E-MailWeiterleiten
LinkedInLinkedIn

Urteil Versicherungsgericht (SG)

Zusammenfassung des Urteils IV 2019/258: Versicherungsgericht

Die Beschwerdeführerin A. beantragte eine Rentenzahlung aufgrund von gesundheitlichen Problemen, darunter Lupus erythematodes und Polyneuropathie. Nach verschiedenen Gutachten wurde ihre Arbeitsfähigkeit auf 100% geschätzt, was zu einer Abweisung ihres Rentengesuchs führte. Die Beschwerdeführerin legte Widerspruch ein und forderte eine erneute Begutachtung, da sie die Gutachten als mangelhaft ansah. Es wurde festgestellt, dass die bisherige Begutachtung nicht ausreichend war und die Anordnung einer erneuten umfassenden Begutachtung erforderlich ist. Die Beschwerdegegnerin, die IV-Stelle des Kantons St. Gallen, wurde angewiesen, die Untersuchung neu zu organisieren. Die Kosten des Verfahrens werden von der Beschwerdegegnerin übernommen.

Urteilsdetails des Kantongerichts IV 2019/258

Kanton:SG
Fallnummer:IV 2019/258
Instanz:Versicherungsgericht
Abteilung:IV - Invalidenversicherung
Versicherungsgericht Entscheid IV 2019/258 vom 11.03.2020 (SG)
Datum:11.03.2020
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 43 Abs. 1 ATSG. Anordnung Verlaufsbegutachtung. Erstgutachten nicht beweiskräftig. Neue, umfassende Zweitbegutachtung anstelle einer Verlaufsbegutachtung erforderlich. Aufhebung und Rückweisung zur Erstattung eines neuen Gutachtens durch eine noch nicht mit der Beschwerdeführerin befassten Gutachterstelle (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 11. März 2020, IV 2019/258).
Schlagwörter : IV-act; Abklärung; Arbeitsfähigkeit; Ataxie; Verlaufs; IV-Stelle; Beurteilung; Begutachtung; Bericht; Klinik; Gutachter; Verlaufsbegutachtung; IVact; Rente; Anordnung; Parteien; Lupus; Polyneuropathie; Gutachten; Stellungnahme; Recht; Untersuchung; Entscheid; Gallen; Rheumatologie; Arbeitsunfähigkeit; Auswirkung; Zwischenverfügung; Verwaltungs; Versicherungsgericht
Rechtsnorm:Art. 18 Or;Art. 36 BV ;
Referenz BGE:136 V 126; 138 V 275; 138 V 276;
Kommentar:
-

Entscheid des Kantongerichts IV 2019/258

Entscheid vom 11. März 2020

Besetzung

Einzelrichterin Marie Löhrer; Gerichtsschreiber Philipp Geertsen Geschäftsnr.

IV 2019/258

Parteien

A. ,

Beschwerdeführerin,

vertreten durch Rechtsanwalt Dr. iur. Ronald Pedergnana, Rorschacher Strasse 21, Postfach 27, 9004 St. Gallen,

gegen

IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Postfach 368, 9016 St. Gallen,

Beschwerdegegnerin, Gegenstand Begutachtung Sachverhalt

A.

    1. A. meldete sich am 2. Februar 2015 wegen eines Lupus erythematodes und einer Polyneuropathie zum Bezug von IV-Leistungen an (IV-act. 1; zu den gesundheitlichen Leiden siehe den Bericht der Klinik für Rheumatologie am Kantonsspital St. Gallen [KSSG] vom 1. Oktober 2015, IV-act. 37). Dr. med. B. , Ärztin in der Abteilung Neurologie am KSSG, empfahl zur Beurteilung der Arbeitsfähigkeit eine polydisziplinäre Begutachtung (Bericht vom 8. März 2017, IVact. 92, insbesondere S. 3 unten). Der behandelnde Dr. med. C. , Facharzt für Allgemeine Innere Medizin, bescheinigte der Versicherten für die angestammte Tätigkeit als Sekretärin eine vollständige Arbeitsunfähigkeit (Bericht vom 15. Mai 2017 [Datum Posteingang IV-Stelle], IV-act. 114).

