Zusammenfassung des Urteils FE.2014.4: Kantonsgericht
Nach st. gallischer Gerichtspraxis werden in Familiensachen die Verfahrenskosten nicht nach dem Prozesserfolg, sondern nach Billigkeit verteilt. Besonders bei Kinderzuteilung oder Besuchsrecht gilt eine hälftige Kostentragung unabhängig vom Prozessausgang. Es wird betont, dass es in familienrechtlichen Verfahren keine moralischen Sieger oder Verlierer geben sollte. Die Gerichte haben ein weites Ermessen bei der Kostenverlegung. Im vorliegenden Fall geht es um die Verteilung der Kosten eines erstinstanzlichen Scheidungsverfahrens, bei dem die hälftige Kostenaufteilung als angemessen betrachtet wird. Die Beschwerdeführerin versucht, dem Beschwerdegegner die Schuld am Verlauf des Verfahrens zuzuschieben, was jedoch nicht gerechtfertigt ist.
Kanton: | SG |
Fallnummer: | FE.2014.4 |
Instanz: | Kantonsgericht |
Abteilung: | Kantonsgericht |
Datum: | 11.12.2014 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Entscheid Art. 106 ZPO, Art. 107 ZPO, Art. 264 aZPO SG, Art. 265 aZPO SG, Art. 266 |
Schlagwörter : | Gericht; Scheidungsverfahren; Kommentar; Zivilprozessordnung; Verfahren; Parteien; Kanton; Leuenberger/Uffer-Tobler; Kantons; Kinder; Kostenverlegung; Ermessen; Scheidungsverfahrens; Gerichtspraxis; Gallen; Familiensachen; Prozesserfolg; Ehegatte; Aufwand; Frank/; Sträuli/Messmer; Beschwerdegegner; Geltung; Verfahrenskosten; Linie; Sinne |
Rechtsnorm: | Art. 107 ZPO ;Art. 264 ZPO ;Art. 265 ZPO ;Art. 266 ZPO ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | - |
Aus den Erwägungen:
3. Nach st. gallischer Gerichtspraxis werden und wurden auch unter Geltung der aZPO SG in Familiensachen die Verfahrenskosten nicht in erster Linie nach dem Prozesserfolg (Art. 264 aZPO SG), sondern vor allem im Sinne der Billigkeit verteilt (Art. 266 aZPO SG). Gerade bei Prozessen, in denen es um die Kinderzuteilung das Besuchsrecht geht, wird regelmässig unabhängig vom Prozessausgang eine hälftige Kostentragung angeordnet. Hier kann grundsätzlich nicht vom Obsiegen des einen Elternteils und Unterliegen des anderen gesprochen werden, solange sich die Eltern in guten Treuen für die Kinderinteressen einsetzen (Leuenberger/Uffer-Tobler, Kommentar zur Zivilprozessordnung des Kantons St. Gallen, Art. 266 aZPO SG, N 1b; Frank/ Sträuli/Messmer, Kommentar zur Zürcherischen Zivilprozessordnung, § 64 ZPO, N 30). Vor allem fällt ins Gewicht, dass es im Streit um die Kinder verfehlt wäre, von einem Sieger und einem Verlierer zu sprechen (KGer SG, Mitteilungen zum Familienrecht Nr. 7, S. 43; Vetterli, Scheidungshandbuch, S. 40). In familienrechtlichen Verfahren sind
beide Parteien an einer ausgewogenen Ordnung interessiert, weshalb sie nicht zu moralischen Siegern Verlierern erklärt werden sollen. Vorbehalten bleiben Fälle, in denen ein Ehegatte geradezu mutwillig überklagt unnötigen Aufwand verursacht (Art. 265 Abs. 1 aZPO SG; Vetterli, Scheidungshandbuch, S. 40). Als unnötig kann nur der Mehraufwand gelten, den ein Ehegatte durch vorwerfbares, unsorgfältiges gar mutwilliges Handeln im Verfahren bewirkte (KGer SG, FamPra.ch 2003, 442, 444; GVP 2004 Nr. 63 m.w.H.; Leuenberger/Uffer-Tobler, Kommentar zur Zivilprozessordnung des Kantons St. Gallen, Art. 265 ZPO, N 1b; Frank/Sträuli/Messmer, Kommentar zur Zürcherischen Zivilprozessordnung, § 66 ZPO, N 1). Ohnehin kommt den Gerichten bei der Kostenverlegung ein weites Ermessen zu (BGer 5P.139/2005, E. 5.2; Merz, § 75, N 44).
