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Urteil Kantonsgericht (SG)

Zusammenfassung des Urteils FO.2015.24: Kantonsgericht

Die Parteien heirateten im Jahr 2002 und bekamen 2003 ein Kind. Nach der Scheidung im Mai 2015 forderte der Ehemann einen Ausgleich der beruflichen Vorsorge, auf den er zuvor verzichtet hatte. Das Gericht entschied, dass jeder Ehegatte Anspruch auf die Hälfte der während der Ehe aufgebauten Vorsorgeguthaben hat, um die wirtschaftliche Selbständigkeit nach der Scheidung zu gewährleisten. Der Ehemann hatte jedoch nicht genügend Surrogate für den Verzicht auf den Vorsorgeausgleich. Die Berufungsklägerin war hauptsächlich für den Unterhalt der Familie verantwortlich, weshalb die Teilung der Vorsorgegelder nicht offensichtlich unbillig war. Der Verzicht des Berufungsklägers auf den Vorsorgeausgleich wurde daher als unzulässig erklärt.

Urteilsdetails des Kantongerichts FO.2015.24

Kanton:SG
Fallnummer:FO.2015.24
Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:Zivilkammern (inkl. Einzelrichter)
Kantonsgericht Entscheid FO.2015.24 vom 20.12.2016 (SG)
Datum:20.12.2016
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Ein Verzicht auf den Vorsorgeausgleich ist nur zulässig, wenn der Verzichtende über ein entsprechendes Surrogat verfügt (Art. 123 Abs. 1 ZGB). Das Gericht kann die Teilung verweigern, wenn diese aufgrund der güterrechtlichen Auseinandersetzung oder der wirtschaftlichen Verhältnisse nach der Scheidung offensichtlich unbillig ist (Art. 123 Abs. 2 ZGB). Überdies kann die Teilung vom Gericht verweigert werden, wenn diese im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung gegen das Rechtsmissbrauchsverbot von Art. 2 Abs. 2 ZGB verstösst (Kantonsgericht, II. Zivilkammer, 20. Dezember 2016, FO.2015.24). [Anmerkung: Der Entscheid stammt aus dem Jahr 2016 und erging damit noch unter der Geltung des damaligen Rechts zum Vorsorgeausgleich. Die genannten Grundsätze bestehen unter der Geltung des revidierten Rechts weiterhin.]
Schlagwörter : Berufung; Scheidung; Vorsorge; Berufungskläger; Teilung; Berufungsbeklagte; Verzicht; FamKomm; Surrogat; Scheidung/; Lauterburg; Verhältnis; Gericht; Baumann/Lauterburg; Berufungsklägers; Rechtsmissbrauch; Vorsorgeausgleich; Berufungsbeklagten; Verhältnisse; Parteien; Ehegatte; Schulden; Familie; Bundesgericht; Säule; Scheidungsrecht
Rechtsnorm:Art. 122 ZGB ;Art. 123 ZGB ;Art. 2 ZGB ;Art. 277 ZPO ;Art. 280 ZPO ;
Referenz BGE:127 III 136; 133 III 497; 136 III 449; 136 III 455;
Kommentar:
-

Entscheid des Kantongerichts FO.2015.24

Aus dem Sachverhalt:

Die Parteien heirateten im Jahr 2002. Der Ehe entsprang ein im Jahr 2003 geborenes Kind. Mit Scheidungsurteil des Kreisgerichtes Z vom 12. Mai 2015 wurde die Ehe der Parteien geschieden. Dabei wurde unter anderem auf einen Ausgleich der beruflichen Vorsorge verzichtet. Dagegen erhob der Ehemann Berufung und verlangte, die während der Ehe aufgebauten Vorsorgeguthaben hälftig aufzuteilen.

