Zusammenfassung des Urteils FS.2018.31: Kantonsgericht
Die Eheleute A. und B. leben seit Mai 2018 getrennt, wobei die Tochter C. bei der Mutter lebt und der Ehemann seit November 2018 zu 100% arbeitsunfähig ist. Es wird diskutiert, ob ihm hypothetische Einkünfte angerechnet werden sollen, da er sich nicht bei der IV angemeldet hat. Es wird festgestellt, dass eine rückwirkende Anrechnung nicht möglich ist, da der Rentenanspruch erst nach einer gewissen Zeit und Behandlungsdauer entstehen würde. Der Ehemann wird aufgefordert, sich bis zum 31. März 2020 bei der IV anzumelden, andernfalls wird ihm ein hypothetisches Erwerbseinkommen angerechnet. Es wird betont, dass die Unterhaltspflicht gegenüber der Tochter vorrangig ist und der Ehemann alle Möglichkeiten ausschöpfen muss, um diese zu erfüllen.
Kanton: | SG |
Fallnummer: | FS.2018.31 |
Instanz: | Kantonsgericht |
Abteilung: | Zivilkammern (inkl. Einzelrichter) |
Datum: | 12.12.2019 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Entscheid Art. 276, 285 und 285a ZGB: Besteht beim Unterhaltspflichtigen eine anhaltende Arbeitsunfähigkeit, ist auch der allfällige Anspruch auf eine IV- Rente eine Finanzierungsquelle, die es auszuschöpfen gilt. Voraussetzung für die Anrechnung einer hypothetischen IV-Rente (rückwirkend und zukünftig) (Kantonsgericht, Einzelrichter im Familienrecht, 12. Dezember 2019, FS.2018.31). |
Schlagwörter : | ähig; Ehemann; Arbeitsunfähigkeit; Anmeldung; Leistung; Tochter; Anspruch; Leistungen; Entscheid; IV-Rente; Unterhaltspflicht; Frist; IV-Leistungen; Kinderrente; Erwerbseinkommen; Ersatzeinkommen; Erwerbstätigkeit; Ehefrau; Mutter; Ersatzeinkommens |
Rechtsnorm: | Art. 125 ZGB ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | - |
Die Eheleute A. und B. leben seit dem 1. Mai 2018 getrennt. Die knapp dreijährige Tochter C. steht unter der alleinigen Obhut der Mutter. Beim Ehemann ist von einer 100%igen Arbeitsunfähigkeit seit November 2018 auszugehen. Eine Anmeldung bei der IV ist (noch) nicht erfolgt.
Aus den Erwägungen:
6. a) [ ] b) [ ]
c/aa) Zu prüfen ist die Frage eines allfälligen Ersatzeinkommens. Im Hinblick auf seine unterhaltsrechtlichen Verpflichtungen ist der Ehemann gehalten, die in Frage
kommenden sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche möglichst ohne Verzug zu verfolgen (vgl. zum Ganzen BGer 5A_399/2016 E. 5.2.2 ff.). Für den Bezug von IVLeistungen hat er sich nicht angemeldet. Es stellt sich daher die Frage, ob ihm ab November 2018 rückwirkend hypothetische Ersatzeinkünfte anzurechnen sind. In Bezug auf Erwerbseinkommen geht die Rechtsprechung davon aus, dem Unterhaltspflichtigen sei es (unter Berücksichtigung einer allfälligen Übergangsoder Anpassungsfrist) zumutbar, mittels künftig erzielter Einkünfte nachzuholen, was er in der Vergangenheit zu erwirtschaften verpasst hat (vgl. BGer 5A_59/2016 E. 3.3; 5A_184/2015 E. 3.3 und 3.4). Ob dies auch dann gelten kann, wenn der Unterhaltspflichtige künftig möglicherweise ein gesetzlich definiertes Erwerbsersatzeinkommen erzielen wird, wurde bislang durch die bundesgerichtliche Rechtsprechung nicht geklärt (vgl. BGer 5A_399/2016, E. 5.2.2, dort als fraglich beurteilt), kann indes auch vorliegend mit Blick auf das Folgende offengelassen werden:
bb) Eine Dauerleistung der Sozialversicherung kann nur als hypothetisches
Einkommen angerechnet werden, wenn sichergestellt ist, dass im Zeitraum, für welchen die strittigen Unterhaltsbeiträge allenfalls geschuldet sind, auch tatsächlich ein entsprechender Anspruch entstanden wäre (vgl. BGer 5A_399/2016 E. 5.2.3 sowie 5A_450/2007 E. 2 [betreffend Arbeitslosenentschädigung]). Die Anrechnung eines hypothetischen Ersatzeinkommens fällt nämlich ausser Betracht, wenn selbst bei einer Anmeldung binnen zumutbarer Frist noch kein entsprechendes Ersatzeinkommen geflossen wäre.