    2. Im Auftrag der IV-Stelle wurde die Versicherte am 14. November und 6. Dezember 2017 polydisziplinär (rheumatologisch, internistisch, psychiatrisch und neurologisch) in der SMAB AG, Bern, begutachtet (IV-act. 131-1). Die SMAB AG teilte der IV-Stelle am

      28. Dezember 2017 mit, dass vor der abschliessenden Beurteilung die Ergebnisse der im Januar 2018 geplanten bildgebenden Abklärungen abgewartet werden müssten (IVact. 130). Am 23. Februar 2018 wurde das Gutachten ausgefertigt. Die Gutachter diagnostizierten folgende Leiden, denen sie eine Auswirkung auf die «Arbeitsfähigkeit (letzte Tätigkeit)» beimassen: 1. ein systematischer Lupus erythematodes mit fraglich damit assoziierter sensibler axonaler Polyneuropathie der unteren Extremitäten, beidseitiger Skleritis und asymptomatischem kleinem Perikardergruss, regredient unter Prednison; 2. ein Lumbovertebralsyndrom unklarer Ätiologie, vermutlich degenerativ bedingt. Die bisherige Bürotätigkeit könne als vollständig leidensangepasst angesehen

      werden. Die Arbeitsfähigkeit werde auf 100% geschätzt. Die bisher von den behandelnden Ärzten eingeschätzten Arbeitsunfähigkeiten («50% ab 22.09.2014, 80% ab 28.01.2015, 100% ab dem 15.01.2017») seien in diesem Ausmass aufgrund der vorliegenden Akten zu akzeptieren. Ab dem Datum vom 15. Januar 2017 dürfte dagegen wohl von einer vollständigen Arbeitsfähigkeit ausgegangen werden (IV-

      act. 131, insbesondere S. 13 und 16). Der RAD-Arzt Dr. med. D. , Facharzt für Prävention und Gesundheitswesen, hielt das Gutachten der SMAB AG für umfassend und schlüssig (Stellungnahme vom 2. März 2018, IV-act. 132).

    3. Mit Vorbescheid vom 7. März 2018 zeigte die IV-Stelle der Versicherten die Abweisung des Rentengesuchs an (IV-act. 136). Dagegen erhob die Versicherte am

      26. April 2018 Einwand und beantragte, es sei ihr eine ganze Rente, eventualiter eine halbe Rente zuzusprechen. Sie brachte vor, das Gutachten der SMAB AG sei mangelhaft und nicht beweiskräftig (IV-act. 140). Sie reichte u.a. einen Bericht der Klinik für Rheumatologie am KSSG vom 13. März 2018 ein, worin ausgeführt wurde, aus rheumatologischer Sicht sei die Arbeitsfähigkeit der Versicherten mit Sicherheit nicht zu 100% gegeben und deutlich geringer einzustufen. Mit in die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit sei neben der entzündlich-rheumatologischen Grunderkrankung auch

      die neurologische, ophthalmologische und psychische/psychosomatische Komponente

      miteinzubeziehen (IV-act. 140-6 ff.; siehe auch die ergänzende Eingabe der Versicherten vom 12. Juni 2018, IV-act. 142). Die SMAB AG hielt in der Stellungnahme vom 24. Juli 2018 an ihrer bisherigen Arbeitsfähigkeitsschätzung fest (IV-act. 149). In der Stellungahme vom 30. Juli 2018 vertrat der RAD-Arzt Dr. D. die Ansicht, die Experten der SMAB AG hätten sich in überzeugender Weise mit den von der Versicherten vorgebrachten Einwänden auseinandergesetzt (IV-act. 150). Die Versicherte zweifelte die gutachterliche Beurteilung weiterhin an (Stellungnahme vom

      17. August 2018, IV-act. 154) und reichte einen weiteren Bericht der Klinik für Rheumatologie am KSSG vom 9. August 2018 ein (IV-act. 153).

