Zusammenfassung des Urteils AK.2014.303: Kantonsgericht
Die Staatsanwaltschaft kann ein Strafverfahren einstellen, wenn keine Straftat nachgewiesen werden kann. Die Abgrenzung zwischen strafbarem und straflosem Verhalten bei fahrlässiger Tötung ist oft schwierig. Ein Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung setzt voraus, dass der Täter eine Sorgfaltspflicht verletzt hat. In einem konkreten Fall eines tödlichen Gleitschirmunfalls wurde ein Gutachter hinzugezogen, der dem Beschwerdegegner Unsorgfalt vorwirft. Die Vorinstanz stellte das Strafverfahren gegen den Beschwerdegegner ein, obwohl es Verdachtsmomente für fahrlässiges Verhalten gab. Der Beschwerdegegner bestreitet die Gutachterbeurteilung. Es liegt nun an einem Sachrichter, über Schuld oder Unschuld zu entscheiden.
Kanton: | SG |
Fallnummer: | AK.2014.303 |
Instanz: | Kantonsgericht |
Abteilung: | Kantonsgericht |
Datum: | 17.12.2014 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Entscheid Art. 319 Abs. 1 StPO (SR 312.0) Einstellung von Strafverfahren und Grundsatz "in dubio pro duriore" (Anklagekammer, 17. Dezember 2014, AK.2014.303). |
Schlagwörter : | Beurteilung; Verhalten; Beschwerdegegner; Quot; Fahrlässig; Grundsatz; Schuld; Einstellung; Anklage; Tatbestand; Barkeit; Fahrlässigkeit; Unfall; Vorinstanz; Entscheid; Staatsanwaltschaft; Tatbestand; Voraussetzungen; Abgrenzungsprobleme; Tötung; Quot;in; Grädel/Matthias; Heiniger; Hinsicht; Gleitschirmunfall |
Rechtsnorm: | Art. 117 StGB ;Art. 12 StGB ;Art. 182 StPO ;Art. 319 StPO ; |
Referenz BGE: | 138 IV 89; |
Kommentar: | - |
Gemäss Art. 319 Abs. 1 StPO verfügt die Staatsanwaltschaft u.a. die vollständige teilweise Einstellung des Strafverfahrens, wenn kein Straftatbestand erhärtet ist, der eine Anklage rechtfertigt (lit. a) kein Straftatbestand erfüllt ist (lit. b). Dabei ist vorausgesetzt, dass das inkriminierte Verhalten den objektiven und subjektiven Tatbestand einer Strafnorm nicht erfüllt. Vielfach sind aber die rechtlichen Voraussetzungen der Strafbarkeit weniger offensichtlich nicht gegeben, so dass dieser Einstellungsgrund besonders viele Abgrenzungsprobleme schafft, da die Grenze zwischen strafbarem und straflosem Verhalten oft durch schwer fassbare Gesetzesbegriffe wie die Fahrlässigkeit bestimmt wird. Dies gilt grundsätzlich auch für den Tatbestand der fahrlässigen Tötung gemäss Art. 117 StGB. Die Beurteilung einer allfällig strafrechtlich relevanten Fahrlässigkeit durch den Beschwerdegegner enthält einen relativ grossen Ermessensspielraum. Dies beinhaltet im Speziellen wiederum zahlreiche, teilweise heikle Abgrenzungsprobleme zwischen strafbarem und straflosem Verhalten. In solchen Fällen ist bei der Annahme der fehlenden Tatbestandsmässigkeit besondere Zurückhaltung zu üben und in Befolgung des Grundsatzes "in dubio pro duriore" grundsätzlich zur gerichtlichen Beurteilung zu überweisen (vgl. BSK StPO-Rolf Grädel/Matthias Heiniger, Art. 319 N 8 ff.). Führt bereits eine vorläufige Beurteilung zum Ergebnis, dass sowohl Freispruch wie auch Verurteilung als mögliche Varianten eines sachrichterlichen Entscheids in Betracht kommen, ist Anklage zu erheben (GVP 2002 Nr. 97). Das Gleiche gilt, wenn heikle Abgrenzungsfragen Rechtfertigungsgründe
zur Diskussion stehen (BGE 138 IV 89; zitiert bei Niklaus Oberholzer, Grundzüge des
Strafprozessrechts, 3. Auflage, Bern 2012, N 1397).
