Zusammenfassung des Urteils UV 2010/23: Versicherungsgericht
Der Beschwerdeführer R., ein Angestellter der A., war bei der AXA Winterthur gegen Unfallfolgen versichert. Nachdem er beim Frühstück auf einen Stein im Brötchen biss und ein Zahn abbrach, verweigerte die Versicherung die Leistung mit der Begründung, dass kein Unfall im rechtlichen Sinne nachgewiesen sei. Trotz Einsprachen und Beschwerden wurde die Ablehnung der Leistungspflicht bestätigt, da der Vorfall nicht eindeutig als Unfall nachgewiesen werden konnte. Das Gericht entschied, dass die Versicherung nicht für den Zahnschaden aufkommen muss, da der Sachverhalt nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bewiesen werden konnte. Zudem wurde festgestellt, dass die Kosten für das Arztzeugnis nicht von der Versicherung übernommen werden müssen. Die Beschwerde wurde abgewiesen, es wurden keine Gerichtskosten erhoben.
Kanton: | SG |
Fallnummer: | UV 2010/23 |
Instanz: | Versicherungsgericht |
Abteilung: | UV - Unfallversicherung |
Datum: | 21.12.2010 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Entscheid Art. 6 Abs. 1 UVG, Art. 4 ATSG, Art. 45 ATSG: Die blosse Vermutung, ein Zahnschaden sei durch Beissen auf einen Fremdkörper verursacht worden, genügt für die Annahme eines ungewöhnlichen äusseren Faktors gemäss Art. 4 ATSG nicht (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 21. Dezember 2010, UV 2010/23). |
Schlagwörter : | Quot; Unfall; Versicherung; Stein; Faktor; Sachverhalt; Bundesgerichts; Entscheid; Steinchen; Quot;corpus; Rechtsprechung; Winterthur; Beweislosigkeit; Gericht; Urteil; Rechtssinn; Einsprache; Umstände; Rechte; Arztzeugnis; Faktors; Massnahme; Anspruch; Stück; Leistungen |
Rechtsnorm: | Art. 10 UVG ;Art. 4 ATSG ;Art. 45 ATSG ;Art. 61 ATSG ; |
Referenz BGE: | 117 V 261; 122 V 230; 134 V 72; |
Kommentar: | Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Entscheid vom 21. Dezember 2010
in Sachen R. ,
Beschwerdeführer, gegen
AXA Versicherungen AG, General Guisan Strasse 40, Postfach 357, 8401 Winterthur,
Beschwerdegegnerin, betreffend Versicherungsleistungen Sachverhalt:
A.
Der 1968 geborene R. war bei der A. angestellt und dadurch bei der AXA Winterthur gegen die Folgen von Unfällen versichert. Gemäss Unfallmeldung vom 6. August 2009 (act. G 5.1/1) biss R. am 23. Juli 2009 während des Frühstücks in einem Hotel auf einen Stein im Brötchen, woraufhin ein Stück Zahn abbrach. Der Versicherte begab sich am gleichen Tag zu einer Zahnklinik um den Zahn provisorisch versorgen zu lassen (act. G 1.5). Am 19. und 26. August 2009 wurde der Zahn durch B. , eidg. dipl. Zahnarzt, welcher eine Kronenfraktur ohne Pulpabeteiligung diagnostizierte (act. G 5.1/M1), definitiv versorgt (act. G 1.4). Mit Schreiben vom 26. August 2009 teilte die AXA Winterthur dem Versicherten mit, es sei kein Unfall im Rechtssinn nachgewiesen. Da der Versicherte das Steinchen nicht gesehen habe, sei von Beweislosigkeit auszugehen und daher werde ein Leistungsanspruch abgelehnt (act. G 5.1/3). Nachdem die Rechtsschutz Versicherung mit der Vertretung des
Versicherten betraut wurde (act. G 5.1/6), forderte sie mit Schreiben vom 22. Dezember 2009 eine einsprachefähige Verfügung an (act. G 5.1/5), woraufhin die AXA Winterthur am 8. Januar 2010 ihre Leistungspflicht verfügungsweise verneinte (act. G 5.1/7).
B.
Gegen diese Verfügung erhob der Versicherte am 30. Januar 2010 Einsprache (act.
