Zusammenfassung des Urteils AB.2004.29: Kantonsgericht
Der Beschwerdeführer beantragt Ausbildungskosten für seine Stieftochter und Stiefsohn im Rahmen des betreibungsrechtlichen Existenzminimums zu berücksichtigen. Das Gericht entscheidet, dass nur notwendige und tatsächlich bezahlte Beträge berücksichtigt werden können. Die Kosten für Ballettunterricht und das Skilager der Kantonsschule werden nicht als Ausbildungskosten anerkannt. Für die Stieftochter kann daher keine Ausbildungszulage gewährt werden. Für den Stiefsohn, der an der Universität studiert, wird ebenfalls keine Ausbildungszulage gewährt, da die Eltern zivilrechtlich zur finanziellen Unterstützung verpflichtet sind. Der Beschwerdeführer muss alle Möglichkeiten für private und öffentliche Stipendien und Darlehen ausschöpfen, bevor ein Anspruch auf Mündigenunterhalt besteht. Das Bundesgericht wies die Beschwerde gegen das Urteil ab.
Kanton: | SG |
Fallnummer: | AB.2004.29 |
Instanz: | Kantonsgericht |
Abteilung: | - |
Datum: | 03.12.2004 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Entscheid Art. 93 Abs. 1 SchKG (SR 281.1). Der Grundsatz, dass bei der Berechnung des Existenzminimums nur notwendige und tatsächlich bezahlte Beträge berücksichtigt werden können, gilt auch für Ausbildungskosten von unmündigen und mündigen Kindern (Kantonsgericht, obere kantonale Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung, 3. Dezember 2004, AB.2004.29). |
Schlagwörter : | Ausbildung; Eltern; Ausbildungskosten; Kantons; Stiefsohn; Mündigenunterhalt; SchKG; Schuldner; Zahlungspflicht; Notbedarf; Kinder; Kindes; Rechtsprechung; Berechnung; Beträge; Stieftochter; Beschwerdeführers; Notbedarfs; Kantonsschule; Kreisschreiben; Lehrmittel; Schulmaterial |
Rechtsnorm: | Art. 14 ZGB ;Art. 277 ZGB ;Art. 93 KG ; |
Referenz BGE: | 112 III 23; 121 III 22; 129 III 377; 130 V 237; 98 III 36; |
Kommentar: | Breitschmid, Basler Kommentar Basel, Art. 277 ZGB, 2002 Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Aus den Erwägungen:
II. 1 c aa) Die Stieftochter des Beschwerdeführers ist 17 Jahre alt und besucht die Kantons-schule. Gemäss Ziff. 4.7 des Kreisschreibens über die Berechnung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums nach Art. 93 SchKG der kantonalen Aufsichtsbehörde des Kantons St. Gallen können be-sondere Auslagen für die Schulung der Kinder bei der Berechnung des Notbedarfs be-rücksichtigt werden. Nach dem Effektivitätsgrundsatz ist für Zuschläge zum Grundbedarf speziell zu beachten, dass sie nur berücksichtigt werden können, wenn für den Schuldner eine Zahlungspflicht besteht und er diese bisher tatsächlich erfüllte (vgl. BGE 121 III 22 Erw. 3a; BGE 112 III 23 Erw. 4). Begründet wird dies damit, dass es stossend wäre, wenn dem Schuldner Beträge zugestanden würden, die er nicht zum vorgesehenen Zweck
verwendet, sondern anderweitig ausgibt. Aus den Akten ist ersichtlich, dass der Beschwerdeführer Ballettunterrichtskosten und Kosten für ein Skilager der Kantonsschule als Ausbildungskosten geltend macht. Dem Sinn des Ausbildungszuschlags entsprechend sollen aber nur diejenigen ausgewiesenen Kosten berücksichtigt werden, welche für die eigentliche Schulung, dem Lernplan entsprechend, benötigt werden. Im Kreisschreiben werden Kosten wie Schulgeld, Schulmaterialien, Lehrmittel, Verpflegungsund Fahrauslagen als Beispiele genannt. Nicht dazu gehören Auslagen für Sport und Ferien, da diesen Aktivitäten der schulische Zweck fehlt. Somit sind vorliegend die Kosten für den Ballett-unterricht sowie für das Skilager der Kantonsschule nicht als Ausbildungskosten zu berücksichtigen.
