Zusammenfassung des Urteils BZ.2010.41: Kantonsgericht
Die Parteien schlossen am 5. März 2007 eine Vereinbarung betreffend die Aufhebung eines Pachtvertrages und die Gewährung eines Nutzungsrechts an einem Grünstreifen. Der Kläger verlangte die Eintragung dieses Nutzungsrechts als Dienstbarkeit im Grundbuch, während die Beklagte es als Nutzniessung ansah. Das Gericht entschied, dass die Vereinbarung als irreguläre Dienstbarkeit zu qualifizieren sei und die Eintragung im Grundbuch nicht möglich sei. Der Kläger legte Berufung ein und argumentierte, dass das Nutzungsrecht als andere Dienstbarkeit gemäss Art. 781 ZGB anzusehen sei. Das Gericht stimmte zu und wies die Dienstbarkeit im Grundbuch zu. Der Kläger erhielt das Recht, den Grünstreifen als Wiese zu nutzen, unübertragbar und unvererblich.
Kanton: | SG |
Fallnummer: | BZ.2010.41 |
Instanz: | Kantonsgericht |
Abteilung: | Kantonsgericht |
Datum: | 16.08.2011 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Entscheid Art. 745 und Art. 781 ZGB (SR 210). Die Nutzniessung verleiht dem Berechtigten, wo es nicht anders bestimmt ist, den vollen Genuss des Gegenstandes (Art. 745 Abs. 2 ZGB). Demgegenüber umfassen die "anderen Dienstbarkeiten" immer nur beschränkte Herrschaftsrechte. Hier bestehen Ein- und Beschränkungen, Nutzung nur eines Streifens der Parzelle Nr. 1 und lediglich als Wiese sowie die Bepflanzung des Streifens mit einer Baumreihe, welche für eine Nutzung nach Art. 781 ZGB und nicht für eine Nutzniessung, die in der Regel weitergehende Rechte umfasst, sprechen. Gegenüber dem gesetzlichen Typ "Nutzniessung" wurde nicht ein Mehr, sondern ein Weniger eingeräumt. Zudem hat der Berechtigte keine Kosten zu tragen. Da das Nutzungsrecht nicht unentgeltlich eingeräumt wurde, war keine öffentliche Beurkundung erforderlich (Kantonsgericht St. Gallen, Entscheid der I. Zivilkammer, 16. August 2011, BZ.2010.41). |
Schlagwörter : | Nutzung; Nutzungsrecht; Nutzniessung; Quot; Parteien; Vertrag; Vereinbarung; Grundstück; Parzelle; Grünstreifen; Grundbuch; Recht; Ziffer; Klägers; Wiese; Dienstbarkeiten; Person; Grundstücks; Eintragung; Berufung; Sinne; Personaldienstbarkeit; Eigentümer; Nutzniesser; Quot;andere; äumt |
Rechtsnorm: | Art. 164 ZPO ;Art. 18 OR ;Art. 231 ZPO ;Art. 404 ZPO ;Art. 657 ZGB ;Art. 732 ZGB ;Art. 745 ZGB ;Art. 765 ZGB ;Art. 781 ZGB ; |
Referenz BGE: | 116 II 281; |
Kommentar: | - |
I.
1. Wegen einer geplanten Überbauung der im Eigentum der Beklagten stehenden Parzelle Nr. 1, Grundbuch X, durch die F-AG schlossen die Parteien am 5. März 2007 eine Vereinbarung ab betreffend teilweise Aufhebung eines Pachtvertrages vom 22. April 1977, Nutzungsrecht Grünstreifen Parzelle Nr. 1 und Kaufsrecht betreffend Parzelle Nr. 2. In dieser Vereinbarung wurde unter anderem in Ziffer 3 der Pachtvertrag betreffend die Parzelle Nr. 1 aufgehoben. Im Gegenzug räumte die Beklagte dem
Kläger ein Kaufsrecht an der Parzelle Nr. 2 ein, bezahlte eine Entschädigung für Ertragsausfall und gewährte dem Kläger in Ziffer 8 der Vereinbarung das unentgeltliche Nutzungsrecht am Grünstreifen auf der Parzelle Nr. 1, um welchen es im Rahmen der vorliegenden Streitigkeit geht.
