Zusammenfassung des Urteils KV 2007/12: Versicherungsgericht
Eine ältere Frau war bei der Helsana Versicherungen AG krankenpflegeversichert. Die Versicherung verweigerte die Kostenübernahme für rückwirkend ärztlich verordnete Spitexleistungen. Die Tochter der Frau erhob Einspruch und Beschwerde, da ihre Mutter aufgrund von Altersdiabetes täglich Insulin benötigte. Die Beschwerdegegnerin argumentierte, dass keine vorgängige ärztliche Anordnung vorlag und somit keine Pflichtleistungen erbracht wurden. Das Gericht entschied, dass weitere Abklärungen nötig seien und wies die Sache an die Beschwerdegegnerin zurück, ohne Gerichtskosten zu erheben.
Kanton: | SG |
Fallnummer: | KV 2007/12 |
Instanz: | Versicherungsgericht |
Abteilung: | KV - Krankenversicherung |
Datum: | 17.12.2007 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Entscheid Art. 25 Abs. 2 lit. a Ziffer 3 KVG. Art. 7 Abs. 1, 8 Abs. 1 und 8 Abs. 7 KLV. Zu prüfen war, ob die für die Beschwerdeführerin in der Zeit vom 16. September bis 22. Oktober 2006 erbrachten Spitex-Leistungen durch die Beschwerdegegnerin im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu übernehmen sind, auch wenn sie vom Hausarzt erst nachträglich schriftlich angeordnet wurden (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 17. Dezember 2007, KV 2007/12). |
Schlagwörter : | ärztlich; Anordnung; Spitex; Krankenpflege; Leistung; Einsprache; Auftrag; Versicherung; Verordnung; Helsana; Gossau; Leistungen; Pflege; Recht; Toleranzfrist; Wochen; Einspracheentscheid; Abklärung; Entscheid; Spitexleistungen; Krankenpflegeverein; Spitexorganisation |
Rechtsnorm: | Art. 25 KVG ;Art. 33 KVG ; |
Referenz BGE: | 103 V 79; |
Kommentar: | - |
Entscheid vom 17. Dezember 2007 in Sachen
L. ,
Beschwerdeführerin, vertreten durch X.
gegen
Helsana Versicherungen AG, Postfach, 8081 Zürich, Beschwerdegegnerin,
betreffend
Versicherungsleistungen Sachverhalt:
A.
Die 1921 geborene L. (nachstehend: Versicherte) war bei der Helsana Versicherungen AG obligatorisch krankenpflegeversichert. Mit Schreiben vom 27. Juni 2006 wies die Helsana den Spitexverband St. Gallen darauf hin, dass für Spitexleistungen, welche rückwirkend ärztlich verordnet würden, keine Leistungspflicht der obligatorischen Krankenpflegeversicherung bestehe. Bei Verordnungsverlängerungen werde eine Toleranzfrist von ca. 4 Wochen gewährt. Zur gesetzeskonformen Anpassung der Praxis werde eine Übergangsfrist bis Ende September 2006 gewährt (act. G 5.1 /2). Im Bedarfsmeldeformular zuhanden der Helsana vom 16. Oktober 2006 ermittelte der Krankenpflegeverein Gossau für die Versicherte für die Zeit ab 16. September 2006 einen monatlichen Pflegebedarf von 20 Stunden. Am 23. Oktober 2006 erteilte Dr. med. A. , Allgemeine Medizin FMH, den entsprechenden ärztlichen Auftrag (act. G 5.1 /3). Am 16. November 2006 eröffnete die Helsana der Versicherten verfügungsweise, die Pflegeleistungen vom 16. September bis 22. Oktober 2006 würden nicht vergütet, da die ärztliche Anordnung erst am 23. Oktober 2003 unterzeichnet worden sei (act. G 5.1 /5). Die hiegegen erhobene Einsprache (act. G 5.1 /6) wies die Helsana mit Einspracheentscheid vom 5. April 2007 ab.
B.
