Art. 310 Abs. 3 ZGB. Verweigerung der Rückübertragung der Obhut auf die Eltern. (siehe auch LGVE 2004 I Nr. 12).
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Mit Entscheid vom 27. April 2001 hatte die Einzelrichterin des zürcherischen Bezirksgerichts im Eheschutzverfahren der Parteien deren Tochter T. in die Obhut der Mutter (Gesuchsgegnerin) gegeben, welche kurze Zeit später notfallmässig in einer psychiatrischen Klinik hospitalisiert werden musste. Die Vormundschaftsbehörde entzog hierauf am 14. August 2001 der Gesuchsgegnerin provisorisch im Sinne von Art. 310 Abs.1 ZGB die Obhut über das Kind und gab es am 3. Oktober 2001 vorläufig, d.h.bis zum Vorliegen des in Auftrag gegebenen Gutachtens, in die Obhut der Grossmutter (Mutter der Gesuchsgegnerin). Im Rahmen eines vom Vater (Gesuchsteller) am 23. August 2001 eingeleiteten und bis zum Entscheid der Vormundschaftsbehörde (am 22.6.2002) sistierten Abänderungsverfahrens nach Art. 179 ZGB entzog der Amtsgerichtspräsident mit Entscheid vom 26. September 2003 der Gesuchsgegnerin ebenfalls die Obhut über das Kind T. und beliess es in der Obhut der Grossmutter. Gleichzeitig regelte er das Besuchsrecht der Parteien und verfügte die Weiterführung der von der Vormundschaftsbehörde errichteten Beistandschaft nach Art. 308 ZGB. Der Gesuchsteller erhob gegen diesen Entscheid Rekurs. Das Obergericht führte zur Frage, ob die Obhut der Grossmutter zu belassen dem Gesuchsteller zu übertragen sei, Folgendes aus:
4.3. Gemäss Art. 310 Abs. 3 ZGB kann die Rücknahme eines Kindes durch die Eltern dann untersagt werden, wenn es längere Zeit bei Pflegeeltern gelebt hat und durch die Rücknahme die Entwicklung des Kindes als gefährdet erscheint. Bei der Beurteilung dieser Frage ist den Umständen, die seinerzeit zur Fremdplatzierung geführt haben, Rechnung zu tragen. Die Voraussetzung, wonach das Kind "längere Zeit bei Pflegeeltern gelebt" haben muss, ist je nach Alter des Kindes zu relativieren, und auch die ernstliche Gefährdung ist im Einzelfall zu beurteilen. Zu berücksichtigen ist namentlich, dass ein Kleinkind einen gegenüber Erwachsenen verschiedenen Zeitbegriff hat, weshalb z.B. für ein sechsjähriges Kind eine Dauer von zwei Jahren als sehr lang erscheint. Sodann ist der Verwurzelung am Pflegeplatz und der Intensität der fortgeführten Beziehung mit den leiblichen Eltern Rechnung zu tragen (Cyril Hegnauer, Grundriss des Kindsrechts, 5. Aufl., Bern 1999, Rz 27.38; Christoph Häfeli, Die Aufhebung der elterlichen Obhut nach Art. 310 ZGB, in: ZVW 2001 S. 116). Erweist sich eine Rücknahme des Kindes von seinem Pflegeplatz gemäss Art. 310 Abs. 3 ZGB als nicht geboten, ist es dort zu belassen, was letztlich de facto auf einen Obhutsentzug gegenüber dem andern Elternteil, vorliegend dem Gesuchsteller, herauskommt.
