Zusammenfassung des Urteils ST.2004.55: Kantonsgericht
Der Angeklagte X. und seine Geschäftspartner entwickelten die S.-Card, ein System, das Vergünstigungen über Vertragsunternehmen anbot und Entschädigungen für die Anwerbung neuer Mitglieder vorsah. Sie wurden der Widerhandlung gegen das Lotteriegesetz schuldig gesprochen und zu Geldstrafen verurteilt. X. legte Berufung ein, während die Staatsanwaltschaft eine Haftstrafe und höhere Geldstrafen forderte. Das Gericht definierte die Merkmale einer lotterieähnlichen Unternehmung und stellte fest, dass die S.-Card als verbotenes Schneeballsystem gilt. Die S.-Card GmbH wurde als Unternehmen betrachtet, das von der Anwerbung neuer Mitglieder abhängig war, um Gewinne zu erzielen. Das Gericht entschied, dass das System der S.-Card ein verbotenes Schneeballsystem darstellt und der Angeklagte sich der Widerhandlung gegen das Lotteriegesetz schuldig gemacht hat.
Kanton: | SG |
Fallnummer: | ST.2004.55 |
Instanz: | Kantonsgericht |
Abteilung: | Kantonsgericht |
Datum: | 28.06.2004 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Entscheid Art. 38 Abs. 1 LG (SR 935.51), Art. 43 Ziff. 1 LV (SR 935.511). Merkmale einer lotterieähnlichen Unternehmung (Schneeballsystem). Bei der Frage, ob die Leistungen des Veranstalters zu Bedingungen in Aussicht gestellt werden, die für den Teilnehmer nur dann einen Vorteil bedeuten, wenn es ihm gelingt, weitere Personen zum Mitmachen zu bewegen, ist das lotterieähnliche Unternehmen als Ganzes mit seinen tatsächlichen Auswirkungen auf den durchschnittlichen Teilnehmer zu betrachten (Kantonsgericht, Strafkammer, 28. Juni 2004, ST.2004.55). |
Schlagwörter : | Mitglied; Mitglieder; S-Card; Lotterie; Mitgliedern; Gesetz; Vorteil; Lotteriegesetz; Sinne; Gewinn; Vertrag; Zufall; Geschäft; Entschädigung; Anwerbung; Rabatt; Vertragsunternehmen; Mitgliederbeitrag; Neumitglieder; Unternehmung; Teilnehmer; Angeklagte; STAEHELIN; Risiko; Umsatz; Produkt; ätigt |
Rechtsnorm: | Art. 333 StGB ; |
Referenz BGE: | 123 IV 178; 123 IV 181; 123 IV 225; 98 IV 143; |
Kommentar: | -, , Zürich , Art. 11 BStG, 1997 Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Aus den Erwägungen:
I.
Der Angeklagte X. entwickelte zusammen mit Y. und Z. die Idee der S.-Card. Im November 2001 starteten sie den Vertrieb im Rahmen der H. GmbH, welche später in
S.-Card GmbH (nachfolgend: S.-Card GmbH) umbenannt wurde und bis heute aktiv ist. Gegen Leistung eines jährlichen Mitgliederbeitrages bietet die S.-Card GmbH über Vertragsunternehmen vergünstigte Einkaufsmöglichkeiten an. Zudem sehen die Vertragsbestimmungen Entschädigungen für neu angeworbene Mitglieder vor.
X., Y. und Z. waren Teilhaber und gleichberechtigte Geschäftsführer, bevor sich Y. im Mai 2002 vom Geschäft zurückzog und seinen Anteil an X. übertrug. Im Innenverhältnis sind Z. und X. für den Verkauf und die Verkaufsschulung zuständig. Y. erledigte während seiner Zeit als Gesellschafter die Administration.
Gestützt auf einen Hinweis des Bundesamtes für Justiz vom 8. Juli 2002 sowie gleichzeitig eingegangene Strafanzeigen von Drittpersonen wurde gegen die Betreiber der S.-Card am 19. November 2003 Anklage beim Kreisgericht St. Gallen wegen Widerhandlung gegen das Lotteriegesetz erhoben.