Ziffer 8 der Vereinbarung lautet wie folgt:
"Die B-AG gewährt A das unentgeltliche Nutzungsrecht am Grünstreifen auf
Parzelle Nr.
1 (vgl. Anhang). Dieses unentgeltliche Nutzungsrecht gilt 20 Jahre ab Vertragsunterzeichnung. Es gilt auch gegenüber sämtlichen zukünftigen
Eigentümern
der Parzelle Nr. 1. Dieses Nutzungsrecht ist im Grundbuch einzutragen. Eine
allfällige
Umzonung des Grünstreifens berührt dieses Nutzungsrecht von A nicht."
In der Folge arbeitete das Grundbuchamt X einen Personaldienstbarkeitsvertrag über das "Nutzungsrecht an 2'390 m2 Wiese" zu Gunsten des Klägers und zu Lasten des Grundstücks Nr. 1 aus (kläg. act. 3). In einem zweiten Entwurf für einen Personaldienstbarkeitsvertrag wurde dann offenbar auf Anweisung der Beklagten (vgl. vi-act. 8 [Plädoyer des Klägers, 2]) im Vertragstext festgehalten, dass die mit dem Nutzungsrecht belastete Fläche ausschliesslich als Wiese und nicht als Acker genutzt werden dürfe. Zudem sah dieser Entwurf vor, dass auf der belasteten Fläche eine Baumreihe als Abgrenzung zur Landwirtschaftszone gepflanzt werde, so wie dies in der Baubewilligung vom 17. Oktober 2007 durch den Gemeinderat X verfügt worden war (kläg. act. 5). Schliesslich liegt ein vom Kläger ausgearbeiteter Entwurf eines Grunddienstbarkeitsvertrags vom 26. März 2008 im Recht (bekl. act. 4). Dieser Vertrag schränkt die Nutzung ebenfalls auf eine Nutzung als Wiese ein. Eine Bepflanzung mit Bäumen ist aber nicht erwähnt. Der Kläger wehrte sich gegen die von der Gemeinde verfügten Bäume. In der Zwischenzeit sind diese Bäume aber gepflanzt (vgl. vi-act. 8 [Plädoyer des Klägers, 3]).
Zur Unterzeichnung der verschiedenen im Entwurf vorliegenden Verträge und somit zur Eintragung der Dienstbarkeit im Grundbuch kam es nicht, weshalb der Kläger am
30. Mai 2008 Klage mit den eingangs gestellten Rechtsbegehren einreichte.
Mit Entscheid vom 15. Juni 2010 wies die Einzelrichterin des Kreisgerichts die Klage ab. Sie vertrat die Auffassung, dass der zwischen den Parteien strittige Dienstbarkeitsvertrag als Nutzniessungsvertrag zu qualifizieren sei. Dabei müsse der Dienstbarkeitsvertrag, bei welchem die Nutzniessung an einem Grundstück vereinbart werde, öffentlich beurkundet werden. Dies sei nicht geschehen, weshalb das Verpflichtungsgeschäft zwischen den Parteien mangels Einhaltung der Formerfordernisse ungültig sei. Entsprechend könne der Kläger die Eintragung der Nutzniessung im Grundbuch nicht verlangen.
Gegen den Entscheid der Einzelrichterin reichte der Kläger mit Eingabe vom 20. September 2010 rechtzeitig Berufung ein. Das von den Parteien mit Vertrag vom 5. März 2007 vereinbarte Nutzungsrecht am Grünstreifen auf der Parzelle Nr. 1 sei keine Nutzniessung, sondern eine irreguläre Dienstbarkeit im Sinne von Art. 781 Abs. 1 ZGB und deshalb ohne öffentliche Beurkundung rechtsgültig zustande gekommen, weshalb eine Eintragung im Grundbuch möglich sei. Das zur Diskussion stehende Nutzungsrecht schränke das Eigentum der Beklagten nicht übermässig ein. Zudem sei die für die Nutzniessung typische Kostentragungspflicht durch den Nutzungsberechtigten nicht vorgesehen. Auch die nachträgliche Bepflanzung des Grünstreifens mit einer Baumreihe spreche gegen das Vorliegen einer Nutzniessung.