Die laufenden Ausgaben für Schulmaterialien und Lehrmittel der Kantonsschule betragen gemäss der Aufstellung der Klassenkasse Fr. 925.45 pro Jahr. Betrachtet man die Aufstellung dieser Kosten, ist offensichtlich, dass es sich dabei um die notwendigen Kosten für eine Mittelschule handelt. Die Bezahlung dieser Kosten durch den Beschwerdeführer ist grösstenteils ausgewiesen. Vor dem Hintergrund seiner behaupteten schlechten finanziellen Verhältnisse könnte der Beschwerdeführer jedoch für seine Stieftochter ein Stipendium beantragen. Möchte der Beschwerdeführer die Ausgaben für Schulmaterial und Lehrmittel im Notbedarf berücksichtigt haben, muss er diese somit nicht nur bezahlt, sondern sich auch ernsthaft um ein Stipendium bemüht haben. Denn nur unbedingt notwendige Verpflichtungen des Schuldners sind zu berücksichtigen (A. Bühler, Aktuelle Probleme bei der Existenzminimumberechnung, in: SJZ 2004, S. 28). Somit kann für die Stieftochter -zumindest derzeit -keine Ausbildungszulage gewährt werden.
bb) Der Stiefsohn des Beschwerdeführers ist knapp 20 Jahre alt und studiert an einer Universität. Nach Art. 14 ZGB ist er mündig. Deshalb fragt sich, ob er noch Anspruch auf eine Ausbildungszulage hat. Gemäss Ziff. 4.7 des Kreisschreibens können Ausbildungskosten bis zum Abschluss der Erstausbildung, längstens aber bis zur Vollendung des 20. Lebensjahres, berücksichtigt werden. In der Lehre wird ein Ausbildungszuschlag für das Studium eines volljährigen Kindes abgelehnt, dies mit der Begründung, dass der Anspruch aus Art. 277 Abs. 2 ZGB materiellrechtlich von der finanziellen Leistungsfähigkeit der Eltern abhange (Vonder Mühll, N 30 i.V.m. N 24 zu Art. 93 SchKG). Das Bundesgericht hat einen Ausbildungszuschlag für das Studium
eines volljährigen Kindes ebenfalls abgelehnt, da nicht das volljährige Kind des Schuldners zu lasten dessen Gläubigers studieren soll (vgl. BGE 98 III 36 Erw. 2). Weiter führte es in diesem aus dem Jahre 1972 stammenden Entscheid aus, dass das öffentliche Interesse an der Ausschöpfung der Begabtenreserven nicht über Art. 93 SchKG gewahrt werden dürfe, sondern über öffentliche und private Stipendienund Darlehensunterstützungen. Im Zivilrecht hingegen können Eltern zur finanziellen Unterstützung der Studien ihrer volljährigen Kinder verpflichtet werden, falls diese noch über keine angemessene Ausbildung verfügen und den Eltern die Unterstützung zumutbar ist (Art. 277 Abs. 2 ZGB). Dadurch kann es vorkommen, dass Eltern zivilrechtlich zur Unterstützung ihrer studierenden volljährigen Kinder verpflichtet werden, diese Beträge jedoch bei der Notbedarfsrechnung nach SchKG nicht berücksichtigt werden.