Mit Entscheid vom 16. Februar 2004 erklärte der Präsident des Kreisgerichts St. Gallen X. und seine beiden Geschäftspartner der Widerhandlung gegen das Lotteriegesetz schuldig. Das Kreisgericht sah in der S.-Card eine Anwendung des Schneeballsystems und beurteilte die S.-Card GmbH daher als verbotene lotterieähnliche Unternehmung im Sinne von Art. 43 Ziff. 1 LV. X. wurde zu einer Busse von Fr. 500.verurteilt. Gleichzeitig sah der Kreisgerichtspräsident davon ab, die X. mit Verfügung des Untersuchungsamtes St. Gallen vom 28. Februar 2002 gewährte bedingte Löschbarkeit der damals ausgefällten Busse im Strafregister zu widerrufen. Gegen die beiden Geschäftspartner von X. verhängte der Kreisgerichtspräsident Bussen von Fr. 200.bzw. Fr. 500.-.
Mit Eingabe vom 6. April 2004 erhob X. gegen den Entscheid des Kreisgerichtspräsidenten Berufung mit dem Antrag auf vollumfänglichen Freispruch. Die Staatsanwaltschaft beantragt deren Abweisung und wendet sich mit Anschlussberufung gegen die Strafzumessung der Vorinstanz. Sie verlangt die Ausfällung einer sechswöchigen Haftstrafe und einer Busse von Fr. 1'200.-, wobei der Vollzug der Freiheitsstrafe mit einer Probezeit von einem Jahr bedingt aufzuschieben sei.
II.
Art. 1 Abs. 1 des Bundesgesetzes betreffend die Lotterien und die gewerbsmässigen Wetten (LG, SR 935.51) enthält ein grundsätzliches Verbot von Lotterien. Der Begriff der Lotterie wird in Art. 1 Abs. 2 LG anhand von vier Merkmalen definiert: Einsatz, Gewinn, Planmässigkeit und Zufall. Den Lotterien gleichgestellt sind die vom Bundesrat nach Massgabe von Art. 56 Abs. 2 LG näher umschriebenen „lotterieähnlichen Unternehmungen“. Als solche gelten gemäss Art. 43 Ziff. 1 der Verordnung zum Bundesgesetz betreffend die Lotterien und die gewerbsmässigen Wetten (LV, SR 935.511) unter anderem alle Veranstaltungen, bei denen das Schneeballsystem (Lawinen, Hydra-, Gellaoder Multiplexsystem) zur Anwendung kommt.
Für den Fall der Durchführung Ausgabe einer verbotenen Lotterie sieht Art. 38 Abs. 1 LG Gefängnis Haft bis zu drei Monaten sowie Busse bis zu Fr. 10'000.vor. Bei juristischen Personen Gesellschaften sind die jeweiligen handelnden Organe Gesellschafter strafbar (Art. 45 LG).