Die Beklagte beantragt die Abweisung der Berufung. Sie respektiere die schuldrechtliche Verpflichtung, wonach dem Kläger das unentgeltliche Nutzungsrecht zustehe. Falls aber die zur Diskussion stehende Nutzung dinglich verstanden werde, so wie dies der Kläger verlange, so handle es sich um eine Nutzniessung gemäss Art. 745 ff. ZGB. Für die Einräumung einer dinglichen Nutzniessung wäre aber ein öffentlich beurkundeter Vertrag erforderlich gewesen, was aber nicht der Fall sei.
Auf die weiteren Ausführungen der Parteien wird, sofern für die Entscheidfindung erforderlich, nachfolgend eingegangen.
II.
Das Berufungsverfahren richtet sich nach st. gallischem Zivilprozessrecht in der bis Ende 2010 gültigen Fassung (Art. 404 Abs. 1 ZPO/CH; Art. 34 Abs. 2 GKV; Art. 44
Abs. 2 GO).
Die von Amtes wegen vorzunehmende Prüfung der Prozessvoraussetzungen ergibt, dass diese erfüllt sind (Art. 79, Art. 224 Abs. 1, Art. 225, Art. 229 und Art. 231 ZPO/SG). Auf die Berufung ist einzutreten. Zuständig ist die I. Zivilkammer (Art. 20 Abs. 1 lit. a ZPO/SG; Art. 15 lit. b GO [in der bis Ende 2010 gültigen Fassung;
nGS 44-94]).
Mit Datum vom 12. November 2010 reichte der Kläger eine nachträgliche Prozesseingabe ein. Dabei unterliess er es aber, im Einzelnen darzutun, welche neuen Vorbringen der Gegenpartei eine Stellungnahme erfordern. Falls eine Partei solches unterlässt, kann der Richter die Eingabe ohne weiteres aus dem Recht weisen, es sei denn, die Zulässigkeit erscheine geradezu evident, was insbesondere dann der Fall ist, wenn mit der nachträglichen Eingabe auf neue Urkunden geantwortet wird, die mit der Berufungsantwort eingereicht wurden (vgl. Leuenberger/Uffer-Tobler, Kommentar zur Zivilprozessordnung des Kantons St. Gallen, N 3b zu Art. 164 ZPO).
Die Beklagte hat mit ihrer Berufungsantwort ein neues Aktenstück eingereicht
(bekl. act. 5). Es handelt sich dabei um die Baubewilligung der Gemeinde X vom 17. Oktober 2007. Soweit der Kläger zu diesem neuen Dokument Stellung nimmt, ist die nachträgliche Eingabe zuzulassen. Im Übrigen kann aber auf die nachträgliche Eingabe nicht eingetreten werden.
III.
1. Der Kläger war seit 1977 Pächter von zwei der Beklagten gehörenden Parzellen. Im Jahre 2007 plante die F-AG auf einer der vom Kläger gepachteten Parzellen ein Bauprojekt, weshalb sich die Beklagte darum bemühte, die bestehenden Pachtverträge vorzeitig aufzuheben. In diesem Zusammenhang räumte die Beklagte dem Kläger ein unentgeltliches Nutzungsrecht an einem Grünstreifen auf der Parzelle Nr. 1 für 20 Jahre
ein. Eine allfällige Umzonung des Grünstreifens, der im Zeitpunkt der Einräumung des Nutzungsrechtes der Grünzone gemäss Art. 17 BauG zugeordnet war (vgl. Klageantwort, 3), sollte das Nutzungsrecht nicht berühren. Die Parteien hielten fest, dass das Nutzungsrecht im Grundbuch einzutragen sei (kläg. act. 2 Ziff. 8).