G 5.1/8). Mit Entscheid vom 17. Februar 2010 wies die AXA Winterthur die Einsprache des Versicherten ab (act. G 5.1/10).
C.
Mit Eingabe vom 19. März 2010 erhob R. Beschwerde mit den Anträgen, die Beschwerdegegnerin sei zu verpflichten, den Einspracheentscheid vom 17. Februar 2010 als nichtig zu erklären, es sei anzuerkennen, dass ein Unfall vorliege und es seien die entsprechenden Leistungen zu erbringen. Bei einem Steinchen in einem Stück Brot handle es sich um einen unüblichen Gegenstand und somit seien die Voraussetzungen des Unfallbegriffs erfüllt. Verschiedene Umstände würden darauf hindeuten, dass es sich um einen Unfall gehandelt habe. Die Beschwerdegegnerin habe aber nicht alle diese Umstände gewürdigt. Ungeachtet des Verfahrensausgangs sei die
Beschwerdegegnerin zu verpflichten, die Kosten für das UVG-Arztzeugnis zu vergüten (act. G 1).
In der Beschwerdeantwort beantragte die Beschwerdegegnerin, die Beschwerde sei abzuweisen und der angefochtene Entscheid vom 17. Februar 2010 sei zu bestätigen. Sie führte aus, dass der Beschwerdeführer das "corpus delicti" nicht gesehen habe und nur aufgrund des Geräusches und des Gefühls der Überzeugung sei, auf ein Steinchen gebissen zu haben. Daher handle es sich bei der Behauptung, auf einen Stein gebissen zu haben, um eine unbewiesene Annahme. Es liege somit Beweislosigkeit vor, deren Folgen der Beschwerdeführer zu tragen habe, da er aus einem unbewiesen gebliebenen Sachverhalt Rechte ableiten wolle. Die Übernahme der Kosten für das Arztzeugnis werde ebenfalls abgelehnt, da dieses nicht von ihr veranlasst worden und es auch nicht entscheidrelevant sei (act. G 5).
Der Beschwerdeführer liess die Frist zur Einreichung einer Replik unbenützt
verstreichen. Erwägungen: 1.
1.1 Streitig und zu prüfen ist, ob ein Unfall im Sinn von Art. 4 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG; SR 830.1) vorliegt und ob daher die Beschwerdegegnerin als UVG-Versichererin für die Folgen des Vorfalls vom 23. Juli 2009 gemäss Art. 6 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung (UVG; SR 832.20) i.V. m. Art. 10 Abs. 1 UVG leistungspflichtig ist. Während der Beschwerdeführer geltend macht, beim fraglichen Vorfall handle es sich um einen Unfall, vertritt die Beschwerdegegnerin die Ansicht, ein Unfallereignis sei nicht nachgewiesen.
2.
Als Unfall gilt die plötzliche, nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper, die eine Beeinträchtigung der körperlichen geistigen Gesundheit den Tod zur Folge
hat (Art. 4 ATSG). Damit ein Unfall im Rechtssinn vorliegt, müssen all diese
Tatbestandsmerkmale kumulativ erfüllt sein.
Wenn beim Abbeissen Kauen von Nahrung ein Zahn abbricht, kann möglicherweise ein Unfallereignis gegeben sein. Die Begriffsmerkmale der plötzlichen, nicht beabsichtigten schädigenden Einwirkung sind unbestrittenermassen erfüllt. Zu prüfen bleibt, ob das Vorliegen eines ungewöhnlichen äusseren Faktors nachgewiesen werden kann.