[Ausführungen zur Verfolgungsverjährung]
Als lotterieähnliche Unternehmungen im Sinne von Art. 56 Abs. 2 LG gelten gemäss Lehre und Rechtsprechung Veranstaltungen, welche grundsätzlich sämtliche Merkmale einer Lotterie gemäss Art. 1 Abs. 2 LG aufweisen, wobei dem Kriterium des Zufalls aber eine gegenüber der Lotterie verminderte Bedeutung zukommt (vgl. STAEHELIN, Das Bundesgesetz betreffend die Lotterien und die gewerbsmässigen Wetten als Strafgesetz, Diss. Zürich 1941, 70; FIOLKA, Bemerkungen zu BGE 123 IV 225 ff, AJP 1998, 847, 850). Während das aleatorische Moment bei den Lotterien allein für den Erfolg entscheidend ist, hängt dieser bei lotterieähnlichen Unternehmungen neben dem Zufall - dem nach wie vor eine wesentliche Bedeutung zukommt auch von anderen Umständen wie etwa Beharrlichkeit und Geschick ab (BGE 123 IV 178; FIOLKA, AJP 1998, 847; STAEHELIN, 74; KLEIN, Die Ausnützung des Spieltriebes, Diss. Zürich 1970, 87). Für das abgeschwächte Merkmal des Zufalls tritt bei lotterieähnlichen Unternehmungen aber eine der zusätzlichen Voraussetzungen nach Art. 43 Ziffer 1-3
LV hinzu. Für das Vorliegen von Schneeballgeschäften setzt Ziffer 1 voraus, „dass die Lieferung von Waren, die Ausrichtung von Prämien andere Leistungen zu Bedingungen in Aussicht gestellt werden, die für die Gegenpartei des Veranstalters nur dann einen Vorteil bedeuten, wenn es ihr gelingt, weitere Personen zum Abschluss gleicher Geschäfte zu veranlassen.“
Im folgenden sind die genannten tatbestandsmässigen Voraussetzungen im Einzelnen zu überprüfen:
Einsatz: Der Einsatz braucht nicht als solcher bezeichnet zu sein. Es genügt, wenn ein Betrag zum Zwecke der Beteiligung an der lotterieähnlichen Unternehmung aufgewendet werden muss (vgl. STAEHELIN, 36). Die „Mitgliedschaft“ bei der S.-Card setzt einen Vertragsabschluss mit der S.-Card GmbH voraus. Der Vertrag wird auf die Dauer von einem Jahr ab Unterzeichnung abgeschlossen und verlängert sich ohne Kündigung jeweils automatisch um ein weiteres Jahr. Das Mitglied verpflichtet sich darin, der S.-Card GmbH monatlich im Lastschriftverfahren Fr. 39.zu bezahlen. Dieser jährlich zu bezahlenden Betrag von insgesamt Fr. 468.stellt einen „Einsatz“ im Sinne der Lotteriegesetzgebung dar (vgl. hierzu BGE 123 IV 178).
Gewinn: Die S.-Card GmbH bezahlt gemäss Ziffer 4 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen den bestehenden Mitgliedern bei der Anwerbung von Neumitgliedern eine laufende Kommission auf die bezahlten Monatsbeiträge. Diese beträgt bei direkt angeworbenen Mitgliedern (sog. Mitglieder erster Stufe) monatlich Fr. 10.-. Bei Mitgliedern, die wiederum von bereits zuvor angeworbenen Mitgliedern gewonnen worden sind (Mitglieder zweiter Stufe), erhält das Mitglied auf der obersten Stufe Fr. 5.im Monat. Die Beiträge werden betragsmässig abgestuft bis zu
Mitgliedern der fünften Stufe ausbezahlt.
Der Angeklagte macht sinngemäss geltend, dass es sich dabei nicht um Gewinne im Sinne der Lotteriegesetzgebung, sondern vielmehr um eine Entschädigung für die Pflege des Mitgliederstammes handle. Dies zeige sich auch darin, dass die S.-Card GmbH Lohnund nicht Prämienabrechnungen für ihre Mitglieder erstelle. Die Entschädigung werde denn auch nach klaren Kriterien ausgerichtet.
Als Gewinn im Sinne der Lotteriegesetzgebung gilt aber grundsätzlich jeder in Aussicht gestellte vermögensrechtliche Vorteil, unabhängig davon, ob dieser überhaupt nutzoder verwertbar ist (so ausdrücklich BGE 123 IV 181; vgl. auch STAEHELIN, 44 f., sowie KLEIN, 78 f.). Die von der S.-Card GmbH ihren Mitgliedern für Neuanwerbungen ausgerichteten Geldzahlungen stellen offenkundig einen „vermögensrechtlichen Vorteil“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 LG dar. Für ihre Behandlung als Gewinne im lotterierechtlichen Sinne spricht auch, dass sie als bedingte Leistung der S.-Card GmbH der unbedingten Leistung des einzelnen Mitglieds (Mitgliederbeitrag) gegenüberstehen (vgl. STAEHELIN, 44).