Der Kläger verlangt die Eintragung des vereinbarten Nutzungsrechts als Dienstbarkeit im Grundbuch. Er geht von einer irregulären Personaldienstbarkeit im Sinne von
Art. 781 ZGB aus, für welche die Form der einfachen Schriftlichkeit genügt. Dagegen qualifiziert die Beklagte das vereinbarte Nutzungsrecht als Nutzniessung, welche der öffentlichen Beurkundung bedarf.
2.a) Das Schweizerische Sachenrecht wird vom Grundsatz beherrscht, dass nur bestimmte Arten von dinglichen Rechten erlaubt sind. Mischformen sind nicht zulässig (BGE 116 II 281 E. 4d). Werden die gesetzlich bestimmten und allein zugelassenen Kategorien von Dienstbarkeiten als Dienstbarkeitstypen bezeichnet, so ist das Dienstbarkeitsrecht vom Typenzwang beherrscht. Innerhalb der Grenzen der einzelnen Dienstbarkeitskategorien hat das ZGB aber der Vertragsfreiheit ausgedehnten Raum gelassen (Liver, Zürcher Kommentar, Einleitung Dienstbarkeiten, N 61 und 64). Vom System des Typenzwangs her steht fest, dass der Inhalt der Dienstbarkeit nicht so ausgestaltet werden kann, dass damit der Eigentümer sein Recht in zeitlicher und sachlicher Hinsicht überhaupt aufgibt. Die Dienstbarkeit darf nicht im Ergebnis auf die Übertragung des Eigentums hinauslaufen und das Eigentum entleeren (vgl. BGE 116 II 281 ff. E. 4d).
Die Nutzniessung ist eine persönliche Dienstbarkeit, die an beweglichen Sachen, Grundstücken, Rechten und Vermögen bestellt werden kann. Ohne andere Abrede steht dem Nutzniesser der volle Genuss des Gegenstandes zu. Er hat das Recht auf den Besitz, den Gebrauch und die Nutzung der Sache. Dabei ist aber die Bestimmung, dass die Nutzniessung den vollen Genuss verleiht, dispositiv. Rechtsgeschäftlich können bestimmte Nutzungsarten ausgeschlossen werden (Art. 745 ZGB; Roland M. Müller, Basler Kommentar, N 13 ff. zu Art. 745 ZGB; Piotet, Dienstbarkeiten und Grundlasten, SPR Bd. VI, 609). Der Nutzniesser eines Grundstücks hat darauf zu achten, dass es durch die Art der Nutzniessung nicht über das gewöhnliche Mass in Anspruch genommen wird. Der Nutzniesser darf an der wirtschaftlichen Bestimmung
des Grundstückes keine Veränderungen vornehmen, die für den Eigentümer von erheblichem Nachteil sind. Er darf die Sache weder umgestalten noch wesentlich verändern (Art. 768 ff. ZGB).
Art. 781 ZGB regelt die Dienstbarkeiten "anderen Inhalts". Solche können zu Gunsten einer beliebigen Person Gemeinschaft an Grundstücken bestellt werden, so oft diese in bestimmter Hinsicht jemandem zum Gebrauch dienen können, wie für die Abhaltung von Schiessübungen für Weg und Steg (Art. 781 Abs. 1 ZGB). Sie sind, soweit es nicht anders vereinbart wird, unübertragbar, und es bestimmt sich ihr Inhalt nach den gewöhnlichen Bedürfnissen der Berechtigten (Art. 781 Abs. 2 ZGB). Das ZGB erlaubt somit neben den spezifizierten persönlichen Dienstbarkeiten Nutzniessung, Wohnrecht, Baurecht und Quellenrecht auch Personalservitute „anderen Inhalts“ (Etienne Petitpierre, Basler Kommentar, N 1 zu Art. 781 ZGB). Den verschiedenen "anderen Dienstbarkeiten" gemäss Art. 781 ZGB fehlt jede gesetzliche Umschreibung (Liver, a.a.O., N 65). Deren Inhalt wird durch die Vertragsparteien grundsätzlich frei bestimmt; sie können mit beliebigem Inhalt begründet werden, sofern sie nicht unmittelbar gegen eine vom Gesetzgeber vorgesehene Einschränkung verstossen (Petitpierre, a.a.O., N 13 zu Art. 781 ZGB).