Der äussere Faktor ist ungewöhnlich, wenn er den Rahmen des im jeweiligen Lebensbereich Alltäglichen Üblichen überschreitet. Ob dies zutrifft, beurteilt sich im Einzelfall, wobei grundsätzlich nur die objektiven Umstände in Betracht fallen. Das Begriffsmerkmal der Ungewöhnlichkeit bezieht sich nicht auf die Wirkung des äusseren Faktors, sondern auf diesen selber. Ohne Belang für die Prüfung der Ungewöhnlichkeit ist, ob der äussere Faktor allenfalls schwerwiegende, unerwartete Folgen nach sich zog (BGE 134 V 72 E. 4.3.1; SVR 2001 KV Nr. 50 S. 145 E. 3a; BGE 122 V 230 E.1 = Pra
1997 Nr. 82 S. 415 f. E. 1). Gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts wurde die Ungewöhnlichkeit verneint bei Dekorationsperlen auf einem Kuchen, bei der Königsfigur in einem Dreikönigskuchen und beim Zwetschgenstein in einer gedörrten Zwetschge im "Tuttifrutti". Bejaht wurde sie hingegen bei einer Nussschale in einem Nussbrot, bei einem Knochensplitter in einer Wurst sowie bei einem Steinchen in einem Reisgericht (vgl. zum ganzen: Alexandra Rumo-Jungo, Bundesgesetz über die Unfallversicherung, in: Murer/Stauffer (Hrsg.), Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, 3. Aufl., Zürich 2003 S.35 f. und 30 f.). Der Beschwerdeführer gab an, er habe auf ein Steinchen gebissen, welches sich in einem Stück Brot befunden habe. Mit einem Steinchen im Brot muss nicht gerechnet werden. Im Sinn der oben genannten Rechtsprechung ist ein solches daher als ungewöhnlicher äusserer Faktor nach Art. 4 ATSG zu qualifizieren. Zu prüfen bleibt aber, ob der behauptete Sachverhalt nachgewiesen werden kann.
3.
Im Sozialversicherungsrecht hat das Gericht seinen Entscheid nach dem
Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu fällen. Die blosse Möglichkeit
eines bestimmten Sachverhalts genügt den Beweisanforderungen nicht (Ueli Kieser, ATSG-Kommentar, 2. Auflage, Zürich 2009, Rz. 71 zu Art. 61 ATSG). Dem Untersuchungsgrundsatz entsprechend hat das Gericht von Amtes wegen für die richtige und vollständige Abklärung des rechtserheblichen Sachverhalts zu sorgen (Art. 61 lit. c ATSG). Rechtserheblich sind alle Tatsachen, von deren Vorliegen es abhängt, ob über die Rechte und Pflichten so anders zu entscheiden ist. Die Parteien tragen nur insofern eine Beweislast, als im Fall der Beweislosigkeit der Entscheid zu Ungunsten jener Partei ausfällt, die aus dem unbewiesen gebliebenen Sachverhalt Rechte ableiten wollte. Diese Beweisregel kommt jedoch erst zur Anwendung, wenn es sich als unmöglich erweist, im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes aufgrund einer Beweiswürdigung einen Sachverhalt zu ermitteln, der zumindest die Wahrscheinlichkeit für sich hat, der Wirklichkeit zu entsprechen (BGE 117 V 261 E. 3b mit Hinweisen).
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts genügt die blosse Vermutung, der Zahnschaden sei durch einen Fremdkörper verursacht worden, für die Annahme eines ungewöhnlichen äusseren Faktors nicht (Urteil des Bundesgerichts vom 28. Juli 2010, 8C_1034/2009, E. 4.3 mit Hinweisen). Wenn ungeklärt bleibt, um was für einen Gegenstand es sich gehandelt hat, kann die Frage, ob ein Unfall im Rechtssinn vorliegt, nicht beantwortet werden. Demzufolge kann auch nicht zuverlässig beurteilt werden, ob dieser als ungewöhnlicher äusserer Faktor zu qualifizieren ist. Eine blosse Vermutung, dass der Schaden durch einen ungewöhnlichen äusseren Faktor eingetreten sei, liegt nach der Rechtsprechung auch dann vor, wenn das "corpus delicti" zwar als Steinchen benannt wird, dieses aber verschluckt wurde (Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts [EVG; seit 1. Januar 2007 sozialrechtliche Abteilungen des Bundesgerichts] vom 16. Juli 2001, U 211/00; Urteil des Bundesgerichts vom 28. Juli 2010, 8C_1034/2009).