Planmässigkeit: Die Vorinstanz bejahte dieses Merkmal unter Hinweis auf das von der S.-Card GmbH als Veranstalter ausgeschlossene eigene Risiko. Der Angeklagte wendet dagegen ein, dass die S.-Card GmbH und damit auch ihre Gesellschafter durchaus ein unternehmerisches Risiko tragen würden. So seien für die Datenerfassung und die Verarbeitung der Entschädigungen an S.-Card-Mitglieder hohe Sachinvestitionen, aber auch Personalaufwendungen nötig. Erst wenn die Mitgliederbeiträge die fixen und variablen Kosten decken würden, könne die S.-Card GmbH ohne Fremdmittel überleben.
Ein Unternehmer handelt grundsätzlich dann lotterieplanmässig, wenn er auf Grund von Berechnungen sein „Spiel“-Risiko ausschliesst (KLEIN, 81). Unerheblich ist, ob aus der planmässigen Berechnung für den Unternehmer ein Gewinn in irgendeiner Form resultiert. Es kann sich auch um einen berechneten Verlust handeln. Als lotterieplanmässig gilt daher auch eine Veranstaltung, wo der Unternehmer nur die Höchstgrenze seines Verlustes bestimmt und innerhalb dieser Grenze den Zufall entscheiden lässt (STAEHELIN, 58 f.), wenn also im Rahmen des Budgets kein Risiko für den Veranstalter besteht (DAVID/REUTTER, Schweizerisches Werberecht, Zürich 2001, 93 f.). Demnach handelt auch ein Unternehmer, der zwar ein gewisses Risiko eingeht, den bewusst riskierten Spielverlust aber auf eine bestimmte Höchstgren-ze beschränkt, planmässig im Sinne der Lotteriegesetzgebung.
Dies ist vorliegend der Fall. Das Risiko des Veranstalters, der S.-Card GmbH, besteht in den vom Verteidiger umschriebenen Aufwendungen für die Verwaltung der Mitgliederdaten und ist als solches unternehmerisch klar auf eine Höchstgrenze
beschränkbar. Das Risiko der Gesellschafter und damit auch des Angeklagten selbst beschränkt sich sodann auf den Stammanteil und allfällige Aufwendungen für geleistete Arbeit. Hinsichtlich der von der S.-Card GmbH auszubezahlenden
„Provisionen“ für die Neumitgliederanwerbung besteht kein eigentliches „Spiel“-Risiko, da diese „Entschädigungen“ nur solange an Mitglieder ausbezahlt werden, als die von ihnen angeworbenen Neumitglieder den Mitgliederbeitrag bezahlen.
Zufall: Während der Zufall bei der Lotterie eine entscheidende Rolle spielt, sind bei der Lotterieähnlichkeit nach Art. 43 LV wie bereits ausgeführt für den Erfolg auch andere Umstände, wie etwa Talent, Beharrlichkeit, Geschick usw. von Bedeutung (vgl. DAVID/REUTTER, 96 ff., sowie 93 und 95). Dennoch muss die Zuteilung der Gewinne aber „wesentlich“ vom Zufall abhängen. Nicht mehr unter die Lotteriegesetzgebung fallen daher Veranstaltungen, bei denen die Zuteilung der Gewinne mehrheitlich auf dem Vollbringen einer eigenen persönlichen Leistung beruht und nicht mehr
„wesentlich“ auf den Zufall zurückzuführen ist. So stellen etwa eigentliche Umsatzboni beispielsweise keine Gewinne im Sinne der Lotteriegesetzgebung dar (DAVID/ REUTTER, 93).