Gegen diesen Entscheid liess die Versicherte durch X. mit Eingabe vom 24. April 2007 Beschwerde erheben mit den Anträgen, der Entscheid sei aufzuheben, und für die Zeit vom 16. September bis 22. Oktober 2006 seien die Spitexleistungen durch die Beschwerdegegnerin zu übernehmen; eventualiter seien diese Kosten der Spitexorganisation Gossau in Rechnung zu stellen. Zur Begründung führte der Rechtsvertreter aus, während mehrerer Jahre habe sich seine Mutter selber täglich Spritzen gegen Altersdiabetes verabreicht - und damit der Beschwerdegegnerin beträchtliche Kosten gespart, weil sie keine externe Hilfe beansprucht habe. Seit
September 2005 würden Krankenschwestern der Spitexorganisation Gossau seine Mutter täglich besuchen, um ihr Insulin zu spritzen, da aufgrund ihres Alters und ihrer Vergesslichkeit anders die regelmässige Einnahme nicht sicherzustellen sei. Es bestehe angesichts der Diagnose Alterzucker keine Aussicht, dass seine Mutter je wieder werde auf diese Medikamente verzichten können, weshalb die halbjährliche Verschreibung dieser Dienstleistung durch den Hausarzt eine rein formelle Angelegenheit darstelle. Die Beschwerdegegnerin habe mit einem Schreiben an die Spitexorganisationen eine Verschärfung ihrer Praxis in Bezug auf Leistungsverschreibungen angekündigt, von der seine Mutter keine Kenntnis gehabt habe. Sie solle nun dafür aufkommen, dass die hausärztliche Verschreibung nicht rechtzeitig erneuert worden sei. Die Kosten dieses vermeidbaren Verfahrens würden den zur Diskussion stehenden Betrag von weniger als Fr. 1'000.-- um ein Mehrfaches übersteigen. Es könne nicht sein, dass eine gedächtnisschwache 86jährige Frau die Kosten dafür tragen solle, dass ihre Krankenkasse und die Spitex sich wegen eines Arzttermins in den Haaren liegen würden. Zum Eventualantrag: Im Schreiben vom 8. November (2006) habe die Beschwerdegegnerin festgestellt, die nicht übernommenen Kosten gingen zu Lasten der Spitexorganisation. Wenn dies zutreffe, dann solle die Beschwerdegegnerin diese Kosten direkt dem Krankenpflegeverein Gossau in Rechnung stellen.
In der Beschwerdeantwort vom 3. Juli 2007 beantragte die Beschwerdegegnerin Abweisung der Beschwerde. Zur Begründung legte sie unter anderem dar, es stehe fest, dass die strittigen Spitexleistungen nicht vorgängig ärztlich angeordnet worden seien und daher keine Pflichtleistungen darstellen würden. Im Schreiben vom 27. Juni 2006 habe die Beschwerdegegnerin ausdrücklich festgehalten, dass rückwirkende Anordnungen nach einer Übergangsfrist nicht mehr akzeptiert würden. Dem Krankenpflegeverein Gossau hätte daher bekannt sein müssen, dass vorliegend keine Pflichtleistung vorgelegen habe. Er wäre demgemäss verpflichtet gewesen, die Beschwerdeführerin auf diese Tatsache hinzuweisen. Da er dies unterlassen habe, dürfe er für seine Leistung keine Rechnung stellen.
Mit Replik vom 13. Juli 2007 hielt der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin an seinem Standpunkt fest. Die Beschwerdegegnerin verzichtete auf eine Duplik.
Erwägungen:
1.
Die Leistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung umfassen unter anderem Untersuchungen, Behandlungen und Pflegemassnahmen, die ambulant, bei Hausbesuchen, stationär, teilstationär in einem Pflegeheim durch Personen durchgeführt werden, die auf Anordnung im Auftrag eines Arztes einer Ärztin Leistungen erbringen (Art. 25 Abs. 2 lit. a Ziff. 3 KVG). Gemäss Art. 33 Abs. 2 KVG bezeichnet der Bundesrat unter anderem die nicht von Ärzten Ärztinnen von Chiropraktoren Chiropraktorinnen erbrachten Leistungen nach Art. 25 Abs. 2 KVG näher. Gestützt auf Art. 33 Abs. 5 KVG hat der Bundesrat diese Aufgabe mit Art. 33 lit. b KVV dem Eidgenössischen Departement des Innern (EDI) übertragen. Aufgrund dieser Kompetenznorm hat das Departement in Art. 7 KLV den Leistungsbereich bei Krankenpflege zu Hause, ambulant im Pflegeheim bestimmt. Nach Abs. 1 dieser Norm übernimmt die Versicherung unter anderem die von Krankenschwestern Krankenpflegern (Art. 49 KVV) Organisationen der Krankenpflege und Hilfe zu Hause auf ärztliche Anordnung im ärztlichen Auftrag erbrachten Leistungen. Gemäss Abs. 2 umfassen die Leistungen im Sinn von Abs. 1 Massnahmen der Abklärung und Beratung (lit. a), der Untersuchung und Behandlung (lit. b) sowie der Grundpflege (lit. c).