    4. Am 22. August 2018 verfügte die IV-Stelle die Abweisung des Rentengesuchs (IVact. 155), wogegen die Versicherte am 20. September 2018 Beschwerde erhob (IVact. 159; Verfahren IV 2018/316) und u.a. einen neuropsychologischen

      Untersuchungsbericht der Klinik für Neurologie am KSSG ins Recht legte. Darin wurden leicht bis mittelgradige kognitive Funktionsstörungen beschrieben und die dadurch

      bedingte Beeinträchtigung auf 30 bis 50% geschätzt (IV-act. 162). Die IV-Stelle widerrief daraufhin am 23. Oktober 2018 die Verfügung vom 22. August 2018 und stellte die Durchführung weiterer Abklärungen in Aussicht (IV-act. 173; zu den Beweggründen der IV-Stelle siehe das Besprechungsprotokoll vom 23. Oktober 2018, IV-act. 168; zum Abschreibungsbeschluss des Versicherungsgerichts vom

      20. November 2018, IV 2018/316, siehe IV-act. 182).

    5. Die Versicherte reichte am 22. November 2018 (IV-act. 181) eine konsiliarische Beurteilung von Dr. med. E. , Facharzt für Neurologie, vom 19. November 2018 ein. Dieser diagnostizierte einen Verdacht auf eine spinozerebellare Ataxie (Erstsymptome ungefähr 2012), einen systemischen Lupus erythematodes sowie eine rezidivierende (Epi-)Skleritis beidseits, DD im Rahmen des systemischen Lupus erythematodes (IVact. 180). Am 22. November 2018 wurde die Versicherte von Dr. med. F. , Chefarzt der Klinik G. , konsiliarisch beurteilt. Er stellte als Hauptdiagnosen: 1. ein

      chronisches Schmerzsyndrom der Lenden-/Becken-/Hüftregion mit Punctum maximum Sakroilialgelenke und Sitzbeinhöcker sowie 2. eine ataktische Gangbildstörung und Sensibilitätsstörung bei vorbeschriebener axonaler Polyneuropathie und systemischem Lupus erythematodes. Es habe sich unter Einbezug der Beurteilung von Dr. E. mit hoher Wahrscheinlichkeit eine wegweisende Verdachtsdiagnose ergeben, sodass die neurologische Grunderkrankung als behandlungsführend gelten müsse. Zunächst solle eine Fortsetzung der diagnostischen Klärung im Rahmen des neurologischen Fachgebiets erfolgen (IV-act. 188). Dr. med. H. , «Oberärztin i.v.» an der Klinik für Rheumatologie am KSSG, empfahl im Schreiben an die IV-Stelle vom 11. Dezember 2018 die Durchführung einer Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit (IV-

      act. 185).

    6. Am 12. August 2019 teilte die IV-Stelle der Versicherten ihre Absicht mit, bei der SMAB AG ein polydisziplinäres (allgemein-/internistisches, neurologisches, neuropsychologisches, psychiatrisches und rheumatologisches) Verlaufsgutachten in Auftrag zu geben (IV-act. 214). Die Versicherte lehnte eine Verlaufsbegutachtung durch die SMAB AG ab, da deren Erstgutachten mangelhaft sei (IV-act. 215). Mit Zwischenverfügung vom 19. August 2019 ordnete die IV-Stelle eine Verlaufsbegutachtung durch die SMAB AG an (IV-act. 218).

B.

    1. Gegen die Zwischenverfügung vom 19. August 2019 richtet sich die vorliegend zu beurteilende Beschwerde vom 18. September 2019. Die Beschwerdeführerin beantragt darin unter Kostenund Entschädigungsfolge deren Aufhebung und die Rückweisung an die Beschwerdegegnerin, damit diese über den Rentenanspruch entscheide. Eventualiter sei statt der SMAB AG eine andere Abklärungsstelle gemäss Swissmed@p für die Verlaufsbegutachtung sowie Abklärung zu beauftragen. Die Beschwerdeführerin wiederholt ihre Kritik an der gutachterlichen Einschätzung und der Anordnung einer Verlaufsbegutachtung (act. G 1).

    2. Die Beschwerdegegnerin beantragt in der Beschwerdeantwort vom 19. November 2019 die Abweisung der Beschwerde. Die Beschwerdeführerin habe keine Gründe dargetan, welche auf eine Befangenheit der einzelnen Experten der SMAB AG schliessen lassen würden. Ausserdem sei deren Auffassung, es gehe nicht um die Einholung eines Verlaufsgutachtens, falsch. Nach der Auffassung des RAD liege mit der spinozerebellaren Ataxie eine neue medizinische Diagnose mit möglicher Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit vor (act. G 5).

    3. Die Beschwerdeführerin teilt am 6. Dezember 2019 ihren Verzicht auf eine Akteneinsicht mit (act. G 7).

Erwägungen 1.