cc) Vorliegend ist von einem solchen Fall auszugehen. Der Rentenanspruch setzt unter anderem voraus, dass die versicherte Person während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens 40 Prozent arbeitsunfähig gewesen ist (Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG). Aufgrund obgenannter Würdigung der ärztlichen Berichte wurde festgestellt, dass der Ehemann seit November 2018 an massiven gesundheitlichen Beschwerden leidet und vollumfänglich arbeitsunfähig ist. Die dauerhafte Natur einer
gesundheitlichen Beeinträchtigung wird gerade bei psychischen Störungen oft erst nach einer gewissen Zeit und Behandlungsdauer erkennbar. Der Rentenanspruch entstünde ohnehin erst, nachdem sich gezeigt hätte, dass Integrationsmassnahmen und Massnahmen beruflicher Art kein rentenausschliessendes Einkommen ermöglichen würden (vgl. Art. 8, 14a ff., 28 Abs. 1 lit. a und Art. 29 Abs. 2 IVG). Gerade bei psychischen Beeinträchtigungen müssen die Eingliederungsaussichten häufig erst einmal gutachterlich geklärt werden, bevor Integrationsmassnahmen und Massnahmen beruflicher Art überhaupt geplant werden können. Daher kann sich bereits der Entscheid über solche Vorkehrungen erheblich verzögern. Nachdem die Arbeitsunfähigkeit des Ehemanns erst ab November 2018 ärztlich bestätigt ist, kann nicht davon ausgegangen werden, dass ihm mit einer frühzeitigen Anmeldung bei der IV bereits Anspruch auf ein IV-Taggeld gar eine IV-Rente entstanden wäre (vgl. zum Ganzen BGer 5A_399/2016 E. 5.2.3).
Die rückwirkende Anrechnung hypothetischer Ersatzeinkünfte der IV fällt daher ausser Betracht.
[ ]
7. a) [ ]
Aus dem aktuellen Bericht des Psychiatrischen Ambulatoriums X. geht klar hervor, dass der Ehemann nach wie vor vollständig arbeitsunfähig ist und sich dies in absehbarer Zeit auch nicht ändern wird. [ ]
Damit stellt sich die Frage einer allfälligen IV-Rente für die Zukunft. Wie bereits dargelegt, verlangt die Unterhaltspflicht gegenüber einem minderjährigen Kind, dass der Pflichtige all seine Ressourcen nutzt, um diese erfüllen zu können. In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem eine Arbeitsunfähigkeit besteht, ist auch der allfällige Anspruch auf eine IV-Rente eine Finanzierungsquelle, die es ausschöpfen gilt (BGer 5C.112/2005, E. 3.2.2; Entscheid des KGer GR vom 21. Dezember 2015, ZK114122,
E. d/aa; Sutter/Freiburghaus, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, Art. 125 ZGB, N 44). Die zeitliche Vorgabe - Arbeitsunfähigkeit von durchschnittlich mindestens 40 Prozent während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch (vgl. E. 6.c/cc hievor) - dürfte gemäss dem hievor Gesagten erfüllt sein. Dem Ehemann steht es folglich nicht frei, sich bei der Invalidenversicherung anzumelden nicht, würde doch die Gutheissung eines Antrags auf IV-Leistungen bei gegebenen weiteren Voraussetzungen zu einer IV-Kinderrente zugunsten der Tochter führen. Seinem Einwand, er wolle nicht, dass sich sein momentaner Zustand etabliere, und verfolge das Ziel, dass er wieder in der Lage sein werde, einer Arbeitstätigkeit nachzugehen, ist entgegenzuhalten, dass eine IV-Anmeldung nicht bedeutet, den Wiedereinstieg in die Erwerbstätigkeit definitiv aufzugeben. Zum einen bietet die IV gegebenenfalls mit beruflichen Eingliederungsmassnahmen Unterstützung beim Wiedereinstieg ins Erwerbsleben und zum anderen entfällt auch eine zugesprochene IV-Rente wieder, wenn die Arbeitsfähigkeit wiedererlangt wird.