Aus den Erwägungen:

5. ( )

b) Gemäss Art. 122 ZGB hat jeder Ehegatte Anspruch auf die Hälfte der nach dem Freizügigkeitsgesetz für die Ehedauer zu ermittelnden Austrittsleistung des anderen Ehegatten, sofern bei keinem Ehegatten ein Vorsorgefall eingetreten ist. Der

Teilungsanspruch bezweckt einen Ausgleich für die vorsorgerechtlichen Nachteile der während der Ehe erfolgten Aufgabenteilung und dient der wirtschaftlichen Selbständigkeit jedes Ehegatten nach der Scheidung. Er ist Ausdruck der mit der Ehe verbundenen Schicksalsgemeinschaft (BGE 136 III 449, E. 4.3). Das Gericht ist verpflichtet, den Vorsorgeausgleich von Amtes wegen durchzuführen unter Einbezug sämtlicher während der Ehe in der zweiten Säule aufgebauten Vorsorgeansprüche der Ehegatten (FamKomm Scheidung/Baumann/Lauterburg, Art. 122 ZGB N 2 f.). Ausnahmsweise kann ein Ehegatte in der Vereinbarung ganz teilweise auf seinen Anspruch verzichten, wenn eine entsprechende Altersoder Invalidenvorsorge auf andere Weise gewährleistet ist (Art. 123 Abs. 1 ZGB). Das Gericht hat dies von Amtes wegen zu prüfen (Art. 280 Abs. 3 ZPO; FamKomm Scheidung/Fleischanderl, Anh. Soz, N 201). Eine Partei darf verzichten, muss aber nicht. Der Verzicht darf den Parteien nicht gegen ihren Willen aufgezwungen werden (Botschaft, Scheidungsrecht, 104). Gegen den Willen einer Partei darf das Gericht die Teilung nur ausschliessen, wenn sie offensichtlich unbillig wäre (Art. 123 Abs. 2 ZGB). Eine Partei kann auch verzichten, wenn das Gericht die Teilung wegen offensichtlicher Unbilligkeit ausschliessen könnte (Botschaft, Scheidungsrecht, S. 105). Hier müssen die Voraussetzungen von Art. 123 Abs. 1 ZGB (anderweitig gewährleistete entsprechende Altersund Invalidenvorsorge) nicht erfüllt sein. Das Gericht hat jedoch zu prüfen, ob der Ausgleich tatsächlich offensichtlich unbillig im Sinne von Art. 123 Abs. 2 ZGB ist (FamKomm Scheidung/ Baumann/Lauterburg, Art. 123 ZGB N 5). Dies ist zu bejahen, wenn die Teilung erstens offensichtlich unbillig ist und zweitens wenn die offensichtliche Unbilligkeit ihren Grund in der güterrechtlichen Auseinandersetzung den wirtschaftlichen Verhältnissen nach der Scheidung hat. Massgebend sind somit rein wirtschaftliche Aspekte (Moser, Die Scheidungsrechtsrevision aus Sicht der Vorsorgepraxis, FamPra.ch 2011, S. 53; BSK ZGB I-Walser, Art. 123 N 14; BGE 133 III 497, E. 4.2 f.;

BGE 136 III 449, E. 4.4.1; BGer 5A_178/2012, E. 6.3).

  1. Gestützt auf das Protokoll der Einigungsverhandlung ist davon auszugehen, dass der Berufungskläger im vorinstanzlichen Verfahren auf die Teilung der während der Ehe von der Berufungsbeklagten angesparten Vorsorgegelder verzichtet hat. Ob die demgegenüber in der Berufung vorgebrachte Forderung nach der hälftigen Teilung der Vorsorgegelder sinngemäss als Widerruf seines vormaligen Verzichts verstanden werden müsste und ob diese Verhaltensweise des Berufungsklägers berechtigt wäre