Zwischen den Parteien umstritten und nachfolgend zu prüfen ist die Rechtmässigkeit der von der Beschwerdegegnerin angeordneten polydisziplinären Verlaufsbegutachtung bei der SMAB AG mit dem Referenzzeitpunkt Februar 2018 (siehe hierzu IV-act. 212 und IV-act. 214).

    1. Bei der Anordnung eines Gutachtens handelt es sich um eine Zwischenverfügung (Art. 55 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [ATSG] in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 und Art. 46 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren [VwVG; SR 172.021]). Eine solche

      kann unter anderem dann angefochten werden, wenn ein nicht wieder gutzumachender

      Nachteil droht (Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 15. April

      2010, B 2009/197, E. 2.5; vgl. auch BGE 138 V 275 E. 1.2.1). Für die Beurteilung des nicht wieder gutzumachenden Nachteils im Kontext des sozialversicherungsrechtlichen Abklärungsverfahrens mit seinen spezifischen Gegebenheiten ist zu beachten, dass das medizinische Administrativgutachten in der Regel die wichtigste medizinische Entscheidgrundlage im Beschwerdeverfahren bildet. Die Mitwirkungsrechte der versicherten Personen müssen daher bereits vor der Begutachtung durchgesetzt werden können, bevor präjudizierende Effekte eintreten. Mit Blick auf das begrenzte Überprüfungsvermögen der rechtsanwendenden Behörden genügt es daher nicht, die Mitwirkungsrechte erst nachträglich, bei der Beweiswürdigung im Verwaltungsund Beschwerdeverfahren, einzuräumen (vgl. BGE 138 V 276 E. 1.2.2). Des Weiteren darf auch nicht ausser Acht gelassen werden, dass die Anordnung medizinischer Untersuchungen an einer Person «zweifellos» einen Eingriff in das Grundrecht der persönlichen Freiheit (Art. 10 Abs. 2 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft [BV; SR 101]) darstellt (BGE 136 V 126 E. 4.2.2.1 mit Hinweisen). Als solcher muss die Anordnung einer Begutachtung die Voraussetzungen von Art. 36 BV erfüllen, was im Bestreitungsfall gerichtlich überprüfbar sein muss. Auf die Beschwerde ist daher einzutreten, was von den Parteien auch nicht bestritten wird.

    2. Art. 43 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG; SR 830.1) statuiert die Sachverhaltsabklärung von Amtes wegen, wobei es im Ermessen des Versicherungsträgers liegt, darüber zu befinden, mit welchen Mitteln diese zu erfolgen hat. Im Rahmen der Verfahrensleitung kommt ihm ein grosser Ermessensspielraum bezüglich der Notwendigkeit, des Umfangs und der Zweckmässigkeit von medizinischen Erhebungen zu. Was zu beweisen ist, ergibt sich aus der Sachund Rechtslage. Gestützt auf den Untersuchungsgrundsatz hat der Sozialversicherer den Sachverhalt soweit zu ermitteln, dass er über den Leistungsanspruch zumindest mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit entscheiden kann. Der Untersuchungsgrundsatz wird ergänzt durch die Mitwirkungspflichten der versicherten Person. Danach hat sich diese den ärztlichen fachlichen Untersuchungen zu unterziehen, wenn sie zumutbar sind. Nach dem Wortlaut von Art. 43 Abs. 1 und Abs. 2 ATSG müssen diese aber auch notwendig und somit von entscheidender Bedeutung für die Erstellung des rechtserheblichen Sachverhalts sein (Urteil des Bundesgerichts vom 29. Mai 2007,

U 571/2006, E. 4.1 mit Hinweisen). Diese Grundsätze ergeben sich zwingend aus der im Rahmen der Prüfung der Rechtmässigkeit eines Grundrechtseingriffs vorzunehmenden Verhältnismässigkeitsprüfung (Art. 36 Abs. 3 BV). Zu ergänzen bleibt, dass die konkret angeordnete Abklärungsmassnahme demnach auch geeignet bzw. tauglich sein muss, ein aussagekräftiges Beweisergebnis zu liefern.

2.

Die Beschwerdeführerin bringt gegen die Beauftragung der Gutachter der SMAB AG

vor, es bestehe ein Anschein der Befangenheit (act. G 1, Rz 26 ff.).

