Zusammenfassung des Urteils AK.2016.396: Kantonsgericht
Gemäss Art. 130 StPO muss ein Beschuldigter unter bestimmten Voraussetzungen notwendigerweise verteidigt werden. Wenn die beschuldigte Person trotz Aufforderung keine Wahlverteidigung bestimmt oder die Wahlverteidigung das Mandat abgibt und keine neue Wahlverteidigung bestimmt wird, ordnet die Verfahrensleitung die amtliche Verteidigung an. Die finanzielle Bedürftigkeit des Beschuldigten spielt dabei keine Rolle. Dies dient dem Schutz des Beschuldigten und der Verteidigung vor möglicher Geldwäsche. Wenn kein privatrechtliches Auftragsverhältnis zwischen Mandant und Rechtsanwalt besteht, wird eine amtliche Verteidigung angeordnet. Der Beschwerdeführer hat das Recht, einen bestimmten Anwalt vorzuschlagen, der dann als amtlicher Verteidiger eingesetzt wird. Am Ende des Verfahrens wird über die Entschädigung des amtlichen Verteidigers entschieden, und der Beschwerdeführer muss die Verfahrenskosten zurückzahlen, wenn er dazu verurteilt wird. Das finanzielle Risiko des Staates bleibt gering, selbst wenn der Beschwerdeführer in guten finanziellen Verhältnissen lebt.
Kanton: | SG |
Fallnummer: | AK.2016.396 |
Instanz: | Kantonsgericht |
Abteilung: | Strafkammer und Anklagekammer |
Datum: | 21.12.2016 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Entscheid Art. 132 Abs. 1 StPO (SR 312.0). Im Strafverfahren lag ein Fall notwendiger Verteidigung vor. Nachdem der ursprüngliche Wahlverteidiger sein Mandat niederlegte, forderte die Verfahrensleitung den Beschuldigten auf, einen neuen Verteidiger zu bestellen. Jener schlug in der Folge einen neuen Verteidiger vor und liess um amtliche Verteidigung ersuchen. Die Verfahrensleitung lehnte letzteres mittels Verfügung ab, da der Beschuldigte finanziell nicht bedürftig ist. Die Anklagekammer hiess eine gegen diese Verfügung gerichtete Beschwerde gut, weil die Gewährung der amtlichen Verteidigung in Fällen notwendiger Verteidigung nicht vom Nachweis der finanziellen Bedürftigkeit abhängig gemacht werden darf. Daran vermag die Ausübung des Vorschlagsrechts gemäss Art. 133 Abs. 2 StPO nichts zu ändern. Die Kosten der amtlichen Verteidigung können dem Beschuldigten – bei gegebenen Voraussetzungen – aber am Ende des Verfahrens auferlegt werden (Anklagekammer, 21. Dezember 2016, AK.2016.396). |
Schlagwörter : | Verteidigung; Wahlverteidigung; Verfahrensleitung; Person; Beschuldigten; Rechtsanwalt; Verfahren; Verteidiger; Voraussetzungen; Anordnung; Verteidigers; Verhältnisse; Verfahrens; Auftragsverhältnis; Sinne; Vorinstanz; Erwägungen:; Beschuldigter; Aufforderung; Mandat; Frist; Konstellationen; Bedürftigkeit; Einsetzung; Wünsche; Offenlegung |
Rechtsnorm: | Art. 1 OR ;Art. 130 StPO ;Art. 133 StPO ;Art. 135 StPO ;Art. 397 StPO ; |
Referenz BGE: | 139 IV 113; |
Kommentar: | - |
II. 2. Art. 130 StPO bestimmt, unter welchen Voraussetzungen ein Beschuldigter notwendig verteidigt sein muss. Gemäss Art. 132 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 StPO ordnet die Verfahrensleitung die amtliche Verteidigung an, falls die beschuldigte Person trotz Aufforderung der Verfahrensleitung nicht selber eine Wahlverteidigung bestimmt, obschon ein Fall notwendiger Verteidigung vorliegt. Gleiches gilt, wenn der Wahlverteidigung das Mandat entzogen wurde sie es niedergelegt hat und die beschuldigte Person nicht innert Frist eine neue Wahlverteidigung bestimmt (Ziff. 2). Die Anordnung der amtlichen Verteidigung darf in diesen Konstellationen nicht vom Nachweis der finanziellen Bedürftigkeit des Beschuldigten abhängig gemacht werden. Die Verfahrensleitung hat bei der Einsetzung des amtlichen Verteidigers zudem die Wünsche der beschuldigten Person zu berücksichtigen, ohne dies von weiteren
Voraussetzungen wie der Offenlegung der finanziellen Verhältnisse abhängig machen
zu dürfen (BGE 139 IV 113, E. 4 und 5; BSK StPO - Niklaus Ruckstuhl, Art. 132 N 18b).
Diese gesetzliche Konzeption ist ohne weiteres sachgerecht. Einerseits schützt sie den Beschuldigten, in dem sie sicherstellt, dass tatsächlich verteidigt wird, wer notwendig verteidigt werden muss. Andererseits schützt sie aber auch die Verteidigung, könnte sich diese doch andernfalls je nach Lage des Strafverfahrens gezwungen sehen, von einem Beschuldigten allfällig deliktisch erlangtes Geld als Honorar entgegennehmen und sich damit selber dem Vorwurf der Geldwäscherei aussetzen zu müssen.
Eine Wahlverteidigung liegt nur dann vor, wenn zwischen Mandant und Rechtsanwalt ein privatrechtliches Auftragsverhältnis im Sinne von Art. 394 ff. OR zu Stande gekommen ist. Ein solches setzt den Austausch übereinstimmender Willenserklärungen zwischen den Parteien voraus (Art. 1 Abs. 1 OR). Aus den mehrfachen und beständigen Äusserungen von Rechtsanwalt B. , wonach er im Strafverfahren nicht zum Wahlverteidiger bestellt worden sei, ist zu schliessen, dass zwischen ihm und dem Beschwerdeführer kein solches privatrechtliches Auftragsverhältnis und damit keine Wahlverteidigung besteht.
Da eine Verteidigung vorliegend unbestrittenermassen notwendig ist, der Beschwerdeführer aber keine solche bestellt hat, ist seine amtliche Verteidigung anzuordnen. Der Beschwerdeführer hat hierfür (entgegen der Ansicht der Vorinstanz einzig) von seinem Vorschlagsrecht gemäss Art. 133 Abs. 2 StPO Gebrauch gemacht und um die Ernennung von Rechtsanwalt B. ersucht. Die Anklagekammer setzt deshalb im Sinne eines reformatorischen Entscheids (Art. 397 Abs. 2 StPO) jenen antragsgemäss und rückwirkend ab 21. September 2016 als amtlichen Verteidiger ein.
Es bleibt darauf hinzuweisen, dass am Ende des Strafverfahrens über die Entschädigung des amtlichen Verteidigers zu entscheiden sein wird und der Beschwerdeführer sollte er zur Tragung der Verfahrenskosten verurteilt werden - dem Kanton jene zurückzahlen muss (Art. 135 Abs. 2 und 4 StPO, BGE 139 IV 113 E. 5.1). Lebt der Beschwerdeführer tatsächlich in guten finanziellen Verhältnissen, wie die
Vorinstanz vorbringt, bleibt das finanzielle Risiko des Staates daher selbst bei Anordnung der amtlichen Verteidigung gering.
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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