Der Effektivitätsgrundsatz hat nicht bloss einschränkende, sondern auch ergänzende Wirkung auf die Notbedarfsberechnung. So ist ein Zuschlag zum Grundbetrag vorzunehmen, wenn für den Schuldner eine Zahlungspflicht besteht und die entsprechenden Zahlungen bisher tatsächlich geleistet worden sind (vgl. BGE 121 III 22 Erw. 3a; BGE 112 III 23 Erw. 4). Dass der Beschwerdeführer die Ausbildungskosten seines Stiefsohnes tatsächlich bezahlt hat, ist unbestritten. Fraglich ist, ob er hinsichtlich der Ausbildungskos-ten eine Zahlungspflicht trägt. Die Unterhaltspflicht der Eltern endet grundsätzlich mit der Mündigkeit des Kindes. Verfügt das Kind zu diesem Zeitpunkt noch über keine angemessene Ausbildung, so haben die Eltern, soweit nach den gesamten Umständen zumutbar, bis zum Abschluss dieser Ausbildung für den Unterhalt aufzukommen (Art. 277 ZGB). Dabei wird die Angemessenheit einer Ausbildung nicht an einem absoluten Ausbildungsniveau gemessen. Angemessen ist eine Ausbildung, wenn das Kind sein geplantes Ausbildungsziel erreicht hat (P. Breitschmid, Basler Kommentar, Basel 2002, N 12 zu Art. 277 ZGB). Der Ausbildungsplan ist dabei vom Kind und den Eltern gemeinsam, entsprechend den Fähigkeiten des Kindes sowie den tatsächlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, zu entwickeln (Breitschmid, a.a.O., N 9 zu Art. 277 ZGB). Vorliegend ist unbestritten, dass sich die (Stief-)Eltern mit dem Kind auf ein Studium an einer Universität geeinigt haben. Damit steht fest, dass der Stiefsohn noch über keine angemessene Ausbildung im Sinne von Art. 277 Abs. 2 ZGB verfügt. Zu prüfen bleibt, ob für den Beschwerdeführer eine Zahlungspflicht besteht und nach den gesamten
Umständen ein Mündigenunterhalt zumutbar ist. Dabei sind wirtschaftliche wie auch persönliche Gegebenheiten zu berücksichtigen (Breitschmid, a.a.O., N 15 und 18 zu Art. 277 ZGB). In der früheren Rechtsprechung wurde die Schwelle der Unzumutbarkeit stets tief gehalten und damit der Ausnahmecharakter des Mündigenunterhalts betont (Verweis auf die Rechtsprechung in BGE 129 III 377 Erw. 2.1). Die Realität hat sich jedoch durch die Herabsetzung des Mündigkeitsalters, das ansteigende Bildungsniveau und die zunehmende Studiendauer von dieser Rechtsprechung entfernt. Der Ausnahmecharakter des Mündigenunterhalts wurde sodann vom Bundesgericht und der Lehre mit der Herabsetzung des Mündigkeitsalters relativiert (vgl. BGE 130 V 237 Erw. 3.2; BGE 129 III 377 Erw. 3.3 mit Verweis auf die Lehre). Auch wenn sich in der Rechtsprechung zum Mündigenunterhalt ein Wandel abzuzeichnen scheint, so kann daraus noch keine Zahlungspflicht des Beschwerdeführers für die vollen Ausbildungskosten seines Stiefsohnes abgeleitet werden. Denn das Schuldbetreibungsund Konkursrecht dient primär der Befriedigung der Gläubiger. Deshalb hat der Beschwerdeführer, respektive sein Stiefsohn, vorgängig alle Möglichkeiten für private und öffentliche Stipendienund Darlehensunterstützungen zu prüfen und auszuschöpfen. Erst für die danach noch ungedeckten Ausbildungskosten besteht grundsätzlich ein Anspruch auf Mündigenunterhalt. Dieser tatsächlich geleistete Ausbildungsbeitrag ist bis zum Abschluss der Ausbildung als Zuschlag zum Notbedarf zu berücksichtigen (A. Bühler, a.a.O., S. 30). Somit kann für den Stiefsohn zu diesem Zeitpunkt keine Ausbildungszulage gewährt werden. Die Prüfung der wirtschaftlichen Zumutbarkeit des Mündigenunterhalts für den finanziell angeschlagenen Beschwerdeführer kann deshalb offengelassen werden.
(Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesgericht mit Entscheid vom 23. Dezember 2004 ab.)
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