Grundlage für den Entschädigungsanspruch von Leistungen der Krankenschwestern und Krankenpfleger der Organisationen der Krankenpflege und Hilfe zu Hause bildet der ärztliche Auftrag die ärztliche Anordnung, welche aufgrund der Bedarfsabklärung und der gemeinsamen Planung der notwendigen Massnahmen näher zu umschreiben ist (Art. 8 Abs. 1 KLV). Die Bedarfsabklärung umfasst die Beurteilung der Gesamtsituation des Patienten der Patientin sowie die Abklärung des Umfeldes und des individuellen Pflegeund Hilfebedarfs (Art. 8 Abs. 2 KLV). Sie erfolgt aufgrund einheitlicher Kriterien. Das Ergebnis wird auf einem von den Tarifpartnern geschaffenen Formular festgehalten, worin insbesondere der voraussichtliche Zeitbedarf anzugeben ist (Art. 8 Abs. 3 KLV). Der ärztliche Auftrag die ärztliche Anordnung sind zu befristen. Sie können bei Akutkranken für maximal drei Monate und bei Langzeitpatienten -patientinnen für maximal sechs Monate erteilt werden (Art. 8 Abs. 6 KLV). Der ärztliche Auftrag die ärztliche Anordnung können wiederholt werden (Art. 8 Abs. 7 KLV).
2.
Streitig ist vorliegend, ob die für die Beschwerdeführerin in der Zeit vom 16. September bis 22. Oktober 2006 erbrachten Spitexleistungen durch die Beschwerdegegnerin im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu übernehmen sind. Alle nichtärztlichen Vorkehrungen von Medizinalpersonen nach Art. 25 Abs. 2 lit. a Ziffer 3 KVG bedürfen grundsätzlich einer vorgängigen ärztlichen Anordnung. Nur der Arzt bzw. die Ärztin sollen diagnostische, therapeutische pflegerische Anordnungen zulasten der sozialen Krankenversicherung treffen können. In der spitalexternen Krankenpflege gelten besondere Anforderungen an die ärztliche Anordnung (Art. 8 Abs. 1 und 4 KLV). Als verordnet kann eine Massnahme nur gelten, wenn sie vor ihrer Durchführung angeordnet wurde. Anders als das alte Recht (vgl. BGE 103 V 79, 82 = Pra 67 Nr. 87) verlangt das KVG keine vorgängige schriftliche Anordnung, was indes tarifvertraglich vorgeschrieben sein kann. Der Beweis einer vorgängigen ärztlichen Anordnung kann daher nachträglich noch aufgrund der Eintragungen in der Patientenkarte anderer Beweismittel erbracht werden (Gebhard Eugster, Krankenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Band XIV, Soziale Sicherheit, 2. A., Rz 340).
In der Einsprache machte der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin geltend, Anlass für die Leistungsablehnung sei die rein formale, zeitlich verspätete Verordnung des ununterbrochen fortgesetzten Auftrages durch den Hausarzt. Angesichts der gesamten Umstände erscheine der Entscheid, die bisher standardmässig übernommenen Kosten für die Zeit zwischen Ablauf des alten Zeugnisses und dem Datum der Bestätigung nicht zu bezahlen, als unverhältnismässig. Im Schreiben vom
27. Juni 2006 habe die Beschwerdegegnerin festgehalten, dass für die neuerliche Unterzeichnung einer Verordnung eine tolerierbare Frist von 4 Wochen gewährt werde, falls es sich um einen fortgesetzten Auftrag handle. Diese Situation sei bei der Beschwerdeführerin gegeben, so dass noch zwei Wochen zwischen Verordnungstermin und Fortsetzung der Dienstleistung "fehlen" würden. Diese Verspätung sei darauf zurückzuführen, dass der Hausarzt bei der Anmeldung durch die Spitex vor seinen Ferien keinen Termin mehr gefunden habe und seine Ferien die Anordnung zusätzlich verspätet hätten (act. G 1.3). Im Schreiben vom 27. Juni 2006 an den Spitexverband St. Gallen hatte die Beschwerdegegnerin unter anderem
festgehalten, bei Verordnungsverlängerungen werde eine Toleranzfrist von ca. 4 Wochen gewährt (act. G 5.1 /2). Die Beschwerdegegnerin stellt sich diesbezüglich auf den Standpunkt, eine Toleranzfrist sei nur solange zulässig, als sie die Übermittlungszeit der ärztlichen Verordnung an die Krankenversicherung berücksichtige, was wenigen Tagen entspreche. Demgemäss sei weder eine Toleranzfrist von 4 noch von 6 Wochen zulässig. Aus der fälschlicherweise eingeräumten Toleranzfrist könne die Beschwerdeführerin nichts für sich ableiten, weil kein Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht bestehe (Einspracheentscheid vom 5. April 2007 S. 3).