    gegen Treu und Glauben verstossen würde (FamKomm Scheidung/Baumann/ Lauterburg, Art. 123 ZGB N 6), braucht vorliegend aber nicht geklärt zu werden, da sich nachfolgend zeigen wird, dass der im vorinstanzlichen Verfahren geäusserte Verzicht nicht zulässig war und der Vorsorgeausgleich vom Gericht auch nicht verweigert werden kann. Offenbleiben kann aus diesem Grund auch die in der Lehre kontrovers diskutierte Meinung, ob ein Verzicht nur in der Vereinbarung erfolgen kann ob die diesbezügliche Formulierung im Gesetz zu eng ist (vgl. dazu Sutter/Freiburghaus, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, Art. 123 ZGB N 3; FamKomm Scheidung/ Baumann/Lauterburg, Art. 123 N 34; BSK ZGB I-Walser, Art. 123 N 4; Geiser, Bemerkungen zum Verzicht auf den Versorgungsausgleich im neuen Scheidungsrecht, in: ZBJV 2000, S. 89, 93).

    Vorab nicht relevant für die zu entscheidende Frage ist, wofür der Berufungskläger das ihm aus dem Vorsorgeausgleich zustehende Geld verwenden würde, dienen doch die Vorsorgegelder ganz allgemein der wirtschaftlichen Sicherung der berechtigten Person nach der Scheidung.

  2. Für die Zulässigkeit eines Verzichtes auf den Vorsorgeausgleich wird wie bereits erwähnt ein Surrogat vorausgesetzt, welches eine entsprechende Altersund Invalidenvorsorge auf andere Weise gewährleistet. Das Surrogat muss mit anderen Worten grundsätzlich bei Eintritt der Risiken Alter und Invalidität einen Beitrag leisten (FamKomm Scheidung/Baumann/Lauterburg, Art. 123 ZGB N 14). Zudem hat es in quantitativer Hinsicht dem zu entsprechen, worauf verzichtet wird. Schliesslich hat das Surrogat auch in qualitativer Hinsicht vorsorgetauglich zu sein (FamKomm Scheidung/ Baumann/Lauterburg, Art. 123 ZGB N 21 ff.). Als Beispiel kann eine güterrechtlich nicht teilungspflichtige Säule 3a im entsprechenden Umfang genannt werden (FamKomm Scheidung/Baumann/Lauterburg, Art. 123 ZGB N 25). Das Surrogat muss ausserhalb der eigenen beruflichen Vorsorge der verzichtenden Partei liegen; die eigene (tiefere) Vorsorge kann mithin kein Surrogat für den Ausgleichsanspruch sein. Art. 123 Abs. 1 ZGB bezweckt nicht, den grundsätzlichen Teilungsmechanismus von Art. 122 ZGB zu korrigieren (Sutter/Freiburghaus, a.a.O., Art. 123 N 6).

    Der Berufungskläger hat sich nur sehr spärlich am vorinstanzlichen Verfahren beteiligt. Insbesondere hat er die von ihm verlangten Unterlagen in Bezug auf seine

    wirtschaftliche Situation entgegen seiner Beteuerung zum grossen Teil nicht eingereicht, so dass die Vorinstanz die entsprechenden Abklärungen im Rahmen des im Bereich der beruflichen Vorsorge geltenden Untersuchungsgrundsatzes (Art. 277 Abs. 3 ZPO; Sutter-Somm/Gut, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger, ZPO Komm, Art. 277 N 21) selber vorzunehmen hatte. Dazu holte sie Einkünfte beim Steueramt und beim Betreibungsamt (vi act. 35 und 36), bei der Firma Y (vi act. 37) sowie der Z AG (vi act. 38) ein.

    Gestützt auf die vorliegenden Unterlagen ist davon auszugehen, dass der Berufungskläger bis kurz vor der Ehe im Jahr 2001 bei der Firma Y als stellvertretender Geschäftsführer arbeitete. Während der Dauer der Ehe erledigte er zunächst als Selbständigerwerbender ( ). Seit Januar 2013 arbeitet er bei der Z AG, wobei er ein monatliches Nettoeinkommen von rund Fr. 700.00 erzielt. Soweit ersichtlich, bildet dies die einzige Einnahmequelle. Er bezieht weder Rentennoch Sozialhilfeleistungen und verfügt über kein Vermögen. Seine Schulden belaufen sich auf über Fr. 220‘000.00. Während der Ehe hat der Berufungskläger gemäss eigenen Angaben weder in die zweite noch in die dritte Säule Geld einbezahlt. In Bezug auf seine vorehelichen Pensionskassen-Guthaben konnten keine gesicherten Auskünfte eingeholt werden. Diesbezüglich gab der Berufungskläger an der Einigungsverhandlung an, dass er nicht mehr wisse, wo sich diese befänden, sicher aber nicht bei der Auffangeinrichtung. In der Folge blieb er die von ihm in Aussicht gestellten Unterlagen schuldig.