    1. Dem von der Beschwerdegegnerin erkannten Abklärungsbedarf bzw. der Notwendigkeit einer Verlaufsbegutachtung liegt eine neue medizinische Diagnose (spinozerebellare Ataxie) mit möglicher Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit zugrunde (Stellungnahme des RAD-Arztes Dr. D. vom 29. Juli 2019, IV-act. 217). Bei der spinozerebellaren Ataxie handelt es sich um eine autosomal-dominant erbliche, progrediente degenerative Ataxie mit Kleinhirnatrophie und gegebenenfalls extrazebellarer Beteiligung (Pschyrembel, 267. Auflage, Berlin 2017, S. 169).

    2. Vorliegend ist von Bedeutung, dass Dr. E. bei der Befundung der am

      20. Dezember 2017 durchgeführten MRI-Abklärung des Neurocraniums (siehe hierzu IV-act. 131-90) eine wenn auch leichtgradige - Atrophie des Cerebellums (Kleinhirn) feststellte. Zudem führte er aus, «das langsam progrediente ataktische Syndrom seit ungefähr dem 40. bis 45. Lebensjahr mit Dysarthrie sowie auch sensibler Polyneuropathie ist in der Gesamtschau des bisherigen Verlaufs auch bei negativer Familienanamnese sehr verdächtig auf eine spino-cerebelläre Ataxie respektive eine

      idiopathische Ataxie des Erwachsenenalters. Die im Vordergrund stehende Rumpfund Extremitäten-Ataxie, die leichtgradige Dysarthrie (klinisch noch ohne Dysphagie) sowie die neurographisch und nadelmyographisch rein sensible und axonale Polyneuropathie sind grundsätzlich die Kernsymptome einer spino-cerebellären Ataxie» (konsiliarische Beurteilung vom 19. November 2018, IV-act. 180-3 unten). Ausserdem gab Dr. E. in der Diagnoseliste an, dass Erstsymptome («ES») seit zirka 2012 bestünden (IV-

      act. 180-1). Mit anderen Worten bestehen gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass die spinozerebellare Ataxie bereits vor der Begutachtung durch die SMAB AG vorlag. Hinzu kommt, dass die Beschwerdeführerin bereits anlässlich der Begutachtung in der SMAB AG über kognitive Defizite berichtete (IV-act. 131-47), die mit der später im Rahmen der neuropsychologischen Untersuchung vom 20. August 2018 geschilderten Leiden vereinbar sind (IV-act. 162). Bereits anlässlich des vom 11. Oktober 2016 bis

      15. Januar 2017 durchgeführten Arbeitsversuchs zeigten sich kognitive Schwächen der Beschwerdeführerin (IV-act. 83; zur früheren Wahrnehmung kognitiver Defizite durch den ehemaligen Arbeitgeber der Beschwerdeführerin siehe dessen Stellungnahme vom

      23. August 2018, IV-act. 161-4). Die neuropsychologischerseits festgestellten Befunde und bescheinigte Arbeitsunfähigkeit bildeten Anlass für den Widerruf der Rentenverfügung vom 22. August 2018 bzw. den zuvor erkannten Abklärungsbedarf

      (siehe das Besprechungsprotokoll der Beschwerdegegnerin vom 23. Oktober 2018, IVact. 168). Die von der Beschwerdegegnerin auf den Referenzzeitpunkt «2/2018» (IVact. 212 und IV-act. 214) in Auftrag gegebene Verlaufsbegutachtung erweist sich demnach von vornherein für den ausgewiesenen Abklärungsbedarf als ungeeignet. Vielmehr ist der Gesundheitszustand für den gesamten für die Beurteilung des am

      2. Februar 2015 eingereichten Rentengesuchs massgebenden Zeitraum unter dem Aspekt der spinozerebellaren Ataxie abklärungsbedürftig. Ergänzend ist zu bemerken, dass der Fragekatalog der Beschwerdegegnerin keine für eine Verlaufsbeurteilung konkrete Fragestellung enthält, sondern dem Fragekatalog für eine Erstbegutachtung entspricht (IV-act. 213). Dies deutet ebenfalls darauf hin, dass eine retrospektiv uneingeschränkte Abklärungsmassnahme im Raum steht.