Mit Urteil vom 20. September 1990 sprach sich das Bundesgericht zur Frage aus, ob Art. 745 Abs. 2 ZGB eine Aufteilung des Genusses an einem Grundstück zwischen dem Nutzniessungsberechtigten und dem Eigentümer zulasse ob diese Bestimmung nur Vereinbarungen vorbehalte, die eine bestimmte Nutzungsart ausschliessen würden. Es erwog, Art. 764 f. ZGB würden dafür sprechen, dass der ganze mögliche und zulässige Nutzen dem Nutzniesser zustehen solle. Dieser habe nämlich grundsätzlich alle Kosten des gewöhnlichen Unterhalts und die gesamten Zinsen für die auf der Sache haftenden Kapitalschulden sowie die Steuern und Abgaben zu tragen. Eine Aufteilung dieser Kosten erfolge zwischen dem Eigentümer und dem Nutzniesser nur im Verhältnis zur Dauer der Berechtigung des letzeren
(Art. 765 ZGB). Die Verteilung der Lasten bei der Nutzniessung zeige, dass dieses Institut nicht darauf ausgerichtet sei, den Genuss der Liegenschaft räumlich zwischen dem Eigentümer und dem beschränkt dinglich Berechtigten aufzuteilen. Eine auf einzelne Teile eines Grundstücks beschränkte Nutzungsdienstbarkeit könne nicht als
Nutzniessung, sondern nur als andere Dienstbarkeit im Sinne von Art. 781 ZGB im
Grundbuch eingetragen werden (BGE 116 II 281 E. 3c und E. 5).
Mit der landwirtschaftlichen Gesetzesnovelle 2007 (BBl 2002, 4721 ff.) wurde per
1. Januar 2004 Abs. 3 von Art. 745 ZGB in Kraft gesetzt, wonach die Begründung einer auf einen bestimmten Teil eines Gebäudes Grundstücks beschränkte Nutzniessung erlaubt ist. Auf diese Weise ist wie in BGE 116 II 281 noch vorgeschlagen - die Variante einer auf einzelne Teile eines Gebäudes beschränkten Nutzungsdienstbarkeit als Dienstbarkeit im Sinne von Art. 781 ZGB überflüssig geworden (Müller, a.a.O., N 15a zu Art. 745 ZGB). Falls eine persönliche Dienstbarkeit die typischen Elemente einer Nutzniessung aufweist, steht es den Parteien nicht frei, diese entweder als Nutzniessung gemäss Art. 745 ff. ZGB als "andere Dienstbarkeit" im Sinne von Art. 781 ZGB zu begründen. Namentlich könnte durch ein solches Wahlrecht die Vorschrift, dass für den Erwerb einer Nutzniessung bei Grundstücken der Dienstbarkeitsvertrag öffentlich beurkundet werden muss (Art. 746 Abs. 2 in Verb. mit Art. 657 Abs. 1 ZGB), umgangen werden. Eine solche Umgehung ist nicht zulässig.
3. Im Folgenden ist zu prüfen, ob es sich bei dem strittigen Nutzungsrecht um eine Nutzniessung nach Art. 745 ff. ZGB um eine "andere Dienstbarkeit" im Sinne von Art. 781 ZGB handelt.