In dem am 21. August 2009 ausgefüllten Fragebogen der Beschwerdegegnerin gab der Beschwerdeführer an, dass er das "corpus delicti" nicht selber gesehen habe, da er lediglich den abgebrochenen Zahn nicht verschluckt habe (act. G 5.1/2). Es ist daher nach der oben dargelegten Rechtsprechung des Bundesgerichts im vorliegenden Fall von Beweislosigkeit auszugehen. Der Beschwerdeführer hat zudem darauf hingewiesen, dass er verschiedene Zeugen für den Hergang beim Frühstück
benennen könne. Wenn der fragliche Gegenstand aber verschluckt wurde, können die angegebenen Zeugen ebenso wenig wie der Beschwerdeführer selbst nähere Auskünfte über das "corpus delicti" geben. Es bleibt daher ungeklärt, um was für einen "Fremdkörper" es sich effektiv gehandelt hat.
In Würdigung der gesamten Umstände ist es zwar möglich, dass die Zahnschädigung auf einen Unfall im Rechtssinn zurückzuführen ist, doch fehlt es dabei am erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit. Die Folgen dieser Beweislosigkeit hat der Beschwerdeführer zu tragen, da er aus dem unbewiesen gebliebenen Sachverhalt Rechte ableiten will (Urteil des Bundesgerichts vom 28. Juli 2010, 8C_1034/2009, E 4.2 ff.; EVG-Urteil vom 17. Juli 2001, U 211/00, E. 3.c). Die
Versicherung hat für den Zahnschaden nicht aufzukommen, der angefochtene Entscheid ist in der Hauptsache nicht zu beanstanden.
4.
Der Beschwerdeführer verlangt weiter, dass die Beschwerdegegnerin zu verpflichten sei, die Kosten für das Arztzeugnis zurückzuerstatten. Die Beschwerdegegnerin lehnte die Vergütung dieser Kosten mit der Begründung ab, dass sie selber dieses Formular nicht angefordert habe und es auch nicht entscheidrelevant sei.
Der Versicherungsträger übernimmt die Kosten der Abklärung, soweit er die Massnahmen angeordnet hat. Hat er keine Massnahmen angeordnet, so übernimmt er deren Kosten dennoch, wenn die Massnahmen für die Beurteilung des Anspruchs unerlässlich waren Bestandteil nachträglich zugesprochener Leistungen bilden (Art. 45 Abs. 1 ATSG).
Gemäss den Ausführungen der Beschwerdegegnerin wurde von ihr kein zahnärztliches Zeugnis in Auftrag gegeben (act. G 5). Eine solche Aufforderung ergibt sich auch nicht aus den vorliegenden Unterlagen. Während sich der Beschwerdeführer in der Einsprache noch auf den Standpunkt gestellt hatte, die Versicherung hätte das Arztzeugnis in Auftrag gegeben, wiederholte er diese Aussage in der Beschwerde nicht und weist auch nicht mehr auf ein derartiges Schreiben hin. Es ist daher davon
auszugehen, dass das Formular auf Initiative des Beschwerdeführers des Zahnarztes ausgefüllt und zur Anmeldung für die Zusatzversicherung verwendet wurde (act. G 5.1/4). Die Beschwerdegegnerin hätte dessen Kosten dennoch zu übernehmen, wenn die Massnahme für die Beurteilung des Anspruchs unerlässlich gewesen wäre Bestandteil nachträglich zugesprochener Leistungen gebildet hätte (Art. 45 Abs. 1 Satz 2 ATSG). Angesichts der eindeutigen und strengen bundesgerichtlichen Praxis bei einem nicht vorhandenen "corpus delicti" war das zahnärztliche Zeugnis für die Beurteilung dieses Anspruchs nicht unerlässlich. Vielmehr war die Beschwerdegegnerin bereits aufgrund des vom Beschwerdeführer ausgefüllten Fragebogens, in welchem er angab, das "corpus delicti" verschluckt zu haben, in der Lage, den Anspruch abzuweisen. Sie ist daher nicht verpflichtet, die Kosten für das zahnärztliche Zeugnis zu übernehmen.
5.
Im Sinn der vorstehenden Erwägungen ist die Beschwerde abzuweisen und der angefochtene Entscheid zu bestätigen. Gerichtskosten sind keine zu erheben (Art. 61 lit. a ATSG).
Demgemäss hat das Versicherungsgericht
im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 53 GerG entschieden:
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
Hier geht es zurück zur Suchmaschine.