Zusammenfassung des Urteils FS.2019.10: Kantonsgericht
A. G.________, eine geschiedene Frau ohne Kinder, wurde als Telebanking-Beraterin eingestellt, aber im Februar 2002 entlassen. Sie beantragte Leistungen der Invalidenversicherung aufgrund von psychischen und körperlichen Beschwerden, darunter eine Borderline-Persönlichkeitsstörung. Nach verschiedenen Gutachten und Ablehnungen ihrer Anträge reichte sie schliesslich Klage ein, die erfolgreich war. Die Gerichtskosten betrugen CHF 300.
Kanton: | SG |
Fallnummer: | FS.2019.10 |
Instanz: | Kantonsgericht |
Abteilung: | Zivilkammern (inkl. Einzelrichter) |
Datum: | 27.03.2020 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Entscheid Art. 282 Abs. 2 ZPO, wonach auch die nicht angefochtenen Unterhaltsbeiträge für die Kinder neu beurteilt werden können, wenn mit einer Berufung der Unterhaltsbeitrag für den Ehegatten angefochten wird, findet umgekehrt auf den Ehegattenunterhalt keine Anwendung (Kantonsgericht, Einzelrichter der II. Zivilkammer, 27. März 2020, FS. 2019.10). |
Schlagwörter : | Kinder; Vorinstanz; Ehefrau; Ehemann; Einkommen; Ehegatten; Betreuungsunterhalt; Ehegattenunterhalt; Unterhalt; Vater; Barunterhalt; Berufung; Ehemanns; Betreuungsunterhalts; Nettoeinkommen; Kindergarten; Erwerbstätigkeit; Recht; Entscheid; Barunterhaltsbeiträge; Reduktion; Kanton; Altersjahr; Beschäftigungsgrad; Einwendungen; Vorziehen; Erhöhung; üglich |
Rechtsnorm: | Art. 282 ZPO ; |
Referenz BGE: | 144 III 481; |
Kommentar: | - |
A. (geb. 1978) und B. (geb. 1983), heirateten 2010. Aus der Ehe gingen drei Kinder (2008, 2010 und 2016) hervor. Nachdem sich die Eheleute am 22. Dezember 2018 getrennt hatten, reichte A. ein Eheschutzbegehren ein und verlangte für sich und die Kinder Unterhalt. Die Vorinstanz legte für die Kinder den Barund Betreuungsunterhalt fest und sprach der Ehefrau ab 1. Juli 2021 einen Unterhaltsbetrag von Fr. 170.00 zu.
Aus den Erwägungen:
2. a) Die Vorinstanz verpflichtete den Vater, für die Kinder S., N. und L. ab 1. April 2019 Barunterhalt zu bezahlen. Die diesbezüglichen Beträge wurden vom Vater nicht angefochten. Zudem verpflichtet die Vorinstanz den Vater zu folgendem monatlichen Betreuungsunterhalt für alle drei Kinder: Fr. 2'080.00 vom 1. April 2019 bis 31. Juli 2019, Fr. 2'260.00 vom 1. August 2019 bis 30. Juni 2020 und Fr. 1'120.00 ab 1. Juli 2021. Der Vater verlangt mit seiner Berufung eine Reduktion des Betreuungsunterhalts auf Fr. 2'000.00 vom 1. April 2019 bis 31. Juli 2019, Fr. 1'470.00 vom 1. August 2019
bis 31. Juli 2020 und Fr. 600.00 ab 1. August 2020.
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c/aa) Die Vorinstanz ging von einem monatlichen Nettoeinkommen des Ehemanns von Fr. 7'830.00 aus. Dieses Einkommen wird von keiner Partei in Frage gestellt. Umstritten ist hingegen das anrechenbare Einkommen der Ehefrau. Die Vorinstanz berücksichtigte bei ihr ein monatliches Nettoeinkommen von Fr. 650.00 bis 30. Juni 2021 und ein solches von Fr. 2'000.00 ab 1. Juli 2021. Der Ehemann will der Ehefrau bis zum Kindergarteneintritt von L. ein monatliches Nettoeinkommen von Fr. 1'650.00 und danach ein solches von Fr. 2'750.00 anrechnen.
Nach der neuen Praxis des Bundesgerichts kann dem hauptbetreuenden Elternteil im Normalfall ab der je nach Kanton mit dem Kindergarten mit dem eigentlichen Schuleintritt erfolgenden obligatorischen Beschulung des jüngsten Kindes eine Erwerbstätigkeit von 50 % zugemutet werden. Nach dessen Übertritt in die Sekundarstufe wird eine Teilzeitbeschäftigung von 80 % und mit dessen vollendetem
16. Altersjahr eine Vollzeitstelle zumutbar (BGE 144 III 481 E. 4.7.6). Nach Art. 45 Abs. 1 des Volksschulgesetzes wird ein Kind im Kanton St. Gallen am 1. August nach Vollendung des vierten Altersjahres schulbzw. kindergartenpflichtig. Die jüngste Tochter L., geb. 29. Juni 2016, wird demnach ab Montag, 10. August 2020, den Kindergarten besuchen müssen. Demnach kann von der Ehefrau ab 1. September 2020 und nicht wie die Vorinstanz annimmt erst ab 1. Juli 2021 eine Erwerbstätigkeit von 50 % verlangt werden. Vorher bleibt es beim effektiv erzielten, nicht bestrittenen Einkommen von Fr. 650.00 pro Monat. Wird vom bisherigen Einkommen von Fr. 650.00 bei einem Beschäftigungsgrad von 20 % ausgegangen, wäre ab 1. September 2020 bei einem Ausbau der bisherigen Tätigkeit auf einen Beschäftigungsgrad von 50 % mit einem erzielbaren Einkommen der Ehefrau von rund Fr. 1'650.00 zu rechnen. Die Vorinstanz setzte jedoch das anrechenbare Einkommen der Ehefrau gestützt auf den
Lohnrechner des Bundesamts für Statistik zu Recht auf Fr. 2'000.00 netto pro Monat fest.
