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Urteil Kantonsgericht (SG)

Zusammenfassung des Urteils AK.2015.294: Kantonsgericht

Bei einem Grenzübertritt in St. Margrethen wurde ein Fahrzeug beschlagnahmt, da eine Person nicht in die Schweiz einreisen durfte. Die Anklagekammer hob die Beschlagnahme auf, da das Fahrzeug nicht mehr als Beweismittel benötigt wurde und keine künftige Gefährdung der Sicherheit bestand. Die Beschlagnahme muss auf gesetzlicher Grundlage beruhen und verhältnismässig sein. Eine Beweismittelbeschlagnahme dient dazu, Beweise zu sichern, während eine Einziehungsbeschlagnahme auf eine mögliche spätere Einziehung abzielt. Die Sicherungsbeschlagnahme eines Fahrzeugs wurde aufgehoben, da keine konkreten Hinweise auf künftige Straftaten vorlagen.

Urteilsdetails des Kantongerichts AK.2015.294

Kanton:SG
Fallnummer:AK.2015.294
Instanz:Kantonsgericht
Abteilung:Strafkammer und Anklagekammer
Kantonsgericht Entscheid AK.2015.294 vom 22.12.2015 (SG)
Datum:22.12.2015
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 263 Abs. 1 StPO (SR 312.0). Voraussetzungen für die Beschlagnahme von Schlepperfahrzeugen. Ein in der Schweiz wohnhafter Kosovare holte im Fahrzeug seiner Ehefrau zusammen mit einem ebenfalls in der Schweiz
Schlagwörter : Fahrzeug; Beschlag; Beschlagnahme; Einziehung; Beweismittel; Beweismittelbeschlagnahme; Gefährdung; Untersuchung; Hinweis; Vorinstanz; Hinweise; Sicherheit; Sinne; Zwangsmassnahme; Person; Verfahren; Begehung; Sicherungsbeschlagnahme; Schleppertätigkeit; Einziehungsbeschlagnahme; Zwangsmassnahmen; Akten; Voraussetzungen
Rechtsnorm:Art. 192 StPO ;Art. 197 StPO ;Art. 263 StPO ;Art. 69 StGB ;
Referenz BGE:124 IV 316; 129 IV 81;
Kommentar:
-

Entscheid des Kantongerichts AK.2015.294

wohnenden Landsmann dessen Cousin (effektiv Bruder) in Bregenz ab. Beim Grenzübertritt in St. Margrethen zeigte sich, dass jener nicht in die Schweiz einreisen durfte. Die Staatsanwaltschaft beschlagnahmte daraufhin das verwendete Fahrzeug (Beweismittelund Einziehungsbeschlagnahme). Die Anklagekammer hob die Beschlagnahme im Beschwerdeverfahren auf, da das Fahrzeug (nicht mehr) als Beweismittel erforderlich war (Beweismittelbeschlagnahme) und keine Hinweise auf eine künftige Gefährdung der Sicherheit und der öffentlichen Ordnung bestanden (Einziehungsbeschlagnahme) (Anklagekammer, 22. Dezember 2015, AK.

2015.294).

Aus den Erwägungen:

II. 2. Bei Beschlagnahmen handelt es sich um Zwangsmassnahmen im Sinne von Art. 196 ff. StPO. Art. 197 Abs. 1 StPO setzt für sämtliche Zwangsmassnahmen voraus, dass sie sich auf eine gesetzliche Grundlage abstützen können (lit. a), ein hinreichender Tatverdacht vorliegt (lit. b), die mit der Massnahme angestrebten Ziele nicht durch mildere Mittel erreicht werden können (lit. c) und die Bedeutung der Straftat die Zwangsmassnahme rechtfertigt (lit. d). Die spezifische gesetzliche Grundlage für Beschlagnahmen findet sich in den Art. 263 ff. StPO. Gemäss Art. 263 Abs. 1 StPO können Gegenstände und Vermögenswerte einer beschuldigten Person u.a. dann beschlagnahmt werden, wenn sie voraussichtlich zu Beweiszwecken gebraucht werden (lit. a) einzuziehen sind (lit. d).