Um zu klären, was die Parteien bei Abschluss der Vereinbarung wollten, ist primär vom Wortlaut der Vereinbarung auszugehen. Als weitere ergänzende Mittel zur Auslegung von Verträgen gelten die Entstehungsgeschichte des Vertrages, die Begleitumstände des Vertragsschlusses, das Verhalten der Parteien vor und nach Vertragsabschluss und der Zweck des Vertrages (vgl. Wiegand, Basler Kommentar, N 16 ff. zu Art. 18 OR; Daniela Byland, Die Auslegung von Dienstbarkeiten, in: Jusletter 8. September 2008, Rz 18 ff.).
Was Ziffer 8 der eingangs zitierten Vereinbarung vom 5. März 2007 betrifft (Erw. I./ 1.; kläg. act. 2), so sind sich die Parteien einig, dass der Kläger berechtigt ist, den Grünstreifen 20 Jahre lang als Wiese zu nutzen. Uneinigkeit besteht darüber, ob die Parteien lediglich eine schuldrechtliche Verpflichtung eingehen wollten eine
dingliche, die im Grundbuch einzutragen ist. Gemäss dem Wortlaut der Vereinbarung gingen die Parteien von einer dinglichen, und nicht nur von einer obligatorischen, Verpflichtung aus, ansonsten sie die Eintragung im Grundbuch nicht erwähnt hätten. Aus Ziffer 6 des Vertrages, wo die Parteien festhalten, dass für das vereinbarte Kaufsrecht eine öffentliche Beurkundung notwendig ist, kann schliesslich geschlossen werden, dass sich die Parteien bei der Vertragsausarbeitung Gedanken über die Formvorschriften machten und der Meinung waren, dass für die vereinbarte Nutzung keine öffentliche Beurkundung notwendig sei und man deshalb wohl bewusst von Nutzungsrecht und nicht von Nutzniessung schrieb. Der von den Parteien gewählte Wortlaut spricht somit gegen eine Nutzniessung.
Ein weiteres Auslegungsmittel ist das Verhalten der Parteien nach Vertragsabschluss. Nach der Unterzeichnung der Vereinbarung vom 5. März 2007 wurden verschiedene Entwürfe für einen Personaldienstbarkeitsvertrag ausgearbeitet (kläg. act. 3 und 5 sowie bekl. act. 4). In diesen Entwürfen ist immer von der Nutzung als Wiese die Rede, woraus sich ergibt, dass der Kläger den Grünstreifen nicht irgendwie, sondern nur als Wiesland nutzen sollte, was auch dessen erklärte Absicht war und ist (vgl. vi-act. 8 [Plädoyer des Klägers, 3]). Den Parteien ging es somit nicht darum, dem Kläger ein uneingeschränktes Nutzungsrecht einzuräumen, sondern nur ein eingeschränktes. Auf Grund der Nutzung in der Vergangenheit und der zur Diskussion stehenden Überbauung ging es dem Kläger darum, eine Überbauung des Grünsteifens zu verhindern und den Streifen weiterhin als Wiese zu nutzen. Nur so macht die in Ziffer 8 verwendete Formulierung, wonach eine allfällige Umzonung des Grünstreifens das Nutzungsrecht des Klägers nicht berühre, überhaupt einen Sinn.
Bei der Ermittlung des Parteiwillens spielt der Vertragszweck eine entscheidende Rolle. Dabei sind die Interessenlage der Parteien und sonst erkennbare Motive, die für den Abschluss des Vertrages massgebend waren, zu berücksichtigen (vgl. Wiegand, a.a.O., N 30 zu Art. 18 OR). Die Beklagte führt aus, sie sei damals mit der Firma F-AG in Verhandlung gestanden, um auf ihrer Parzelle Nr. 1 eine F-Filiale zu bauen. Dieser Vertrag sei für sie erkennbar von grossem wirtschaftlichem Interesse gewesen. Für die
Verwirklichung dieses Projekts habe der Pachtvertrag mit dem Kläger vorzeitig beendet werden müssen. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses mit der Firma F habe sich nicht das ganze Grundstück in der Bauzone befunden. Ein Teil des Grundstücks von
2'390 m2 entlang der Ostgrenze sei der Grünzone zugeteilt gewesen und habe somit nicht überbaut werden können. Obwohl der Pachtvertrag beendet werden sollte, habe der Kläger verlangt, dass er diesen Streifen 20 Jahre lang nutzen könne (Klageantwort, 3).