Zu untersuchen ist somit die Rolle des Zufalls bei der Entscheidung über die Ausrichtung der Gewinne bzw. der von der S.-Card GmbH an ihre Mitglieder ausbezahlten Beträge für die Anwerbung von Neumitgliedern:
aa) Die Vorinstanz hat die „Wesentlichkeit“ des Zufalls bejaht. Sie verweist auf die begrenzten Einwirkungsmöglichkeiten eines Mitglieds bei der Neuanwerbung von Mitgliedern auf „entfernteren Stufen“. Die Gewinnaussichten des einzelnen Teilnehmers seien deshalb abhängig von der Tätigkeit und dem Verhalten der Nachfolgeteilnehmer. Sodann trete im Zeitablauf eine Marktsättigung ein, so dass es für spätere Teilnehmer auch bei grösstem Verkaufstalent nur noch schwer möglich sei, neue Mitglieder zu finden.
bb) Demgegenüber weist der Angeklagte vorweg daraufhin, dass es sich bei der S.- Card GmbH um ein Handelsunternehmen handle. Die Entschädigung für Mitgliederwerbung erfolge lediglich als Absatzförderungsmassnahme. Sodann führt er aus, dass eine Marktverengung deshalb nicht eintrete, weil das Anwerben von
Mitgliedern nicht mit einem einmaligen Betrag abgegolten werde. Vielmehr erhalte ein Mitglied so lange eine Entschädigung, wie das angeworbene Mitglied selber Beiträge an die S.-Card GmbH bezahle. Es sei daher nicht nötig, dauernd neue Mitglieder anzuwerben, um beispielsweise ein Teilzeiteinkommen in der Höhe des monatlichen Mitgliederbeitrags von Fr. 39.zu erreichen.
cc) Es trifft zu, dass aufgrund der wiederkehrend ausbezahlten „Prämien“ vorliegend ein Mitglied nicht gezwungen ist, ständig neue Mitglieder anzuwerben, um zu Gewinnen zu gelangen. Entscheidend für das Auftreten einer Marktsättigung ist aber nicht der „Zwang“ zur Neuanwerbung von Mitgliedern, sondern vielmehr die Frage, ob hierfür ein wirtschaftlicher Anreiz besteht nicht. Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst das „Finanzierungssystem“ der S.-Card GmbH selbst und sodann die Ausgestaltung des „Entschädigungssystems“ für die einzelnen Mitglieder bei Anwerbung neuer Mitglieder zu untersuchen.
Betrachtet man zunächst die S.-Card GmbH selbst, so fällt auf, dass der Angeklagte von ihr als gewöhnlichem Handelsunternehmen und von der Entschädigung für neu geworbene Mitglieder als Absatzförderungsmassnahme spricht. Er gibt damit vor, eigentliches Ziel der S.-Card GmbH sei der Absatz von Waren. Dies trifft aber nicht zu. Die S.-Card GmbH ist selber nicht an den Warenverkäufen ihrer
„Vertragsunternehmen“ beteiligt. Sie finanziert sich vielmehr praktisch ausschliesslich aus Mitgliederbeiträgen und ist damit auf wachsende Mitgliederzahlen angewiesen. Das Streben nach neuen Mitgliedern und damit eine Markteinengung ist daher bei der gewählten Finanzierung der S.-Card GmbH systemimmanent. Dies zeigt sich im Übrigen auch darin, dass die von der S.-Card GmbH „beschäftigten“ Regionalleiter ausschliesslich für getätigte Anwerbungen von Neumitgliedern entschädigt werden (Fr. 30.je geworbenes Mitglied). Die S.-Card GmbH hat sodann zu Beginn des Jahres 2002 versucht, mit einem Wettbewerb zusätzliche Neumitglieder zu gewinnen. Gemäss Businessplan rechnete die S.-Card GmbH, ausgehend vom Mitgliederbestand am 11. Juni 2002 von 1071 Mitgliedern, mit einem monatlichen Mitgliederwachstum von etwa 20 %.