    3. Mit Blick auf die vorliegend gebotene zeitlich umfassende Zweitbegutachtung ist der Vorwurf der Beschwerdeführerin, eine neuerliche Begutachtung durch die SMAB AG sei nicht mehr ergebnisoffen (act. G 1, Rz 26 ff., und G 7), zuzustimmen, wie sich aus nachstehenden Überlegungen ergibt:

      1. Wie bereits erwähnt, bestehen gewichtige Anhaltspunkte, dass bereits im Zeitpunkt der Begutachtung in der SMAB ein ataktisches Leiden mit möglicher Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit bestanden hatte (siehe vorstehende E. 2.2). Dieser Eindruck wird durch den Bericht der Klinik für Neurologie am KSSG vom 18. Oktober 2017 verstärkt, worin u.a. ein klinisches Bild einer sensorischen Ataxie beschrieben wurde (IV-act. 131-80). Dieser Bericht wird zwar in der Voraktendarstellung des Gutachtens der SMAB AG vom 23. Februar 2018 erwähnt (IV-act. 131-11 oben). Trotzdem fehlt darin, insbesondere in dessen neurologischen Teil, eine erkennbare Auseinandersetzung mit der im Raum stehenden Ataxie, womit davon auszugehen ist, dass diese Thematik übersehen bzw. übergangen wurde. Der neurologische Gutachter beliess es bei der Würdigung der Akten bei der Feststellung, dass ausführliche Berichte der Neurologischen Klinik am KSSG vorlägen, welche schlüssig seien. Zu erwähnen sei jedoch, dass hinsichtlich der Diagnose «Polyneuropathie» Unsicherheiten bestünden, da eine Suralis-Biopsie im Januar 2018 unauffällig gewesen sei. Für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit sei dies aber unerheblich (IV-act. 131-58).

      2. Hinzu kommt, dass fraglich erscheint, ob die SMAB-Gutachter, insbesondere der neurologische Experte, die Ergebnisse der MRI des Neurocraniums vom 20. Dezember 2017 (IV-act. 131-90) selbst befundet haben, fiel ihnen die wenn auch leichte - Kleinhirnatrophie im Gegensatz zu Dr. E. (siehe hierzu vorstehende E. 2.2 zu Beginn) nicht auf. Die medizinische Fachliteratur geht davon aus, dass Röntgenbilder den

        Gutachtern vorzuliegen haben und von ihnen selbst zu sichten und befunden sind. Dies vor allem deshalb, weil dem Radiologen unter Umständen Einzelheiten entgangen sein könnten, die dem versierten Kliniker vertraut sind (Entscheid des Versicherungsgerichts vom 8. Juli 2009, IV 2008/48, E. 3.2.1 mit Hinweis auf H. Fredenhagen, Das ärztliche Gutachten, 3. Auflage, 1994, S. 100; J. Meine, Die ärztliche Unfallbegutachtung in der Schweiz - Erfüllt sie die heutigen Qualitätsanforderungen, in: Swiss Surg 1998; 4: 55).

        In der allgemeinen wohl vom federführenden Rheumatologen erstellten (IV-act. 131-1)

        - Voraktendarstellung findet sich bloss eine rudimentäre Zusammenfassung der Abklärungsergebnisse (IV-act. 131-11 unten). Namentlich im neurologischen Teil fehlt jeglicher Bezug zu diesen bildgebenden Abklärungsergebnissen (IV-act. 131-54 ff.). Auch in der Stellungnahme der SMAB AG vom 24. Juli 2018 (IV-act. 149) fehlen diesbezüglich erhellende Ausführungen.

      3. Im Licht dieser Umstände hätten die SMAB AG-Gutachter im Rahmen der unbestritten gebotenen Abklärung ihre eigene ursprüngliche Einschätzung zu hinterfragen bzw. zur eigenen ursprünglichen Ersteinschätzung eine Zweitmeinung zu verfassen. Eine ergebnisoffene Abklärung ist dadurch nicht mehr gewährleistet. Vielmehr ist zumindest ein Anschein der Befangenheit der SMAB AG bzw. von deren Experten zu bejahen.