Ausschlaggebend ist, dass der Ehemann momentan und auf absehbare Zeit aufgrund seiner Arbeitsunfähigkeit nicht in der Lage ist, seine grundsätzliche Unterhaltspflicht gegenüber der Tochter mittels Erwerbseinkommens zu erfüllen, und er deshalb verpflichtet ist, abklären zu lassen, ob Anspruch auf Leistungen der IV besteht. Zu diesem Zweck muss er sich bei der IV anmelden (vgl. Six, Eheschutz, N 2.152).
Dazu ist ihm eine Frist zum 31. März 2020 zu setzen. Kommt er dieser Obliegenheit nach, so ist auf seine vollumfängliche Arbeitsunfähigkeit abzustellen, womit er folglich nicht zur Leistung von Kindesunterhalt in der Lage ist. Die Pflicht zur Anmeldung bei der IV entfällt nur, wenn der Ehemann bis zum Ablauf dieser Frist wieder eine Erwerbstätigkeit in einem Umfang aufnimmt, bei dem ein Anspruch auf IV-Leistungen von vornherein ausgeschlossen wäre.
Das IV-Verfahren wird ergeben, ob bzw. auf welche IV-Leistungen er gegebenenfalls Anspruch hat. Wie lange es bis zu einem Entscheid der IV dauern wird und ob bzw. in welcher Höhe ihm IV-Leistungen zugesprochen werden, kann nicht zuverlässig vorhergesehen werden. Deshalb kann im vorliegenden Entscheid diesbezüglich keine Regelung getroffen werden. Wie sich der künftige IV-Entscheid gegebenenfalls auf die Unterhaltspflicht des Ehemanns gegenüber seiner Tochter auswirken wird, wäre somit auf dem Weg eines Abänderungsverfahrens zu prüfen. Folgendes kann aber jetzt schon festgelegt werden: Falls er eine IV-Rente für sich und dazu eine IV-Kinderrente für die Tochter zugesprochen erhält, hätte letztere vollumfänglich, das heisst einschliesslich allfälliger rückwirkend zugesprochener Kinderrenten, der Tochter zuzukommen und es könnte bei der IV beantragt werden, dass die Kinderrente direkt an die Mutter ausbezahlt wird (vgl. Art. 73ter Abs. 1 und 2 IVV).
Unterlässt es der Ehemann, sich innert der genannten Frist bis 31. März 2020 bei der IV anzumelden, so ist davon auszugehen, dass ihm eine Erwerbstätigkeit zumutbar ist, und es wird ihm ab April 2020 ein volles hypothetisches Erwerbseinkommen angerechnet (vgl. Six, a.a.O., N 2.152). Nimmt er die Anmeldung später doch noch vor, gilt ab dann das hievor in Erwägung c Gesagte, unter der Voraussetzung, dass er der Ehefrau ein Arztzeugnis einreicht, das seine anhaltende Arbeitsunfähigkeit bestätigt.
[ ]
Der Ehemann wird verpflichtet, der Ehefrau die IV-Anmeldung sowie IVVorbescheide und IV-Verfügungen umgehend zur Kenntnis zu bringen. Ebenso hat er der Ehefrau bis zum Abschluss des IV-Verfahrens einmal pro Vierteljahr eine ärztliche Bestätigung betreffend seine Arbeits(un)fähigkeit vorzulegen, erstmals im April 2020.
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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