Das Streben der S.-Card GmbH nach neuen Mitgliedern zeigt sich schliesslich auch in der Ausgestaltung der Entschädigung bisheriger Mitglieder für die Anwerbung von
Neumitgliedern. Unabhängig von der Frage, ob man als Mitglied für bereits angeworbene Mitglieder weiterhin eine „dauerhafte“ Prämie erhält, besteht nämlich ein Anreiz zur Erhöhung seines „Prämien-Einkommens“ weitere Mitglieder anzuwerben, welche ihrerseits wieder Mitglieder gewinnen. Unter diesen Umständen werden es später hinzukommende Mitglieder bei aller Beharrlichkeit und allem Geschick zunehmend schwerer haben, ihrerseits weitere Teilnehmer anzuwerben, so dass ihr Vorteil wesentlich vom Zufall abhängt. Zudem bestimmen sich die Gewinnchancen eines einzelnen Mitglieds wesentlich nach der Tätigkeit und dem Verhalten der Nachfolgeteilnehmer. Dies zeigt auch das Beispiel einer Musterrechnung in den Unterlagen der S.-Card GmbH. Darin machen die „Einnahmen“ durch die durch eigenes Geschick und Talent selber angeworbenen Mitglieder weniger als 1,5 Prozent der vorgerechneten gesamten monatlichen „Einkünfte“ aus. Damit ist auch dieses Merkmal einer der Lotterie im Sinne von Art. 1 Abs. 2 LG gleichgestellten Veranstaltung erfüllt.
Vorteil nur durch die Anwerbung neuer Teilnehmer erreichbar:
aa) Damit eine lotterieähnliche Unternehmung ein Schneeballsystem darstellt, müssen die Leistungen des Veranstalters zu Bedingungen in Aussicht gestellt werden, die für die Gegenpartei des Veranstalters nur dann einen Vorteil bedeuten, wenn es ihr gelingt, weitere Personen zum Abschluss gleicher Geschäfte zu veranlassen.
Die Vorinstanz bejahte dies. Sie ging aufgrund des durch die S.-Card GmbH in Zusammenarbeit mit den Vertragsunternehmen angebotenen Produktesortiments davon aus, dass der durchschnittliche Kartenbesitzer keinen ausreichenden Warenumsatz erziele, um bei dem jährlichen Mitgliederbeitrag von Fr. 468.einen Profit aus den angebotenen Rabatten ziehen zu können. Er sei daher gezwungen, weitere Mitglieder anzuwerben, um nicht verlustig zu gehen.
Der Angeklagte macht geltend, dass es sich bei der S.-Card GmbH um ein Handelsunternehmen handle. Die Entschädigung für Mitgliederwerbung erfolge lediglich als Absatzförderungsmassnahme. Im Vordergrund stehe klarerweise das Anbieten von vergünstigten Produkten an ihre Mitglieder über die Vertragsunternehmen. Dies zeige sich auch darin, dass von den insgesamt 40
polizeilich befragten Mitgliedern nur deren drei der S.-Card GmbH beigetreten seien, weil sie allein Geld mit der Mitgliederwerbung haben verdienen wollen.
bb) Entscheidend für die lotterierechtliche Beurteilung der S.-Card ist vorliegend die Frage, ob die von der S.-Card GmbH gewährten Vergünstigungen beim Kauf der angebotenen Produkte im Verhältnis zum zu bezahlenden Mitgliederbeitrag einen eigenständigen Vorteil darstellen, so dass Mitglieder nicht auf die Anwerbung von Neumitgliedern angewiesen sind.
Wie bei der Beantwortung dieser Frage im Einzelnen vorzugehen ist, wurde soweit ersichtlich bislang in Lehre und veröffentlichter Rechtsprechung kaum erörtert. Würde man beispielsweise auf eine abstrakte Gegenüberstellung von zu bezahlendem Mitgliederbeitrag und den im Prospekt der S.-Card GmbH gewährten Vergünstigungen für die jeweiligen Produkte abstellen, so müsste man einen Vorteil auch ohne Anwerbung von Nachfolgemitgliedern klarerweise bejahen. So wird im Prospekt beispielsweise eine RADO Ceramica mit einem Rabatt von 25 % umgerechnet Fr. 498.angeboten, was bei einem jährlichen Mitgliederbeitrag von Fr. 468.- unabhängig von den Prämien für die Anwerbung von Neumitgliedern bereits einen Vorteil von Fr. 30.bedeuten würde.