Nach Treu und Glauben musste dem Kläger bei Vertragsabschluss bewusst gewesen sein, dass das Bauprojekt "F-Filiale" für die Beklagte wirtschaftlich von grosser Bedeutung war. Es musste ihm daher klar sein, dass ihm die Beklagte nur soweit Nutzungsrechte am Grünstreifen einräumen würde, als diese nicht dazu führten, dieses Bauvorhaben scheitern zu lassen. Dazu gehört, dass die dem Kläger zugestandenen Rechte die Erteilung der Baubewilligung nicht gefährden durften. Er musste folglich damit rechnen, dass sein Nutzungsrecht durch behördliche Auflagen allenfalls weiter eingeschränkt würde. Solche Einschränkungen, soweit sie mit der Verwirklichung dieses Bauprojekts im Zusammenhang standen, war er verpflichtet hinzunehmen.
Die Baupolizei der Gemeinde X erteilte die Baubewilligung für die Parzelle Nr. 1 unter
folgender Bedingung (bekl. act. 5, 3 Ziff. 8):
"Gestaltung / Bepflanzung: Ein Gestaltungselement der Ortsplanung ist das
Pflanzen
von Baumreihen entlang von speziell dafür vorgesehenen Strassenrändern.
Entlang
auf der Parzelle Nr. 1 ist diese Massnahme Pflicht.
Die Bauherrschaft muss vor Baubeginn, in Zusammenarbeit mit der
Bauverwaltung und
deren externen Beratern, ein Gestaltungskonzept zur Genehmigung einreichen.
Das
Pflanzen der Baumreihe bildet einen integrierenden Bestandteil dieser
Baubewilligung.
Die anfallenden Kosten für die Gestaltung gehen zulasten der Bauherrschaft."
Diese Bäume wurden, trotz Widerständen des Klägers, gepflanzt und es wurde dadurch das Nutzungsrecht des Klägers erheblich eingeschränkt (vgl. vi-act. 8 [Plädoyer des Klägers], 3 und 6; Berufung, 6 Ziff. 6).
Die Nutzniessung verleiht dem Berechtigten, wo es nicht anders bestimmt ist, den vollen Genuss des Gegenstandes (Art. 745 Abs. 2 ZGB). Demgegenüber umfassen die "anderen Dienstbarkeiten" immer nur beschränkte Herrschaftsrechte (Petitpierre, a.a.O., N 2 zu Art. 781 ZGB). Die dargelegten Einund Beschränkungen, Nutzung nur eines Streifens der Parzelle Nr. 1 und lediglich als Wiese sowie die Bepflanzung des Streifens mit einer Baumreihe, sprechen für eine Nutzung nach Art. 781 ZGB und nicht für eine Nutzniessung, die in der Regel weitergehende Rechte umfasst. Gegenüber dem gesetzlichen Typ "Nutzniessung" hat die Beklagte dem Kläger nicht ein Mehr, sondern ein Weniger eingeräumt.
Schliesslich spricht auch die Tatsache, dass der Kläger unbestrittenermassen in Bezug auf den Grünstreifen überhaupt keine Kostentragungspflicht hat, gegen eine Nutzniessung. Zwar trifft es zu, dass Art. 765 Abs. 1 ZGB, wonach der Nutzniesser im Verhältnis zur Dauer seiner Berechtigung die Auslagen für den gewöhnlichen Unterhalt und die Bewirtschaftung der Sache, die Zinse für die darauf haftenden Kapitalschulden sowie die Steuern und Abgaben bezahlt, dispositiver Natur ist. Der Umstand, dass bezüglich der Steuern und Abgaben und der Kostentragungspflicht im Vertrag nichts vereinbart wurde und die Steuern und Abgaben nicht vom Kläger, sondern von der Beklagten getragen worden sind, zeigt ebenfalls, dass die Parteien anlässlich der Vereinbarung des Nutzungsrechts und auch danach bei dessen Ausübung nicht von einer Nutzniessung, sondern nur von einer Nutzung im Sinne von Art. 781 ZGB ausgingen.
