Art. 137 ZGB. Vorsorgliche Massnahmen während des Scheidungsverfahrens. Bei der Bemessung der Unterhaltsleistungen für die Dauer des Scheidungsverfahrens sind neben den Bestimmungen über den Schutz der ehelichen Gemeinschaft die für den nachehelichen Unterhalt geltenden Kriterien (Art. 125 ZGB) miteinzubeziehen. Dies kann zur Folge haben, dass bei Ehen von sehr kurzer Dauer auf die vorehelichen Verhältnisse abzustützen ist.
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Die Parteien heirateten am 12. November 2001 im Kosovo. Der Gesuchsgegner lebte damals in der Schweiz, die Gesuchsgegnerin im Kosovo. Sie konnte erst im September 2002 in die Schweiz immigrieren. Im März 2003, also nach rund einem halbjährigen Zusammenleben, trennten sich die Parteien wieder. Die Gesuchstellerin verlangt nun einen monatlichen Unterhaltsbeitrag gemäss Art. 137 ZGB für die Dauer des Ehescheidungsprozesses. Der Gesuchsgegner beantragt die Abweisung dieses Begehrens.
Aus den Erwägungen:
3.3. Ist die Scheidungsklage eingereicht, kann das Gericht nach Art. 137 ZGB für die Dauer des Prozesses die nötigen Massnahmen treffen. In Art. 137 Abs. 2 ZGB werden ausdrücklich die Bestimmungen über die Massnahmen zum Schutz der ehelichen Gemeinschaft als sinngemäss anwendbar erklärt. Im Scheidungsverfahren ist indes zusätzlich zu beachten, dass die vorsorglichen Massnahmen einen anderen Zweck verfolgen als die Eheschutzmassnahmen. Ist eine Wiederaufnahme des ehelichen Zusammenlebens nicht mehr zu erwarten, darf dem Ziel der wirtschaftlichen Selbstständigkeit eines bisher nicht erwerbstätigen Ehegatten bereits eine gewisse Bedeutung zugemessen werden (BGE 130 III 537 E. 3.2). Dies muss umso mehr gelten, wenn die Ehe und insbesondere das tatsächliche Zusammenleben nur von sehr kurzer Dauer waren und in keiner Weise als lebensprägend bezeichnet werden können. Gerade bei Kurzehen erscheint es gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung sachgerecht, bei der Beurteilung des Unterhalts die für den nachehelichen Unterhalt geltenden Kriterien (Art. 125 ZGB) mit einzubeziehen (BGE 128 III 65 E. 4a). Folglich spielt die Prognose hinsichtlich der im Scheidungsurteil zu sprechenden nachehelichen Unterhaltsbeiträge auch für die Festsetzung des vorsorglichen Unterhalts eine Rolle. Sind die Ehegatten im Sinne der zitierten Rechtsprechung bereits wirtschaftlich selbstständig, stellt sich die Frage, ob der ansprechende Teil auf vorsorglichen Unterhalt angewiesen ist (Sutter/Freiburghaus, Komm. zum neuen Scheidungsrecht, Zürich 1999, N 45 f. zu Art. 137 ZGB). Denn nach klarem Gesetzeswortlaut sind bloss die "nötigen" vorsorglichen Massnahmen anzuordnen.
3.4. Die Anwendung der in Art. 125 Abs. 2 ZGB aufgeführten Kriterien führt dazu, dass ein nachehelicher Unterhaltsanspruch der Gesuchstellerin angesichts der konkreten Sachlage nicht besteht. So war die Ehe sehr kurz, insbesondere die tatsächlich gelebte. Beide kinderlosen Ehegatten sind sehr jung und gesund, und sie vermögen ihren Unterhalt selber zu bestreiten. Wohl stellt sich die Gesuchstellerin auf den Standpunkt, dass sie mit ihrem derzeit erzielten Einkommen ihren gebührenden Unterhalt nicht bestreiten könne. Damit macht sie sinngemäss geltend, ihr gebührender Unterhalt sei erst erreicht, wenn sie in Nachachtung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 119 II 314) über den gleichen Überschuss wie der Gesuchsgegner über dem gemeinsamen Notbedarf verfüge. Dazu ist Folgendes zu erwägen:
Nach der neusten bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 128 III 65 und 130 III 537) sind im Verfahren nach Art. 137 ZGB die Kriterien des Scheidungsunterhalts nach Art. 125 ZGB mit einzubeziehen. Nach diesen Kriterien ist insbesondere auch auf die Dauer der Ehe abzustellen. Ist diese nur kurz, hat sich die Ehe nicht lebensprägend ausgewirkt und es sind keine ehebedingten Nachteile entstanden. Aus diesem Grunde kann an die vorehelichen Lebensverhältnisse angeknüpft werden. Das Bundesgericht führt denn auch in BGE 130 III 543 E. 3.4 die kurze Ehedauer für die Zumutbarkeit der Erwerbsaufnahme an. Es geht zwar bei der Gesuchstellerin nicht darum, die Aufnahme Ausdehnung einer Erwerbstätigkeit zu prüfen. Der Grundsatz, wonach auf die vorehelichen Verhältnisse abzustellen sei, ist aber auch bei der Festsetzung des gebührenden Unterhaltes im Rahmen des Massnahmeverfahrens anwendbar. Der gebührende Unterhalt bemisst sich deshalb nicht nach dem in ungetrennter Ehe geführten Lebensstandard, sondern nach den finanziellen Verhältnissen vor der Ehe. Der Hinweis der Gesuchstellerin auf BGE 119 II 314 geht fehl, bzw. er ist durch die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichts in BGE 128 III 65 und 130 III 537 überholt. Nur beiläufig sei erwähnt, dass BGE 119 II 314 bloss von einer "grundsätzlich" gleichen Teilhabe an der vereinbarten Lebenshaltung spricht, was Ermessensspielraum für die konkrete Ehesituation offen lässt.