    Die vorstehend aufgeführten Einkommensund Vermögensverhältnisse des Berufungsklägers lassen entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht den Schluss zu, dass er über das für den Verzicht notwendige Surrogat verfüge. Insbesondere bilden eigene Pensionskassen-Gelder einer vorehelichen Tätigkeit gerade kein taugliches Surrogat (Sutter/Freiburghaus, a.a.O., Art. 123 N 6). Unklar ist, ob der Berufungskläger vor der Ehe über ein Konto der dritten Säule verfügte, welches als Surrogat dienen könnte. Allerdings ist aufgrund der bescheidenen wirtschaftlichen Situation des Berufungsklägers seit der Eheschliessung, welche zu Schulden von über

    Fr. 220‘000.00 geführt hat, davon auszugehen, dass er allfällige Gelder einer dritten Säule für die Sicherung seines Lebensunterhaltes nach der Pensionierung benötigen wird. Eine solche hätte mithin falls sie denn vorhanden wäre - unter Berücksichtigung des öffentlichen Interesses an einer ausreichenden Vorsorge als Äquivalent ebenfalls

    auszuscheiden (FamKomm Scheidung/Baumann/Lauterburg, Art. 123 ZGB N 6, 41). Dies führt dazu, dass nicht von einem genügenden Surrogat des Berufungsklägers ausgegangen werden darf und die Zulässigkeit des Verzichts unter diesem Aspekt zu verneinen ist.

  3. Zu prüfen ist weiter, ob eine Teilung der während der Ehe von der Berufungsbeklagten angesparten Vorsorgegelder aufgrund der güterrechtlichen Auseinandersetzung der wirtschaftlichen Verhältnisse nach der Scheidung offensichtlich unbillig wäre (Art. 123 Abs. 2 ZGB). Diese Bestimmung soll krasse Missverhältnisse verhindern (BGE 136 III 455, E. 4.2).

    Die Vorinstanz erkannte deutliche Anhaltspunkte, welche zu einer entsprechenden Verweigerung der Teilung hätten führen können, und betrachtete den Verzicht des Berufungsklägers auch aus diesem Grund als zulässig. Insbesondere erachtete sie die ehelichen Lasten der Eheleute als ungleich verteilt, weil die Berufungsbeklagte die wirtschaftliche Basis der Familie erarbeitet habe. Der Berufungskläger hingegen habe wohl anfänglich einen Beitrag an die Haushaltführung und Kindererziehung geleistet, der im Verlauf der Zeit mit der Verschlechterung der familiären und finanziellen Situation jedoch fortlaufend abgenommen habe.

    In güterrechtlicher Hinsicht erklärten sich die Parteien im Scheidungsurteil als vollständig auseinandergesetzt. Zudem wurde entschieden, dass jede Partei die auf ihren Namen lautenden Schulden zur Rückzahlung übernehme, wobei diese beim Berufungskläger im Zeitpunkt der Trennung rund Fr. 133‘000.00 und bei der Berufungsbeklagten rund Fr. 5‘000.00 betrugen. In Bezug auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien ist angesichts der Einkommenssituation des Berufungsklägers davon auszugehen, dass dieser auf dem Existenzminimum lebt, wobei er gemäss eigenen Angaben gratis bei seinem Vater wohnen darf. Da er sich selber zudem als gesund und arbeitsfähig bezeichnete, wurde ihm im Scheidungsurteil allerdings zugemutet, entweder ein zusätzliches Einkommen zu erzielen und/oder die AHV-Rente vorzubeziehen. Er wurde daher verpflichtet, dem gemeinsamen Sohn einen Unterhaltsbeitrag von monatlich Fr. 500.00 zu bezahlen ( ). Die Berufungsbeklagte musste ihre bisherige Arbeitsstelle bei der Firma X aufgrund gesundheitlicher Probleme per 31. Oktober 2014 aufgeben. Gemäss eigenen Angaben in der Berufungsantwort