Eine tatsächliche Willensübereinstimmung der Parteien bei Vertragsabschluss kann zwar nicht festgestellt werden. Die deshalb gebotene normative Auslegung von Ziffer 8 der Vereinbarung ergibt jedoch, dass es dem mutmasslichen Willen der Parteien entspricht, das Nutzungsrecht des Klägers als Personaldienstbarkeit nach Art. 781 ZGB, und nicht als Nutzniessung nach Art. 745 ff. ZGB, zu qualifizieren.
4.a) Der Vertrag über die Errichtung einer "anderen Dienstbarkeit" bedarf zu seiner Gültigkeit der schriftlichen Form (Art. 781 Abs. 3 ZGB in Verb. mit Art. 732 ZGB). Die öffentliche Beurkundung ist allerdings erforderlich, wenn die Dienstbarkeit unentgeltlich bzw. durch Schenkung eingeräumt wird (Urteil des Bundesgerichts vom 13. Mai 2008, 5A_171/2008 E. 3.2). Das ist hier jedoch nicht der Fall: Aus der Vereinbarung vom
5. März 2007, welche als Ganzes zu betrachten ist, geht hervor, dass die Beklagte dem Kläger das strittige Nutzungsrecht nicht unentgeltlich eingeräumt hat. Wegen des von der Firma F-AG geplanten Bauvorhabens auf dem Grundstück Nr. 1 vereinbarten die Parteien die (teilweise) Aufhebung des Pachtvertrages vom 22. April 1977. Als "Gegenleistung" für dieses Einverständnis des Klägers gewährte die Beklagte dem Kläger namentlich das Nutzungsrecht am Grünstreifen auf dem Grundstück Nr. 1. Dass in Ziffer 8 der Vereinbarung erwähnt wird, dieses Nutzungsrecht werde unentgeltlich eingeräumt, ist vor diesem Hintergrund ohne Belang.
Im Lichte dieser Erwägungen ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Eintragung der strittigen Dienstbarkeit im Grundbuch aus formeller Sicht erfüllt sind. Der Kläger hat das Recht, gestützt auf Ziffer 8 der Vereinbarung vom 5. März 2007 die Eintragung der Personaldienstbarkeit, wie beantragt, zu verlangen. Die Klage ist gutzuheissen, und das Grundbuchamt X ist anzuweisen, auf dem Grundstück Nr. 1 folgende Grundbucheintragung vorzunehmen:
".
"Last Nutzungsrecht an 2'390m2 Wiese bis 05.03.2027 zu Gunsten A, geboren
Der Plan des Grundstücks Nr. 1 im Massstab 1:1000, vom Nutzungsrecht betroffene Fläche schwarz markiert, ist integrierender Bestandteil der Dienstbarkeit (kläg. act. 3, Anhang [Plan des Grundstücks Nr. 1 im Massstab 1:1000]).
Zur Klarstellung sei aber angemerkt, dass dem Kläger lediglich das Recht zusteht, den Grünstreifen als Wiese zu nutzen. Dies ergibt sich zwar nicht explizit aus dem Wortlaut von Ziffer 8, aber aus dem Verhalten der Parteien nach Abschluss der Vereinbarung, den verschiedenen Vertragsentwürfen und aus den diversen Äusserungen im Rahmen des vorliegenden Prozesses. Ferner ist das Nutzungsrecht
unübertragbar und unvererblich, da die Parteien keine gegenteilige Vereinbarung trafen
(Art. 781 Abs. 2 ZGB; Petitpierre, a.a.O., N 18 zu Art. 781 ZGB).
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