      4. Der Vollständigkeit halber ist anzufügen, dass die gutachterliche Beurteilung an Widersprüchen leidet und das Erstgutachten der SMAB AG deshalb auch keine taugliche Grundlage für eine Verlaufsbegutachtung ab Februar 2018 wäre. So diagnostizierten die Gutachter in der Gesamtbeurteilung «mit Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit» bezogen auf die angestammte Tätigkeit sowohl einen systemischen Lupus erythematodes als auch ein Lumbovertebralsyndrom (IV-act. 131-13). Dies lässt sich mit der gutachterlich bescheinigten uneingeschränkten Arbeitsfähigkeit für die angestammte Tätigkeit nicht vereinbaren (IV-act. 131-16). Widersprüchlich erscheint zudem die retrospektive Arbeitsfähigkeitsbeurteilung. Die Gutachter übernahmen im gesamtgutachterlichen Teil für die Zeit ab 22. September 2014 bis 15. Januar 2017 die in den Vorakten bescheinigten Arbeitsunfähigkeiten (IV-act. 131-16), obschon diese im federführenden rheumatologischen Teilgutachten zumindest teilweise - nicht für nachvollziehbar gehalten wurden (IV-act. 131-30 unten) und in den übrigen Teilgutachten rückwirkend keine Arbeitsunfähigkeit bescheinigt wurde (IV-act. 131-39,

-52 und -58). Die Anordnung einer blossen Verlaufsbegutachtung erscheint angesichts dieser Mängel auch unter Berücksichtigung des der Beschwerdegegnerin zustehenden Ermessenspielraums bei der Anordnung von Abklärungsmassnahmen (siehe hierzu vorstehende E. 1.2) nicht mehr vertretbar.

3.

    1. Nach dem Gesagten ist die angefochtene Zwischenverfügung vom 19. August 2019 aufzuheben und die Sache zur umfassenden polydisziplinären (allgemein-/ internistischen, neurologischen, neuropsychologischen, psychiatrischen und rheumatologischen) Begutachtung an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen. Die zu beauftragende Gutachterstelle ist im Rahmen von Art. 72bis der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV; SR 831.201) unter Ausschluss der SMAB AG zu

      bestimmen. Es ist Sache der zu beauftragenden Gutachter, über die Notwendigkeit einer Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit (zu deren Empfehlung siehe den Bericht von Dr. H. vom 11. Dezember 2018, IV-act. 185) eines Beizugs weiterer Fachdisziplinen (wie etwa der Ophthalmologie; vgl. hierzu den Bericht der Klinik für Rheumatologie am KSSG vom 13. März 2018, IV-act. 140-6 unten) zu befinden.

    2. Bei Streitigkeiten betreffend die Anordnung für eine Begutachtung im Verwaltungsverfahren sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 61 lit. a ATSG). Da es sich vorliegend nicht um eine Streitigkeit betreffend «IV-Leistungen» handelt, findet die Kostenregelung von Art. 69 Abs. 1bis des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20) keine Anwendung.

    3. Die obsiegende beschwerdeführende Partei hat Anspruch auf Ersatz der Parteikosten. Die Parteientschädigung wird vom Versicherungsgericht festgesetzt und ohne Rücksicht auf den Streitwert nach der Bedeutung der Streitsache und nach der Schwierigkeit des Prozesses bemessen (Art. 61 lit. g ATSG). In der Verwaltungsrechtspflege beträgt das Honorar vor Versicherungsgericht nach Art. 22 Abs. 1 lit. b der Honorarordnung (HonO; sGS 963.75) pauschal Fr. 1'500.-bis

Fr. 15'000.--. Der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin hat keine Kostennote eingereicht. Mit Blick auf die eingeschränkte Streitfrage erscheint eine Parteientschädigung wie in vergleichbaren Fällen (vgl. etwa den Entscheid des Versicherungsgerichts vom 2. Dezember 2019, IV 2019/195, E. 4.3) von insgesamt Fr. 2'500.-- (einschliesslich Barauslagen und Mehrwertsteuer) angemessen.

Entscheid

im Verfahren gemäss Art. 18 OrgR

1.

In Gutheissung der Beschwerde wird die angefochtene Zwischenverfügung vom

19. August 2019 aufgehoben und die Sache zur weiteren Abklärung im Sinn der

Erwägungen an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen.

2.

Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.

Die Beschwerdegegnerin hat der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung von

Fr. 2'500.-- (einschliesslich Barauslagen und Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

Hier geht es zurück zur Suchmaschine.