Auszugehen ist vorliegend jedoch von der ratio legis des Lotterieverbotes, welche im Schutz der Öffentlichkeit vor unnötigem Geldausgeben liegt (vgl. DAVID/REUTTER, 85, STAEHELIN, 23 m.w.H.). Entsprechend dieser volkswirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Überlegungen ist daher das einzelne lotterieähnliche Unternehmen auf seine tatsächliche Auswirkungen auf das Publikum zu überprüfen. Es ist also das System als Ganzes mit seinen Wirkungen auf den durchschnittlichen Teilnehmer zu betrachten (so auch BEZIRKSGERICHT BÜLACH, SJZ 1988, 182). Daher kann nicht massgebend sein, ob einzelne der etwa 1'500 Mitglieder der S.-Card ohne Anwerbung neuer Teilnehmer einen Vorteil aus den vergünstigt angebotenen Produkten erzielen konnten.
Geht man von durchschnittlichen Vergünstigungen im Umfang von etwa 20 % aus, so muss ein Mitglied jährlich Produkte im Wert von rund Fr. 2'340.bei den Partnerunternehmen der S.-Card GmbH einkaufen, um bei dem jährlichen
Mitgliederbeitrag von Fr. 468.einen Vorteil aus den Rabatten zu erzielen. Sowohl aus den Befragungen verschiedener Vertragsunternehmen der S.-Card GmbH als auch aus den Einvernahmen von vierzig Mitgliedern der S.-Card GmbH lässt sich aber schliessen, dass ein solcher Umsatz von einem durchschnittlichen Mitglied nicht erreicht wurde.
Von den insgesamt vierzig befragten Mitgliedern haben nur gerade vier Personen verbilligte Produkte über die S.-Card GmbH bezogen; von drei Mitgliedern fehlen Angaben hierzu; ein Mitglied hat im Geschäft keinen Rabatt erhalten. Der Umsatz der getätigten Warenkäufe ist zudem äusserst bescheiden. E. gab an, eine Uhr mit etwa 20
% Rabatt für rund Fr. 400.gekauft zu haben. G. erklärte, eine Uhr nach Abzug von 20
% Rabatt für rund Fr. 300.mit der S.-Card bezogen zu haben. K. sagte aus, er habe mit der S.-Card eine Uhr vergünstigt reparieren lassen und zudem Rabatt bei der Buchung einer Thailandreise erhalten. P. bestellte über die S.-Card GmbH Autozubehör im Umfang von rund Fr. 360.-, gab das Produkt später aber wieder zurück. Keines der befragten Mitglieder hat somit auch nur annähernd aus den mit der S.-Card gewährten Vergünstigungen einen Vorteil erwirtschaftet. Dies entspricht auch den Angaben verschiedener „Vertragsunternehmen“ der S.-Card GmbH auf der Anbieterseite.
Von den 15 befragten Vertragsunternehmen gaben nur gerade fünf an, mit S.-CardMitgliedern Geschäfte getätigt zu haben. Zwar gaben drei Unternehmen gegenüber der S.-Card GmbH gute Umsatzbestätigungen ab. So bestätigte beispielsweise die „xyelectronics“ einen regelmässigen Umsatz über den Vertriebskanal der S.-Card. Wöchentlich würden mehrere Offert-Anfragen sowie Bestellungen getätigt. Anlässlich der polizeilichen Befragung vom 06. September 2002 bestätigte der Geschäftsinhaber, seit etwa einem Jahr mit der S.-Card GmbH zusammenzuarbeiten. Allerdings seien die Umsätze nicht riesig. Zudem gab er an, den S.-Card-Mitgliedern keine speziellen Sonderkonditionen zu gewähren, „ein spezieller Rabatt wird nicht gewährt“. Auch die
„S.-Reisen“ relativierte ihre gegenüber der S.-Card GmbH ausgestellte gute Umsatzbestätigung. Innerhalb von neun Monaten seien etwa zwanzig Anfragen eingegangen. Eine spezielle Statistik über diese Umsätze werde aber nicht geführt, da sie zu gering seien. Der Mehrumsatz betrage vielleicht etwa Fr. 20'000.-, wobei den S.- Card-Mitgliedern ein Rabatt von 5 % gewährt werde. Zu relativieren ist schliesslich auch das Be-stätigungsschreiben der „Bijouterie S.“. Zieht man vom bestätigten
Umsatz jene Käufe ab, welche durch S.-Card GmbH-Kadermitarbeiter deren Angehörige getätigt worden sind, so belaufen sich die Warenverkäufe auf insgesamt Fr. 3'420.innerhalb von elf Monaten. Die übrigen befragten Vertragsunternehmen gaben an, mit S.-Card-Mitgliedern nur wenig überhaupt keinen Umsatz gemacht zu haben. Ähnlich der „xy-electronics“ gaben zudem eine Mehrzahl der befragten Vertragsunternehmen an, beim Vertrag mit der S.-Card GmbH handle es sich nicht um einen Exklusivvertrag. Vielmehr würden ähnliche teilweise sogar die gleichen Rabatte auch anderen Gruppierungen gar beliebigen Einzelpersonen eingeräumt.