4. ( )
5. Wie bereits erläutert, werden nach st. gallischer Gerichtspraxis in Familiensachen die erstinstanzlichen Kosten nicht nach dem Prozesserfolg, sondern nach Ermessen und damit gestützt auf Art. 266 aZPO SG (Leuenberger/Uffer-Tobler, a.a.O, Art. 266 N 1b), neu Art. 107 ZPO, verteilt. Diese Praxis kommt auch im vorliegenden Fall zur Anwendung, in dem es um die Verlegung der Kosten eines erstinstanzlichen Scheidungsverfahrens geht. Jedenfalls ist kein Grund ersichtlich, weshalb im vorliegenden Fall von dieser gefestigten Praxis abgewichen werden sollte. Erfolgt eine Verteilung der Prozesskosten nach Ermessen, so darf ein Gericht sich nicht auf ein einzelnes Kriterium versteifen, sondern hat alle Kriterien zu berücksichtigen (BGer 5P. 394/2005, E.2.3; SZZP 2006, S. 175). Den Gerichten kommt bei der Kostenverlegung wie schon erwähnt ein weites Ermessen zu (BGer 5P.139/2005, E. 5.2).
( )
Der Ablauf des Scheidungsverfahrens lässt das Verhalten des Beschwerdegegners nicht als derart fehlerhaft erscheinen, wie es die Beschwerdeführerin darstellt. ( ) Ohnehin ist die vom Beschwerdegegner eingenommene Haltung während des Scheidungsverfahrens nicht objektiv zu beurteilen. Sondern ausschlaggebend ist in diesem Zusammenhang, dass es aus seiner Sicht gute Gründe für seinen Standpunkt gab (OGer ZH, ZR 1985 Nr. 41; Frank/Sträuli/Messmer, Kommentar zur zürcherischen
Zivilprozessordnung, § 64 N 30; Leuenberger/Uffer-Tobler, Kommentar zur
Zivilprozessordnung des Kantons St. Gallen, Art. 266 N 1b). ( ) 6. ( )
Zudem ergibt es bei der ermessensweisen Verteilung der Prozesskosten nach Art. 266 aZPO SG, neu Art. 107 Abs. 1 lit. c ZPO, bezogen auf den vorliegenden Fall keinen Sinn, zwischen denjenigen Scheidungsbelangen im Anwendungsbereich der Offizialmaxime und denjenigen im Anwendungsbereich der Dispositionsmaxime zu unterscheiden. Die Kinderbelange stehen hier derart im Vordergrund, dass die übrigen Punkte als "nebensächlich" zu betrachten sind. Die vorinstanzliche Kostenverlegung kann auch nicht mit der Kostenverlegung des Kantonsgerichts im Entscheid der gleichen Parteien betreffend die vorsorglichen Massnahmen ( ) verglichen werden, da nach st. gallischer Gerichtspraxis die Kosten im zweitinstanzlichen Verfahren vermehrt nach Obsiegen und Unterliegen (Art. 264 aZPO SG, neu 106 ZPO) und nicht nach Ermessen (Art. 266 aZPO SG, neu 107 ZPO) verlegt werden; das erstinstanzliche Scheidungsverfahren muss von den Parteien durchlaufen werden, während das zweitinstanzliche Verfahren die die Berufung erhebende Partei auf ihr Risiko einleitet.
Im Ergebnis laufen die Vorhalte der Beschwerdeführerin darauf hinaus, dem Beschwerdegegner die Schuld am Verlauf des Scheidungsverfahrens zuzuschieben. Eine solche Schuldzuweisung hat sich jedoch als nicht gerechtfertigt erwiesen. Beide Parteien haben den Scheidungsprozess in guten Treuen geführt und in diesem Sinn keinen unnötigen Aufwand verursacht. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist die hälftige Kostenaufteilung unter den Parteien des Scheidungsverfahrens angemessen und diese erscheint nicht als willkürlich. Das Bundesgericht hat denn eine solche Kostenverlegung auch immer wieder geschützt (BGer 5P.139/2005 [Fall aus dem Kanton St. Gallen]; 5P.313/2004; vgl. auch Art. 9 der alten Verordnung über das Scheidungsverfahren).
Weil für die Anwaltskosten der gleiche Kostenschlüssel gilt (GVP 1983 Nr. 56; Leuenberger/Uffer-Tobler, Schweizerisches Zivilprozessrecht, N 10.38), bedeutet das auch, dass die Parteien die Auslagen für ihre Vertretung selbst zu tragen haben.
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