4.3.1. Das amtsgerichtliche Beweisverfahren hat ergeben, dass die Parteien seit dem 17. April 2000 getrennt leben und T. in der Folge bis zur Hospitalisierung der Gesuchsgegnerin am 12. August 2001 bei dieser lebte. Seit dem 1. September 2001 wohnt T. bei ihrer Grossmutter, wo sie sich offenbar gut eingelebt hat. Im psychischen Bereich ist denn auch eine gewisse Entspannung eingetreten. Mittlerweile ist die Grossmutter zu T's engsten Bezugsperson geworden, welche sich für das Kind engagiert und auch ein gutes Einvernehmen mit dem Erziehungsbeistand pflegt. Sie kommt den Empfehlungen der Gutachter nach und bringt T. regelmässig in die Spieltherapie. T. hat sich auch im Kindergarten gut integriert und in ihrer Umgebung Kontakte geknüpft. Im Rahmen des obergerichtlichen Beweisverfahrens bestätigt T's Prozessvertreterin, dass die Grossmutter zu deren engsten Bezugsperson geworden sei und dass sich T. in S. ein soziales Netz aufgebaut habe. Entgegen der Ansicht des Gesuchstellers könne nicht von einem Konflikt beladenen Dreiecksverhältnis Grossmutter - Mutter - Kind gesprochen werden. T. ist in der Zwischenzeit am 11. August 2003 in S., am Wohnsitz ihrer Grossmutter, eingeschult worden.
4.3.2. (¿) Angesichts des Alters von T. (geb. 18.11.1996) erscheint die Dauer von über zwei Jahren, während welcher sie nun bei ihrer Grossmutter mütterlicherseits in Pflege ist, als lang. Dazu kommt, dass es sich hierbei um in der Altersentwicklung wichtige zwei Jahre handelt, zumal in diese Zeitspanne die Kindergartenzeit fiel und darauf die Einschulung in die Regelklasse erfolgte. Dem Interesse von T. an einer kontinuierlichen, stabilen Beziehung kommt deshalb ein hoher Stellenwert zu. Wohl konnten sich die Gutachter R. und B. am 12. Februar 2002 durchaus eine Obhut von T. beim Gesuchsteller als zweitbeste Lösung (allerdings mit Bedenken) vorstellen. Im Zeitpunkt der Untersuchungen war das Kind aber noch nicht lange in der Obhut ihrer Grossmutter, und es erschien deren Verhältnis mit ihrer Tochter (d.h. der Gesuchsgegnerin) als zu nahe und zu Konflikt beladen. Die Gutachter berücksichtigten im Übrigen, dass T. durch die Trennungssituation der Eltern, verbunden mit einem Loyalitätskonflikt und der psychischen Erkrankung der Gesuchsgegnerin, einer erheblichen psychischen Belastung ausgesetzt ist, weshalb sie von einer emotionalen Störung des Kindes sprachen. Auch dieser Umstand überzeugt das Obergericht für die Lösung, bei welcher T. in ihrem vertrauten Beziehungsnetz verbleiben kann, zumal die Grossmutter nach den Angaben der Prozessvertreterin von T. mittlerweile zur engsten Bezugsperson geworden ist und ein Wechsel zum Gesuchsteller das Kind entwurzeln und dieses zwingen würde, ein neues Bezugsfeld aufzubauen. Überdies müsste die Therapie von einer anderen Person weitergeführt werden, zu welcher T. zuerst wieder ein Vertrauensverhältnis aufzubauen hätte. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass sich die Grossmutter heute zur Gesuchsgegnerin besser abzugrenzen vermag, was im Zeitpunkt der Gutachtenserstellung offenbar noch nicht der Fall war und als Problem für eine Fremdplatzierung bei ihr erachtet wurde. Das Obergericht verkennt nicht, dass einerseits durch den Zeitablauf der verschiedenen Verfahren ein gewisses Präjudiz betreffend die Obhutsfrage geschaffen worden ist. Es ist aber andererseits gerade Sinn und Zweck von Art. 310 Abs. 3 ZGB, die Rücknahme eines Kindes aus vertrauten Verhältnissen, die seinem Wohl zuwider liefen, zu verhindern. Daran ändert nichts, dass T. im Juli 2003 ein für die Beteiligten gutes und gelungenes Ferienbesuchsrecht beim Gesuchsteller verbracht hat. Daraus kann nicht abgeleitet werden, eine Obhutszuteilung an ihn wäre auch im Wohl des Kindes begründet, zumal T. auf die Ausübung des Ferienbesuchsrechts zur Überwindung von Ängsten, nicht mehr zu ihrer Grossmutter zurückkehren zu können, speziell vorbereitet werden musste.
II. Kammer, 26. September 2003 (22 03 75.2)