Unter diesen Umständen muss davon ausgegangen werden, dass es den durchschnittlichen Mitgliedern nur dann möglich war, den monatlich an die S.-Card GmbH zu bezahlenden Beitrag nicht verlustig zu gehen, wenn sie gleichzeitig neue Mitglieder anwerben konnten.
Damit handelt es sich bei der von der S.-Card GmbH betriebenen S.-Card um ein verbotenes Schneeballsystem im Sinne von Art. 43 Ziff. 1 LV.
a) In subjektiver Hinsicht stellt sich die Frage, ob bereits die fahrlässige Widerhandlung gegen das Lotteriegesetz strafbar ist, ob Art. 38 Abs. 1 LG zumindest ein eventualvorsätzliches Handeln voraussetzt. Die Frage wird unterschiedlich beantwortet. So geht das Kreisgericht St. Gallen im angefochtenen sowie in einem älteren publizierten Entscheid ohne nähere Begründung davon aus, das vorsätzliches Handeln vorauszusetzen sei (vgl. SJZ 1985, 47). Die gleiche Meinung vertritt auch STAEHELIN (a.a.O., 113 ff.), während DAVID/REUTTER und offenbar auch der Verteidiger auch die fahrlässige Widerhandlung gegen das Lotteriegesetz für strafbar halten (vgl. DAVID/REUTTER, 89).
Gemäss Art. 333 Abs. 3 StGB sind die in anderen Bundesgesetzen unter Strafe gestellten Übertretungen grundsätzlich auch dann strafbar, wenn sie fahrlässig begangen werden, sofern nicht nach dem Sinne der Vorschrift nur die vorsätzliche Begehung mit Strafe bedroht ist. Diesbezüglich ist vorliegend der Verweis von Art. 46 LG auf das alte Bundesgesetz vom 4. Februar 1853 über das Bundesstrafrecht (BStG) von Bedeutung. Dieses stellt nämlich sämtliche Delikte einschliesslich Übertretungen nur bei vorsätzlicher Begehung unter Strafe (Art. 11 BStG; vgl. hierzu TRECHSEL,
Schweiz. Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, Zürich 1997, Art. 333 N 5; BGE 98 IV 143). Es ist daher davon auszugehen, dass aufgrund des ursprünglichen Verweises im Lotteriegesetz auf das alte BStG nur die vorsätzliche zumindest eventualvorsätzliche Widerhandlung gegen das Lotteriegesetz unter Strafe steht.
b) [Fallbezogene Ausführungen zum subjektiven Tatbestand]
Aufgrund der gemachten Ausführungen steht somit fest, dass das System der S.- Card alle Merkmale eines einer Lotterie im Sinne von Art. 1 Abs. 2 LG gleichgestellten Schneeballsystems nach Art. 43 Ziff. 1 LV erfüllt. Als Geschäftsführer war der Angeklagte für dessen Durchführung mitverantwortlich (Art. 45 LG). Er hat sich daher nach Art. 38 LG der Widerhandlung gegen das Lotteriegesetz schuldig gemacht.
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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