3.5. Dem Umstand, dass die Parteien bis zur Trennung 16 Monate verheiratet waren, kommt hier keine grosse Bedeutung zu, befand sich doch die Gesuchstellerin in den ersten neun Ehemonaten im Kosovo, während der Gesuchsgegner in der Schweiz lebte. Massgebend aber ist, dass die Gesuchstellerin ihre finanziellen Verhältnisse vor der Ehe nicht darlegt und auch nicht geltend macht, sie habe einen höheren Lebensstandard geführt als während der ungetrennten Ehe. Nachdem sie mit ihrem Erwerbseinkommen ihren Lebensbedarf vollständig zu decken vermag, besteht keine Veranlassung, ihr aufgrund ehelicher Solidarität einen Unterhaltsbeitrag zuzusprechen. Die Ehe der Parteien war denn auch keineswegs lebensprägend für sie. Es kommt hinzu, dass angesichts der sehr kurz tatsächlich gelebten Ehegemeinschaft nicht von einer "vereinbarten Lebenshaltung" (BGE 119 II 314) gesprochen werden kann. Im Gegenteil ist davon auszugehen, dass die Parteien schon seit längerem je ihren eigenen Lebensunterhalt verdienen. Es kann nicht Sinn der Rechtsordnung sein, einem voll verdienenden, kinderlosen und gesunden Ehegatten nach knapp einem halben Jahr ehelichen Zusammenlebens einen Unterhaltsbeitrag zuzugestehen.
An diesen Überlegungen ändert nichts, dass die Gesuchstellerin im Hinblick auf das Zusammenleben mit dem Gesuchsgegner ihre Ausbildung im Kosovo abgebrochen haben will (OG rek.Bel. 3 und 4) und in die Schweiz immigriert ist. Hierbei ist zu beachten, dass es der Gesuchsgegnerin frei gestanden wäre, nach der Trennung wieder in den Kosovo zurückzukehren. Zwar erscheint glaubwürdig, dass sie bereits nach der Heirat im Kosovo im Hinblick auf die Immigration in die Schweiz auf eine weitere Ausbildung verzichtete (OG amtl.Bel. 1 S. 7 Ziff. 10). Die Ehegemeinschaft durfte aber angesichts der tatsächlichen Umstände nicht als derart gesichert erscheinen, dass ihr Vertrauen auf weiteren Unterhalt sonstigen Beistand auch nur mittelfristig gerechtfertigt war (vgl. Urteil des Bundesgerichts 5C.138/2006 E. 4 vom 18.7.2006). Beiden Parteien ist eine Rückkehr zur vorehelichen Lebenshaltung somit ohne weiteres möglich. Von einer Entwurzelung durch die (nicht lebensprägende) Ehe mit dem Gesuchsgegner kann nicht die Rede sein. Ob sie bei einer allfälligen Rückkehr in den Kosovo ihre Krankenschwesterausbildung nicht weiterführen und/oder keine Arbeit finden könne, kann heute nicht mit einer genügend hohen Wahrscheinlichkeit gesagt werden. Entsprechendes ist nicht glaubhaft gemacht. Es würde denn auch die eheliche Beistandspflicht des Gesuchsgegners überstrapazieren, ihm das entsprechende Risiko aufzuerlegen.
Der Gesuchstellerin, die ihren Unterhalt selber zu decken vermag, ist nach dem Gesagten somit kein Unterhaltsbeitrag zuzusprechen, zumal sie sich nicht in einer effektiven Notlage befindet (Schwenzer Praxiskomm., Basel 2005, N 24 zu Art. 176 ZGB).
II. Kammer, 23. Oktober 2006 (22 06 99)