Wenn wie die Beschwerdeführerin geltend machen lässt und von der Beschwerdegegnerin nicht bestritten wurde es zutrifft, dass vorliegend von einer Verlängerung der ärztlichen Anordnung von Spitexhilfe auszugehen ist, so durfte der Spitexverband St. Gallen auf die erwähnten Darlegungen im Schreiben vom 27. Juni 2006 grundsätzlich vertrauen und konnte sich im Kontakt mit seinen Kunden - und damit der Beschwerdeführerin entsprechend danach ausrichten. Welche Schlussfolgerungen hieraus zu ziehen sind, kann jedoch offen bleiben. Denn wie dargelegt kann - und dies erscheint hier entscheidend - der Beweis einer vorgängigen ärztlichen Anordnung nachträglich noch aufgrund der Eintragungen in der Patientenkarte mit anderen Beweismitteln erbracht werden, zumal die Beschwerdegegnerin zu Recht nicht behauptet, die vorgängige schriftliche Anordnung sei tarifvertraglich vereinbart worden. Der von ihr in der Verfügung vom 16. November 2006 in diesem Zusammenhang angeführte Gerichtsentscheid (BGE 103 V 79 S. 80) bezieht sich auf das alte, hier nicht anwendbare Recht (Art. 12 Abs. 2 Ziffer 1 lit. b KUVG), welches eine vorgängige schriftliche Anordnung verlangte. Die Beschwerdeführerin liess wie erwähnt in der Einsprache ausführen, die hausärztliche Verordnung der Verlängerung der Spitexhilfe zuhanden der Beschwerdegegnerin sei bei unverändertem medizinischem Sachverhalt einzig wegen der Ferienabwesenheit des Arztes verspätet erfolgt. Die Beschwerdegegnerin ging diesen Einwänden im Einspracheverfahren nicht nach. Es stand daher auch nicht fest, ob der Krankenpflegeverein Gossau wie die Beschwerdegegnerin geltend macht (Einspracheentscheid S. 3; act. G 5 S. 4) verpflichtet gewesen wäre, die Beschwerdeführerin darauf hinzuweisen, dass (wegen nicht vorgängiger ärztlicher Anordnung) keine Pflichtleistung vorlag und bei Unterlassen dieses Hinweises keine
Rechnung gestellt werden könne. Die Abklärungen wird die Beschwerdegegnerin noch nachzuholen und bei Dr. med. A. entsprechende Auskünfte einzuholen haben. Sollte sich dabei ergeben, dass die Verspätung der schriftlichen Anordnung zuhanden der Beschwerdegegnerin ihre Ursache einzig in der Ferienabwesenheit des Arztes hatte und die (vor dem 16. September 2006 erfolgten) Eintragungen in der Patientenakte der Beschwerdeführerin klar auf die Notwendigkeit der Weiterführung der Spitexhilfe schliessen lassen wofür die geschilderte Pathologie bei der Beschwerdeführerin doch mit einiger Wahrscheinlichkeit spricht -, so wäre von einer vorgängigen Anordnung im erwähnten Sinn auszugehen.
3.
Im Sinn der vorstehenden Erwägungen ist die Beschwerde in dem Sinn gutzuheissen, dass der Einspracheentscheid vom 5. April 2007 aufzuheben und die Sache an die Beschwerdegegnerin zur Durchführung von weiteren Abklärungen und zu neuer Verfügung zurückzuweisen ist. Gerichtskosten sind keine zu erheben (Art. 61 lit. a ATSG).
Demgemäss hat das Versicherungsgericht
im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 53 GerG entschieden:
Die Beschwerde wird in dem Sinn teilweise gutgeheissen, dass der Einspracheentscheid vom 5. April 2007 aufgehoben und die Sache zur Durchführung von weiteren Abklärungen und zu neuer Verfügung an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen wird.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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