachterstellen (in St. Gallen allenfalls Zürich) aufdrängen gar begründen würden. Fachärztinnen und Fachärzte mit FMH-Titel, die geeignet und in der Lage sind, interdisziplinäre Gutachten zu verfassen, finden sich auch in Gutachterstellen in St. Gallen allenfalls in Zürich.

    3. Sprechen nicht andere Gründe, wie z.B. Vorbefasstheit, dagegen, bevorzugt das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen Begutachtungen durch geeignete Stellen nahe des Wohnorts in der Wohnregion der versicherten Person (vgl. Urteil vom

      8. Juli 2010, IV 2009/417, das sich allerdings in erster Linie auf das Kreisschreiben des Bundesamts für Sozialversicherungen [BSV] über das Verfahren der Invalidenversicherung [KSVI; Rz 2075.1] stützte, welches der Verwaltung die wohnortnahe Begutachtung vorschreibt und im Bereich der sozialen Unfallversicherung keine Anwendung findet). Durch Begutachtungen in der Wohnregion können den versicherten Personen mehrstündige, belastende Hinund Rückreisen erspart bzw. müssen ihnen solche nicht ohne Grund aufgebürdet und können unnötige Kosten vermieden werden. Wie bereits in Erwägung 2.2 ausgeführt, hat die Unfallversicherung einen weiten Ermessensspielraum bezüglich Notwendigkeit, Umfang und Zweckmässigkeit von Sachverhaltsabklärungen. Bei der Überprüfung von Ermessensentscheiden darf das Sozialversicherungsgericht sein Ermessen nicht ohne triftigen Grund an die Stelle desjenigen der Verwaltung setzen; es muss sich somit auf Gegebenheiten abstützen können, welche seine abweichende Ermessensausübung als naheliegender erscheinen lassen (vgl. BGE 126 V 81 E. 6, BGE 123 V 152 E. 2 mit Hinweisen). Obwohl das Gericht Verständnis hat für die Einwände der Beschwerdeführerin, hat die Beschwerdegegnerin ihren Ermessensspielraum nicht überschritten, als sie die Begutachtung der Beschwerdeführerin in G. vorsah. Medizinische Gründe, wonach ihr eine Zugfahrt nach G. und zurück nicht zumutbar wäre, werden weder geltend gemacht noch ergeben sich solche aus den Akten (vgl.

      auch Urteile des Bundesgerichts vom 21. September 2011, 8C_512/2011, E. 3.1 am Ende und vom 30. Januar 2007, I 166/06, E. 5). Auch andere Gründe, die die Zumutbarkeit beeinträchtigen würden, werden weder spezifiziert noch sind solche ersichtlich.

    4. Soweit die Beschwerdeführerin geltend machen lässt, der Begutachtungsauftrag an H. sei auch daher nicht zulässig, weil Art. 44 ATSG vorsehe, eine natürliche Person zu bezeichnen und der versicherten Person vorgängig deren Namen zu nennen, verkennt sie, dass auch im Abklärungsverfahren der Unfallversicherung die Möglichkeit besteht, zunächst eine Gutachterstelle zu bezeichnen und die Namen der Gutachterinnen und Gutachter, die die Untersuchungen und Beurteilungen konkret durchführen, erst dann zu nennen, wenn sie im Einzelfall feststehen. Die höchstrichterliche Rechtsprechung fordert sowohl in der IV wie in der Unfallversicherung, dass die Nennung der konkret befassten Gutachterinnen und Gutachter (durch den Versicherungsträger die Gutachterstelle) so frühzeitig erfolgt, dass der versicherten Person genügend Zeit bleibt, vor der Begutachtung gegenüber dem Versicherungsträger begründete Einwendungen wie beispielsweise Ausstandsgründe geltend zu machen (vgl. in BGE 132 V 148 nicht publizierte E. 3.4 f. des Urteils vom 18. August 2006, U 178/04 [publiziert als SVR 2007 UV Nr. 5 S. 13], mit der die in BGE 132 V 385 f. E. 8.4 dargelegte Rechtsprechung zum Verfahren der IV auch in der Unfallversicherung anwendbar erklärt wird, wenn ein Unfallversicherer ein Gutachten bei einer Gutachterstelle durchführen lassen will). Beim konkreten Auftrag für das Gutachten wird die Beschwerdegegnerin H. beauftragen, der Beschwerdeführerin die Namen und fachlichen Qualifikationen der konkret befassten Ärzte rechtzeitig vor den Untersuchungsdaten zu nennen. Die Beschwerdeführerin wird sie anhalten, allfällige substantiiert begründete Einwendungen gegen die Gutachter ihr als Unfallversicherer gegenüber geltend zu machen (vgl. in BGE 132 V 148 nicht publizierte E. 3.4 f. des Urteils vom 18. August 2006, U 178/04 [publiziert als SVR 2007 UV Nr. 5 S. 13]).

4.

Im Sinn der vorstehenden Erwägungen ist die durch die Beschwerdegegnerin vorgesehene Gutachtensanordnung bei H. in § rechtlich nicht zu beanstanden und

die Beschwerde gegen die Zwischenverfügung vom 11. August 2011 abzuweisen. Gerichtskosten sind keine zu erheben (Art. 61 lit. a ATSG).

Demgemäss hat das Versicherungsgericht im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 39 VRP entschieden:

  1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

  2. Auf das Gesuch betreffend vorsorgliche Massnahmen wird nicht eingetreten.

  3. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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