    1. Der Zweck einer Beweismittelbeschlagnahme (Art. 263 Abs. 1 lit. a StPO) liegt darin, Beweise zu sichern und zu erhalten, um so strafrechtlich strafprozessual bedeutsame Tatsachen nachweisen zu können. Die Strafuntersuchungsbehörden sind gemäss Art. 192 Abs. 1 StPO gehalten, Beweisgegenstände vollständig und im Original zu den Akten zu nehmen. Voraussetzungen einer Beweismittelbeschlagnahme sind ein laufendes Strafverfahren, die Beweisbedeutung des zu beschlagnahmenden Gegenstands sowie das Fehlen von Beschlagnahmeverboten. Die Anordnung der Beschlagnahme ist zudem am Verhältnismässigkeitsprinzip zu messen (BSK StPO - Felix Bommer/Peter Goldschmid, Art. 263 N 9 ff. mit weiteren Hinweisen).

    2. Bei der Einziehungsbeschlagnahme (Art. 263 Abs. 1 lit. d StPO) werden die betroffenen Gegenstände u.a. mit Blick auf eine allfällige spätere, auf Art. 69 Abs. 1 StGB gestützte Einziehung gesichert. Eine Einziehung nach Art. 69 Abs. 1 StGB setzt voraus, das die Gegenstände zur Begehung einer Straftat gedient haben, zur Begehung einer solchen bestimmt waren durch eine Straftat hervorgebracht worden sind ("Deliktsverstrickung"). Die einzuziehenden Gegenstände müssen somit einen Bezug zur Straftat aufweisen. Die bloss allgemeine Eignung zur Begehung einer Straftat genügt nicht. Zudem müssen durch die Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit die öffentliche Ordnung gefährdet sein (BSK StGB I - Florian Baumann Art. 69 N 9 ff.; BGE 129 IV 81 E. 4.2). Damit ist eine Prognose in Gestalt der ernsthaften Annahme künftiger Gefährdung gefordert. Zu Beginn und während der Dauer der Untersuchung lässt die Praxis als Zulässigkeitsvoraussetzung der Beschlagnahme die blosse "Wahrscheinlichkeit" der späteren Einziehung genügen (BSK StPO-Felix Bommer/Peter Goldschmid, Art. 263 N 36 f. mit weiteren Hinweisen). Es ist ausreichend, wenn Gründe vorliegen, wonach eine Einziehung ernsthaft in Betracht kommt. Die Beschlagnahme wird deshalb im Beschwerdeverfahren nur aufgehoben, wenn die behauptete Rechtsverletzung offensichtlich erscheint (Niklaus Oberholzer, Grundzüge des Strafprozessrechts, N 1133 ff. mit Hinweis auf BGE 124 IV 316).

  1. Die Vorinstanz begründete die verfügte Beweismittelbeschlagnahme in ihrer Stellungnahme vom 22. Oktober 2015 damit, dass sich das Aussageverhalten der Beteiligten ändern könne, namentlich betreffend den Lenker die Insassen des

    Fahrzeugs im Tatzeitpunkt, und das Fahrzeug daher unter Umständen spurentechnischer Untersuchung bedürfe (act. 4). Gemäss den im Recht liegenden Akten stellte allerdings bereits das Grenzwachtkorps fest, wer sich im Kontrollzeitpunkt wo im Fahrzeug befand. Die drei Fahrzeuginsassen haben anlässlich ihrer polizeilichen Befragungen zudem bestätigt, im Auto (mit-)gefahren zu sein. Unter diesen Voraussetzungen ist nicht zu erkennen, wie die drei Beteiligten zu einem späteren Zeitpunkt ihre Mitfahrt bzw. Sitzposition im Auto der Beschwerdeführerin noch erfolgreich bestreiten könnten. Eine kriminaltechnische Untersuchung wäre in Bezug auf C. und D. zudem kaum aussagekräftig, da sich diese seit längerem gut kennen und C. bereits wiederholt auf verschiedenen Sitzplätzen im Fahrzeug seiner Ehefrau (mit-)gefahren sein dürfte; der Spureneintrag könnte damit ohne weiteres auch zu einem früheren Zeitpunkt erfolgt sein. Im Übrigen ist unter Verhältnismässigkeitsgesichtspunkten nicht zu erkennen, wieso das Fahrzeug der Beschwerdeführerin für eine spurentechnische Untersuchung mehrere Monate mit Beschlag belegt werden muss. Die Untersuchung hätte, wenn sie denn tatsächlich erforderlich und beweisgeeignet sein sollte, rasch erfolgen können (und müssen). Insgesamt sind damit keine Gründe ersichtlich, die eine Beweismittelbeschlagnahme im Sinne von Art. 263 Abs. 1 lit. a StPO vorliegend rechtfertigen könnten.