    erzielt sie zur Zeit ein monatliches Einkommen von Fr. 1‘800.00. Sie lebt mit den Kindern [Anmerkung: Die Ehefrau hat ein nicht gemeinsames Kind mit in die Ehe gebracht] im Haus ihres Lebenspartners, dem sie keine Miete bezahlen muss. Auch ihr wurde im Scheidungsurteil zugemutet, wie bis anhin einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, um ihren eigenen Bedarf decken zu können, auch wenn sie mit der überwiegenden Betreuung und Erziehung des gemeinsamen Sohnes zeitlich mehr belastet sei als der Berufungskläger. Damit stellen sich die finanziellen Verhältnisse beider Parteien nach der Scheidung als bescheiden dar, wobei seitens der Berufungsbeklagten immerhin davon ausgegangen werden darf, dass sie künftig weiterhin eine eigene Altersvorsorge wird aufbauen können. Der Berufungskläger hingegen wird bereits Mitte 2017 das Pensionsalter erreichen. Im Rahmen der Billigkeitserwägungen unberücksichtigt zu bleiben hat die umstrittene Behauptung, ob die Berufungsbeklagte während der Ehe erwerbstätig war und sich zusätzlich überwiegend um den Haushalt sowie die Kindererziehung kümmerte (Moser, a.a.O.,

    S. 53; BSK ZGB I-Walser, Art. 123 N 14; BGE 133 III 497, E. 4.3; BGer 5A_178/2012, E.

    6.3). Insgesamt rechtfertigen es mithin weder die güterrechtliche Auseinandersetzung noch die wirtschaftlichen Verhältnisse nach der Scheidung, auf eine Teilung der Austrittsleistungen der Berufungsbeklagten zu verzichten. Der Verzicht des Berufungsklägers auf den Vorsorgeausgleich ist auch unter dem Aspekt der Unbilligkeit als nicht zulässig zu bezeichnen.

  4. Schliesslich kann die Teilung verweigert werden, wenn diese gegen das Rechtsmissbrauchsverbot von Art. 2 Abs. 2 ZGB verstösst (BGE 133 III 497, E. 4.4). Jedoch ist dieser Umstand nur mit grösster Zurückhaltung zu bejahen, wobei dem Sachgericht wie bereits bei der Beurteilung der offensichtlichen Unbilligkeit ein gewisses Ermessen zukommt (weshalb denn auch das Bundesgericht seinerseits bei der Überprüfung solcher Entscheide eine gewisse Zurückhaltung übt; vgl. BGE 136 III 449, E. 4.4.1, mit Hinweis auf BGE 127 III 136).

    In BGE 133 III 497 fasste das Bundesgericht sein Auslegungsergebnis aus der Analyse von Art. 123 ZGB und dessen Entstehungsgeschichte so zusammen, dass das Gericht die Teilung der Austrittsleistung nicht nur gestützt auf die in Art. 123 Abs. 2 ZGB genannten Gründe (offensichtliche Unbilligkeit aufgrund der güterrechtlichen Auseinandersetzung der wirtschaftlichen Verhältnisse nach der Scheidung)

    verweigern könne, sondern die Verweigerung auch dort in Betracht falle, “wo die Teilung im konkreten Einzelfall und bei Vorliegen eines dem gesetzlichen vergleichbaren ähnlichen Tatbestandes gegen das Verbot des offenbaren Rechtsmissbrauchs“ verstosse (vgl. E. 4.6 f.). Eine ungleiche Verteilung der ehelichen Lasten erfülle den Tatbestand des offenbaren Rechtsmissbrauchs aber nicht und sei kein Grund, die Teilung der Freizügigkeitsguthaben auszuschliessen (E. 5.1 f.; vgl. auch FamKomm Scheidung, Baumann/Lauterburg, Art. 123 ZGB N 55a).