Fahrlässig handelt, wer die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedenkt darauf nicht Rücksicht nimmt (Art. 12 Abs. 3 StGB). Ein Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung gemäss Art. 117 StGB setzt voraus, dass der Täter den Erfolg durch Verletzung einer Sorgfaltspflicht verursacht hat.
Der tödliche Unfall ereignete sich im Rahmen einer Flugschulung mit Gleitschirmen. Die Vorinstanz hat im Hinblick auf die durch die Strafbehörden vorzunehmende Beurteilung der Umstände des Unfalles und hinsichtlich der sich stellenden und zu beantwortenden Rechtsfragen über die Fahrlässigkeit (insbesondere Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit) richtigerweise eine sachverständige Person beigezogen (vgl. Art. 182 StPO). Der Gutachter (G. ) führt nun in seinem Gutachten vom 27. Oktober 2013 und dem Nachtrag hierzu vom 26. Februar 2014 in mehrfacher Hinsicht und zumindest teilweise dem Beschwerdegegner zuzurechnende Unsorgfalt sowie fehlerhafte und fehlende Anweisungen, welche (Mit-)Ursache für den tödlichen Gleitschirmunfall gebildet haben sollen, an (vgl. act. 7: G/4 S. 13 f. Ziff. 4+5; G/6
S. 12-15).
Die Staatsanwaltschaft legt der angefochtenen Einstellungsverfügung im Grundsatz die gutachterliche Beurteilung von G. zwar zugrunde. Obwohl darin (vgl. vorstehend Ziff. 3.1.) hinsichtlich des Unfalls konkrete Verdachtsmomente für ein mutmasslich strafrechtlich relevantes fahrlässiges Verhalten des Beschwerdegegners als damaliger verantwortlicher Fluglehrer dargelegt werden, stellte die Vorinstanz das Strafverfahren gegen ihn mangels eines strafrechtlich relevanten Fehlverhaltens hinsichtlich des Todes der Flugschülerin jedoch ein. Indem die Vorinstanz dies zudem mit eingehender und akribischer Beurteilung tat (die angefochtene Verfügung umfasst 30 Seiten), überschritt sie das ihr zustehende Entscheidungsermessen. Unter solchen Voraussetzungen ist von einem Zweifelsfall auszugehen und in Anwendung des Grundsatz "in dubio pro duriore" obliegt es dem Sachrichter (und nicht der Anklagekammer als Beschwerdeinstanz) unter eingehender Würdigung in tatsächlicher
und rechtlicher Hinsicht abschliessend den angezeigten Sachverhalt hinsichtlich Schuld bzw. Nichtschuld des Beschwerdegegners zu beurteilen.
Hinzu kommt, dass der Beschwerdegegner in seiner Vernehmlassung die gutachterliche Beurteilung des Gleitschirmunfalls durch G. in Einzelpunkten aber auch grundsätzlich in Frage stellt (vgl. insbesondere act. 11 S. 8 f.), womit sich auch diesbezüglich Beweiswürdigungsfragen, einschliesslich der allfälligen Einholung einer zusätzlichen (Teil-)Begutachtung, stellen. In einem solchen Zweifelsfall ist die Beweiswürdigung und der Entscheid über Schuld bzw. Nichtschuld (abschliessend) durch den Sachrichter vorzunehmen (vgl. BSK StPO - Rolf Grädel/Matthias Heiniger, a.a.O., Art. 319 N 8).
Am Dargestellten vermag im Übrigen ein allfälliges Mitverschulden der Verstorbenen am tragisch verlaufenen Gleitschirmflugunfall grundsätzlich nichts zu ändern. Im Strafrecht gibt es im Grundsatz keine Schuldkompensation (Trechsel/ Fingerhuth, in Trechsel/Pieth [Hrsg.], 2. Aufl., Zürich/St. Gallen 2013, Art. 117 N 4).
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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