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dd) Insgesamt ergibt sich, dass die Einwendungen des Ehemanns gegen die vorinstanzliche Berechnung des Betreuungsunterhalts einzig in Bezug auf den Zeitpunkt, ab dem der Ehefrau eine Erwerbstätigkeit von 50 % (1. September 2020 statt 1. Juli 2021) zugemutet werden kann, berechtigt sind. Damit ist der Ehemann zu folgendem monatlichen Betreuungsunterhalt für alle drei Kinder zu verpflichten: Fr. 2'080.00 vom 1. April 2019 bis 31. Juli 2019, Fr. 2'260.00 vom 1. August 2019 bis 31.
August 2020 und Fr. 1'120.00 ab 1. September 2020.
ee) Da ab 1. September 2020 das zumutbare Arbeitspensum und damit auch das anrechenbare Einkommen der Ehefrau steigt, wirkt sich dies auch auf den nicht angefochtenen Barunterhalt für die Kinder aus. Die im Entscheid der Vorinstanz ab 1. Juli 2021 festgesetzten höheren Barunterhaltsbeiträge müssen deshalb bereits ab 1. September 2020 und nicht erst ab 1. Juli 2021 gelten. Da in Kinderbelangen die
Offizialund die Untersuchungsmaxime gilt, ist dieses zeitliche Vorziehen der Erhöhung der nicht angefochtenen Barunterhaltsbeiträge ohne weiteres zulässig. Der Vater wird deshalb verpflichtet, ab 1. September 2020 monatlich im Voraus folgende Barunterhaltsbeiträge zuzüglich allfälliger Kinderzulagen zu bezahlen: Fr. 970.00 für S., Fr. 760.00 für N. und Fr. 660.00 für L.
3. Die Vorinstanz verpflichtete den Ehemann, an den Unterhalt der Ehefrau ab 1. Juli 2021 monatlich Fr. 170.00 zu bezahlen. Der Ehemann verlangt die Aufhebung dieser Verpflichtung.
Wie bei der Bemessung des Betreuungsunterhalts ausgeführt, sind die Einwendungen des Ehemanns gegen die vorinstanzliche Festsetzung der Einkommensund Bedarfspositionen der Parteien bis auf eine Ausnahme nicht begründet. Einzig die Erhöhung ihres Einkommens von Fr. 650.00 auf Fr. 2'000.00 pro Monat kann der Ehefrau bereits ab 1. September 2020 und nicht erst ab 1. Juli 2021 zugemutet werden. Damit bleibt es beim Ehegattenunterhalt von Fr. 170.00.
Nachdem sich der Betreuungsunterhalt bereits ab 1. September 2020 und nicht erst ab
1. Juli 2020 von Fr. 2'260.00 auf Fr. 1'120.00 reduziert, ist zu prüfen, ob der Ehegattenunterhalt bereits ab dem 1. September 2020 zugesprochen werden kann. Art. 282 Abs. 2 ZPO, wonach auch die nicht angefochtenen Unterhaltsbeiträge für die Kinder neu beurteilt werden können, wenn mit einer Berufung der Unterhaltsbeitrag für den Ehegatten angefochten wird, findet zwar umgekehrt auf den Ehegattenunterhalt keine Anwendung (BK ZPO-Spycher, Art. 282 N 32; Dolge, DIKE-Komm-ZPO, Art. 282 N 14; Fankhauser, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger, ZPO Komm., Art. 282 N 20). Die Durchbrechung der (Teil-)Rechtskraft ist nur für Kinderunterhaltsbeiträge vorgesehen. Vorliegend ist allerdings die Regelung des Ehegattenunterhalts nicht in Rechtskraft erwachsen, wurde sie doch vom Ehemann angefochten. In solchen Fällen kann die Abänderung von Kinderunterhaltsbeiträgen auch Wirkungen zugunsten des Ehegatten entfalten (BK ZPO-Spycher, Art. 282 N 32). Allerdings ist das Verbot der reformatio in peius zu beachten (Leuenberger/Uffer-Tobler, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Bern 2016, N 12.30). Die Partei, welche Berufung erhoben hat, darf durch den im Berufungsentscheid festzulegenden gesamten Kinderund Ehegattenunterhalt gegenüber dem angefochtenen Entscheid nicht schlechter gestellt werden. Nach dem Entscheid der Vorinstanz hätte sich die Gesamtbelastung des Ehemanns per 1. Juli 2021 von Fr. 4'260.00 auf Fr. 3'510.00 reduziert. Nun erfolgt diese Reduktion bereits per 1. September 2020. Der berufungsführende Ehemann fährt damit besser, auch wenn er den Ehegattenunterhalt von Fr. 170.00 bereits ab 1. September 2020 bezahlen muss. Das zeitliche Vorziehen des Beginns des
Ehegattenunterhalts vom 1. Juli 2021 auf den 1. September 2020 verstösst somit nicht gegen das Verbot der reformatio in peius.
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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