    Im konkreten, dem Bundesgericht vorliegenden Fall ging es um eine Familie, bei welcher der Ehemann mehrheitlich ganz und zuweilen teilweise arbeitslos gewesen und zugleich seinen Pflichten zur Haushaltführung und Kinderbetreuung fast gar nicht nachgekommen war, während die Ehefrau vollzeitlich erwerbstätig gewesen war und (mit Hilfe ihrer Eltern) gleichzeitig Kinderbetreuung und Haushaltführung übernommen hatte. Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass eine Vorsorgeteilung zwar gegen das Gerechtigkeitsgefühl verstossen möge. Nicht jede grobe Verletzung des Gerechtigkeitsgedankens bedeute aber einen offenbaren Rechtsmissbrauch. "Im Verhältnis zwischen Privaten ist für den offenbaren Rechtsmissbrauch charakteristisch, dass eine Partei die andere zu einem bestimmten Verhalten verleitet, um daraus treuwidrig Vorteile zu ziehen, sei es durch Geltendmachung von Ansprüchen, sei es durch die Erhebung von Einreden" (BGE 133 III 497, E. 5.2). Aus diesen Gründen verneinte das Bundesgericht einen Rechtsmissbrauch und bejahte den Vorsorgeausgleich.

    Im hier zu beurteilenden Fall erscheinen die Verhältnisse, selbst nach den (unbewiesenen) Behauptungen der Berufungsbeklagten, ähnlich wie im Fall, der dem Bundesgericht in BGE 133 III 497 vorlag. Die vom Berufungskläger während der Ehe ausgeübten Tätigkeiten ( ) vermochten den Lebensbedarf der Familie nicht zu decken und hohe Schulden häuften sich an. Mit dem Stellenantritt bei der Firma X im Jahr 2009 wurde die Berufungsbeklagte mit einem monatlichen Nettoeinkommen von rund Fr. 3‘000.00 zur Hauptverdienerin der Familie. Die Berufungsbeklagte behauptet nicht, ihr Exmann habe sie zu einem bestimmten Verhalten verleitet, um anschliessend daraus eigene Vorteile zu erzielen. Das von der Berufungsbeklagten behauptete ehewidrige Verhalten des Exmannes - Täuschung in Bezug auf die finanzielle Situation der Familie und mangelnder Einsatz im Haushalt und bei der Kindererziehung vermag daran

    nichts zu ändern. Überdies hat die Berufungsbeklagte an dem im Verhältnis zum Einkommen allzu grosszügigen Lebensstil der Familie ebenso teilgenommen wie der Berufungskläger und dieser hat wie bereits erwähnt im Rahmen der güterrechtlichen Auseinandersetzung alle auf seinen Namen lautenden Schulden, und damit beinahe sämtliche ehelichen Schulden, allein übernommen. Mithin kann die Teilung der Vorsorgegelder auch nicht gestützt auf das Rechtsmissbrauchsverbot verweigert werden.

  5. Im Ergebnis erweist sich der Verzicht des Berufungsklägers auf den Vorsorgeausgleich im vorinstanzlichen Verfahren als unzulässig, weil er zum einen nicht über das geforderte Surrogat verfügt und zum anderen die Teilung nicht offensichtlich unbillig im Sinne von Art. 123 Abs. 2 ZGB ist. Überdies kann die Teilung vom Gericht nicht verweigert werden, weil diese im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht gegen das Rechtsmissbrauchsverbot von Art. 2 Abs. 2 ZGB verstösst.

Quelle: https://www.findinfo-tc.vd.ch

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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