  2. Zur Begründung der Sicherungsbeschlagnahme bringt die Vorinstanz vor, das Fahrzeug sei zur Begehung einer Straftat benutzt worden, welche ohne dieses nur sehr erschwert möglich gewesen wäre. Mit der Beschlagnahme und späteren Einziehung könnten daher weitere solche die öffentliche Ordnung gefährdenden Transporte verhindert werden. Beschlagnahme und Einziehung von Tatfahrzeugen hätten sich zudem als taugliches Instrument in der Bekämpfung der Schleppertätigkeit und der rechtswidrigen Einreise erwiesen. Diese Praxis habe sich in Schlepperkreisen auch herumgesprochen.

    1. Aufgrund der bisherigen Ermittlungsergebnisse ist (zugestandenermassen) erstellt, dass C. und D. zusammen mit E. im Fahrzeug der Beschwerdeführerin versucht haben, die Schweizer Grenze zu überqueren und sich E. anlässlich der Grenzkontrolle mit gefälschten slowenischen Reisedokumenten auswies. Damit ist beim gegenwärtigen Stand der Ermittlungen ein hinreichender

      Tatverdacht bezüglich einer möglichen Förderung der rechtswidrigen Einreise gegeben.

      Da der Grenzübertritt im nun beschlagnahmten Personenwagen der Beschwerdeführerin erfolgte, erscheint jener zudem deliktsverstrickt. Die Sicherungsbeschlagnahme setzt aber darüber hinaus voraus, dass der Gegenstand die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit die öffentliche Ordnung inskünftig gefährdet. Erforderlich ist wie dargelegt eine Gefährdungsprognose. Die Vorinstanz machte diesbezüglich allerdings bloss in nicht konkret substantiierter Weise geltend, durch die Beschlagnahme liessen sich weitere illegale Transporte verhindern. Sie vermag indessen nicht darzutun, dass konkret mit weiteren Schleppertätigkeiten zu rechnen ist, die unter Benützung des beschlagnahmten Personenwagens stattfinden könnten. Für solches finden sich denn auch in den Akten keine Hinweise. Der Ehemann der Beschwerdeführerin liess sich verdachtsweise höchstens ein erstes Mal dazu verleiten, einem engen Bekannten bei der Einschleusung eines nahen Verwandten geholfen zu haben. Einschlägig vorbestraft ist er jedenfalls nicht und die Vorinstanz legt auch nicht dar, dass er mit (anderen) Schleppertätigkeiten in Zusammenhang stehen könnte. Aufgrund der engen persönlichen Verhältnisse zwischen den Beschuldigten, insbesondere zwischen C. und D. sowie D. und E. , und der durchaus spürbaren Konsequenzen (vorläufige Festnahme, laufendes Strafverfahren) ist im Sinne der erforderlichen Prognose vorliegend nicht damit zu rechnen, dass das nun beschlagnahmte Fahrzeug neuerlich für Schleusertätigkeiten Verwendung finden könnte. Anhaltspunkte für eine solche Gefährdungsprognose sind auch im Sinne

      einer blossen Wahrscheinlichkeit schlicht nicht ersichtlich. Damit fehlt es dem

      beschlagnahmten Personenwagen an der erforderlichen künftigen Gefährlichkeit.

    2. Die Verhältnismässigkeit der Sicherungsbeschlagnahme bedarf bei diesem Ergebnis an sich keiner näheren Prüfung. Sie erscheint jedoch vor dem Hintergrund, dass das fragliche Auto der Beschwerdeführerin gehört und von dieser auch mehrheitlich benutzt wird, während der Ehemann über sein Geschäft auf andere Fahrzeuge greifen kann, zumindest fraglich.

  3. Der Vorinstanz scheint es bei ihrer Praxis (auch) darum zu gehen, in Schlepperkreisen den Ruf zu erwerben, konsequent Fahrzeuge zu beschlagnahmen. Dies erscheint durchaus richtig und gerechtfertigt, solange die diesbezüglichen strafprozessualen Voraussetzungen erfüllt sind und insbesondere bei einer Sicherungsbeschlagnahme tatsächlich Anhaltspunkte für eine künftige Gefährdung der

Sicherheit von Menschen der öffentlichen Ordnung durch weitere Schleppertätigkeiten mit dem fraglichen Fahrzeug bestehen. Solches ist vorliegend aber wie dargelegt - nicht der Fall. Die verfügte Beschlagnahme verkommt daher faktisch zu einer Art „Zusatzstrafe“ und dient entsprechend einem mit dem Zwangsmassnahmenrecht nicht zu vereinbarenden Ziel (vgl. Art. 196 Stopp)

Quelle: https://www.findinfo-tc.vd.ch

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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